Artikel in Museale Sammlung
16. August 2023 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Vor kurzem ergab sich zwischen den beiden Evangelischen Landeskirchlichen Archiven von Baden und Württemberg eine spontane Zusammenarbeit. Im Keller des Pfarrhauses der Kirchengemeinde Waldkirch (Baden) lagerte lange Zeit die reich verzierte Fahne des 1891 gegründeten örtlichen Evangelischen Arbeitervereins. 2017 hatte man das wertvolle Stück entdeckt, geborgen und sogar konservatorisch behandeln lassen. Zur sicheren Unterbringung wurde die Fahne 2022 schließlich dem Archiv der Evangelischen Landeskirche in Baden (EKIBA) übereignet. Das wertvolle textile Objekt muss aus konservatorischen Gründen liegend aufbewahrt werden, was bei einer Größe von 130×130 cm jedoch die Kapazitäten der in Karlsruhe vorhandenen Planschränke sprengt. Welch ein Glück, dass das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart unlängst zwei Planschränke in Übergröße angeschafft hat. Als das Archiv der EKIBA anfragte, ob eine Einlagerung bei uns in Württemberg möglich sei, konnten wir unmittelbar zusagen. Die Fahne befindet sich nun als Depositum aus Baden in unserem Magazin.
Die Geschichte der Fahne des Evangelischer Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau:
Der Evangelische Arbeiterverein Waldkirch-Kollnau wurde am 3. Mai 1891 gegründet und bestand bis 1939/1941.
Erste evangelische Arbeitervereine gab es bereits im frühen 19. Jahrhundert im Ruhrgebiet. Als ab 1890 die politische Arbeit von Pfarrern erlaubt wurde, entstanden in ganz Deutschland vergleichbare Zusammenschlüsse. In Baden wurden die ersten Evangelischen Arbeitervereine in Freiburg und Zell im Jahre 1887 ins Leben gerufen. Mit seiner Gründung im Jahr 1891 war auch der Verein Waldkirch-Kollnau früh dabei. Der Zweck des Vereins bestand darin: Unter den Glaubensgenossen das evangelische Bewusstsein zu erhalten und zu stärken, die sittliche Hebung und allgemeine Bildung der Mitglieder zu mehren, den Mitgliedern ein christliches Verständnis der sozialen Fragen und Aufgaben der Gegenwart zu vermitteln und ihnen bei Bedarf Unterstützung zukommen zu lassen. Die Vereinsaktivitäten vor Ort geschahen in der Regel in enger Absprache mit der Kirchengemeinde.
Am 25. Juni 1904 wurde die Fahne des Ev. Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau geweiht. Feierlich präsentiert wurde sie dann im Garten des Gasthauses Kreuz. Hier entstand höchstwahrscheinlich auch das Foto. Beim Gottesdienst und der anschließenden Enthüllung waren die katholischen Vereine aus Waldkirch und Kollnau zugegen, aber auch staatliche, städtische und kirchliche Behörden. Die auf dem Foto sichtbare Schleife war den „Frauen und Jungfrauen“ zu verdanken. Bei der Übergabe der Schleife sprach Frl. Mina Glos: „Also lasst mit dieser Schleife / eure Fahne heiter krönen / daß der Männer rechte Taten / sich durch Frauenhand verschönern.“ Auf der Vorderseite der Fahne sind der badische Greif und der deutsche Reichsadler dargestellt. Auf der Rückseite die vier Embleme aus der Welt der Handarbeit: ein Seidenraupenkokon (Sinnbild für die Seidenweberei, insbesondere der Fabrik Sonntag), ein Webschifflein (Sinnbild für die Kollnauer Spinnweberei), ein Hammer sowie ein Zahnrad und eine Zange (als Sinnbild für die mechanischen Handwerke).
Neben der Erwachsenenbildung unterstützte der Verein seine Mitglieder durch den gemeinsamen (und dadurch günstigeren) Bezug von Kohlen, Briketts, Kartoffeln, Kaffee und Kakao. Aus dem Verein heraus bildete sich ein Männerchor, ein gemischter Chor sowie eine Musikabteilung. 1893 sowie 1908 versuchte der Verein, gesunde Arbeiterwohnungen zu schaffen, letztlich ohne Erfolg. Die bittere Zeit des Ersten Weltkrieges führte zu einem Rückgang des Vereinslebens. Seine Aufgaben wandelten sich im Versenden von Gütern an die im Feld stehenden Mitglieder. Zum endgültigen Niedergang kam es dann in den 1930er Jahren. 1941 wurde der Verein aufgelöst.
Die Fahne ist sicher ursprünglich im Gemeindehaus aufbewahrt worden. Irgendwann gelangte sie in einem wenig geeigneten Behältnis in den (leider feuchten) Keller des Waldkircher Pfarrhauses, wo sie 2017 wieder entdeckt wurde. Nach einer fachmännischen Reinigung (Entfernen des Schimmels) durch eine Restauratorin wurde sie liegend und in Seidenpapier eingeschlagen in einem großen Karton auf dem Dachboden der Evangelischen Kirche gelagert. Als dieser Dachboden gedämmt wurde, musste sie wieder entfernt werden. Deshalb hat sich der Kirchengemeinderat 2022 dazu entschlossen, die Fahne schließlich an die Evangelische Kirche Baden abzugeben.
(Informationen von Andreas Haasis-Berner von der Ev. Kirchengemeinde Waldkirch.)
Beitragsbild: Fahne des Ev. Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau, 1904. Depositum Nr. 23.030;01-04
Beschreibung und weitere Bilder der Fahne in unserer Online-Bestandsübersicht hier.
Bestandsgeschichte im Findbuch des Pfarrarchivs Waldkirch [Bestand: 044., Waldkirch; Bestände und Findmittel (archiv-ekiba.de)].
26. Juli 2023 | Felix Kraeutl | Allgemein, Museale Sammlung
Seit Beginn meines Freiwilligen Sozialen Jahres habe ich mich im Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hauptsächlich in den Bereichen der Musealen Sammlung und der klassischen Aktenarbeit beweisen müssen. Vor allem im ersten halben Jahr habe ich einen Großteil meiner Zeit beim Inventarisieren von Bildern, Gegenständen und Möbeln in der Musealen Sammlung verbracht, sowie dem Vorbereiten von Ausstellungen und dem Durchführen einer Einholung von Missionsgut für die Sammlung. Es gab Massen von noch noch nicht inventarisierten Gegenständen, die einem ihre Geschichte erzählen wollen oder deren Geschichte gefunden werden will.
Ebenfalls haben mir die klassisch archivarischen Tätigkeiten sehr viel Spaß gemacht, beispielsweise das Digitalisieren und das Durchführen von Einholungen von Pfarrarchiven und Diakonieakten, das Bearbeiten von Aktenbeständen und die Arbeiten im Magazin. Er war schön, dass ich Sütterlin-Schrift lernen und gleich anwenden konnte. Fraktur-Schrift konnte ich bereits lesen. Über das Jahr habe ich an insgesamt fünf Einholungen teilgenommen, bin an der Verzeichnung meines zweiten Aktenbestandes und habe unsere Disketten vollständig und die Daten-CDs und Audio-Kassetten zu Teilen digitalisiert.
Für mich war es ein sehr gutes und richtungsweisendes Jahr und ich plane nach einem abgeschlossenen Studium zum gehobenen Archivdienst in das Landeskirchliche Archiv zurückzukehren.
12. Juli 2023 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
In der Musealen Sammlung befindet sich ein interessantes Schnitzbild aus Kamerun, das den Titel “Das Reich Gottes in der Erdnuss” trägt. In vielen württembergischen Kirchengemeinden kennt man dieses Bild. Wie kam es dazu?
Im Vorfeld der Weltmissionskonferenz (1980) in Melbourne, Australien, schrieb der Ökumenische Rat der Kirchen 1979 seine Mitgliedskirchen an und bat um Beiträge und Reflexionen zum Konferenzmotto ‚Dein Reich komme’, einer Bitte aus dem Vaterunser. Die Presbyterianische Kirche in Kamerun bat darauf ihre Mitglieder – Theologen und Laien – um ihre Ideen dazu. Den ersten Preis bekam der Schnitzer Martin Loh Nyonka mit dem Tafelbild “Das Reich Gottes” in einer Erdnuss. Erklärung: Wie die Erdnuss zwei Kerne hat, besteht das Reich Gottes auch aus zwei Bereichen – der sozialen und der geistlichen Arbeit. Das Schnitzwerk wurde in Melbourne ausgestellt und ist jetzt im Besitz des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Lange hing es dort im Büro des Generalsekretärs. Da das Bild sehr großen Anklang fand, wurde es von Martin Loh Nyonka noch vier Mal nachgeschnitzt: zum einen für Papst Johannes Paul II, der sich am 12. August 1985 in Yaoundé mit Vertretern aller christlichen Kirchen in Kamerun traf, zum zweiten für Hans Knöpfli, den früheren Leiter des Kameruner Handwerkerzentrums in Bali-Nyonga, der die Arbeit von Martin Loh Nyonka begleitete, zum dritten für den späteren Landesbischof Eberhardt Renz anlässlich seines Ausscheidens als Afrikareferent der Basler Mission.
1987 lernte Pfarrer Jürgen Quack, den Schnitzer bei einem Besuch in Kamerun, kennen und bat ihn, eine weitere Kopie für seine Arbeit im Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung (DiMOE) in Württemberg zu fertigen. Quack zeigte das Bild in vielen Gemeinden und Schulen, um zum einen eine afrikanische Sicht auf das Kommen des Reiches Gottes kennenzulernen und zum anderen ein Gespräch über das Verständnis des Reiches Gottes in Deutschland anzuregen. Zur Vermittlung verwendete er Objekte aus der Kultur des Kameruner Graslandes, die im Bild dargestellt sind und ein Plakat mit erläuternden Texten.
Beitragsbild: Schnitzbild “Das Reich Gottes in der Erdnuss” (Inv. Nr. 22.130)
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Plakat für die Gemeindearbeit (Inv. Nr. 22.140)
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Pädagogisches Begleitmaterial: Kaurimuscheln.Erworben von Jürgen Quack während seiner Zeit als Mitarbeiter der Basler Mission in der „Kirche der Geschwister“ (Ekkklesiyar Yan’uwa a Nigeria, E.Y.N.) im Nord-Osten Nigerias 1978-1983.
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Pädagogisches Begleitmaterial:. Fetisch in Gelbguss.Erworben von Pfarrer Dr. Jürgen Quack während seines Dienstes für die Basler Mission in der „Kirche der Geschwister“ (Ekklesiyar Yan’uwa a Nigeria, E.Y.N.) im Nordosten Nigerias 1978-1983.
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Pädagogisches Begleitmaterial: Doppelgong. Erworben von Jürgen Quack während seiner Zeit als Mitarbeiter der Basler Mission in der „Kirche der Geschwister“ (Ekkklesiyar Yan’uwa a Nigeria, E.Y.N.) im Nord-Osten Nigerias 1978-1983.
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Pädagogisches Begleitmaterial: Hacke. Erworben von Jürgen Quack während seines Dienstes für die Basler Mission in der „Kirche der Geschwister“ (Ekklesiya Yan’uwa a Nigeria, E.Y.N.) im Nordosten Nigerias 1978-1983.
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Pädagogisches Begleitmaterial: Modell einer Sprechenden Trommel.Erworben von Pfarrer Jürgen Quack während seines Dienstes für die Basler Mission in der „Kirche der Geschwister“ (Ekklesiya Yan’uwa a Nigeria, E.Y.N.) 1978 – 1983 Verwendet als Anschauungsobjekt bei Vorträgen im Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung 1983 – 1993.
25. Mai 2023 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
In unserem Archiv befindet sich eine Schachtel, die gefüllt ist mit einer bunten Mischung von Siegeln. Beigefügt ist ein Heft, das weitere, nach Orten sortierte eingeklebte Exemplare enthält. Eine wahre Fundgrube für Wappenforscher und einschlägige Sammler!
Jemand hatte die Siegel von Briefumschlägen abgetrennt, der genaue Zeitraum ist nicht zu ermitteln. Das in alphabetischer Reihenfolge geführte beiliegende Heft lässt darauf schließen, dass auch die in der Kiste aufbewahrten Siegel irgendwann hätten sortiert werden sollen.
