Nachlass von Joachim Boeckh (1899-1968)

31. Januar 2024 | |

Im Mai vergangenen Jahres wurden wir von der Evangelischen Archivstelle Boppard im Rheinland kontaktiert. Dort war im Rahmen der Archivpflege in einem Pfarramt in ihrem Zuständigkeitsbereich eine Überlieferung von Schriftverkehr an Joachim Boeckh festgestellt worden. Offenbar waren diese Schriftstücke über einen früheren Pfarrer dieser Kirchengemeinde in das Pfarrhaus gelangt. Pfarrer Hans-Christian Brandenburg schrieb während seiner Tätigkeit dort in den 1960er Jahren an einer Darstellung über den Bund der Köngener, einer evangelischen Jugendbewegung, die ihr Zentrum in Württemberg hatte. Zu den maßgeblichen Personen der Anfangszeit dieses Bundes gehörte Joachim Boeckh, zunächst als Student der Evangelischen Theologie an der Universität Tübingen, dann als Vikar im unständigen Dienst der württembergischen Landeskirche. Da der Schriftverkehr seine Zeit in Württemberg widerspiegelt, hat das Landeskirchliche Archiv Stuttgart diesen Bestand übernommen.

Joachim Boeckh war von Jugend auf sehr rege und engagiert. Die im Nachlass überlieferten Briefe an ihn spiegeln deutlich seine wichtige Rolle in der protestantisch geprägten Jugendbewegung in Württemberg im zweiten und dritten Jahrzehnt des Zwanzigsten Jahrhunderts wider. Bei ihm liefen viele Netze zusammen. Er war Ansprechpartner für viele ähnlich Bewegte, weit über Württemberg hinaus. Im Schriftverkehr lassen sich der Umgangsmodus unter den Mitgliedern der Jugendbewegung und Richtungsdiskussionen ablesen. Boeckh war ein engagierter, streitbarer und vielleicht auch umstrittener Zeitgenosse. Bereits in seiner Wandervogelzeit war er schriftstellerisch tätig und inspirierte sein Umfeld. Von dem her ist es kein Wunder, dass er sich bereits 1923 von der Leitung des Köngener Bundes entfremdete, sich mit seinen Anhängern abspaltete und einen eigenen Bund gründete, die “Jungmannschaft Königsbühl”. Auch aus dem Dienst der württembergischen Landeskirche schied er am 1. November 1924 aus, um zunächst beim Franckh-Verlag (Kosmos-Verlag) in Stuttgart im Bereich Jugendliteratur zu arbeiten. Danach wurde er Lehrer in einer Reformschule, brach dann aber zu einer Reise in die Mongolei auf, die er nicht erreichte. Stattdessen wurde er Dozent für Deutsche Sprache in der damaligen Wolgadeutschen Republik (UdSSR). Nach seiner Rückkehr aus der UdSSR führten sein bereits bekanntes unstetes Wesen und verschiedene Publikationen, in denen er die Auswirkungen der stalinistischen Umwälzungen verharmloste, dazu, dass sein Gesuch um Wiedereinstellung in den württembergischen Kirchendienst nicht positiv entschieden wurde. Eine begonnene Tübinger Dissertation bei Professor Jakob Wilhelm Hauer, einem früheren Bundesgenossen, schloss er nicht ab, sondern widmete sich wieder der Lehrtätigkeit in einer Reformschule. Nach dem Krieg wurde er zunächst Leiter des Collegium Academicum in Heidelberg. Schließlich siedelte er nach Potsdam um und übernahm dort die Professur für Neuere Deutsche Literatur, dann eine Professur an der Humboldt-Universität Berlin. Er war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR. Am 17. Juni 1968 verstarb er in Potsdam-Babelsberg. Außer seinen frühen Schriften zur Jugendbewegung ist er Autor von Werken zur deutschen Literaturgeschichte und Übersetzer von Werken aus dem Russischen.

Der Bestand beinhaltet Briefe und Postkarten an Boeckh, die sich über den Zeitraum von 1917 bis 1933 erstrecken. Der Schwerpunkt der Überlieferung erstreckt sich allerdings auf die Jahre von 1921 bis 1923. Die Erschließung gestaltete sich wegen der vorgefundenen, sehr mangelhaften Ordnungsstruktur nicht einfach. Wer über die Evangelische Jugendbewegung in Württemberg in der ersten Hälfte der 1920er Jahre forschen möchte findet hier ein reiches Quellenmaterial. Hier geht es direkt zum Inventar des Bestandes in unserer Online-Suche.

Verweise in andere Archive mit beständen zu Joachim G. Boeckh:

 

Anbei einige Beispiele von Schriftstücken:

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