Die Siegelsammlung stammt aus der inzwischen aufgelösten “Sammelstelle für Landeskirchliches Schrifttum” und war wohl eine Schenkung. Auf dem Etikett der Kiste ist zu lesen: “Siegel. Geschenk von Frau Pfarrer Bengel, Korntal“. Ob die Pfarrfrau die Sammlerin war, oder ob sie nach dem Tod ihres Gatten die Relikte seines Hobbys in guten Händen wissen wollte, werden wir wohl nicht mehr rekonstruieren können. Die Siegel liegen indes unsortiert weiterhin in unserem Archiv – mittlerweile in der Musealen Sammlung unter der Inventarnummer 22.128.
Siegel waren nicht nur als Insignien zur Beglaubigung von Urkunden gebräuchlich, sondern auch zum sicheren Verschließen von Briefen, um bei wichtigen oder offiziellen Schreiben die Unversehrtheit zu garantieren und den Absender kenntlich zu machen. Hierzu wurde ein Siegelstempel in eine weiche, erhärtende Masse – den Siegellack – gedrückt. Durch den Stempel wurde das Familien- oder Ortswappen eingeprägt.
Die Siegelsammlung in unserer Online-Bestandsübersicht.
Abbildungen: Museale Sammlung, Inv. Nr. 22.128
22. Mai 2023 | Tamara Scheck | Digitalisierung, Museale Sammlung
Den Internationalen Museumstag am 22. Mai haben wir zum Anlass genommen, unsere Museale Sammlung online zu stellen. Unter AS 9 finden Sie auf unserer Internetseite Landeskirchliches Archiv Stuttgart – Suche (elk-wue.de) rund 15.000 Objekte. Neben Zeugnissen kirchlicher und privater Frömmigkeit sind christliche Skulpturen, Gemälde, Grafiken und liturgische Gegenstände aus der Arbeit evangelischer Verbände und Vereine, der Diakonie und der Mission enthalten. Unsere Sammlungsstücke stehen für Ausstellungen und Filmaufnahmen von Museen und Kirchengemeinden zur Verfügung. Viel Spaß beim Recherchieren und Entdecken unserer Museumsschätze!
Beispiel für eine Verzeichnungseinheit mit anklickbarem Digitalisat
17. Mai 2023 | Andrea Kittel | Bibliothek, Museale Sammlung
Gebetbuch, 1688, hg. vom Abendprediger der Stiftskirche in Stuttgart Johann Heinrich Schellenbaur (1643-1687), Museale Sammlung (17.005)
Ist Christus im Streitwagen mit flammenden Rädern gen Himmel gefahren?
Der Kupferstich in diesem in Stuttgart herausgegebenen Gebetbuch von 1688 zeigt nicht den himmelfahrenden Christus, sondern den Propheten Elija aus dem Alten Testament. In vielen alten Darstellungen wird die Himmelfahrt des Elija als Präfiguration der Himmelfahrt Christi gezeigt: Das, was im Alten Testament angekündigt wird, vollendet sich im Neuen Testament.
40 Tage nach Ostern feiern Christen Himmelfahrt, den Tag an dem Jesus Christus von seinen Jüngern Abschied nahm und in die unsichtbare Welt Gottes zurückkehrte. Seitdem sitzt er “zur Rechten Gottes”, wie es im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt. (Markus 16,19, in Lukas 24,51 sowie in der Apostelgeschichte 1,1–11.)
Das vorliegende Gebetbuch ist noch unter anderen Aspekten interessant. Jedes Titelkupfer ist einer württembergischen Stadt gewidmet, hier: Stetten. Andere zeigen Blaubeuren, Lauffen, Marbach oder Brackenheim…
11. April 2023 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Die Annonce von 1911 aus der Cannstatter Zeitung zeigt, dass das Thema Kleidung für die Konfirmation damals offensichtlich so wichtig war wie heute – wenn nicht gar noch wichtiger.
Die Konfirmation war lange Zeit eine wichtige Zäsur im Leben der Heranwachsenden. Mit der Konfirmation war auch die Schulpflicht zu Ende, und für die meisten begann der Start in die Lehre, in den Beruf, der erste Schritt ins Erwachsenenleben. Deshalb bekamen die Konfirmandinnen und Konfirmanden erstmals Erwachsenenkleidung, meist etwas größer, zum Hineinwachsen. Auf älteren Konfirmations-Fotos sehen die Jugendlichen mit ihren 14 Jahren daher merkwürdig alt aus: Die Jungs mit Anzügen und Hüten, die Mädchen mit schwarzen hochgeschlossenen Kleidern. Die in der Zeitungsanzeige von 1911 angebotenen Konfirmanden-Stiefel scheinen jedoch nichts für die Durchschnittsjugendlichen gewesen zu sein, in edlen Ledervarianten und feiner Ausführung waren sie zu teuer und unpraktisch für die meisten.
Das Zeitungsblatt kam zufällig mit anderen Objekten in die Museale Sammlung. Neben den Konfirmanden-Stiefeln wurden auf der Rückseite vom selben Kaufhaus auch Konfirmanden-Anzüge angeboten. Der Bezug zur Konfirmation war Grund dafür, dass das Blatt aufbewahrt wurde.
Doch jedes Ding erzählt nicht nur eine Geschichte. Die Annonce war platziert worden vom Kaufhaus Sally Hirsch in Cannstatt, Seelbergstraße 16. Der Vorname weckte unser Interesse und führte zu weiteren Recherchen. Ist Sally der Name einer Frau? Oder ist er die Abkürzung von Salomo, wie es bei deutsch- und jiddischprachigen Juden früher üblich war? Was ist aus dem Kaufhaus und ihren Inhabern geworden? Auf der Internetseite der Stuttgarter Stolperstein-Initiative wurden wir fündig. Rainer Redies beschreibt dort den Werdegang und das Schicksal der Kaufmannsfamilie.
Das Ehepaar Sally und Clara Hirsch betrieben seit dem späten 19. Jahrhundert ein Bekleidungsgeschäft in der Seelbergstraße, seit 1906 im eigenen Haus. Die Firma und das Haus der Hirschs wurden im Juni 1938 „arisiert“. 1939 starb Sally Hirsch knapp 80-jährig. Seine Frau Clara starb 1942 mit 70 Jahren in Theresienstadt. Ihre Kinder Bertha und Hugo konnten rechtzeitig in die USA emigrieren.
Ausführlicher dazu:
Clara Hirsch: Vergebliche Hoffnung auf ein Wiedersehen | Cannstatter Stolperstein-Initiative (stolpersteine-cannstatt.de)
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Anzeigen Konfirmations-Kleidung, Cannstatter Zeitung, 21.2.1911 (Museale Sammlung, Inv. Nr. 11.256
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Konfirmandengruppe, um 1910, Museale Sammlung, Inv. Nr. 97.038
1. Februar 2023 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Im Rahmen der studentischen Lehrveranstaltung „Das Kirchenjahr und seine Textilien“ unter der Leitung von Janek Schröder ging eine Gruppe des Evangelischen Stifts den Fragen nach: Warum hängen an Altar und Kanzel diese „bunten Teppiche“? Welche Bedeutung haben ihre Farben und weshalb braucht es beim Abendmahl so viele weiße Tücher? Wie sollen sich im Gottesdienst Handelnde anziehen?
Nachdem die Studierenden sich mit den biblischen Grundlagen und historischen Entwicklungen beschäftigt hatten, führte sie eine Exkursion zu uns ins Landeskirchliche Archiv Stuttgart. Sie erhielten Einblick in den Archivbestand der Evangelischen Paramentenwerkstatt, die von 1924 bis 1997 in Württemberg wirkte. Entwürfe und Fotografien aus dieser Zeit zeigten die gestalterischen und handwerklichen Grundlagen der textilen Werke. Anschließend ging es in das Magazin der Musealen Sammlung, wo Paramente aus verschiedenen Epochen und Stilrichtungen entdeckt werden konnten. Besondere Stücke waren selbstgebastelte Altartücher, die in Kriegsgefangenenlagern des Zweiten Weltkriegs von den Internierten aus Lumpen- und Teppichresten gefertigt worden waren, um auch unter schwierigen Bedingungen einen würdigen Gottesdienst feiern zu können. Großes Interesse bestand ebenso an der liturgischen Kleidung. Die Museale Sammlung beherbergt nicht nur Standardversionen von Talar und Beffchen, sondern auch individuell gestaltete Exemplare aus den 1980er Jahren, die versuchten, den traditionell gesteckten Rahmen zu sprengen, um etwa mehr Nähe zu Alltag und Gemeinde herzustellen. Vorgestellt wurde auch der Talar einer der ersten Pfarrerinnen in Württemberg und dem dazugehörigen „Frauenbeffchen“, das einem Blusenkragen nachempfunden war.
Die im Seminar erarbeiteten Sachkenntnisse der Studierenden wurden rege eingebracht und waren für mich als Sammlungsleiterin eine Bereicherung. Ich freue mich jedenfalls darauf, mit weiteren studentischen Gruppen ins Gespräch über kirchliche Sachkultur zu kommen.
Zu den Lehrveranstaltungen im Evangelischen Stift Tübingen hier.
25. Januar 2023 | Felix Kraeutl | Museale Sammlung
Diese Woche habe ich mit Frau Kittel eine riesige Sammlung „Betende Hände“ begutachtet und sortiert. Albrecht Dürer hat dieses Motiv 1508 gezeichnet. Seit den 1950er Jahren wurde es in allen möglichen Variationen kopiert und hing in vielen Häusern als Wandschmuck. Eine Dame hat die Sachen jahrelang bei Haushaltsauflösungen und Flohmärkten gesammelt und das Ganze dann der Musealen Sammlung im Landeskirchliche Archiv geschenkt.
Als wir die Bilder in unserem Besprechungsraum ausgebreitet haben, fiel die schwankende Qualität der Objekte auf. Die überraschende Zahl der unterschiedlichen Materialien zeigt, dass dieses Motiv in der Vergangenheit wohl sehr beliebt war. Bei diesen Bildern kommt es nicht auf das Einzelne an. Viele erscheinen uns heute kitschig und schlecht gemacht. Wichtig ist die große Menge der Bildnisse. Sie zeigt, dass die „Betenden Hände“ vielen Menschen etwas bedeutet haben.
Deshalb haben wir die gesamte Sammlung in die Museale Sammlung aufgenommen und kein Stück ausgeschieden. Die fast 400 Objekte haben wir in fünf großen Kisten und 26 Archivschatullen gut verpackt. Um diese Menge an Bildern zu erleben wäre es perfekt, diese Bildnisse im Ganzen auszustellen.
Auszüge aus der Sammlung (Inv. Nr. 23.020):
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Andrea Kittel und Felix Kräutl beim Sichten der Betenden Hände
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Verschiedenes
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Teller
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Wandteppich
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Bastelarbeiten
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Reliefs verschiedener Materialien
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Stickbilder
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Drucke der Dürer-Zeichnung
19. Dezember 2022 | Andrea Kittel | Kunstgeschichte, Museale Sammlung
Weihnachten ist das Fest der Gaben. In den bildlichen Darstellungen der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem sind es die Figuren der drei Könige, die dem „neuen König“ huldigen und ihre Gaben darbringen: Weihrauch, Myrrhe und Gold. Im Neuen Testament werden sie nicht als „Könige“ bezeichnet, auch gibt es keine Angabe über ihre Anzahl. Diese Angaben entstammen einer umfangreichen Legendenbildung, die im 3. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Seit dem 9. Jh. tragen sie die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar. In der christlichen Kunst des Mittelalters und der Renaissance entwickelten sich die drei Könige zu Repräsentanten der damals bekannten drei Erdteile Europa, Afrika und Asien. Damit wird betont: Die Geburt Jesus Christi ist ein Geschenk an alle Menschen, weltweit.
Beitragsbild: Anbetung der Könige (Matth. 2, 1-12), um 1880, Lithografie, schablonenkoloriert, Museale Sammlung, Inv. Nr. 06.037
14. Dezember 2022 | Andrea Kittel | Kurioses, Museale Sammlung, Zeitgeschichte
Diese beiden originellen Postkarten tauchten unter vielen anderen in einem privaten Nachlass auf, der an die Museale Sammlung im Landeskirchlichen Archiv abgegeben wurde. Was zunächst nach lustigen Urlaubsgrüßen aus Hamburg aussieht, täuscht. Beim näheren Hinschauen wird deutlich: die Absender, ein Ehepaar aus Esslingen, sind dabei, auszuwandern. Sie schreiben aus Baracke 6 der Auswanderer-Hallen im Stadtteil Veddel: „Wir werden am Donnerstag um 11 Uhr von einem kleinen Dampfer hier abgeholt und fahren Nachmittag 4 Uhr hier weg.“ Die Reise sollte wohl in die USA gehen, denn sie erwähnen noch Mitreisende, deren Ziel Philadelphia ist.
Ein Hinweis auf die Datierung findet sich auf der Vorderseite einer der beiden Karten. Dort ist handschriftlich notiert: „Über die Karten haben wir sehr gelacht. Eine kostet 300 000“. In Deutschland war also Inflation, was auf die Jahre 1922/23 hinweist.
Zwischen 1919 und 1932 wanderten insgesamt rund 600.000 Deutsche in überseeische Länder aus. Der Höhepunkt lag Anfang der 1920er Jahre. Im Ersten Weltkrieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren viele Menschen gezwungen, ihren Entschluss zur Auswanderung zunächst aufzuschieben. Anfang der 1920er Jahre mussten sie ihre Auswanderungspläne rasch umsetzen, weil die Inflation in Deutschland ihre Geldreserven zusammenschmelzen ließ. Weitere schlossen sich an und versuchten, in der Hoffnung auf eine bessere Existenz aus der Krise zu flüchten.
Schon im 19. Jahrhundert war Hamburg zum bedeutenden Auswandererhafen geworden. Das Geschäft mit den Auswanderern war lukrativ. Die großen Reedereien warben in ganz Deutschland und Osteuropa für den Transport ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Bis die Auswanderer auf ihr Schiff kamen, brauchten sie darüber hinaus eine Unterkunft und Lebensmittel sowie Proviant für die Reise. Immer mehr Flüchtlinge strömten nach Hamburg, so dass die städtischen Auswandererbaracken bald nicht mehr ausreichten. Im Stadtteil Veddel, südlich des Müggenburger Zollhafens entstanden auf Initiative des Reeders Albert Ballin ab 1900 die Auswandererhallen der Hamburg-Amerika Linie. Auf gut 55.000 Quadratmetern fanden zunächst 1200, später sogar 5000 Menschen Platz. Die Ausreisewilligen mussten dort bis zu 14 Tagen in Quarantäne bleiben. Neben Schlaf- und Speisesälen, medizinischer Betreuung und Waschsälen gab es auch eine Kirche und eine Synagoge.
Wie sich der Aufenthalt der beiden Esslinger weiter gestaltete, entzieht sich unserer Kenntnis. Nicht einmal ihre Namen sind bekannt, da die Karten, wohl in einem Briefumschlag versandt, nicht unterschrieben waren. Zu hoffen bleibt, dass die Verfasser und ihr Gepäck in Übersee gut angekommen sind und sie nicht in ähnlicher Weise strauchelten, wie die humorigen Gestalten auf den Postkarten.
9. Dezember 2022 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
In allen katholischen Kirchen Polens werden zur Weihnachtszeit Weihnachtskrippen mit teilweise lebensgroßen Figuren aufgestellt. Nach dem Vorbild dieser Krippen entstanden seit etwa 1900 verkleinerte, tragbare Ausführungen, die von den Dorfjungen von Haus zu Haus getragen wurden.
Die in Krakau übliche Form der Krippe (polnisch Szopka) besteht aus Holz, Pappe und bunter Aluminiumfolie. Diese wurden im Lauf der Zeit immer üppiger und aufwändiger geschmückt und die Krippenbauer wetteiferten miteinander um die prächtigste Krippe. Im Jahr 1927 wurde erstmals ein offizieller Wettbewerb ausgeschrieben. Seit 1937 werden alljährlich am ersten Donnerstag im Dezember die neuen Weihnachtskrippen auf den Stufen des Mickiewicz-Denkmals am Krakauer Marktplatz zur Schau gestellt. Der Krippenwettbewerb gilt als ein Höhepunkt im Leben der Stadt und zieht jedes Jahr viele Teilnehmer an.
Die typische Krakauer Krippe (Szopka Krakowska) ist inspiriert von Krakauer Baudenkmälern wie der Marienkirche, dem Königsschloss auf dem Wawel oder der Tuchhalle. Im Miniaturformat werden Details wie Türmchen, Galerien, Bogengänge, Balustraden oder Glasfenster filigran nachgebaut, fantasievoll kombiniert und kreativ dekoriert. Neben der biblischen Weihnachtsszene sind in den Krippen auch Darstellungen von historischen oder prominenten zeitgenössischen Persönlichkeiten zu finden.
In der Musealen Sammlung des Landeskirchlichen Archivs befinden sich mehrere solcher Krippen. Hier ein paar Beispiele:
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Weihnachtskrippe von Pjotr Michalczyk, Krakau/Polen 1990 Museale Sammlung Nr. 07.1058
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Weihnachtskrippe, Krakau/Polen Museale Sammlung Nr. 07.1052
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Weihnachtskrippe, Krakau/Polen 1992 Museale Sammlung Nr. 07.1055
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Weihnachtskrippe von Pjotr Michalczyk, Krakau/Polen 1992 Museale Sammlung Nr. 07.1059
30. November 2022 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Dieser selbstgebastelte Adventskalender kam über den Nachlass einer frommen Familie in die Museale Sammlung. Handschriftlich steht auf dem Haus geschrieben:
„Hast du geöffnet die Fensterlein, so kommt auch bald das Christkindlein.
Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“
Belege für erste Formen des Adventskalenders stammen aus bürgerlichen pietistischen Kreisen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden verschiedene Bräuche, die die ungeduldige Erwartung der Kinder auf das Weihnachtsfest begleiteten. Überliefert sind etwa die Adventsandachten im „Rauhen Haus“ – der von Joh. H. Wichern gegründeten Knabenrettungsanstalt. Während man täglich eine biblische Verheißung der Christgeburt vorlas, steckte man auf den tannengeschmückten Kronleuchter eine weitere Kerze. Daraus entstand der Adventskranz.
Als Zeitzähler vor Weihnachten dient auch der Adventskalender. Die geöffneten Türchen sollen das Fortschreiten der Zeit vor Augen führen und mit kleinen Bildern oder süßen Überraschungen die Spannung auf das Fest steigern.
Bild: Adventskalender. Bastelarbeit, um 1900. Museale Sammlung (Inv. Nr. 11.302)
23. November 2022 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Kurz nach den Sommerferien, fängt es jedes Jahr wieder an zu „weihnachten“. Lange vor dem ersten Advent glitzern überall schon Sterne und Christbaumkugeln, in den Geschäften und Onlineportalen werden weihnachtliche Produkte und Geschenkideen angepriesen. Das war im vorigen Jahrhundert nicht anders. Im Pfarrarchiv Unterreichenbach fand sich ein Prospekt der „Vereinigten Verkaufsstellen der Anstalt Bethel in Bielefeld“ aus dem Jahr 1938, der bereits im September an Kirchengemeinden und kirchliche Kreise versandt wurde. Die 24-seitige Broschüre zeigt eine weit gefächerte Produktpalette: Engelsfiguren, Kerzenleuchter, Adventskranzständer, Porzellanteller mit Weihnachtsmotiven, Kaffeegeschirr mit Abzeichen evangelischer Vereine sowie weitere Geschenkideen, wie etwa Henkelkörbe und Spardosen. Auf Seit 9 wird ganz selbstverständlich und nebenbei ein Objekt angeboten, das uns heute stutzen lässt: “Hitlers Landhaus ‘Wachenfeld’ als Spardose” in zwei Größen und mit Hakenkreuzflagge.
Im Jahr 1938 war das wohl nichts Außergewöhnliches. Mit dem historischen Wissen von heute mag man dem Zynismus, der in diesem Angebot liegt, nicht recht glauben.
Die Heil- und Pflegeanstalt Bethel bei Bielefeld wurde 1867 von Friedrich von Bodelschwingh für geistig- und körperlich behinderte Menschen gegründet. Ab 1974 wurden verschiedene Werkstätten als Beschäftigungsmöglichkeiten für die Behinderten angegliedert. Die „Vereinigten Verkaufsstellen“ dienten mit dem Vertrieb von Produkten für Kirchen und Kirchengemeinen zur Aufstockung der Finanzen der Anstalt. Auf der Vorderseite des Prospektes ist zu lesen: „Der Reinerlös auch aus dem Weihnachtsversand“, kommt „den Kranken unserer Anstalt zugute,“ und so unterstützt „ein jeder der bei uns bestellt das Liebeswerk an den Kranken und Elenden“.
Angesichts der von den Nationalsozialisten durchgeführten Zwangssterilisationen an Behinderten und der ab 1940 durchgeführten systematischen Krankenmorde ist es äußerst irritierend, dass eine Behinderteneinrichtung wie Bethel in ihrer Produktverkaufsstelle 1938 arglos die Spardose “Hitlers Landhaus” vertrieben hat – ein Objekt, das mit der Ideologie verbunden war, die Behinderte Menschen als „lebensunwert“ betrachtete.
Die Anstalt Bethel stellt sich heute der Verantwortung, indem sie Erinnerungsarbeit und historische Forschung zu ihrer eigenen Geschichte im Nationalsozialismus betreibt. „Geschichte fundiert aufzuarbeiten und daraus Lehren für die aktuelle und künftige Arbeit zu ziehen, ist eine Verpflichtung gegenüber allen, die in Betheler Einrichtungen Leid erfahren haben.“
Bethel im Nationalsozialismus – Bethel
Hier der ganze Prospekt:
Weihnachtswaren-Angebot für Kirchengemeinden, Vereinigte Verkaufsstellen der Anstalt Bethel, Bielefeld 1938 (Museale Sammlung, Inv. Nr. 22.106)
27. Juli 2022 | Andrea Kittel | Lesesaal, Museale Sammlung
Wir treffen Dr. Katharina Krause. Sie ist Wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Praktische Theologie III an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Eines ihrer derzeitigen Forschungsprojekte befasst sich mit den Verschränkungen von ‚frommem‘ und ‚kolonialem‘ Blick im Rahmen der Mission. Welche Bilder haben Missionare und Missionarinnen in ihren Berichten in Missionszeitschriften oder in Vorträgen transportiert? Welche Bilder haben sie konstruiert und aufrechterhalten, um beim Publikum in der Heimat ‚Missionssinn‘ zu wecken und sich der finanziellen und geistlichen Unterstützung ihrer Arbeit zu versichern?
Im Landeskirchlichen Archiv ist sie auf der Suche nach Objekten aus der China-Mission und wurde in der Musealen Sammlung fündig:
„Neben dem Kinderbuch ‚Agim erzählt aus China‘ von der württembergischen Missionarin und Schriftstellerin Anna Oehler, hat mich auch die Sammlung an chinesischen Kindermützchen berührt, die aus dem Nachlass einer schwäbischen Missionarsfamilie (Basler Mission) stammen. Kleine aufgenähte Spiegel und Troddeln sollen böse Geister von den Kindern fernhalten. Auch im Bilderbuch von Anna Oehler wird dieser Brauch thematisiert: Unter der Abbildung eines etwa zwölfjährigen Mädchens, das einen kleinen Jungen im Tragetuch auf dem Rücken trägt, findet sich folgender Reim:
‚Auf dem Köpfchen glattgeschoren,
deckend zu auch Hals und Ohren,
sitzt ein Mützchen wunderfein,
vorn ein kleines Spiegelein,
daß die bösen Geister gehen,
wenn sie sich darinnen sehn.
Auch zwei gelbe Glöcklein seht,
wenn er nun sein Köpfchen dreht,
fangen leise an zu klingen;
sie auch sollen Gutes bringen,
böse Geister von ihm jagen,
wenn sie sich ans Büblein wagen.‘
Was mit chinesischem ‚Dämonenglaube‘ gemeint sein konnte, wird hier in besonderer Weise sinnenfällig als eine Form des praktischen Umgangs und der Bewältigung der Sorgen und Nöte, die mit der hohen Kindersterblichkeit in dieser Zeit einhergingen.
Objekte wie diese dienten als Anschauungsmaterial für die heimatlichen Unterstützerkreise und prägten ein recht stereotypes Bild der „fremden Kultur“. Bisweilen fragt man sich auch, ob nicht ein Missverständnis das andere erzeugt. „Götzendienst“ und „Dämonenglaube“ werden neben dem scheinbar unausrottbaren „Materialismus der Chinesen“ als die größten Missionshindernisse beschrieben, denen wiederum mit der „Jesuslehre“ begegnet wird, die die chinesischen Mitarbeiter – sog. Evangelisten und Bibelfrauen – auch mittels einer „Bilderrolle“ illustrieren, auf der der ‚Breite und der Schmale Weg‘ abgebildet ist und im Landeskirchlichen Archiv als Reproduktion vorliegt: In dieser Variante werden die die kritikwürdigen ‚chinesischen‘ Laster (Opiumsucht, Götzendienst, Dämonenglaube) der frommen Glaubenspraxis der Missionsgemeinden gegenüberstellt.
Als Forscherin, die zu Bekehrungsfrömmigkeit gearbeitet hat, kann ich diese Wahrnehmung vor dem Hintergrund der für diese Spiritualität maßgeblichen Diskurse einordnen – als Praktische Theologin frage ich mich aber doch auch, warum die bekehrungsfrommen Sinnformen zur Deutung und Bewertung immer gleich so unmittelbar zur Hand waren. Hatte es damit zu tun, dass die religiöse Praxis, die sich in einem solchen Mützchen realisiert, eben als nur aufs Materielle, Sichtbare gerichtet wahrgenommen wurde? Weil die schwäbischen Missionarsfamilien und ihr frommes heimisches Umfeld ihren ebenfalls kulturell stereotypen protestantischen Widerwillen an Dinge des Glaubens herantrugen? Im Lichte meiner empirischen Studien mit werdenden Eltern und Tauffamilien scheint mir das Anliegen, das sich im Gewebe eines solchen Kindermützchens materialisiert, wiederum sehr plausibel. Artefakte – man denke dabei auch an das Taufkleid – spielen auch im protestantischen Kontext eine zentrale Rolle, verbinden sich mit diesen letztlich doch jene Gewissheiten, die allein die Evidenz des Faktischen zu schaffen vermag. Und als Religionsethnografin schließlich, die gewohnt ist, scheinbare Selbstverständlichkeiten des eigenen religionskulturellen Kontextes zu befremden und kritisch zu hinterfragen, bereitet mir das Mützchen eine geradezu lustvolle Freude zur Provokation jener Asymmetrien, in die der fromme Blick seine ‚Anderen‘ zu zwingen versucht: Was sind denn eigentlich unsere ‚Dämonen‘? Und kennen wir sie so gut, dass wir genau wissen, womit wir ihnen auf die Nerven gehen?
Die dingliche Überlieferung ist neben der schriftlichen eine wichtige und aufschlussreiche Quelle für meine Forschungen. In der Musealen Sammlung habe ich noch einiges entdeckt, das ich mir beim nächsten Besuch genauer ansehen möchte.“
4. Mai 2022 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
LKAS, Museale Sammlung, Inv. Nr. 00.088
Viele kennen noch dieses bekannte Volkslied, das recht fröhlich beginnt und schon in der zweiten Zeile für irritierenden Ernst sorgt, indem es Krieg thematisiert. Dass das Kinderlied lange Zeit arglos geträllert wurde, zeigt dieses wohl aus den 1950er Jahren stammende Kindertaschentuch, das mit einem Nachlass in unsere Museale Sammlung kam: Zwei lachende, singende Kinder und vier dicke Maikäfer.
Maikäfer sind heutzutage nicht mehr oft zu sehen, dafür sind Kriege und ihre Folgen täglich präsent.
Was hat es mit diesem Volkslied auf sich? Von welchem Krieg ist die Rede? In welchen Kriegsgebieten sind die Eltern dieser Kinder verschwunden? Pommerland? Pommern?
Zahlreiche historische sowie kultur- und literaturwissenschaftliche Deutungen gibt es zur Herkunft dieses Liedtextes. Zunächst ging man davon aus, dass es im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) entstand. Doch das im Text entworfene Bild des ausziehenden Vaters als Soldaten und der zurückbleibenden Familie hat zu dieser Zeit wohl so nicht stattgefunden. Laut dem Historiker Hans Medick seien in Dreißigjährigen Krieg vielmehr ganze Hausstände in Trossen hinter den Armeen hergezogen und hätten vagabundierende Lebensgemeinschaften gebildet. Einen möglichen historischen Bezug sieht Medick eher im Siebenjährigen Krieg (1756–1763), der auch in der Region Pommern drastische Spuren hinterließ.
Die heute bekannte Textversion des Liedes lässt sich seit etwa 1800 in gedruckter Form nachweisen. Die Melodie, die auch für das Wiegenlied „Schlaf, Kindlein, schlaf“ verwendet wird, komponierte Johann Friedrich Reichardt 1781 nach einer Volksweise.
Die anhaltende Beliebtheit des Liedes erklärt sich möglicherweise aus der Faszination seiner Widersprüchlichkeit. Zur lieblichen Wiegenlied-Melodie werden nüchtern die Schrecken benannt: Die Eltern sind verschollen, ob sie zurückkehren, ist ungewiss. Das Spiel der Kinder, Maikäfer einzufangen und wieder fliegen zu lassen, spiegelt Trost und Verzweiflung gleichermaßen.
Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maik%C3%A4fer_flieg
Ein Maikäfer beim Abflug auf einer Apfelblüte. Foto: Jazzclub, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
22. April 2022 | Andreas Butz | Museale Sammlung, Palästina
Als Schenkung der Tempelgesellschaft, Stuttgart, kam ein historisch interessantes Objekt in die Museale Sammlung im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart. Dabei handelt es sich um ein weißes Tuch mit Lochstickerei und den Maßen 82 x 84 cm. Das Tuch ist unterteilt in neun Quadrate und enthält Stickereien der Unterschriften von mehr als 100 Mitgliedern der Tempelgesellschaft (zuzüglich weiterer palästinadeutscher Personen). Die zentrale Inschrift gibt Hinweise auf den Entstehungskontext:
Helouan, Al Hayat, Internees Camp 15.7.1918-28.6.1920, Camp Chubra 28.6.-8.10.1920, Egypt
Palästina war ein Kriegsschauplatz des Ersten Weltkrieges, da dieses Gebiet damals zum Osmanischen Reich gehörte. Durch die Nähe zum für die Briten wichtigen Suezkanal stellte die Anwesenheit der türkischen und deutschen Truppen durchaus eine Bedrohung für die Alliierten dar. Ende 1916 konnten die Briten die dort bestehende Front durchbrechen. Die Einnahme Palästinas zog sich bis Herbst 1918 hin. Dort befanden sich mehrere Siedlungen der Tempelgesellschaft, deren Bewohner meist aus Württemberg eingewandert waren und Staatsangehörige des Deutschen Reichs waren. Es handelt sich dabei um eine christlich-chiliastische Religionsgemeinschaft mit Wurzeln im württembergischen protestantischen Pietismus. Die Briten internierten 1918 einen Teil der Siedler, da Befürchtungen bestanden, die Siedler könnten militärisch relevante Informationen an die türkischen und deutschen Streitkräfte weitergeben.
Im Juli und August 1918 wurden etwa 850 Palästinadeutsche, hauptsächlich Templer, mit der Bahn nach Ägypten verbracht. Das Ziel war die ehemalige Lungenheilstätte “Al Hayat”, ein großer Gebäudekomplex in Helouan. Zuletzt hatte Al Hayat als Garnison gedient. Nach dem Ende des Krieges beließen die Briten den Palästinadeutschen im Internierungslager, obgleich die Begründung nun nicht mehr gegeben war. Anfang 1920 wurde ihnen die Möglichkeit eröffnet, ins Gebiet des Deutschen Reiches auszuwandern, was aber von den meisten Siedlern abgelehnt wurde. Viele von ihnen waren ja bereits in Palästina geboren, hatten dort Haus und Hof und befürchteten eine Enteignung ihres Besitzes. Im April 1920 wurde Gr0ßbritannien das Völkerbundsmandat über Palästina übertragen. Im Laufe des Jahres 1920 änderte sich, nicht zuletzt aufgrund diplomatischer Bemühungen Deutschlands, die Haltung der Briten gegenüber den Palästinadeutschen und der neu ernannte Oberkommissar für Palästina wurde angewiesen, den Internierten die Rückkehr zu ermöglichen. Das Lager in Chubra scheint eine Art Interimsunterbringung gewesen zu sein. Vielleicht erinnerten sich manche der Internierten beim Rücktransport an den im Alten Testament geschilderten Auszug aus Ägypten. Auch viele der nach Deutschland ausgewanderten Templer konnten nun nach Palästina zurückkehren.
Faszinierend für den Betrachter der Stickerei ist, dass nicht nur die Namen von Internierten gestickt wurden, sondern die Unterschriften dieser Personen. Außerdem fällt auf, dass die Beschriftungen durchweg in englischer Sprache gehalten sind. Entweder die palästinadeutsche Stickerin hat sich dieser Sprache bedient, oder aber das Tuch war das Geschenk einer der englischen Helferinnen (Krankenschwestern), die für die Betreuung der Internierten zuständig waren. Mindestens auf ein gutes Verhältnis der Schwestern zu den Internierten lässt schließen, dass ein Detail des Tuches eine englische Schwester in ihrer Berufstracht zeigt, sowie sich auch mehrere englische Namen (Violet Gordon Cumming, Kathleen Murphy) in dieser Ecke des Tuches finden.
Die Szenen auf dem Tuch wirken freundlich und vermitteln eine positive Stimmung, was erstaunlich mit der Kehrseite der oben beschriebenen Bedrückung im Internierungslager kontrastiert.
Beitrag auf Württembergische Kirchengeschichte Online zur Tempelgesellschaft hier.
Literatur:
Paul Sauer: Uns rief das Heilige Land, Stuttgart1985, S. 153-172.
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Zentrales Feld der Stickerei
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Britischer Sergeant zur Bewachung des Internierungslagers
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Tempelchen
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Pavillon
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Sonnenaufgang am Nil
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Britische Krankenschwester
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Boys dormitory (Jungen-Schlafsaall)
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Gesamtbild
30. März 2022 | Andrea Kittel | Kurioses, Museale Sammlung
In der Musealen Sammlung befindet sich ein auf den ersten Blick sehr rätselhaftes Bild mit vielen langschnäbeligen Vögeln. Die kolorierte Lithografie von 1840 ist überschrieben mit „Oculi, da kommen Sie!“ – ein Hinweis darauf, dass in den vier dargestellten Szenen die letzten Sonntage vor Ostern thematisiert werden: Okuli, Lätare, Judika, Palmorum (Palmsonntag).
Aber weshalb diese Vögel?
Das Bild zielt weniger darauf ab, das Kirchenjahr zu veranschaulichen, vielmehr stammt die Darstellung aus dem Bereich der Jagd, und bei den langschnäbeligen Vögeln handelt es sich um Waldschnepfen. In der Waidmannssprache bezeichnet man die Sonntage um Ostern als „Schnepfensonntage“, die nach einem volkstümlichen Reim die Ankunft der Schnepfen auf dem Frühjahrszug und den Verlauf des „Schnepfenstrichs“ bestimmen sollen. Der „Schnepfenstrich“ ist in der Jägersprache der Balzflug der Waldschnepfe im März/April, der für die Jagd günstig ist. Die Jäger hatten es dabei hauptsächlich auf die männlichen Tiere abgesehen, da diese für die Aufzucht der Jungen nicht nötig sind. Mit ihrem lauten Balzruf sind die Männchen leicht auszumachen, die Weibchen hingegen fliegen stumm. Da die kalendarische Lage der sogenannten Schnepfensonntage abhängig ist von Ostern, liefert der Reim keinen wirklichen Hinweis für den Schnepfenzug. Dieser ist vielmehr vom Witterungsverlauf abhängig.
Der Reim in Langform lautet:
Invocavit – nimm den Hund mit
Reminiscere – putzt die Gewehre
Okuli – da kommen sie
Lätare – das sind die Wahren
Judica – sind sie auch noch da
Palmarum – tralarum
Osterzeit – wenig Beut
Quasimodogeniti – Hahn in Ruh, nun brüten sie
Die Waldschnepfe wurde im Jahr 2002 auf die Vorwarnliste der Roten Liste aufgrund der negativen Bestandsentwicklung genommen, so dass viele Jäger auf den Abschuss dieser bedrohten Tierart mittlerweile verzichten.
Hier die lateinischen Bezeichnungen der Sonntage in der Passionszeit mit ihren biblischen Bezügen:
- Invocavit: „Er ruft mich an“ (Ps 91,15)
- Reminiscere: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!“ (Ps 25,6)
- Oculi: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“ (Ps 25,15)
- Laetare (Freudensonntag): „Freu’ dich, Jerusalem“ (Jes 66,10)
- Judika: „Gott, schaffe mir Recht.“ (Ps 43,1)
- Palmarum (Palmsonntag, Beginn der Karwoche): Der Name geht auf die grünen Palmzweige zurück, mit denen die Menschen Jesus beim Einzug in Jerusalem begrüßt haben. (Johannes 12,12 und 13)
Dazu siehe auch: https://www.evangelisches-gemeindeblatt.de/lebenshilfe/wissenswertes-rund-um-das-kirchenjahr/detailansicht/okuli-der-dritte-sonntag-in-der-passionszeit-364/
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Ausschnitt aus Museale Sammlung, Inv. Nr. 07.204
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25. März 2022 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
In den Städten gehen aktuell viele Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren und ein Zeichen für den Frieden zu setzen.
In der Musealen Sammlung befinden sich einige Objekte, die einem 40 Jahre zurückliegenden Ost-West-Konflikt entstammen, aus der Zeit des Kalten Krieges. Auch wenn die Rahmenbedingung heute andere sind als damals, lohnt sich ein Blick in die Geschichte:
Die Angst vor einem Atomkrieg führte Anfang der 80er Jahre in vielen westlichen Staaten zur Entstehung einer breiten friedenspolitische Protestbewegung.
Als Antwort auf die Stationierung der neuen sowjetischen SS 20-Atomraketen, sah der NATO-Doppelbeschluss im Dezember 1979 die Stationierung von amerikanischen atomar bestückten Mittelstreckenraketen in Westeuropa vor. Viele sahen darin einen Rüstungswettlauf der Supermächte, der jedes vernünftige Maß überschritten habe.
Überall taten sich Menschen zusammen, um das Wettrüsten zu stoppen und für atomare Abrüstung einzutreten. Kirchliche Gruppen waren von Anfang an dabei: Eine der ersten großen Friedensdemonstrationen fand anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentages im Juni 1981 in Hamburg statt. Auch bei den „Ostermärschen“ wurden in dieser Zeit hunderttausende Friedensbewegte in zahlreichen Städten und Regionen Westdeutschlands mobilisiert. Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 1983 in Hannover waren es wieder Hunderttausende. Auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung demonstrierten am 22. Oktober 1983 in Bonn, Berlin, Hamburg insgesamt 1,3 Millionen Menschen, einschließlich der zwischen Stuttgart und Ulm aufgestellten durchgehenden Menschenkette.
Die Mittel des Protestes waren gewaltfreie Aktionen, wie „Fasten für den Frieden“ oder Sitzblockaden vor Atomstandorten und Raketenabwehrstellungen. Bis heute legendär sind die Proteste und Blockaden des Pershing-II-Depots auf der Mutlanger Heide. In der kleinen Ortschaft auf der Schwäbischen Alb gab es jahrelang Friedensaktionen – eine Gruppe von Aktivisten wollte Mutlangen erst wieder verlassen, wenn die Atomwaffen entfernt seien.
Ungeachtet dieser Massenbewegung, billigte im November 1983 der Bundestag die Aufstellung von 108 Pershing II und 96 Cruise-Missiles.
Beitragsbild:
18.041
Friedenstransparent 1980er Jahre
Das Transparent wurde dem Ephorus des Evangelischen Stifts in Tübingen zu seinem Ruhestand von Theologiestudenten überreicht. In Erinnerung an die Proteste in den frühen 1980er Jahren, als “Stiftler gegen Atomwaffen” ein ähnliches Transparent über dem Eingang des Stifts aufgehängt und das Haus damit zur Atomwaffenfreien Zone erklärt hatten. Obwohl Ephorus Hertel damals nicht begeistert war, er andere Protestformen besser gefunden hätte, und vom Evangelischen Oberkirchenrat massiv Kritik kam, ließ er das Transparent hängen. Zum Abschied 1987 bedankten sich die Studenten mit einer dem Original ähnlichen Nachfertigung des Transparents. Das Original von 1983 war nicht mehr vorhanden. Ein Foto davon befindet sich im Stiftsarchiv unter der Signatur: AEvST C1, Nr. 20.
Literatur: Johannes Grützmacher, Das Archiv des Evangelischen Stifts in Tübingen. Das Erschließungsprojekt “Stiftsarchiv”. In: BWKG 112. Jahrgang, 2012, S. 347-378, S. 375ff.
Friedensdemonstrationen und -aktionen
Folgende Objekte stammen von Friedensgruppen verschiedener evangelischer Kirchengemeinden.
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15.115 Lehrmaterial Friedensarbeit, 1980er Jahre Die zwei Darstellungen zeigen die jeweilige Bewaffnung des westlichen und des östlichen Teils der Welt. Beim Zusammenfügen entsteht das Wort “Frieden”. Solches Didaktik-Material wurde in der Friedensarbeit eingesetzt, um das Wettrüsten von Ost und West zu kritisieren.
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15.113 Halstuch, Deutscher Evangelischer Kirchentag 1983 Auch mit Halstüchern setzten Friedensbewegte ein Statement: “Umkehr zum Leben. Die Zeit ist da: für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen”. Das Kirchentags-Motto „Umkehr zum Leben“ war dem Alten Testament entnommen (Ez 18,21-23).
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15.114; 01-04 Buttons der Friedensbewegung, 1980er Jahre
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15.112 Demonstrations-Transparent aus einem Betttuch des „AK Frieden“ der Evangelischen Paulusgemeinde in Stuttgart-Zuffenhausen, 1980er Jahre.
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13.025 Stoffband “Entrüstet euch”, 1983 Das Band wurde hergestellt aus Anlass der Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm am 22. Oktober 1983. Es war eine Großdemonstration der süddeutschen Friedensbewegung im Rahmen einer bundesweiten Friedenswoche mit abschließenden „Volksversammlungen“. Die Menschenkette war 108 km lang und wurde nach Schätzungen der Veranstalter von 300.000 bis 400.000 Menschen gebildet. Ziel der Aktionen dieses Tages, an denen bundesweit 1,3 Million Menschen teilnahmen, war es, die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II und von neuartigen atomaren Marschflugkörpern (Cruise Missiles) in Deutschland und Mitteleuropa im Zuge des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses zu verhindern.
7. März 2022 | Andrea Kittel | Kunstgeschichte, Museale Sammlung
Rund 130 Kirchen hat der Stuttgarter Glasmaler Rudolf Yelin d. J. (1902-1991) in den 65 Jahren seines künstlerischen Wirkens ausgestattet. Seine eindrucksvollen leuchtend bunten Glasfenster sind in unzähligen Kirchen heute noch präsent. Zu seinem 120. Geburtstag wollen wir mit einem noch kaum beachteten Bestand an Originalskizzen für Kirchenfenster, Wandbehänge und Wandmalereien an ihn erinnern.
Rein zufällig, als verstaubter, leicht angegriffener Restbestand einer Auktion, kamen Ende der 1990er Jahre rund 160 großformatige Entwürfe von Rudolf Yelin d. J. in die Museale Sammlung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Die Zeichnungen mit biblischen Szenen, Figuren und Symbolen sind Vorarbeiten für Kirchenfenster und Wandgestaltungen in Althütte, Beilstein, Birkenfeld, Ebhausen, Ebingen, Ernsbach, Gablenberg, Göppingen, Heilbronn, Mössingen, Honau, Ilsfeld, Oberndorf, Ohmenhausen, Rheinfelden, Schanbach, Sulzbach, Stuttgart, Trossingen, Ulm und Waiblingen im Zeitraum von 1927 und 1966. Da die Planzeichnungen fast ausschließlich im Maßstab 1:1 ausgeführt sind, gestaltete sich die Erfassung und Dokumentation recht schwierig. Die teilweise bis zu 7 m langen Papierbahnen werden im Landeskirchlichen Archiv nun aus Platzgründen in gerollten Zustand aufbewahrt.
Rudolf Yelin kam aus einer Pfarrer- und Künstlerfamilie. Er war der Sohn des Glasmalers Rudolf Yelin der Ältere (1864–1940) und der Bruder des Bildhauers Ernst Yelin (1900–1991). Nach seiner Ausbildung – zunächst an der Kunstgewerbeschule, dann bei der Glasmalerei Saile und schließlich an der Stuttgarter Kunstakademie – war er seit 1926 als selbständiger Kirchenmaler tätig. Nach dem Krieg lehrte er 24 Jahre lang, von 1946-1970, an der Stuttgarter Kunstakademie Glasmalerei. Zeit seines Lebens stand die sakrale Kunst im Mittelpunkt seines Schaffens.
Die ersten drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg markieren die wichtigste Epoche von Rudolf Yelins Werk. Der Wiederaufbau machte große umfassende Renovierungen und Kirchenneubauten notwendig. Bis Anfang der 1980er Jahre bestimmte Yelin, gemeinsam mit den künstlerischen Kollegen Adolf Valentin Saile und Wolf-Dieter Kohler maßgeblich die Fenstergestaltung für die evangelischen Kirchen in Württemberg und darüber hinaus.
Mit seinen theologisch ausgerichteten Bildprogrammen verstand sich Yelin in der Tradition der „christlichen Kunst“. Seine elementarisierten Figuren stehen in der Nachfolge des Expressionismus. Doch gerade dieser vornehmlich figurative künstlerische Ansatz lässt sein Werk heutzutage außerhalb des Mainstreams moderner Kunst erscheinen. Obwohl seine Glasfenster, Wandbilder und Altarwände heute noch die Räume von über hundert Kirchen zieren, ist Rudolf Yelin d. J. als Künstler im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit kaum mehr präsent.
Erfreulicherweise hat die Kunsthistorikerin Christa Birkenmaier im Jahr 2019 dem entgegengewirkt. In einer ansehnlichen, reich bebilderten Publikation hat sie das Leben und Werk dieses Künstlers nachgezeichnet, die großen künstlerischen und theologischen Entwicklungslinien herausgearbeitet und an ausgewählten Kirchen beschrieben. Ausführlich setzt sie sich mit seinen verschiedenen künstlerischen Lebensphasen auseinander, ordnet sein Schaffen innerhalb der christlichen Kunst ein, und spart auch nicht seine in der NS-Zeit entstandenen, vielfach sehr angepassten, Werke aus, von denen er sich in der Nachkriegszeit distanzierte. Weitere Autorinnen und Autoren komplettieren die Publikation mit begleitenden Texten und einem ergänzenden Bildteil, in dem alle verfügbaren baugebundenen sakralen Werke aufgeführt werden. Als großen Bonus enthält das Buch eine sehr hilfreiche „Yelin-Motiv-Quickfinder-Tabelle“, in der die einzelnen biblischen Motive, die mehrfach in Yelins Arbeiten auftauchen, einzelnen Kirchen und ihrem Entstehungsjahr zugeordnet werden – auch von Arbeiten, die, aufgrund von Zerstörung oder Renovierung inzwischen nicht mehr vorhanden sind. Durch diese Auflistung konnten mittlerweile auch manche der in der Musealen Sammlung aufbewahrten Planzeichnungen datiert oder auch nicht genau bezeichnete Motive einzelnen Kirchen zugeordnet werden.
LITERATUR:
Christa Birkenmaier (Hg.), Rudolf Yelin d. J. 1902-1991. Leben und Werk. Petersberg 2019
Landeskirchliche Zentralbibliothek: AQ 16 1050
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Die klugen und die törichten Jungfrauen, Werkzeichnung für Glasfenster, Martin-Luther-Kirche Trossingen, 1927, Inv. Nr. 15.054-02
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Farbvorlage für Glasfenster, Martinskirche Möhringen, 1962, Inv. NR. 15.035
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Farbvorlage für Glasfenster, Martinskirche Möhringen, 1962, Inv. Nr. 15.036
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Gethsemane, Werkzeichnung für Kirchenfenster, Sulzbach/Murr, Inv. Nr. 15.097-03
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Bergpredigt, Werkzeichnung, ohne Datum, Titel und Ortsangabe, Inv. Nr. 15.096
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Vorskizze, für Kirchenfenster (7,20 m lang!), ohne Bezeichnung, Inv. Nr. 15.088
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Vier Evangelisten, Vorskizze für Kuppeldecke in der Matthäuskirche Stuttgart, Maßstab 1:20, 1950 Inv. Nr.: 15.XXX
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Passion, Werkzeichnung für Kirchenfenster, Reuschkirche Göppingen, 1950, Inv. Nr. 15.052; 01-03
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Farbvorlage für Kirchenfenster, Reutlingen-Ohmenhausen, 1959, Inv. Nr. 15.045
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Farbvorlage für Glasfenster, Reutlingen-Ohmenhausen, 1959, Inv. Nr. 15.033
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Der gute Hirte, Farbvorlage für Kirchenfenster, bezeichnet „Wyhlen, Baden“, Inv. Nr. 15.032
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Farbvorlage für Mosaik, Christuskirche Rheinfelden, 1937, Inv. Nr. 15.070
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Farbvorlage für Glasfenster in der Friedhofsapelle Feuerbach, 1966, Inv. Nr. 15.061-03
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„1945 Abschied“, Farbvorlage für Wandgemälde (?), ohne Bezeichnung, Inv. Nr. 15.030
21. Dezember 2021 | Andrea Kittel | Kunstgeschichte, Museale Sammlung
Museale Sammlung, Nr. 93.1714
Museale Sammlung, Nr. 93.2477
Das Christkind, von Engeln behütet und geborgen. Mit wenigen Tusche-Strichen hat der Stuttgarter Künstler Robert Eberwein (1909-1972) im Jahr 1945 das Weihnachtsgeschehen skizziert – verbunden mit der Hoffnung auf Rettung und Schutz für sich und viele andere. Denn wie am unteren Bildrand zu lesen ist, befand er sich zu diesem Zeitpunkt in Kriegsgefangenschaft.
Später hat Eberwein viele Jahrzehnte lang biblische Geschichten illustriert und immer wieder weihnachtlichen Darstellungen von Bethlehems Stall geschaffen, so wie dieses in Schabekarton gekratzte Bild von 1970. Es zeigt, das Erschrecken der Hirten angesichts der Engelserscheinung, aber ebenso die traute Freude um das Neugeborene in der Krippe: Furcht und Verzweiflung – Vertrauen und Zuversicht. Erfahrungen, die Eberwein in seinem Leben selbst gemacht hat.
Auch die Engel sind wieder dabei. Dieses Mal, um die Botschaft der Christgeburt zu überbringen. Im Lukasevangelium spricht der Engel zu den Hirten: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Und die Menge der himmlischen Heerscharen stimmen mit ein: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lukas 2, 10, 14)
In der Musealen Sammlung des Landeskirchlichen Archivs befinden sich rund 800 Original-Zeichnungen, Aquarelle, Schabeblätter und Siebdrucke aus dem Nachlass von Robert Eberwein, darunter auch ein Konvolut an Skizzen und Zeichnungen aus seiner Zeit im Kriegsgefangenenlager.
16. Dezember 2021 | Andrea Kittel | Museale Sammlung, Palästina
Eine Krippe mit einer ganzen Kamelkarawane!
Diese Figuren waren das Abschiedsgeschenk vom Syrischen Waisenhaus für den Regierungsbaumeister Paul Ferdinand Groth (1859-1955), als er 1899 Jerusalem verließ. Groth, der hauptsächlich den Bau der Erlöserkirche in Jerusalem (1898) geleitet hatte, war auch an der Ausgestaltung der Kirche im Waisenhaus beteiligt gewesen.
Das Syrische Waisenhaus in Jerusalem war 1861 von dem Württemberger Johann Ludwig Schneller gegründet worden und hatte sich bald zur größten und wichtigsten Erziehungsanstalt des Vorderen Orients entwickelt. In den anstaltseigenen Werkstätten erhielten die „Zöglinge“ eine fundierte handwerkliche Ausbildung als Schuster, Schneider, Drechsler, Schlosser, Töpfer, Ziegler, Buchbinder, Buchdrucker oder Schreiner. In einer dieser Werkstätten entstanden die aus Olivenholz geschnitzten Krippenfiguren. Den jungen Schnitzern waren Kamele aus eigener Anschauung bestens bekannt. Vielleicht sind die Tiere deshalb so gut gelungen?
Der Bestand des Syrischen Waisenhauses befindet sich im Landeskirchlichen Archiv. Neben den Akten beinhaltet dieser auch eine umfangreiche Fotosammlung mit etwa 15.000 Bildern des Nahen Ostens.
Syrisches Waisenhaus : Württembergische Kirchengeschichte online – Blog (wkgo.de)
Zu Groth siehe auch hier einen Beitrag von Jakob Eisler im Blog.
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Museale Sammlung, Nr. 07.999; 01-22
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10. Dezember 2021 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Die von Paula Jordan (1896-1986) gestaltete „Lichterkrippe“ ist ein Meilenstein in der Geschichte weihnachtlicher Inszenierung. Die hinterleuchteten Transparente stehen formal und inhaltlich zwischen den alten evangelischen Weihnachtsillustrationen und den plastischen Krippen aus katholischer Tradition.
Jordan präsentiert Weihnachtsgeschichte als biblische Heilsgeschichte: Sie verbindet Christi Geburt mit biblischen Gestalten, wie etwa dem Propheten Jesaja, der im Alten Testament die Christgeburt verhieß; oder mit dem Seher Johannes, dem, nach seinem Zeugnis in der Offenbarung, die himmlische Stadt Jerusalem von einem Engel gezeigt wird.
Paula Jordan war gebürtige Straßburgerin und hatte an der Kunstakademie in Leipzig studiert. Schon in den 1920er Jahren war sie eine erfolgreiche Buchillustratorin. Nach ihrer Flucht aus der DDR fand sie 1952 in Stuttgart eine neue Heimat. In der christlichen Kunst ist sie vor allem durch ihre Bibelillustrationen und die Gestaltung von Religionsbüchern bekannt.
Die „Stuttgarter Lichterkrippe“ wurde in den 1950er Jahren vom Verlag „Junge Gemeinde“ herausgegeben – zur meditativen Betrachtung in der Familie oder in Gemeindekreisen.
Ein komplettes Exemplar mit 18 Teilen befindet sich in unserer Musealen Sammlung.
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96.002-07
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96.002-08. Kinder aus Europa und Afrika sind in die Krippenszenen aufgenommen. Die Darstellungen zeigen die jeweiligen Stereotypen der damaligen Zeit.
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Paulus, 93.1390
29. November 2021 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Dieses weihnachtliche Objekt zeigt, dass es schon in früheren Zeiten Ideen gab, wie Praktisches mit Schönem verbunden werden kann. Ein Christbaumständer mit Weihnachtskrippe und Musikbox – ein 3 in 1-Set aus dem Jahr 1905. Praktisch im Aufbau und praktisch in der Aufbewahrung. Hatte man die eingebaute Spieluhr einmal aufgezogen, lief sie 15 Minuten lang mit den Liedern „Stille Nacht“, „O Tannenbaum“, „O du fröhliche“ und „Am Weihnachtsbaum, die Lichter brennen“. Dabei drehte sich die Krippenszene im Kreis. Eine Attraktion für die Familienweihnacht!
Hergestellt wurde das Wunderding in Württemberg. Die Firma Gruoner & Bullinger aus Winterbach erwarben dafür im Jahr 1905 das Kaiserliche Patent. Der „Erfindungsgegenstand“, so heißt es in der Patentschrift, „zeichnet sich dadurch aus, dass neben dem Spielwerk ein Glockenspiel angeordnet ist, das durch ein Zahnradsegment abwechslungsweise mit der Achse für den Christbaumständer angetrieben wird, während gleichzeitig durch ein unterbrochenes Getriebedurch die auch die Notenwalze während eines Teils der Bewegung des Glockenspiels stillsteht.“ Drei Querschnittszeichnungen in der Beilage veranschaulichen die komplexe Mechanik.
Im Lauf der Zeit sind Teile der Apparatur gebrochen und angerostet, so dass Spielwerk und Drehmechanismus heute leider nicht mehr funktionieren. In die Museale Sammlung kam das kuriose Objekt durch den Enkel von Franz Xaver Bullinger, der Techniker und Teilhaber der produzierenden Firma war.
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Kaiserliches Patent, 1905, Museale Sammlung, Nr. 95.703
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29. Oktober 2021 | Andrea Kittel | Jubiläum, Kunstgeschichte, Museale Sammlung
Im Jahr 2015 vermachte der Pfarrer und frühere Kunstsachverständige der württembergischen Landeskirche Kurt Schaal (1928-2015) unserem Archiv rund 200 Münzen und Medaillen mit Motiven zur Reformation. Mittlerweile sind sie umfassend digitalisiert und über unsere Datenbank abrufbar.
Münzen waren ein ideales Medium für die Verbreitung von Botschaften und Propaganda, denn als Zahlungsmittel gingen sie durch Jedermanns Hände. Kein Wunder also, dass auch die evangelischen Fürsten das Geld nutzten, um ihre protestantische Gesinnung werbewirksam bekannt zu machen. Auf diese Weise geehrt, rückte der Reformator Martin Luther auf eine Ebene mit Berühmtheiten wie Kaiser, Fürsten oder Papst. Neben Porträts von Luther und seinen Mitstreitern wurden reformatorische Ereignisse abgebildet, aber auch Allegorien, die die reformatorische Glaubensauffassung ins Bild rückten. Wichtige identitätsstiftende Elemente wurden die sogenannten „Jubelmünzen“ anlässlich der Reformationsjubiläen. Zu den 200-Jahrfeiern der Reformation 1717 und der Übergabe der Augsburger Konfession 1730 prägte man erstmals in größerer Anzahl Gedenkmünzen und -medaillen. Eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt.
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Jubiläumsmedaille, 1717, 200 Jahre Reformation, (Nr. 15.111-02) V: “Das zweyte Jubel Jahr nach der reinen Wider Herstellung des Evangely 1717”;
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Jubiläumsmedaille, 1717, 200 Jahre Reformation, (Nr. 15.111-02) R: “Wieviel nach dieser Regul einhergehn über die seye Fried und Barmherzigkeit. GAL.VI.XVI.”
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Jubiläumsmedaille 1717, Luther und der Kurfürst von Sachsen, (Nr. 15.111-06) V: “Das sich des Wortes Licht durch Luthers treue Hand nach langer Finsternis zur Christenheit gewandt, preist Gott die Christen Schaar nun zweymal hundert Jahr. Marinus Lutherus Theologiae Doctor.”
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Jubiläumsmedaille 1717, Luther und der Kurfürst von Sachsen, (Nr. 15.111-06) R: “Verbum Domini Manet in Aeternum.”
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Jubiläumsmedaille 1717, Thesenanschlag, (Nr. 15.111-06) V: “Aperite Portas. Esa 9,6. Initium Reformationis 1517. 31. oct.”
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Jubiläumsmedaille 1717, Thesenanschlag, (Nr. 15.111-06) R: “Ingrediatur Gens Justa. Esai 9,6. Eccl. Aug. Jubilans. 1717”.
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Jubiläumsmedaille 1717, Schwäbisch Hall, (Nr. 15.111-54) Silberabschlag vom Doppeldukaten; V: Luther
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Jubiläumsmedaille 1717, Schwäbisch Hall, (Nr. 15.111-54) Silberabschlag vom Doppeldukaten; R: Arche.
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Jubiläumsmedaille 1717, Esslingen (Nr. 15.111-56) V: Luther, “Martinus Lutherus Theologiae Doct. P. T. Coss: Paul de Bürgermeistero. Jerem. Spindlero. Jerem. Godelmanno”; R: Esslingen, “Conservei Dominus Lumen in Urbe Sua. Memor Jubilaei II. Celebrati in S. R.
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Jubiläumsmedaille 1717, Esslingen (Nr. 15.111-56) R: Esslingen, “Conservei Dominus Lumen in Urbe Sua. Memor Jubilaei II. Celebrati in S. R. I. Ciutate Esslinga”.
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Jubiläumsmedaille 1817, 300 Jahre Reformation, Reutlingen, (Nr. 15.111-07) V: “Da wards früh Licht. Reutlingen. J. L.Wagner”;
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Jubiläumsmedaille 1817, 300 Jahre Reformation, Reutlingen, (Nr. 15.111-07) R: “D. M. Luther und D. M. Aulber zur 3. Ev. Jubel Feyer den 31. October 1817.”
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Jubiläumsmedaille 1817, 300 Jahre Reformation, (Nr. 15.111-09) V: “D. Martin Luther”
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Jubiläumsmedaille 1817, 300 Jahre Reformation, (Nr. 15.111-09) R: “Eine feste Burg ist unser Gott. Drittes Jubelfest der Reformation. Heilbronn 1817”.
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Jubiläumsmedaille 1925, 400 Jahre Reformation in Schwäbisch Hall, (Nr. 15.111-40) V: “Zum Gedächtnis a. d. Einführung der Reformation i. Schwäb. Hall 1525-1925. Dr. Johannes Brenz”
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Jubiläumsmedaille 1925, 400 Jahre Reformation in Schwäbisch Hall, (Nr. 15.111-40) R: “St. Michaeliskirche”.
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Jubiläumsmedaille 1930, 400 Jahre Übergabe der Augsburger Konfession, (Nr. 15.111-20) V: “Philipp Melanchthon. Martin Luther”
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Jubiläumsmedaille 1930, 400 Jahre Übergabe der Augsburger Konfession, (Nr. 15.111-20) R: “Confessio Augustana 1530. 1930”.
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Jubiläumsmedaille 1983, zum 500. Geburtstag von Martin Luther, (Nr. 15.111-38) V: “1483-1546 Martin Luther. 1983”;
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Jubiläumsmedaille 1983, zum 500. Geburtstag von Martin Luther, (Nr. 15.111-38) Münzenrand: “Evangelische Kirche in Deutschland”.
14. Juli 2021 | Andrea Kittel | Jubiläum, Museale Sammlung
Im Jahr 1955 wurde ein für die damalige Zeit völlig neues Spiel in die evangelische Jugendarbeit eingeführt: Indiaca – ein Spiel das Sport, Spaß und Gemeinschaftserlebnisse auf luftig leichte Art zusammenbringt.
Indiaca ist leicht erlernbar, sodass jeder mitmachen kann, spontan und fast überall, zu zweit oder in der Gruppe, im Kreis oder übers Netz, in der Halle, im Park, auf der Wiese im Zeltlager – sogar bei Bergfreizeiten lässt es sich spielen, denn hier rollt kein Ball davon.
Indiaca ist eine Mischung aus Federball und Volleyball. Geschlagen wird das Spielgerät mit der flachen Hand, und letztlich geht es immer darum, es durch Zuspielen so lange wie möglich in der Luft zu halten. Die Federn sorgen für die Balance beim Flug.
Die Ursprünge des Spiels liegen in Brasilien. Von der indigenen Bevölkerung wird es seit Jahrhunderten gespielt und heißt dort Peteca. Der Kölner Sportlehrer Karlhans Krohn brachte es 1936 nach Deutschland, nachdem er am Strand der Copacabana Jugendliche bei ihrem Spiel beobachtet hatte. In der Nachkriegszeit verbreitete es sich unter dem Namen „Indiaca“ (aus „Indianer“ und „Peteca“) zuerst in der kirchlichen Jugendarbeit und im CVJM. Inzwischen ist das Spiel weltweit verbreitet.
Noch heute gehört Indiaca zum Programm der Jungscharen, Jugendgruppen und auf Freizeiten des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg dazu. Über die Jahre hat sich das Jungscharspiel zu einem allgemeinen Freizeitvergnügen und zum Wettkampfsport weiterentwickelt. Neben zahlreichen Hobbyturnieren in Bezirken und Orten gibt es in Württemberg die Eichenkreuz-Liga. Eine Turnierserie mit Wettkampfcharakter und die Qualifikation zur Deutschen Eichenkreuz-/CVJM-Meisterschaft.
HINWEISE
Bestand: K 24 ejw
Link: EJW feiert – Evangelisches Jugendwerk in Württemberg (ejw)
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Indiaca als Jungenschaftsspiel, 1950er Jahre. K 24, Bildarchiv Nr. 229_8
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Indiacaturnier, 1980er Jahre. K 24, Bildarchiv Nr. 999_5
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Indiaca-Regeln, 1980er Jahre, K 24, 1457_1
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Deutsche CVJM-Jugend-Indiaca-Meisterschaft 1990 in Mössingen. K 24, 1438_1
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Tafel der Indiaca- Landesmeisterschaften des ejw, 1971-1985. Museale Sammlung, Nr. 13.001-89
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Museale Sammlung, Nr. 13.001-67
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Museale Sammlung, Nr. 13.001-64
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Museale Sammlung, Nr. 13.001-66
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Museale Sammlung, Nr. 13.001-65
20. Mai 2021 | Andrea Kittel | Jubiläum, Kunstgeschichte, Museale Sammlung
Johanna Binder in den 20erJahren
„Tun Sie ihre Arbeit mit Liebe. Dann wird sie gut.“ Diesen Leitsatz hat Johanna Binder an viele junge Frauen weitergegeben und hat ihn in ihrem Leben am meisten doch selbst beherzigt.
Fast fünfzig Jahre lang hat Johanna Binder mit ihrer Arbeit die textilen Kirchenausstattungen der württembergischen Landeskirche geprägt. Als Leiterin der Paramentenwerkstatt beriet sie unzählige Kirchengemeinden bei der Anschaffung liturgischer Altar-, Taufstein- und Kanzelbedeckungen, die sie dann nach Entwürfen von Künstlern mit ihren Weberinnen und Stickerinnen in hoher handwerklicher Qualität herstellte.
Johanna Binder war schöpferisch begabt und als gelernte Damenschneiderin durchaus erfolgreich. 1919 wurde sie „Lehrmeisterin“ der neu eingerichteten Fachklasse für Mode an der Württembergischen Staatlichen Kunstgewerbeschule – der heutigen Kunstakademie. Doch die Aussicht auf eine Karriere in der Modebranche schlug sie aus. Als 1924 der Bund Evangelischer Frauen beabsichtigte, mitten in der Inflation eine Evangelische Frauenarbeitsschule in Stuttgart zu gründen, und Johanna Binder bat, die Leitung zu übernehmen, sagte sie kurzerhand zu.
Evangelische Frauenarbeitsschule
Junge Mädchen sollten dort nach dem Schulabschluss in Sticken, Kleider- und Weißnähen unterrichtet werden, um sich für ihre zukünftige Rolle als Hausfrau und Mutter zu qualifizieren.
Der evangelische Charakter der Schule wurde durch Morgenandachten und Vorträge über diakonische Themen gepflegt. In der Wirtschaftskrise waren mehrere städtische Nähschulen geschlossen worden, so dass der Zulauf zu der evangelischen Einrichtung mit Zentrale in der Furtbachstraße groß war. Schon im zweiten Schuljahr unterrichteten 19 Lehrerinnen in 9 Zweigstellen rund 400 Schülerinnen.
Bis in die 1930er Jahre war der Schule eine „Werkstätte für künstlerische Frauenkleidung“ angegliedert, wo individuelle und zeitgemäße Kleidung entworfen und gefertigt wurde. In Vorträgen, Zeitungsartikeln und Rundfunkbeiträgen klärte Johanna Binder unermüdlich Frauen über körperfreundliche Bekleidung, gut durchlüftete Leibwäsche oder die Schäden enger Strumpfbänder auf und referierte über Stilfragen: „Wer guten Geschmack hat, vermeidet Sinnlosigkeit, unechten Glanz und Flimmer“. Sie war überzeugt, „dass in gediegener Schlichtheit, in gutem Material und guter Arbeit Vorzüge liegen, die die Persönlichkeit eines Menschen weit besser unterstreichen.“ (Vortragstyposkript 1931)
Paramente zum Schmuck der Kirchen
Ein fertiges Parament
Noch im Gründungsjahr der Schule 1919 war auf Anregung des Vereins für christliche Kunst zusätzlich eine Paramentenwerkstatt angegliedert und ebenfalls unter die Leitung von Johanna Binder gestellt worden. Anfangs arbeitete man noch mit Tuch, Borten und Fransen. Als es in Deutschland eine Neubesinnung über Sinn und Zweck in der evangelischen Paramentik gab, machte Johanna Binder diesen Wechsel mit und erlernte, neben ihren vielfältigen Leitungsaufgaben, Spinnen von Flachs und Wolle, Färben mit Pflanzen, Weben und komplizierte Sticktechniken. Wertigkeit und „Echtheit des Materials“ waren für sie fortan Standard. 1938 legte sie mit Auszeichnung eine zweite Meisterprüfung ab und konnte nun in ihrer Werkstätte Fachkräfte ausbilden.
Nach ihrer Auffassung lag die Basis guter Paramentik in der engen Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Ausführenden, und so produzierte sie gemeinsam mit namhaften Kunstschaffenden über viele Jahre hinweg anspruchsvolle Werke.
Entwurf eines Frauenbeffchens
Zur Produktpalette der Paramentenwerkstatt gehörte auch die Amtstracht für die Geistlichen. Bei der Einführung der Frauenordination 1968 war Johanna Binders Rat zur Form des Talars und des Baretts für die Pfarrerinnen sehr geschätzt. Zuvor hatte sie schon ein spezielles Frauenbeffchen entwickelt, das sich allerdings langfristig nicht durchsetzte.
Als Johanna Binder 1970, mit 74 Jahren, in den Ruhestand ging, konnte sie auf ein Berufsleben zurückblicken, das sie in der ganzen Vielfalt ausgefüllt hatte: Da war die Verantwortung für Angestellte, Auszubildende und Schülerinnen, ihre Zähigkeit und Improvisationskunst in wirtschaftlicher Not und Krieg, weite Beratungsreisen über Land und Fußmärsche mit schwerem Gepäck, ihr notwendiges Einfühlungsvermögen in die jeweiligen Kirchenräume, Verhandlungsgeschick, kreative Gestaltungsprozesse, Überzeugungskunst für würdige Ausstattungen….
Ihr begeistertes Engagement für die Paramentik hat Johanna Binder als diakonischen Auftrag verstanden. Den Weg dorthin eingeschlagen zu haben, hat sie nach eigenem Bekunden nie bereut.
Zerstörung und Neubeginn
Neubau in der Furtbachstraße 1956
Bei einem Bombenangriff im September 1944 wurden sämtliche Unterrichts- und Werkstatträume zerstört. Nach dem Krieg machte sich Johanna Binder mit ungebrochenem Mut an den Wiederaufbau. Nach etlichen Interimsstationen konnte sie schließlich 1949 in Stuttgart eine alte Arbeitsdienstbaracke auf dem Ruinengelände hinter des Hospitalkirche aufbauen. Das Schweizer Hilfswerk stiftete zusätzlich zwei neuen Baracken für den Unterricht der Frauenarbeitsschulen. Erst im Oktober 1956 konnten die Frauenarbeitsschulen mit der Paramentenwerkstätte nach einem Neubau an ihren ehemaligen Ort in die Furtbachstraße zurückkehren.
QUELLE:
Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bestand P 50, Paramentenwerkstatt der Evangelischen Frauenarbeitsschulen Stuttgart.
HINWEIS:
Abb.: Seit der Schließung der landeskirchlichen Paramentenwerkstatt im Jahr 1997 wird die Arbeit an hochwertigen Paramenten und textilen Behängen durch die Werkstatt Knotenpunkt in Backnang fortgesetzt.
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Johanna Binder bei der Arbeit, 1960er Jahre
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Johanna Binder mit ihren Mitarbeiterinnen, 1960er Jahre
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Johanna Binder mit dem für das Spinnen zuständigen Mitarbeiter, 1960
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Zum 40. Werkstattjubiläum 1964 platzierte ein Künstler Johanna Binder im Zentrum eines Farbenfrohen Baumes
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Entwurf für einen Altarbehang, Reinhard Heß
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Wandteppich 1955, Stickerei auf handgewobenem Leinen, Dornenkrone mit Blutstropfen, Entwurf Robert Eberwein.
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Vortrag über moderne Kleidung, 1931
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Johanna Binders Arbeitskarte der Militärregierung, Juni 1945
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Aufruf zur Spendensammlung für die Baracke bei der Hospitalkirche 1949
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Die Mitarbeiterinnen legen beim Einrichten der Baracke selbst Hand an.
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Die Stammbelegschaft vor der fertigen Baracke
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„Lustiges und Bedenkliches“ aus dem Arbeitsalltag der Paramentenwerkstatt. Erinnerungen der Nachfolgerin Johanna Binders, Erna Schlotterbeck, aufgezeichnet 1985.
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4. Mai 2021 | Andrea Kittel | Museale Sammlung, Nachkriegszeit
Upcycling ist heute groß in Mode: Altes wird zu Anderem umgestaltet und bekommt so neuen Wert. Diese Art von Nachnutzung ist ressourcenschonend und bringt oft verblüffend fantasievolle Dinge hervor.
In Krieg und Nachkriegszeit, als in weiten Bereichen Materialknappheit herrschte, waren solche Umgestaltungen notwendiger Bestandteil des Alltags – meist waren die Ergebnisse nicht weniger kreativ.
Im Landeskirchlichen Archiv befindet sich ein Leinenschlafsack der Jugendherberge Überlingen. Doch als solcher kam er nicht In die Museale Sammlung, vielmehr als Altarbehang, der in einem französischen Kriegsgefangenenlager verwendet worden war.
Mitgebracht hatte ihn der württembergische Pfarrer Karl Knoch (1894-1976), der bis Ende 1945 Kriegsgefangener im OFLAG 163 in Larzac/Frankreich war. Dort als Lagerpfarrer eingesetzt, musste er erst einmal die gottesdienstliche Ausstattung beschaffen. Für die Gestaltung des Altartuchs skizzierte Karl Knoch kurzerhand Wasser in Kreuzform und das Christusmonogramm – Symbole für Taufe, Tod und Auferstehung. Der Jugendherbergsschlafsack fand sich als Tuch, die Reste eines aufgelösten Bodenteppichs wurden als Stickgarn requiriert. Für die Ausführung der Stickerei konnte er einen ehemaligen Marinearzt gewinnen, der in Kriegszeiten sicher schon manchen Verletzten zusammengeflickt hatte.
Mit Geschichte aufgeladene Objekte
Das Altartuch mit seinem auf der Rückseite sichtbaren Stempel „Eigentum der Schwäbischen Jugendherbergen“ ist zusammen mit den Informationen zu seiner Entstehung ein besonderes Objekt. Solche sichtbaren und unsichtbaren Hintergründe werden in der Regel bei der Aufnahme in die Museale Sammlung und beim Verzeichnen in der Datenbank vermerkt. Über ihre Dinglichkeit hinaus werden Objekte so wertvolle Zeugnisse der Geschichte, die späteren Generationen Einblick in frühere Lebenswelten geben können.
Als ich für die Hintergrundinformationen die Angaben zum Kriegsgefangenenlager in Larzac im Internet überprüfte, stieß ich zufällig auf eine Online-Dokumentation, die ehemalige Lagerinsassen zusammengestellt hatten. Wie elektrisierend war der Moment, als ich dort ein Foto aus der Lagerkappelle entdeckte, auf dem das Altartuch abgebildet war, das ich in diesem Moment in den Händen hielt!
Siehe: (https://bastas.pagesperso-orange.fr/pga/larzac163/photos.htm#Vue_aérienne_du_camp_)
Pfarrer Karl Knoch kehrte nach der Gefangenschaft in seine Gemeinde in Esslingen-Wäldenbronn zurück. Ab 1949 war er bis zu seinem Ruhestand 1958 Dekan in Geislingen/Steige.
Der geschichtsträchtige Altarbehangs kam über seinen Sohn Werner Knoch (1928-2020), ebenfalls Pfarrer und 1980-1994 erster Leiter des Einkehrhauses Urach, ins Landeskirchliche Archiv Stuttgart.
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Museale Sammlung (Inv. Nr. 02.021)
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19. April 2021 | Andrea Kittel | Bestand, Museale Sammlung
Welch große Folgen ein kleines Virus haben kann, ist uns allen in den letzten Monaten deutlich geworden. Auch die hier in Schaugläsern gesammelten winzigen Tsetsefliegen haben es in sich: Sie übertragen die gefürchtete Schlafkrankheit, die in Afrika ganze Landstriche außer Gefecht setzt.
Um Tropenkrankheiten wie diese zu erforschen und zu bekämpfen, wurde im Jahr 1906 das Deutsche Institut für Ärztliche Mission (Difäm) gegründet. Die Initiative ging auf den christlich geprägten, sozial engagierten Stuttgarter Unternehmer Paul Lechler (1849 – 1925) zurück, der durch einen Missionsarzt der Basler Mission auf das Elend in Indien und anderen tropischen und subtropischen Ländern aufmerksam geworden war. Bereits 1909 konnte in Tübingen das Institutsgebäude des Difäm eingeweiht werden. In Kooperation mit der Universität wurden dort Ärzte und Pflegekräfte sowie Theologen der verschiedenen Missionsgesellschaften auf ihren Auslandsaufenthalt vorbereitet und in Tropenmedizin und medizinischem Basiswissen unterrichtet. 1916 wurde ein großes Genesungsheim für Tropenheimkehrer errichtet – das heutige Paul-Lechler-Krankenhaus, das als Spezialklinik für Tropenkrankheiten noch heute einen weit über Missionskreise hinausgehenden internationalen Ruf genießt.
Für den tropenmedizinischen Unterricht baute das Difäm früh schon eine Schausammlung auf. Neben dem Wissen über Krankheitserreger und Überträger beschäftigte man sich auch mit tropischen Heilpflanzen und medizinischen Rohstoffen sowie mit und Bräuchen und Heilpraktiken der jeweiligen Kulturen. Ein Teil dieser Anschauungsmittel aus der Epoche zwischen 1910 und 1930 kamen mit dem Archivbestand des Difäm im Jahr 2013 in die Museale Sammlung des Landeskirchliche Archiv Stuttgart.
Beachten Sie auch den ausführlichen Beitrag von Jakob Eisler zum Difäm auf WKGO.
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Inv. Nr. 13.097 Schachtel mit gelben Harzbrocken; Deckel von Hand beschriftet: “Resina-Dammar”; “Vaterland: Ostindien, Hinterindien”. Dammar-Harz wurde u. a. für die Herstellung von Kaupastillen in der Tropenmedizin verwendet.
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Inv. Nr. 13.074 “Guttapercha” Pflanzenmodell mit Produktbeispiel in Schachtel mit Deckel; Botanische Bezeichnung. Jauch-Stein’sche Flora artefacta.
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Inv. Nr. 13.100 „Fieberrindenbaum”. Ausländische Kulturpflanzen und farbige Wandtafeln, nach H. Zippel, bearbeitet von O. W. Thome, gezeichnet von Carl Bollmann; Verlag Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig
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Inv. Nr. 13.121 Schaukasten “Medizin der Kaffern”. Enthält 9 verschiedene Pflanzenteile mit Namen und Beschreibung der Anwendung und Heilwirkung, z. B. „Weißer Quirie: gegen Durchfall, wird getrocknet, gemahlen und mit kochendem Wasser übergossen.“ “Kaffer” war damals ein Sammelbegriff für südafrikanische Völker, zunächst nur für die Xhosa später auch für andere Völker der Bantu-Sprachgruppe. Der Gebrauch des Wortes “Kaffer” ist heute in Südafrika als Verunglimpfung eingestuft und verboten.
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Inv. Nr. 13.120 Schaukasten “Bataksche Amulette”. Enthält 8 verschiedene Amulette mit Beschriftung der Schutz-, bzw. Heilfunktion, z. B. “Gegen Krämpfe bei Kindern. Aus Ziegenhaut gefertigt. Wird um das Hand- oder Fußgelenk getragen.” Die Batak sind ein indigenes Volk im Norden der indonesischen Insel Sumatra.
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Inv. Nr.13.096 Kästchen mit verschiedenen Tsetsefliegen (Glossina): Die Fliegen übertragen die Afrikanische Trypanosomiasis (Schlafkrankheit).
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4. März 2021 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Damit beschäftigen sich am 5. März Christinnen auf der ganzen Welt.
Immer am ersten Freitag im März findet der Weltgebetstag statt und beleuchtet die Lebenssituation von Frauen eines anderen Landes. In diesem Jahr ist es Vanuatu – der Inselstaat im Südpazifik, der aus 83 Inselgruppen besteht. Jährlich wählen Frauen des ausgesuchten Landes Texte, Gebete und Lieder aus, und bringen Wünsche und Bedürfnisse sowie die eigene kulturelle Vielfalt mit ein. Nach dieser Liturgie wird in weltweiten Gottesdiensten auf 88 Sprachen in 108 Ländern gefeiert.
Der Weltgebetstag entwickelte sich in den letzten 130 Jahren zur größten christlichen Basisbewegung von Frauen. Unter dem Motto „Informiert beten – betend handeln“ engagieren sich Frauen dafür, dass Frauen und Mädchen überall auf der Welt in Frieden, Gerechtigkeit und Würde leben können.
Entstehung und Verbreitung in Deutschland
Seine Wurzeln hat der Weltgebetstag Nordamerika. Ab 1887 pflegten Frauen verschiedener Konfessionen in den USA und in Kanada unabhängig voneinander jährliche Gebetstage. Die Methodistinnen nahmen als erste Kontakt zu anderen Glaubensgemeinschaften auf und luden ein zum gemeinsamen Gebet. 1927 wurden Statements der Vision einer Weltgemeinschaft christlicher Frauen definiert und erstmalig zu einem ökumenischen Gebet weltweit aufgerufen. Das Echo war enorm: In China, Indien, Polen, Syrien und anderswo schlossen sich Christinnen an. 1929 feierten den Tag bereits Frauen in 30 Ländern, darunter neun europäische. In Deutschland waren es die international gut vernetzten methodistischen Frauen, die die Idee aufgriffen und sich beteiligten.
Zwei Methodistinnen waren es dann auch, die den Impuls nach dem Zweiten Weltkrieg ins besiegte Deutschland trugen. Die Amerikanerin Stella Dueringer-Wells, deren Mann bei der amerikanischen Zivilverwaltung im besetzten Berlin arbeitete und Luise Scholz, die Vorsitzende des Methodistischen Frauendienstes in Deutschland, besorgten kurzerhand eine Liturgie, ließen diese übersetzen und unter abenteuerlichen Bedingungen drucken. Am 22. Februar 1947 begingen 600 Frauen im zerstörten Berlin einen ökumenischen Weltgebetstagsgottesdienst. Amerikanische und englische Frauen der Siegermächte feierten gemeinsam mit deutschen Frauen trotz des Fraternisierungsverbotes einen zweisprachigen Gottesdienst – nach einer Liturgie, die eine indische Christin ausgearbeitet hatte. Ein Jahr später waren auch russische und französische Frauen aus den anderen Besatzungszonen dabei. Die Schrecken der Kriegserfahrung und die Hoffnung auf Frieden nährten den Wunsch nach Verbindung mit den christlichen Frauen der Welt und verschafften dem Weltgebetstag schließlich Eingang und breite Resonanz in Deutschland.
In die evangelische Frauenarbeit wurde der Weltgebetstag durch Antonie Nopitsch eingeführt. Als Leiterin des Bayerischen Mütterdienstes hatte sie ihn während einer USA-Reise und bei der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates in Amsterdam 1948 kennengelernt. Schon ein Jahr später wurde auf ihre Initiative hin die Gottesdienstliturgie gedruckt und 10.000 Exemplare deutschlandweit verschickt. Von da an wurden es jedes Jahr mehr.
Auch die Leiterin der Frauenhilfe in Württemberg, Gertrud Mohrmann, war sofort begeistert, als sie 1948 bei einer Tagung der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland erstmals vom Weltgebetstag hörte. Sie nutzte ihren Verteiler, um die Idee in Württemberg bekannt zu machen. Seither sind auch die Evangelischen Frauen in Württemberg (EFW) dabei.
Materialien zur Weltgebetstagsarbeit der letzten Jahrzehnte kamen über die Bestände der Evangelischen Frauen in Württemberg (EFW) ins Landeskirchliche Archiv Stuttgart.
Abbildungen
Plakate verschiedener Weltgebetstage (1979, 1991, 1993), Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Plakatsammlung:
Musik-CD zum Weltgebetstag 2012 (Malaysia), Landeskirchliches Archiv Stuttgart, K 38:
Fotos aus der WGT-Werkstatt Indonesien 1999, Landeskirchliches Archiv Stuttgart, K 38
Das ökumenische Team der württembergischen WGT-AG veranstaltet unter der Leitung der EFW regionale Vorbereitungstage. Die Teilnehmerinnen tragen anschließend die Impulse für die Gestaltung der Gottesdienste in die Bezirke und in die Gemeinden.
Foto Weltgebetstagsgottesdienst mit Logo im Hintergrund, Stuttgart 2007, Landeskirchliches Archiv Stuttgart, K 38:
Mottobändchen verschiedener Weltgebetstage, LKAS, Museale Sammlung, Nr. 18.082: