Artikel in Kurioses

Von heiligen Kühen und eisernen Kühen in Leuzendorf

15. Februar 2024 | | ,

“…zwei ewige Kühe …” Aus: LKAS, Pfarrarchiv Leuzendorf (G794), Best.-Nr. 51

“… sogenannte heilige Kuh” …” Aus: LKAS, Pfarrarchiv Leuzendorf (G794), Best.-Nr. 51

Als unsere Kollegin Birgitta Häberer das Pfarrarchiv von Leuzendorf verzeichnete, stieß sie auf eine Akte mit dem Titel “Eiserne Kuh”. In dieser Akte geht es um die Besoldung des Pfarrers, dem im 19. Jahrhundert eine Kuh als Teil seines Gehalts zustand. Als die Akte angelegt wurde, war die Kuh “alt und unbrauchbar”. Aus der in der Akte enthaltenen Korrespondenz geht hervor, dass sich der Pfarrer mit den vorgesetzten Behörden darauf einigte, diesen Gehaltsbestandteil in eine Zahlung von zehn Gulden auf sein Gehalt umzuwandeln. Der Begriff der eisernen oder ewigen Kuh war vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlich und bezeichnete ein Gewohnheitsrecht. Da die Besoldung aus der Heiligenstiftung der Pfarrei stammte, wird sie in diesem Schriftverkehr oft auch als “heilige Kuh” bezeichnet.

Das Pfarrarchiv Leuzendorf umfasst knapp zwei laufende Regalmeter und gehört vom Umfang her zu den kleineren Pfarrarchiven, die bei uns verwahrt werden. Es ist nun online recherchierbar.

 

Vorsicht Glatteis!

4. Dezember 2023 | | ,

LKAS, Pfarrarchiv Steinenberg, noch keine Signatur.

Gerade wird das Pfarrarchiv von Steinenberg bei Rudersberg verzeichnet. Passend zum derzeitigen Wetter fand sich dort ein Schriftstück, welches die Folgen eines Unfalls vom 2. Dezember des Jahres 1817 zum Thema hat. Vermutlich wegen der Zuständigkeit der Pfarrei für Schulangelegenheiten findet sich dort zur Kenntnisnahme die Rechnung für die Verarztung des Filial-Schulmeisters Möll in Zumhof, der sich beim Ausrutschen auf dem Glatteis eine sehr beträchtliche Verletzung zugezogen hatte, womöglich auf dem Weg zur  oder von der Schulstube. Wer Rudersberg kennt, weiß, dass es im Einzugsbereich des Schwäbischen Waldes liegt, auch heutzutage eine Gegend, wo es im Winter kalt werden kann, und wo es meist schon sehr winterlich und weiß ist, wenn es in Stuttgart noch kaum schneit. Aber der Winter hat nicht nur seinen Zauber und seine Faszination für jung und alt, sondern ist manchmal eben auch gefährlich. Deshalb kann diese historische Arztrechnung als ein Warnhinweis dienen, sich in diesen Tagen nicht leichtfertig aufs Glatteis zu begeben.

Hier die Transkription des Dokuments:

Conto

für die – dem Filial-Schulmeister Möll in Zum-

Hof, Rudersberger Staabs- u[und] Steinenberger Pfarr-

Amts, wegen einer durch einen unglüklichen Fall

auf dem Glatteis erhaltenen sehr bedeutenden

Wunde am Kopfe, welche mit Zeichen von Hirn-

Erschütterung u. Extrarahat[1] innerhalb der Hirnschale,

u. Lähmung des rechten Armes u. Fußes verbunden

war – geleistete wundärztliche Hülfe, als,

den 2ten Dec[em]br[is] 1817 wo ich in der Nacht ui dem

Vulneranten[2] nach Zum Hof, ½ Stunde von hier,

geholt wurde, für den Gang, Untersuchung u.

Verband etc. …1 f 6 x

Für 18 nachherige Gänge u. Verbände

Bei Tag, jeden Gang u. Verband, samt

Den dazu gebrauchten Heilmitteln, als

Pflaster, Balsam etc. à 36 x…10 f  48 x[3]

für Species zu den angewandten

Schmuker’schen kalten Fomentationen[4]…54 x

für eine Venae Sectio[5] … 12 x

für Senfmehl zu den Frictionen[6] am Arm u. Fuß …16 x

S[umma summarum] 13 f 16 x

Dreizehn Gulden, sechzehn Kreuzer

Cons[istorium] Rudersberg OberAmt Lorch,

den 6. Merz 1818

Operateur & Geb[urts]helfer

Adlung

[1] Austretung, Hirnblutung?

[2] Verwundeten

[3] 1 Gulden und 13 Kreuzer

[4] Kompressen

[5] Legung eines Venenzugangs

[6] Einreibungen

Zwist um eine Friedenskirche

5. Juli 2023 | | , , ,

Historische Aufnahme der Friedenskirche (Garnisonskirche) in Ludwigsburg. LKAS, Bildersammlung, U 662

Derzeit wird der bislang noch unverzeichnete Teil des Dekanatsarchivs Ludwigsburg erschlossen. Naturgemäß stößt man beim Verzeichnen auf den ein oder anderen interessanten Vorgang. Dass ausgerechnet ein Aktenbund, der den Titel “Friedenskirche” (jetzt LKAS, DA Ludwigsburg, Nr. 709) trug, umfangreiches Material über einen konfessionellen Zwist enthielt, fanden wir bemerkenswert. Aus heutiger Sicht und aus der zeitlichen Distanz kann man freilich leicht mit einer gewissen Gelassenheit auf Probleme blicken, die damals die Gemüter erhitzten.

Friedenskirche Ludwigsburg. Von Ecelan – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3614898

Auf der B 27 von Stuttgart kommend erblickt man kurz vor der Abbiegung zur Ludwigsburger Innenstadt auf linker Seite eine imposante Kirche. Dieser Kirchenbau ist nicht nur schön, sondern hat auch eine besondere Geschichte. Die heutige Friedenskirche war ursprünglich die evangelische Garnisonskirche für den ehedem wichtigen württembergischen Militärstandort. Entworfen von dem Architekten Friedrich von Thiersch, wurde sie 1903 im Beisein des Königspaars eingeweiht. 1920 wurde die Garnisonsgemeinde aufgelöst. Das Gebäude wurde dennoch bis 1945 für Militärgottesdienste genutzt. Die Württembergische Kirchenleitung hatte sich 1924 beim Militärpfarramt V ein Mitbenutzungsrecht an der Garnisonskirche gesichert. Infolge des Zusammenbruchs der deutschen Wehrmacht haben die evangelischen Militärgemeinden aufgehört zu bestehen. 1945 wurde beschlossen, aus dem ehemaligen Südstadtbezirk der Stadtkirche eine neue Kirchengemeinde zu bilden. Im Mai 1947 wurde aus der Südstadtgemeinde eine eigene Teilkirchengemeinde mit neuen, erweiterten Grenzen gebildet. 1948 erfolgte die Umbenennung zur Friedenskirche. Aufgrund des großen Zustroms von katholischen Heimatvertriebenen wurde der katholischen Kirchengemeinde eingeräumt, die Kirche mitzubenützen, was ein Jahrzehnt lang auch ein funktionierendes Arrangement war. Man wechselte sich bei der Benutzung der Räumlichkeiten ab. Der Eigentümer war aber der Bund, und als dieser ab 1958 über den Verkauf der Kirche an die evangelische Kirchengemeinde verhandelte, kam eine gewisse Unruhe auf, da die katholische Kirchengemeinde sich nun hintangesetzt  fühlte. Von dem her standen sich nun bis 1966 zwei Interessen entgegen: Auf der einen Seite, das Interesse an einem Weiterbestehen des Status Quo, auf der anderen Seite das Interesse am Zustandekommen des Kaufvertrages zwischen der evangelischen Friedenskirchengemeinde und dem Bund. Die Entwicklung führte zu einem umfangreichen Schriftverkehr, zu etlichen Stellungsnahmen, zu Kontaktaufnahmen bis in höchste politische Kreise (etwa zu Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, Minister Hans Wilhelmi, Minister Franz-Josef Strauß, verschiedene Bundestagsabgeordnete). Erst als der Kauf vollzogen wurde, ebbten die Wellen wieder ab. Das Problem war letztlich nicht so groß wie man dachte, da die katholische Kirchengemeinde noch bis in die 70er Jahre die Kirche mitbenutzten konnte. Auch wenn sich die Benennung der Friedenskirche auf einen Neuanfang nach ihrer militärischen Vergangenheit bezog, so erwies es sich auch hier, dass man, wenn ein Streit vorbei ist, wieder Frieden schließen und im Frieden gut zusammenleben kann.

Portrait eines unbekannten Mannes im ältesten Kirchenbuch von Heumaden

24. März 2023 | | , ,

Als Reaktion auf unseren Beitrag über künstlerische Illustrationen in Kirchenbüchern hat uns ein Genealoge auf das Portrait eines unbekannten Mannes im ältesten Kirchenbuch von Heumaden aufmerksam gemacht. Auf der Seite 45 ist ein Portrait eines schätzungsweise 50- bis 60-jährigen Mannes eingezeichnet.[1]

Da die Tinte der Zeichnung, des Eintrags „Anno Domini 1608“ auf derselben und des Eintrags auf der folgenden Seite dieselben zu sein scheint, kann angenommen werden, dass der Zeichner der Pfarrer Johann Mylius war, der sein Amt am 18. März 1608 antrat, aber bereits am 20. Juni 1609 an der Pest verstarb. Ein Selbstbildnis ist eher ausgeschlossen, da Mylius, der sich 1600 an der Universität Tübingen immatrikulierte,[2] 1608 eher um die 30 Jahre alt gewesen sein dürfte. Sein Alter ist in seinem Todeseintrag leider nicht angegeben.[3]

Uwe Geiger vermutet in seinem Aufsatz über die Pfarrersfrau Margaretha Maickler, bei dem dargestellten Mann könnte sich um den Heumadener Pfarrer Albert Kupferschmied handeln.[4] Kupferschmied starb am 21. Januar 1608 – nicht wie im Artikel angeben im Januar 1609 – jedoch im Alter von 32,5 Jahren,[5] so dass es eher auszuschließen ist, dass er die dargestellte Person ist.

Auf der Seite mit dem Portrait ist lediglich ein Taufeintrag zu finden, nämlich der von Catharina Weber vom 13. August 1607. Da der abgebildete Mann nicht in typischer Pfarrerkleidung dargestellt ist, könnte er auch Hans Weber, genannt Klein, der Vater der Catharina sein.[6] Auch sein Alter ist nicht bekannt, in seinem Todeseintrag vom 26. September 1614 ist jedoch angegeben, dass er Mitglied des Gerichts war.[7] Er könnte deshalb das nötige Ansehen gehabt haben, um sich in Kirchenbuch verewigen zu lassen.

Wer schlussendlich der unbekannte Mann war, bleibt im Dunkeln der Geschichte.

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Heumaden, Mischbuch 1558-1806, Taufregister 1558-1780, S. 45

[2] KB Heumaden, M 1558-1806, Vorblatt , vlg. auch Eintrag im Pfarrerbuch auf wkgo.

[3] KB Heumaden, M 1558-1806, Totenregister 1593-1753, S. 604

[4] Geiger, Uwe: Margaretha Maickler geborene Kepler, verwitwete Binder. Rekonstruktion eines Frauenlebens. In: Schwäbische Heimat 2022|4, S. 51 – 56 (Online-Veröffentlichung), hier S. 52

[5] Eintrag im Pfarrerbuch auf wkgo  und KB Heumaden, M 1558-1806, To 1593-1753, S. 602

[6] Hermann, Richard: Familienbuch Heumaden. Stuttgart-Heumaden jetzt 70619 Stuttgart. Die Familien von Heumaden 1558 – 1877. Stuttgart 2010, S. 229, Nr. 1267

[7] KB Heumaden, M 1558-1806, To 1593-1753, S. 611

 

 

Künstlerische Illustrationen in den Nellinger Kirchenbüchern

21. März 2023 | | ,

Im ersten Kirchenbuch von Nellingen auf den Fildern sind im Taufregister auf mehreren Seiten verschiedene künstlerische Illustrationen zu finden, die auf ein gewisses Talent des Urhebers schließen lassen.

 

Die erste Seite [1] beginnt mit der Beschreibung der Einführung der Taufregister im Herzogtum Württemberg:

 

„Anno Domini 1558 im Monat

deß Mertzens, hatt der Durchleuchtige, Hochge-

porne Furst unnd Herr, Herr Christoph Hertzog

zu Wurtembeg, und zu Theckh, Grave zu

Mumpelgarth etc. unser gnädiger Furst und

Herr, auß vilerley Bewegen den notwendigen

Ursachen, einen gemeinen Bevelh allenthalben

im Furstenthumb außgehen laßen, nemlich

das hinfuro alle Kinder, so zu dem christenlichen

Tauff gebracht, sollen mit irem Vatter, Muter,

und Gefattern, auch der Tag, und in welchem Jar

sie getaufft, ordenlich auffgeschriben werden,

wie hernach in disem Buch volget. Der

Herr beware ihren Eingang, und Außgang,

von nun an, und in Ewigkeit.

Amen“

 

Im anschließenden Bild ist Mariä Verkündigung dargestellt (Lukas 1,26–38 ). Die Buchstabenreihe A.G.D.T. B.T.I.M. im Bild steht für „Ave Gratia plena, Dominus Tecum, Benedicta Tu In Mulieribus“, also für den Anfang des Angelusgebets, der auf Deutsch lautet: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.“ oder angelehnt an Lukas 1,28: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.“. Die Bedeutung des Stabes, den der Engel in der Hand hält, ist unklar.

 

Auf der zweiten Seite [2], dem Beginn der Taufeinträge des Jahres 1561, sind Szenen aus der Bibel dargestellt. In der obigen Tafel sind es:

  1. Die Erprobung Abrahams: die Opferung Isaaks (Genesis 22,10-12 = 1. Buch Mose 22,10-12).
  2. Simsons (Samsons) Heirat einer Philisterin und sein Rätsel: Simson zerreißt einen Löwen mit bloßen Händen (Iudicum 14,6 = Richter 14,6 ).
  3. Die Kreuzigung Jesu (Matthäus 27,35 ff ). Dargestellt ist auch Longinus, der römische Zenturio, der Jesus nach dessen Tod eine Lanze in die Seite gestochen haben soll. Dies ist nur im Johannesevangelium erwähnt (Johannes 19,34).
  4. Die Auferstehung Jesu (Markus 16). Jesus trägt die so genannte Siegesfahne, ein Symbol für seine Auferstehung.
  5. Die kupferne Schlange (Serpens) (Numeri 21,4-9 = 4. Buch Mose 21,4-9).
  6. Jonas und der Wal – Jonas‘ Geschichte beginnt in Jona 1, der Wal (großer Fisch) taucht aber erst in Jona 2,1 auf.

 

In der unteren Tafel sind dargestellt:

  1. Auch hier passt das Bild nicht zur angegebenen Bibelstelle. Der Ziegenbock (Hircus) wird erst in Levitikus 16,22 (= 3. Buch Mose 16,22) erwähnt: „und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen“. Was die beiden wahrscheinlich nachträglich von einer anderen Person eingefügten Symbole auf bzw. neben dem Ziegenbock darstellen, ist unklar. In Levitikus 15 (= 3. Buch Mose 15 ) geht es um Ausflüsse aus den Genitalien, weshalb ein Phallus-Symbol nicht ausgeschlossen ist.
  2. Agnus Dei mit Siegesfahne, hervorgegangen aus den Pessach-Lämmer, deren Blut als Schutzzeichen vor der zehnten Plage an den Türpfosten gestrichen wurde (Exodus 12 = 2. Buch Mose 12).

 

Auf der dritten Seite [3] folgt auf einen Taufeintrag vom 5. Dezember 1562 und einem „Trennbild“, durch einen roten Fingerzeig, der evtl. später eingefügt wurde, noch hervorgehoben:

 

„Anno hoc currensus 1562 die 18 Decemb.

M. Samuel Neuhewser futurus parochus in

hoc pago Nellingen prima contionem habuit et

Profectus eo proxima die ante vigilias natiuitatis

Jesu Christi“

 

Übersetzt heißt dies (in etwa): „In diesem laufenden Jahr 1562, am 18. Tag des Dezembers, hatte Magister Samuel Neuheuser, der zukünftige Pfarrer in diesem Dorf Nellingen, die erste Versammlung und fuhr am nächsten Tag vor dem Vorabend der Geburt Jesus Christus fort.“

Samuel Neuhäuser kam wohl am 18. Dezember 1562 zu einem ersten Kennenlernen nach Nellingen und trat sein Amt offiziell zum 22. Dezember 1562 an.

Das Bild darunter könnte die Segnung der Kinder (Matthäus 19,13-15) darstellen.

 

Auf der vierten Seite [4] ist nach einen Taufeintrag vom 31. Dezember 1564 und wiederum einem „Trennbild“ der gekreuzigte Jesus dargestellt. Neben ihm ist auf einer Tafel zu lesen: „ECCE AGNUS DEI QUI TOLLIT PECCA TA MUNDI“, übersetzt: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“ Die Person rechts daneben auf einer Kanzel könnte Johannes Brenz, den Reformator des Herzogtums Württemberg, darstellen.

 

Auf der fünften Seite [5] folgt auf einen Taufeintrag vom 24. November 1568 ein Ornament. Darin steht in der Mitte IHS CHRS = Jesus Christus.

In den Ecken links oben, rechts oben, rechts unten und links unten stehen nummeriert die Namen von 1. Paulus, 2. (Simon) Petrus, 3. Judas und 4. Jakobus. Während die ersten beiden bedeutende Persönlichkeiten für das Urchristentum waren, Paulus der bedeutendste Missionar des Urchristentums, Petrus der Sprecher der Apostel und Leiter der Jerusalemer Urgemeinde, ist unklar, warum Judas und Jakobus hervorgehoben sind. Sollte mit ersterem Judas Iskariot, der Jesu verriet, gemeint sein, so war auch dieser für das Christentum in gewisser Weise bedeutend, wenn auch im negativen Sinn. Ob mit Jakobus einer der beiden Apostel (s.u.) gemeint ist oder Jakobus, der Stammvater Israels, oder Jakobus, der Bruder Jesu, bleibt unklar.

In den Spitzen oben, rechts, unten und links stehen die Namen der Evangelisten Matthäus („Math.“), Markus, Lukas und Johannes. Ersterer und letzterer waren gleichzeitig Apostel.

In den Schleifen stehen, im Uhrzeigersinn oben beginnend, die Namen der Apostel Jakobus der Ältere, Johannes, Philippus, Bartholomäus, Thomas, Matthäus, Jakobus der Jüngere („Jacobus mi[nor]“), Judas Thaddäus, Simon, Matthias (der „nachrückte“, nachdem Judas Iskariot Jesus verraten hatte), Petrus und Andreas.

Auf der sechsten Seite [6], der ersten Seite mit den Taufeinträgen von 1570, ist im gleichen Ornament wie auf der fünfen Seite die Anbetung des Jesuskindes durch die Sterndeuter aus dem Osten dargestellt (Matthäus 2,10-11). In der christlichen Kunst wird dieses Motiv mit „Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige“ oder kurz „Anbetung der Könige“ betitelt. In dem Bild sind nur zwei Sterndeuter dargestellt, wovon einer eine dunkle Hautfarbe hat. In der Bibel wird weder die Anzahl noch die Hautfarbe oder Namen der Sterndeuter genannt. Die Zahl drei, die Namen Caspar, Melchior und Balthasar, in machen Darstellungen auch die dunkle Hautfarbe des letzteren, hat sich erst über die Jahrhunderte entwickelt. Hier: Beispiele für die Darstellung

Wem wir diese Illustrationen zu verdanken haben, bleibt unbekannt. Im Zeitraum 1558 bis 1570 waren in Nellingen zwei Pfarrer tätig: Johannes Vetter von 1555 bis Ende 1562, anschließend Samuel Neuhäuser bis 1570. Ein Abgleich mit den Taufregistern anderer Tätigkeitsorte dieser Pfarrer, sofern überliefert, ergab, dass dort keine Illustrationen vorzufinden sind. Möglicherweise gestatteten die Pfarrer einer anderen, künstlerisch begabten Person, diese Illustrationen einzuzeichnen, oder beauftragten diese sogar. Da vor allem die Illustration auf der zweiten Seite „klösterlich“ wirkt und es in Nellingen zu dem Zeitpunkt noch eine aktive Propstei gab, zu der ein gutes Verhältnis bestand – der katholische Propst ist in einigen Taufeinträgen als Taufpate aufgeführt – wäre es auch denkbar, dass ein Mönch aus der Propstei der Maler war.

In welchem Umfang auch in Kirchenbüchern anderer Orte ähnliche Illustrationen vorzufinden sind, ist nicht bekannt. Es kann aber angenommen werden, dass es diese nicht nur in den Nellinger Kirchenbüchern gibt, wie folgender Zufallsfund aus Flözlingen bestätigt.

Dem 1650 beginnenden Totenregister ist das Bild einer schlafenden Person (eines Kindes?) vorangestellt. Die Person hält eine Sanduhr, ein Symbol für die Vergänglichkeit. Im oberen Bildrand steht „Bey Sonnenschein, mus dises Sein.“, im unteren „HODIE MIHI. CRAS TIBI“, also „heute mir, morgen dir“. Letzterer Spruch ist auf vielen Epitaphien u.ä. zu finden.

Diese beschriebenen einfachen Illustrationen dürften von Laien gemalt worden sein. Farbenprächtige und detailreiche Auftragsarbeiten von Berufsmalern sind in den Tübinger Totenregistern zu finden, worüber Andreas Butz im November 2022 berichtete: https://blog.wkgo.de/2022/11/18/

 

 

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Nellingen, Mischbuch 1558-1729, Taufregister 1558-1729, Vorbl. 3v

[2] Ebenda, Bl. 7v

[3] Ebenda, Bl. 13r

[4] Ebenda, Bl. 17v

[5] Ebenda, Bl. 27v

[6] Ebenda, Bl. 29v

[7] KB Flözlingen, Mischbuch 1644-1717, Totenregister 1650-1717, S. 1

Was zwei Postkarten erzählen können

14. Dezember 2022 | | , ,

Diese beiden originellen Postkarten tauchten unter vielen anderen in einem privaten Nachlass auf, der an die Museale Sammlung im Landeskirchlichen Archiv abgegeben wurde. Was zunächst nach lustigen Urlaubsgrüßen aus Hamburg aussieht, täuscht. Beim näheren Hinschauen wird deutlich: die Absender, ein Ehepaar aus Esslingen, sind dabei, auszuwandern. Sie schreiben aus Baracke 6 der Auswanderer-Hallen im Stadtteil Veddel: „Wir werden am Donnerstag um 11 Uhr von einem kleinen Dampfer hier abgeholt und fahren Nachmittag 4 Uhr hier weg.“ Die Reise sollte wohl in die USA gehen, denn sie erwähnen noch Mitreisende, deren Ziel Philadelphia ist.

Ein Hinweis auf die Datierung findet sich auf der Vorderseite einer der beiden Karten. Dort ist handschriftlich notiert: „Über die Karten haben wir sehr gelacht. Eine kostet 300 000“. In Deutschland war also Inflation, was auf die Jahre 1922/23 hinweist.

Zwischen 1919 und 1932 wanderten insgesamt rund 600.000 Deutsche in überseeische Länder aus. Der Höhepunkt lag Anfang der 1920er Jahre. Im Ersten Weltkrieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren viele Menschen gezwungen, ihren Entschluss zur Auswanderung zunächst aufzuschieben. Anfang der 1920er Jahre mussten sie ihre Auswanderungspläne rasch umsetzen, weil die Inflation in Deutschland ihre Geldreserven zusammenschmelzen ließ. Weitere schlossen sich an und versuchten, in der Hoffnung auf eine bessere Existenz aus der Krise zu flüchten.

Schon im 19. Jahrhundert war Hamburg zum bedeutenden Auswandererhafen geworden. Das Geschäft mit den Auswanderern war lukrativ. Die großen Reedereien warben in ganz Deutschland und Osteuropa für den Transport ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Bis die Auswanderer auf ihr Schiff kamen, brauchten sie darüber hinaus eine Unterkunft und Lebensmittel sowie Proviant für die Reise. Immer mehr Flüchtlinge strömten nach Hamburg, so dass die städtischen Auswandererbaracken bald nicht mehr ausreichten. Im Stadtteil Veddel, südlich des Müggenburger Zollhafens entstanden auf Initiative des Reeders Albert Ballin ab 1900 die Auswandererhallen der Hamburg-Amerika Linie. Auf gut 55.000 Quadratmetern fanden zunächst 1200, später sogar 5000 Menschen Platz. Die Ausreisewilligen mussten dort bis zu 14 Tagen in Quarantäne bleiben. Neben Schlaf- und Speisesälen, medizinischer Betreuung und Waschsälen gab es auch eine Kirche und eine Synagoge.

Wie sich der Aufenthalt der beiden Esslinger weiter gestaltete, entzieht sich unserer Kenntnis. Nicht einmal ihre Namen sind bekannt, da die Karten, wohl in einem Briefumschlag versandt, nicht unterschrieben waren. Zu hoffen bleibt, dass die Verfasser und ihr Gepäck in Übersee gut angekommen sind und sie nicht in ähnlicher Weise strauchelten, wie die humorigen Gestalten auf den Postkarten.

 

Fundstück im Pfarrarchiv Steinenbronn

22. Juli 2022 | |

Ein Fundstück aus dem im Mai diesen Jahres eingeholten Pfarrarchivs Steinenbronn, das zeigt, dass Archivalien nicht nur grau und staubig sein müssen. Die kleine 7 x 11 cm große Karte wurde an Pfarrer Karl Alfred Günzler (www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:GNDPFB10290) gesandt, der zwischen 1893 und 1900 Pfarrer dieser Gemeinde war.

Einem Pfarrbericht aus dem Jahr 1897 ist zu entnehmen, dass das Verhältnis zwischen Pfarrer und Gemeinde nicht besonders gut gewesen zu sein scheint. „Die Kirchlichkeit der Gemeinde ist allerdings gering, der Hauptgottesdienst schwach besucht…das Verhalten gegen den Geistlichen: ins Gesicht meist freundlich, mitteilsam über äußere Verhältnisse, aber lügenhaft und bettelhaft mit wenig Verständnis für den Geistlichen“. Den Visitationsbemerkungen ist zu entnehmen, dass Günzler offenbar unter dem Eindruck schmerzlicher Erfahrungen stünde, die er mit manchen Gemeindeglieder gemacht hatte. Er habe das Vertrauen zur Gemeinde etwas verloren und wage es nicht mehr auf den Erfolg seiner Arbeit zu hoffen. An seiner Arbeit selbst wird nichts bemängelt, aber seine „treue, tiefe rechte Art“ wäre wohl in einer anderen Gemeinde besser aufgehoben.

Ein Anschreiben lag dem Kärtchen nicht bei, so dass nur darüber spekuliert werden kann, was der Hintergrund dieser Sendung war. Das Stück wurde in die museale Sammlung des Landeskirchlichen Archivs übergeben.

Die Sonntage vor Ostern und das Jägerlatein

30. März 2022 | | ,

In der Musealen Sammlung befindet sich ein auf den ersten Blick sehr rätselhaftes Bild mit vielen langschnäbeligen Vögeln. Die kolorierte Lithografie von 1840 ist überschrieben mit „Oculi, da kommen Sie!“ – ein Hinweis darauf, dass in den vier dargestellten Szenen die letzten Sonntage vor Ostern thematisiert werden: Okuli, Lätare, Judika, Palmorum (Palmsonntag).

Aber weshalb diese Vögel?

Das Bild zielt weniger darauf ab, das Kirchenjahr zu veranschaulichen, vielmehr stammt die Darstellung aus dem Bereich der Jagd, und bei den langschnäbeligen Vögeln handelt es sich um Waldschnepfen. In der Waidmannssprache bezeichnet man die Sonntage um Ostern als „Schnepfensonntage“, die nach einem volkstümlichen Reim die Ankunft der Schnepfen auf dem Frühjahrszug und den Verlauf des „Schnepfenstrichs“ bestimmen sollen. Der „Schnepfenstrich“ ist in der Jägersprache der Balzflug der Waldschnepfe im März/April, der für die Jagd günstig ist. Die Jäger hatten es dabei hauptsächlich auf die männlichen Tiere abgesehen, da diese für die Aufzucht der Jungen nicht nötig sind. Mit ihrem lauten Balzruf sind die Männchen leicht auszumachen, die Weibchen hingegen fliegen stumm. Da die kalendarische Lage der sogenannten Schnepfensonntage abhängig ist von Ostern, liefert der Reim keinen wirklichen Hinweis für den Schnepfenzug. Dieser ist vielmehr vom Witterungsverlauf abhängig.

Der Reim in Langform lautet:

Invocavit – nimm den Hund mit

Reminiscere – putzt die Gewehre

Okuli – da kommen sie

Lätare – das sind die Wahren

Judica – sind sie auch noch da

Palmarum – tralarum

Osterzeit – wenig Beut

Quasimodogeniti – Hahn in Ruh, nun brüten sie

 

Die Waldschnepfe wurde im Jahr 2002 auf die Vorwarnliste der Roten Liste aufgrund der negativen Bestandsentwicklung genommen, so dass viele Jäger auf den Abschuss dieser bedrohten Tierart mittlerweile verzichten.

Hier die lateinischen Bezeichnungen der Sonntage in der Passionszeit mit ihren biblischen Bezügen:

  1. Invocavit: „Er ruft mich an“ (Ps 91,15)
  2. Reminiscere: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!“ (Ps 25,6)
  3. Oculi: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“ (Ps 25,15)
  4. Laetare (Freudensonntag): „Freu’ dich, Jerusalem“ (Jes 66,10)
  5. Judika: „Gott, schaffe mir Recht.“ (Ps 43,1)
  6. Palmarum (Palmsonntag, Beginn der Karwoche): Der Name geht auf die grünen Palmzweige zurück, mit denen die Menschen Jesus beim Einzug in Jerusalem begrüßt haben. (Johannes 12,12 und 13)

Dazu siehe auch: https://www.evangelisches-gemeindeblatt.de/lebenshilfe/wissenswertes-rund-um-das-kirchenjahr/detailansicht/okuli-der-dritte-sonntag-in-der-passionszeit-364/

 

Pferde im Sitzungsprotokoll des Konsistoriums

16. März 2022 | |

Wer kennt das nicht? Man sitzt in einer Vorlesung, in einem Vortrag oder einer Besprechung und die Zeit will einfach nicht vergehen. Der Vortrag, dem man mehr oder weniger folgt, ist zäh wie Kaugummi und man fängt an, auf dem Notizblock mehr oder weniger kreative Zeichnungen hinzukritzeln.

Ob es dem Protokollanten in der Sitzung des Konsistoriums am 9. Februar 1813 auch so erging? Wir wissen es nicht, aber die Vermutung liegt nahe. Aufgrund der unleserlichen Schrift ist es leider schwierig, herauszufinden, was in besagter Sitzung besprochen wurde. Auf jeden Fall hat der Protokollant zwei Zeichnungen hinterlassen. Während in der ersten klar ein rückwärts blickender Reiter mit Hut und Peitsche auf einem Pferd zu erkennen ist, hat die zweite Zeichnungen wohl unter der Dauer der Sitzung gelitten: ein Reiter auf einem Pferd ist gerade noch zu erkennen.

Das Konsistorium war im Königreich Württemberg eine für die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten zuständige Abteilung innerhalb des Kultministeriums.

Quelle: Landeskirchliches Archiv Stuttgart, A 3, Nr. 77, S. 195-199, Zeichnungen auf S. 197 und 199.

Ein in einem Kirchenbuch dokumentierter Kriminalfall

26. Januar 2022 | |

Kirchenbücher dokumentieren nicht nur kirchliche Amtshandlungen und damit das, was man heutzutage als Personenstandsfälle bezeichnet, sondern mitunter auch nicht alltägliche Dinge wie Kriminalfälle. In manchen Fällen sind zu solchen Kriminalfällen auch noch weitere Dokumente in staatlichen und anderen Archiven überliefert, so dass eine tiefergehende Untersuchung eines Falles möglich ist. Das Ergebnis einer solchen Untersuchung ist nicht nur für die Genealogie interessant, sondern auch für die Sozial- und Rechtsgeschichtsforschung und in manchen Fällen auch für die Geschichte der Medizin.

Auf einen solchen Kriminalfall stößt man im Totenregister von Fluorn (heute Teil von Fluorn-Winzeln, Lkr. Rottweil). Unter dem 20. Dezember 1658 ist folgendes vermerkt:

„Den 20. Decembris montags früeh zu 3 Uhren starb zu Fluorn in des Scheerers Matthiae Schneiders Hauß, Bernhard Keckh, wohnhafft zu Heenweyler, 26 Jahr alt, der den 29. Novembris von Jacob Wesnern, Mezgern zu Heenweyler, wegen einer strittigen Wäßerung verwundt worden, welcher darnach zu Peterzell, wohin er verpfarrt war, den 24. Decembris, am Heiligen Christabend, christlich begraben worden. Resurgat ad gaudium aeternum[1].“

Am Rand ist vermerkt: „ist nach Peterzell gefüehrt worden“[2]

Der Hönweiler, eine Hofgruppe, gehörte zum Peterzeller Stab des Alpirsbacher Klosteramts und damit zum Kirchspiel des Pfarramts Peterzell (heute Teil von Alpirsbach, Lkr. Freudenstadt). Im Totenregister von Peterzell sind der Vorfall und die Folgen umfangreicher beschrieben:

„Den 29. Novembris anno 1658, am Abend Sankt Andreae,[3] uf die 1 ½. Stund nach Bettzeit, hatt sich folgender elende Casus und Fall in Heenweyler zugetragen, daß nemblichen umb einer strittigen Wäßerung wegen Jacob Wesner, Mezger, und Bernhard Keck, Ludwig Wörners Tochtermann[4] (alle Inwohner zu Heenweyler), so hart aneinander gerathen, daß gedachter[5] Jacob Wesner, den ermelten[6] Bernhard Kecken mit einer Hauen[7] oben an den Kopff geschlagen, daß er eine tödtliche Wunden bekommen, von derentwegen er den Scheerern[8] überantwortet werden müßen hatt, aber endlich leyder er Bernhard Keck umb angezeigter tödtlicher Wunden willen, zu Fluorn (daselbsten er in Matthiae Schneiders des Scheerers Behausung gelegen), als er zuvor den 17. Decembris das heilige Abendmahl empfangen, seinen Geist den 20. Decembris morgens zu 3 Uhren aufgegeben in dem 26. Jahr seines Alters. Und ist hernach erst den 24. Decembris, am heiligen Christabend (weilen ihn zuvor ein Medicus[9] Herr Samuel Hafenreffer, Phil. et. Med. D.[10] und Professor zu Tübingen, wie auch ein Barbierer[11] von Tübingen, Abraham Rieg, durch anatomische Eröffnung besichtiget) zu Peterzell alhir, dann er von Fluorn herüber geführt ward, christlich zur Erden bestattet worden. Deus largiatur huic laetam resurrectionem et tales a nobis avertat casus tragicos, per Dominum nostrum Jesum Christum in Spiritu Sancto.[12] Amen.“[13]

Dem Täter, Jacob Wesner, wurde der Prozess wegen Totschlags gemacht. Da die damaligen örtlichen Richter aber juristische Laien waren, wurde der Totschlag-Prozess im Verfahren der Aktenversendung durchgeführt. D.h. dass der Fall bzw. die diesbezügliche Akte an die Juristische Fakultät Tübingen versandt wurde, die ein Rechtsgutachten mit vorgefertigtem und auch für den Laien verständlichen Urteil erstellte.

Da die Stuttgarter Oberräte, über die das Rechtsgutachten an den württembergischen Herzog weitergeleitet wurde, dasselbe für zu milde empfanden, wurde auch noch von der Juristischen Fakultät Straßburg ein Rechtsgutachten erbeten.

Beide Rechtsgutachten sind im Hauptstaatsarchiv Stuttgart in der Akte mit dem Titel „Tübinger und Straßburger Konsilien auch Anbringen betreffend homicidii des Jakob Wössner aus Höhenweiler“ überliefert.[14] Die Konzepte des Rechtsgutachtens der Juristischen Fakultät Tübingen und des darin erwähnten Gutachtens der Medizinischen Fakultät Tübingen sind im Universitätsarchiv Tübingen archiviert.[15]

Weitere Einzelheiten zu diesem Fall sind zu finden in dem Beitrag „Eine strittige Wässerung mit Todesfolge in Hönweiler 1658. Ein Beispiel für einen Totschlag-Prozess im Verfahren der Aktenversendung“ in den Südwestdeutschen Blättern für Familien- und Wappenkunde 39 (2021), S. 159 – 180 und hier. 

Anmerkungen:

[1] Resurgat … aeternum = Er erstehe auf zur ewigen Freude.

[2] Kirchenbücher Fluorn, Totenregister 1643-1808, S. 9.

[3] am … Andreae = am Abend vor dem Andreastag (30. November).

[4] Tochtermann = Schwiegersohn.

[5] gedachter = genannter, erwähnter.

[6] ermelten = genannten, erwähnten.

[7] Haue = Hacke.

[8] Scherer = Wundarzt, auch Bader genannt, Vorgänger des heutigen Chirurgen.

[9] Medicus = Arzt.

[10] Phil. et. Med. D. = Dr. phil. und Dr. med.

[11] Barbier = Bartscherer, der auch die niedere Chirurgie ausübt.

[12] Deus … Sancto = Gott schenke diesem eine glückliche Auferstehung und halte solch ein tragisches Unglück von uns fern, durch unseren Herrn Jesus Christus im Heiligen Geist.

[13] Kirchenbücher Peterzell, Mischbuch 1606-1732, Totenregister 1649-1732, S. 5.

[14] Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 209, Bü 7.

[15] Universitätsarchiv Tübingen, 84/12, S. 405 – 416 bzw. Universitätsarchiv Tübingen, 14/11, Bl. 6v – 9v.

 

Planetenzeichen im Kirchenbuch

17. November 2021 | | ,

Wer mit Kirchenbüchern als Quellen arbeitet – sei es aus Gründen historischer oder genealogischer Forschung –  weiß, dass man dort auf ungewöhnliche Begrifflichkeiten stößt. Das können Bezeichnungen für Krankheiten, Berufe, Verwandtschaftsverhältnisse sein, die heute nicht mehr üblich sind. Nicht in jedem, aber in vielen Kirchenbüchern findet man bei den Einträgen auch eigentümliche Symbole. Da sich darunter zwei Symbole finden, die auch heute noch verwendet werden, nämlich ♀ und  ♂ , so meint man vielleicht auf den ersten Blick, der Pfarrer habe das Geschlecht des Täuflings mit einem Symbol bezeichnet. Da dies aber in durchschnittlich jedem zweiten Fall nicht zutrifft, und da sich neben diesen Symbolen noch andere, nicht deutbare Symbole bei den Einträgen finden, wird schnell klar, dass diese Interpretation nicht die Richtige sein kann. Tatsächlich handelt es sich um die Symbole für die damals bekannten sieben Planeten, die manchmal auch eine römische Gottheit repräsentieren, im Falle der beiden noch heute gebräuchlichen Zeichen waren dies der Kriegsgott Mars, dessen Schild und Speer in der Form des Symbols angedeutet werden, einerseits, und die Göttin der Liebe, Venus, andererseits, deren Handspiegel abgebildet wird. Vier der römischen Götter (Mars, Merkur, Jupiter, Venus) sind nicht nur den Planeten, sondern auch einzelnen Wochentagen zugeordnet. Beim Montag, der dem Mond, beziehungsweise der Göttin Luna zugeordnet ist, oder beim Sonntag, der der Sonne zugeordnet ist, ist die Beziehung zum Planeten gleich gegeben, und auch sprachlich leicht erkennbar. Wer in der Schule französisch gelernt hat, kann sich dann auch die restlichen Planeten herleiten, da sie sich in den dortigen Bezeichnungen für die Wochentage erkennen lassen, wie Mardi für den Mars, Mercredi für den Merkur,  Jeudi für den Jupiter (Donnerstag), Vendredi für die Venus. Im Englischen erkennt man bei der Bezeichnung Saturday leicht den Planeten Saturn. Nun wird auch klar, welche Bedeutung die Symbole in den Kirchenbüchern haben. Wir erfahren durch sie an welchem Wochentag die Taufe, beziehungsweise Eheschließung stattfand. Hier die vollständige Aufschlüsselung:

Beitragsbild: Seite aus dem Taufregister von Ulm 1721-1728

Literaturhinweis:

Michael Bing / Andreas Butz (Hg.), Evangelische Kirchenbücher in Württemberg. Eine Arbeitshilfe für die historische und familiengeschichtliche Forschung, Stuttgart 2016.

Tod und Zerstörung in Folge eines Wolkenbruchs

7. Juli 2021 | |

In den letzten Wochen erlebte Baden-Württemberg mehrere zum Teil heftige Unwetter. Dabei kam glücklicherweise nur eine geringe Anzahl an Menschen ums Leben (wobei jeder Tote einer zu viel ist). Außerdem kam es zu nicht unerheblichen Sachschäden.

Auch in früheren Zeiten forderten Unwetter ihren Tribut. Aufgrund fehlender systematischer Wetteraufzeichnungen findet man darüber jedoch nur selten Berichte. Wenn, dann sind diese meist in spezielle Chroniken oder auch in Kirchenbüchern zu finden.

Vor genau 243 Jahren, am 7. Juli 1778, ereignete sich zwischen Hallwangen und Aach, heute Ortsteile von Dornstetten, ein starker Wolkenbruch, in dessen Folge das Flüsschen Glatt derart anschwoll, dass die Flut im etwa drei Kilometer südlich gelegene Glatten schwere Verwüstungen anrichtete und das Leben von fünf Menschen – nahezu eine ganze Familie – auslöschte. Ein totes Mädchen wurde erst im sieben Kilometer flussabwärts gelegene Leinstetten, heute Ortsteil von Dornhan, gefunden. Ebenfalls durch die Flut mitgerissenes Vieh wurde teilweise über 23 Kilometer bis nach Horb am Neckar oder sogar über 40 Kilometer bis nach Rottenburg am Neckar fortgespült.

Der ganze Bericht über das Unglück und die Folgen ist im Totenregister von Glatten zu finden und lautet:

„[Am Dienstag] den 7. Julii abends [zwischen] 6 – 7 [Uhr] wurde die hiesige Innwohnerschafft durch plözlich und grausamen Anlauf des Wassers Glatt in eine unbeschreibliche grosse Noth und Schrecken versezet. Ein gegen 1 1/2 Stund oberhalb im Thal, und zwar zwischen Hallwangen und Aach, entstandener starcke Wolckenbruch verursachte, daß das Wasser, die Glatt genannt, auf einmal mehr als mannshoch, ohne einen Tropfen hiesigen Orts vorher zu regnen, und in wenigen Augenblicken gegen 16 Schuh [1 Schuh = ca. 28,6 cm] hoch in den hiesigen Flecken eingedrungen. Ein ganzes Hauß wurde durch die hefftige Wellen des Wassers, und wegen herbeigekommenen vielen Holtzes von 60 biß 70 Schuh lang, vom Fundament aus aufgehoben, umgedreht und eingestürzt; viele andere Häußer grausamlich beschädiget; die Brücke über die Glatt wurde eingerissen und fortgespült. Eine Reib- und eine Lohmühle wurden auch von ihrem Ort weggerißen, und 3 Mühlen auf das übelste ruinirt. Zerschiedene [!] Gattung Vieh, welche zum Theil das Wasser mit den Krippen an denselben angebunden, fortgeflözet, und davon noch an den Krippen angebunden in Horb und Rothenburg ausgestoßen, giengen hiebei zu Grunde. Fruchtbare Bäume, auch Felben und Aehrlen, wurden mit der Wurzel ausgerißen und fortgeflözt, oder wie Schilfrohr abgebrochen, obschon solche 1 und 2 Schuh dick gewesen. Mit dem ersten von Grund aus weggerißenen und eingestürzten Hauß haben ihr Leben, ohne menschmöglich geweßte Rettung, elendiglich eingebüßet, und sind erst am folgenden Tag unter dem Schutt wieder vorgefunden worden folgende Personen:

Anna Magdalena, Joh. Michael Zieglers, Bürger und Wagner allhier uxor [= Ehefrau], als hochschwanger, 35 Jahr, 8 Monate, 18 Tag

mit ihren nachstehenden Kindern:

Joh. Michael Ziegler, 11 Jahr, weniger 5 Tag

Margaretha Zieglerin, 3 Jahr, 6 Monat, 1 Tag

Johannes Ziegler, 1 Jahr, 6 Monat, 9 Tag

Welche 4 Personen in 2 Todtenbahren den 9. Julii nachmittags um 1 Uhr, in 2 Gräbern, unter allgemeiner Bedaurung und einer Menge Leutte, hochstlöblichem Gebrauch nach zur Erden bestattet wurden, und dabei eine richtende Predigt gehalten worden; und dann

Barbara Zieglerin, 4 Jahr, 7 Monate, 5 Tage

welches Kind von dem Wasser biß nach Leinstädt fortgeflözet, gegen einem ausgestellten Revers herausgegeben, und den 10. Julii bei eine Bettstund [= Betstunde] auf dem hiesigen Kirchhoff zu den obigen [genannten] beerdigt worden.“

Dieser detaillierte Eintrag ist eine seltene Dokumentation eines Wetterereignisses bzw. dessen Folge, in diesem Falle die Auswirkung von Starkregen an einem Ort auf einen anderen, regenfreien Ort. Den Bericht findet man nahezu wortgleich auch in der Pfarrbeschreibung für Glatten 1828. In der 1858 erschienenen Oberamtsbeschreibung Freudenstadt wird das Ereignis ebenfalls noch erwähnt.

 

Quellen:

Todeseintrag 07.07.1778 = Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Kirchenbücher des evangelischen Pfarramtes Glatten, Mischbuch 1743-1803, Totenregister 1743-1799, S. 28

Pfarrbeschreibung 1828 = Landeskirchliches Archiv Stuttgart, A 29, Nr. 1502, Qu. 1, S. 4f

Oberamtsbeschreibung Freudenstadt = Königliches statistisch-topographisches Bureau (Hrsg.): Beschreibung des Oberamts Freudenstadt. Stuttgart 1858, S. 228

Separatisten in Sterberegistern

14. April 2021 | | ,

Wenn in einem Sterberegister ausdrücklich vermerkt wird, dass die Bestattung ohne die üblichen kirchlichen Zeremonien erfolgte, ist dies auf jeden Fall ein besonderer Umstand, der erklärungsbedürftig ist. Im Sterberegister von Mühlhausen an der Enz sind einige solcher Einträge vermerkt. So wurde Ferdinand Friedrich von Stein bzw. vom Stain (1696-1737) am 21. November 1737 nachts ohne kirchliche Zeremonien bestattet, wie auch seine Schwester Christina Louisa am 17. Mai 1750 und auch der ehemalige Warmbronner Pfarrer Christian Friedrich Cuhorst (1705-1750) am 28. April 1750. Bei allen drei Personen wurde im Sterberegistereintrag ausdrücklich vermerkt, dass sie sich dem Separatismus zugewandt hatten, also einem radikalen Pietismus, dessen Anhänger sich von der Amtskirche abwandten, da sie diese als zu verweltlicht ansahen. Bei Christina Louise wurde auch ihr zurückgezogenes, stilles und ihrer Glaubensrichtung entsprechendes eheloses Leben (in coelibatu) auf dem Schloss vermerkt.

Bei zwei weiteren Personen ist bekannt, dass sie ebenfalls Separatisten waren, nämlich Walrad Heinrich von Stein (-1746) und seinem langjährigen Hausvogt Johannes Wunderlich (-1752). Wunderlich scheint kurz vor seinem Tode den Wunsch geäußert zu haben, das heilige Abendmahl noch zu empfangen, so dass er am 6. April 1752 “christenlich zur Erden bestattet” wurde, also eine gewöhnliche Beerdigung mit allen kirchlichen Zeremonien erhielt.

Der Sterbeeintrag für Walrad Heinrich hingegen ist sehr knapp gehalten. Schon dies ist für den Todeseintrag eines Ortsherren des reichsritterschaftlichen Fleckens eher ungewöhnlich, da ähnliche Sterbeeinträge im Mühlhausener Sterberegister ansonsten durch ihre Ausführlichkeit deutlich unter den sonstigen Einträgen herausragen und beim Durchblättern sofort ins Auge springen. Es mag aber vielleicht auch dem minimalistischen Stil des damals noch amtierenden Geistlichen geschuldet sein. Seine Abkehr von der Amtskirche wird zwar nicht genannt, aber die ungewöhnliche Art der Beerdigung ist dennoch eindeutig. Er wurde “nachts neben seinem Bruder begraben”.

Die Spielart des Separatismus, der sich die Adeligen im Mühlhausener Schloss zugewandt hatten, war eine Gruppierung, die man als “Inspirierte” bezeichnet. Bereits 1729 besuchten die inspirierten Prediger Jonas Wickmark, Johann Friedrich Rock und Philipp Werner das Schloss. Zwei Jahre später fand in Mühlhausen unter der Obhut von Walrad Heinrich von Stein eine Inspirierten-Versammlung statt, an der auch der damalige Mühlhausener Pfarrer Brotbeck, wie auch aus den Nachbarorten die Pfarrer Rues (Dürrmenz), Gottlieb Seeger (Lomersheim), Georg Seeger (Friolzheim) und Johann Daniel Fulda (Möttlingen) teilnahmen. Ein Teil dieser Pfarrer wurde später entlassen, beziehungsweise versetzt. Als Brotbecks Nachfolger wurde der später als Liederdichter bekannte Pfarrer Philipp Friedrich Hiller (1699-1769) nach Mühlhausen versetzt, mit dessen Nomination die Kirchenleitung wohl eine Art Brückenschlag herzustellen suchte, zwischen der Ausrichtung des Pietismus, der sich im Rahmen der Amtskirche entwickelte und dem radikaleren Pietismus, der sich von der Amtskirche abwandte, wie er beim Ortsadel Anklang fand.

Quellen

KB, Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterbregister, S. 13.

KB, Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterberegister, S. 20.

KB, Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterberegister, S. 29. 

KB, Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterberegister, S. 30.

KB Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterberegister, S. 35 

 

Literatur

Eberhard Fritz, „Nicht sogleich wiederum zurück, sondern weiter und weiter!“ Die Inspirations-Reisen des Johann Friedrich Rock nach Württemberg und in südwestdeutsche Reichsstädte, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte, Band 115, Stuttgart 2015.

Karl Hittler: Familien in Mühlhausen an der Enz 1641 – 1920: mit älteren Nachweisen ab 1596, Mühlacker 2013.

Das rätselhafte Herz. Ein Fundstück aus einem Familiennachlass

16. März 2021 | | ,

Im Archiv finden sich immer wieder rätselhafte Dinge, deren Bedeutung sich nicht auf Anhieb erschließen lässt. So wie dieses nur 9 x 8 cm große Herz aus dem Nachlass einer Pfarrfamilie, das mit seinen Zahlen, Bildern und Symbolen etliche Fragen aufwirft: Handelt es sich um die Gabe zu einer silbernen Hochzeit, da dieses Herz mit silberner Folie umrahmt ist? Was bedeuten die Jahresangaben in Verbindung mit Ansichten von Gebäuden? Stellen sie etwa die Lebensstationen und Wohnhäuser einer Familie dar, die 23 ½ Jahre in einem Gebäude lebte, dann umzog und dort 1 ½ Jahre lebte und nach 25 Jahren Ehe wiederum ein neues Heim bezog? Unter den jeweiligen Gebäudeansichten sind Garnele, Fisch und Tannenbaum abgebildet. Tanne und Garnele gelten als Fruchtbarkeitsymbole, der Fisch als Symbol der Taufe. Leider finden sich keinerlei Erklärungen zu diesem Fundstück, so dass ein weiter Raum für Spekulationen bleibt.
Während amtliche Überlieferungen aus Pfarr- und Dekanatsarchiven meist vorgegebenen Aktenplänen folgen und daher selten wirkliche Überraschungen bergen, gestaltet sich die Überlieferung privater Nachlässe weit weniger homogen und ist von der Persönlichkeit dessen beeinflusst, der die Unterlagen gesammelt hatte. Im Nachlass der Familien Hermann, der derzeit verzeichnet wird, trifft die Überlieferung verschiedener Familienzweige ganzer Pfarrerdynastien aufeinander. Bedeutende Namen der württembergischen Pfarrerschaft wie Hermann, Faber, Wurm und Sapper finden sich hier wieder, doch bestehen durch Heirat auch Verbindungen zur Klavierfabrik Kaim aus Kirchheim/Teck und dem Münchner Kaim-Orchester.
Einen Gutteil der Überlieferung macht die Korrespondenz zwischen einzelnen Familienmitgliedern aus, die jedoch weit über Privates hinaus von der Amtstätigkeit der einzelnen Pfarrer und späteren Dekanen geprägt ist. Ergänzt wird dieser Nachlass durch einen umfangreichen Fotobestand mit Aufnahmen der jeweiligen Pfarrer, Dekane und Prälat Theodor von Hermann. Fotos aus einer Zeit, in der Fotographie nicht so selbstverständlich und massenhaft vorliegt wie heute.
Dass in einem solch umfangreichen Familiennachlass gelegentlich Skurriles auftaucht, ist nicht ungewöhnlich. Auch wenn das rätselhaft gestaltete Herz die erfahrene Archivarin erst einmal ratlos zurücklässt – hübsch ist es allemal!

Ein Gretchen in Mühlhausen an der Enz

9. März 2021 | |

Im Sterberegister von Mühlhausen an der Enz findet sich unter dem Datum 18. Juli 1746 als Todeseintrag für Christina Margaretha Baumgartner die Bemerkung “Caput ense capitatum est infanticida …”. Der lateinische Passus bezeichnet die Todesart, nämlich den Tod durch Enthauptung, und das Delikt der im Sterberegister eingetragenen: Kindsmörderin (“infanticida”). Wie die Suche im Taufregister ergab, handelte es sich um eine zur Tatzeit achtzehnjährige Bürgerstocher des damals reichsritterschaftlichen Fleckens und um die Mutter eines am 27. August 1745 von ihr gleich nach der Geburt ermordeten Sohnes, dessen Tod ebenfalls im Sterberegister erscheint.  Wie sich über eine einfache Recherche ergab, wurde über den Fall, der zu dem Todesurteil führte, in einem zeitgenössischen juristischen Werk ausführlich behandelt, das heute digital einsehbar ist. Das Urteil erfolgte im Namen der damaligen Ortsherren, der Herren von Stein.

Der Fall wirft ein Licht auf die sozialen Zwänge in der dörflichen Gemeinschaft aber auch darauf, welche Bedeutung es für die Familien hatte, dass man meinte, die Tochter möglichst wohlhabend verheiraten zu müssen. Das getötete Kind war die Frucht einer Liebesbeziehung der Mühlhausenerin mit Albanus Müller, einem jungen Mann aus dem Dorf, die sich um die Weihnachtszeit 1744 ereignet hatte. Zwar hielt er die Hand um sie an, aber etwa zur selben Zeit lag auch ein Eheinteresse von Friedrich Kientsch, dem Sohn des Feldmessers, vor, der aus vermögenderen Verhältnissen kam. Um sich diese in Aussicht stehende bessere Partie, auf die auch ihre Eltern drängten, nicht zu verderben, kam es zu der tragischen Tat, die bald ans Licht kam. Durch eine Obduktion des in einem Versteck beim Haus aufgefundenen Kindes durch den Mühlhausener Chirurgen Georg Friedrich Eulenfuß wurde ermittelt, dass der Tod nicht durch eine natürliche Ursache eingetreten war. Im peinlichen Verhör, – also unter der Folter – , gestand die junge Frau alles, plädierte aber auf mildernde Umstände, da sie sich durch ihre Eltern wie auch durch ihre Freunde unter Druck gesetzt gefühlt habe, die bereits im Dorf gemutmaßte Schwangerschaft zu verheimlichen.

Die Geschichte ist etwas anders gelagert als bei der von Johann Wolfgang von Goethe geschaffenen Figur des verführten, dann zur Kindsmörderin gewordenen und schließlich zum Tode verurteilten “Gretchens”, aber angesichts der Namensgleichheit (Margarethe) und des gleichen Zeitraums (18. Jahrhundert), liegt es doch nahe, den Eintrag im Kirchenregister in eine Beziehung zu der sehr bekannten und zentralen Figur aus dem “Faust” zu setzen. Beide lebten in kleinen Verhältnissen und sahen sich durch die Situation einer ungeplanten Schwangerschaft überfordert, so dass sie das uneheliche Kind ermordeten.

Tatsächlich geht man davon aus, dass es ein reales Vorbild für die Gretchenfigur gab. Diese war allerdings nicht Christina Margaretha Baumgartner, sondern Susanna Margaretha Brandt aus Goethes Heimatstadt Frankfurt am Main, die 1772 bei der dortigen Hauptwache den Tod durch Enthaupten fand.

Zu einer literarischen Bearbeitung führte allerdings auch der Fall der jungen Mühlhausenerin. Der damalige Ortsherr Baron Walrad Heinrich von Stein (auch: vom Stain) wurde durch den Fall so bewegt, dass er am 28. August 1745, – dem Tag nach der Ermordung des Knaben -, ein etwa 20seitiges Klagelied verfasst hat, welches heute in der Handschriftenabteilung der Württembergischen Landesbibliothek aufbewahrt wird.

Quellen

KB Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterberegister, S. 21

KB Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Sterberegister, S. 19

KB, Mühlhausen an der Enz, Mischbuch 1727-1799, Taufregister, S. 1. 

Walrad Heinrich vom Stain: Schmerzliche Weheklage über Margaretha Baumgärttner. Klagelied in 66 Strophen über die Kindsmörderin. Verfasst am 28. August 1745. Württembergische Landesbibliothek, Handschriften, Cod. Poet. Et Phil. 4° 180.

Johann George Estor, Gründlicher Unterricht von geschickter Abfassung der Urtheln …, Marburg 1749, S. 704-766.

Karl Hittler, Familien in Mühlhausen an der Enz 1641 – 1920: mit älteren Nachweisen ab 1596, Mühlacker 2013, S. 56.

Ungewöhnliche Beerdigung mit Liedern

21. Januar 2021 | | ,

Am 6. August 1759 starb Johann Bernhard, der Sohn des Witticher Farbmeisters Sigmund Christian Mayer und dessen Ehefrau Juliana, und wurde am 8. August 1759 in Reinerzau beerdigt. Wie der Pfarrer selbst im auf Lateinisch verfassten Schlusssatz des Todeseintrages angegeben hatte, war die Beerdigung des Johann Bernhard eine ungewöhnliche Zeremonie, weshalb er eine ausführliche Beschreibung derselben als Erinnerung für Zukünftige notiert hatte. Der Eintrag lautet wie folgt:

„Herrn Sigmund Christian Mayern, Farb-Meistern auf der benachbart Witticher Farb-Mühle ein Söhnlein, namens Johann Bernhard, an Gichter gestorben, welche ihn plözlich unvermuthet in 19 – 20 Stunden seines Lebens beraubten, aetatis [= seines Alters] 9 Jahr 11 Monath 2 Tag. Es kam auch ein Schlag- und Stek-Fluß darzu. Erat natus [= er wurde geboren] den 4. Septembris 1749, er sang den 4ten abends vor Schlafengehen noch aus eigenem Drieb, mit innigster Herzens-Raegung die 3 Lieder (deren er sehr viele auswendig kunnte, und sehr gluklich in Erlernung derselben war) ‘ach! wie nichtig, ach! wie flüchtig ist der Menschen Leben‘ etc. ‘Sey getreu in deinem Leiden, laße dich kein Ungemach‘ etc. und ‘ach! alles was Himmel und Erden umschließet‘ etc. Die beede erstere Lieder wurden rogatu parentum [= auf Wunsch der Eltern] bei der Leiche gesungen, und das leztere auf der Eltern Begehren nach geendigter Parentation [= Grab- oder Leichenrede] vorgeleßen vom Pastore in dieser Ordnung. Weilen es stark und anhaltendes Regenwetter war, so wurde die Leiche unter Absingung des Liedes: ‘ach! wie nichtig ach! wie flüchtig‘ in die Kirche getragen, und vor dem Altar niedergesezet; darauf hielte Past[ore] die Parentation, und verlaß cum conexione [= in Verbindung] mit derselben das Lied: ‘ach! alles was Himmel und Erden umschließet‘ etc. Darauf wurde die Leiche wieder aufgehoben und unter begehrter Absingung des Liedes: ‘Sey getreu in deinem Leiden‘ wieder aus der Kirche hinaus und zu Grabe gebracht. Als sich der Leichen-Convent wider in die Kirch zurukbegeben, wurden 4 Verse von dem Lied: ‘Ich sterbe täglich und mein Leben geht näher zu dem Grabe hin‘ etc. abgesungen, und darauf eine Bettstund mit Verlesung des XC. [Psalm] gehalten. Propter cerimonias has, h.l. alias insolitas, pastor hac in memoriam futurorum temporen […] annotare voluit.“

Diese Beerdigung wich wohl deutlich vom sonst üblichen Ritus ab. Aber nicht nur die Zeremonie war ungewöhnlich, sondern auch der Eintrag selbst ist es. Selten findet man in den Kirchenbüchern zu einem Kind mehr Information als die Angaben der Eltern, des Namens, des Geschlechts und des Alters. Dass der Pfarrer die Leidenschaft des Johann Bernhard für das Singen so genau beschrieben hat, dürfte so gut wie einmalig sein. Auch die detaillierte Beschreibung der Zeremonie ist äußerst selten.

Die im Todeseintrag angegeben Krankheiten Gichter, Schlag- und Steckfluss sind in Todeseinträgen der damaligen Zeit oft als Todesursache genannt. Mit Gichter wurden verschiedene meist krampfhafte Krankheitserscheinungen bei Kindern, deren Ursachen sehr verschieden sein konnte, bezeichnet. Unter einem Schlagfluss ist meist ein Gehirnschlag oder Schlaganfall, mit Steckfluss das Asthma bronchiale gemeint.

Musik- und sozialgeschichtlich interessant dürfte die Nennung der Lieder sein und die Erkenntnis, dass sie auch an dem von den großen Städten und Bildungseinrichtung des Herzogtums doch weit entlegenen Ort im Schwarzwald bekannt waren und selbst von einem 9-jährigen Jungen gekonnt und gesungen wurden.

Zum Verständnis der im Todeseintrag gemachten Angaben sind noch die bergbaulichen und konfessionellen Verhältnisse um Reinerzau zu erklären. Südwestlich von Reinerzau liegen die Täler Kaltbrunn und Wittichen, die damals zum Fürstentum Fürstenberg gehörten. In den Bergwerken in Wittichen wurde u.a. Kobalt abgebaut, das in einer Farbmühle zur Farbherstellung (Cobaltblau) zermahlen wurde. Interessanterweise wurde die Farbmühle ab der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von württembergischen Kaufleuten finanziert. Das Fürstentum Fürstenberg hatte, wie auch das Herzogtum Württemberg, zur Förderung des Bergbaus erfahrene Bergleute aus anderen Bergbauregionen, z.B. dem sächsischen Erzgebirge, das evangelisch geprägt war, angeworben. Da das Fürstentum katholisch war, waren die evangelischen Bergleute in den genannten fürstenbergischen Tälern bei der benachbarten evangelisch-württembergischen Pfarrei in Reinerzau eingepfarrt.

 

Anmerkung

Die Titel der Lieder sind in der Transkription mittel Hochkommas (‘) hervorgehoben, der Pfarrer hatte diese nicht verwendet.

 

Quelle

KB Reinerzau, Totenregister 1747-1812, S. 10

KB Reinerzau, Taufregister 1558-1815, S. 176

Zeno.org: Gichter

Zeno.org: Schlagfluss

Zeno.org: Steckfluss

Gemeinde Schenkenzell: Silber und Kobalt – Die Geschichte des Bergbaus in Schenkenzell und Umgebung

 

Liedtexte und weitere Informationen

https://hymnary.org/text/ach_wie_nichtig_ach_wie_fluechtig

https://hymnary.org/text/sei_getreu_in_deinem_leiden_lasse_dich_k

https://hymnary.org/text/ach_alles_was_himmel_und_erden_umschlies

https://hymnary.org/text/ich_sterbe_taglich_und_mein_leben

 

Hörbeispiele (youtube)

J.S. Bach – Kantate BWV 26 Ach wie flüchtig, ach wie nichtig | 1 Chorus (J. S. Bachstiftung)

The Playfords – Ach wie flüchtig, ach wie nichtig

Ein „monströses“ Kind

17. September 2020 | | ,

Die Menschen der Frühen Neuzeit waren fasziniert vom Fremden und Unbekannten, weshalb vor allem an fürstlichen Höfen so genannte Kuriositätenkabinette entstanden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der Pfarrer von Unterheinriet die Fehlbildungen des am 9. Mai 1753 geborenen und auch getauften und namenlos gebliebenen wohl weiblichen Kindes des Schneiders Johann Eberhard Binder und seiner Ehefrau Margaretha detailliert – und in teils derben Worten – beschrieben hatte:

„Dieses war ein monstreuses Kind, in dem Gesicht sahe es ganz geschuppt aus wie ein Spiegel-Karpff, die Augendeckel waren ganz feüerroth, hatte eine kleine eingebuckte Nase mit 2 großen Löchern, die Ohren waren ganz hinten angewachsen, und an dem übrigen Leib, Händen, Armen, Schenckel und Füßen hatte es von außen her die Gestallt wie eine fetter abgezogener Hammel mit weißen und rothen Strichen durchströmgig, wurt von mir dem Pfarrer in seiner großen Schwachheit zu Hauß getauft und starb, nach vorherig geschehener Berichtung an das Löbliche Oberamt anderen Tags.“

 

Anmerkung

Spiegel-Karpff = Spiegelkarpfen, Zuchtform des Karpfens

 

Quelle

KB Unterheinriet, Mischbuch 1736-1808, Taufregister 1741-1775, S. 53

Die kriegsbedingte Biografie des Schulmeisters Hans Meckh

27. Juli 2020 | | ,

In einem Totenregister von Willmandingen (Sonnenbühl, Lkr. Reutlingen) ist unter dem 10. Dezember 1670 der Begräbniseintrag des Schulmeisters Hans Meckh (Meekh, Möck, Mäck) zu finden. Neben den üblichen Angaben sind außerdem biografische Informationen vermerkt. Aus diesem geht hervor, dass der Schulmeister wegen Krieg und Hunger seinen Heimatort verlassen und sich über zehn Jahre an anderen Orten verdingen musste:

„Den 10. 10bris ist ehrlich mit dem Gesang der Schuler zur Erden bestattet worden unser alter Schulmeister Hans Meekh, welcher 75 Jahr alt worden, vor der Nördlinger Schlacht 14 Jahr Schulmeister gewesen der Krieg und Hunger hat ihn auch hinweg gebracht, da er sich dann zu Lindau am Bodensee als ein Quardirknecht 5 Jahr brauchen laßen, und umb Memingen in der Statt und in Dörfern bey 5 Jahr gewesen. Nach dem Friedenschluß anno 1648 ist er wider gekommen und abermal 18 Jahr Schulmeister mit Lob gewesen, 5 Jahr lang wegen Alters den Dienst nit versehen können, vom Heiligen [= Kirchenvermögen] hat man ihme von den letsten Wochen im Monat Octobri 1669 an, wochentlich 6 Kreuzer auf Vogt und Specials Bewilligung durch mich, Ambtmann und Gericht gemacht und geraicht worden.“

Die Nördlinger Schlacht war eine entscheidende Schlacht während des Dreißigjährigen Krieges am 5. und 6. September 1634 bei Nördlingen im heutigen Bayern, die von protestantischer Seite, Schweden und Verbündete, verloren wurde und die weitreichende Folgen hatte. Der württembergische Herzog Eberhard III. floh nach Straßburg. Große Teile des Herzogtums wurden von katholisch-kaiserlichen Truppen besetzt, ganze Landstriche geplündert und verwüstet. Kaiser Ferdinand II. verschenkte große Gebiete Württembergs an Verwandte und Verbündete. Erst durch den Westfälischen Frieden 1648 erhielt der Herzog das Herzogtum zurück.

Als Schulmeister wurde Meckh bei den alljährigen Visitationen neben dem Pfarrer ebenfalls geprüft, so dass weitere Informationen zu ihm in den für das 17. Jahrhundert nur lückenhaft überlieferten Visitationsprotokollen zu finden sind. Im Protokoll für den 9. Mai 1654 wird über ihn und seinen Schuldienst berichtet:

„Vor dißem [Schuldienst] diese Schul versehen 14 Jahr lang, und an jetzt nachdem Willmandingen wider auß oesterreichischer Hand liberirt worden in die 7 Jahr. Ist bey fürstlicher Cantzley examinirt und confirmirt worden. Vergangenen Winter Schul gehalten, Knaben gehabt 21, Mägdtlin 6. Versihet neben der Schul auch die Mesnerey.

Testimonium Ludimoderatoris: Hat ein gut Lob seines Verhaltens halber. Sey vleissig mit den Schulkinder, lehr sie wol, wie er dan Kinder solle haben, die in die 20 und 30 Psalmen außwendig sollen können her sagen. So warte er auch vleissig der Mesnerey ab, also das niemandt uberal an ihme habe etwas zu klagen.“

Die Visitationsprotokolle für 1656 und 1658 bis 1661 äußern sich ähnlich positiv. Auch seine kriegsbedingte Abwesenheit wird mehrfach erwähnt. Aus den Protokollen geht außerdem hervor, dass er keine eigenen Kinder hatte. Das Protokoll für 1667 ist das letzte, in dem Meckh erwähnt wird. Dort heißt es:

„Hatt seinen Officio nach Vermögen abgestattet, ist hierüber erkranckhet, und würdt wegen hohen Alters die Schul nicht mehr versehen kenden.“

Hans Meckh war also von 1620 bis 1634 und von 1648 bis 1667 Schulmeister in Willmandingen. In den 14 Jahre dazwischen war er kriegsbedingt nicht in Willmandingen. In seinem Begräbniseintrag findet man Informationen darüber, wo er sich ca. zehn Jahre aufhielt, für die restliche Zeit liegen keine Informationen vor. Er wird vermutlich, wie andere durch den Krieg Vertriebene, auf der Suche nach Arbeit, Nahrung und Obdach durchs Land gezogen sein, immer auf der Hut vor marodierenden Söldner.

Aufgrund der Altersangaben in seinem Begräbniseintrag und in den Visitationsprotokollen kann seine Geburt auf das Jahr 1595 eingegrenzt werden. Da die Kirchenbücher von Willmandingen jedoch erst ab 1641 überliefert sind, kann sein genaues Geburts- oder zumindest das Taufdatum leider nicht festgestellt werden.

 

Quellen

KB Willmandingen, Mischbuch 1641-1807, Totenregister 1647-1728, ohne Seitenzählung

Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 281, Bü. 1026, II, Bl. 13v (Visitationsprotokoll 1654)

Landeskirchliches Archiv Stuttgart (LKAS), A 1, Nr. 20, Bl. 284r (VP 1656)

LKAS, A 1, Nr. 22, Bl. 339v (VP 1658)

LKAS, A 1, Nr. 23, Bl. 349v (VP 1659)

LKAS, A 1, Nr. 24, Bl. 349v (VP 1660)

LKAS, A 1, Nr. 25, Bl. 363v (VP 1661)

LKAS, A 1, Nr. 27, Bl. 367r (VP 1667)

Eine gut gezeichnete Illustration eines traurigen Anlasses

20. Juli 2020 | | ,

Die Einträge ungewöhnlicher Todesfälle in Totenregistern zeichnen sich meist durch umfangreicheren Text aus. In einem Totenregistern von Neuenstadt am Kocher sticht einer dieser Einträge aber in erster Linie durch die gut gezeichnete Illustration am Rand des Eintrages hervor, die das für den Tod ursächliche Unglück unmissverständlich darstellt, ohne dass der Betrachter noch den Text lesen muss. Dieser lautet wie folgt:

 

  1. Oktober 1605: „Peter Pfläderer, der alt, über die 70 Jahr, ist draußen auff der Fuhrstrasse, als er mit Saltzscheiben widerumb heimgefahren, über den Wagengaul abgefallen, das vorder Radt ist ihme über ein Fuß, das hinder über den Leib gangen, das er in 2 Stunden hernachen, zu Stopffloch, einem bapistischen Flecken, dem Khummeter von Ellingen zugehörig, ein halb Meil wegs von Weißenburg am Sandt, gestorben, undt folgends daselbst begraben. Ist allhier seiner Meldung gethan worden, den 8. Tag Novembris, am gmeinen Gebettstag.“

 

Das Fuhrwerk des Peter Pfläderer hatte, wie auch in der Illustration dargestellt, keinen Kutschbock. Die dargestellte Kutsche wurde von drei hintereinander angespannten Pferden gezogen (Pfläderers Kutsche hatte vermutlich sechs paarweise hintereinander angespannten Pferde, die aber auf der Zeichnung nicht dargestellt werden konnten). Es saß deshalb wahrscheinlich selbst auf einem der Pferde, von dem er heruntergefallen und unter die Räder geraten war. Aus dem Todeseintrag geht nicht hervor, ob ihn jemand gefunden und nach Stopffloch, dem wohl nächstgelegenen Ort, gebracht hatte oder ob er selbst noch dorthin gefahren war.

Einen Ort „Stopffloch“ gibt es nicht. Im bayerischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen gibt es jedoch den Ort Stopfenheim, heute Ortsteil von Ellingen in Mittelfranken. Dieser kleine katholische Ort gehörte einst zur Landkommende Ellingen des Deutschen Ordens, unterstand also dem dortigen Komtur. Es ist anzunehmen, dass dieser Ort gemeint ist, auch wenn die Entfernungsangabe von einer halben Meile (1 Meile = ca. 7,5 km) bis Weißenburg in Bayern nicht passt, da die tatsächliche Wegstrecke ca. 10 km beträgt. Klarheit könnte hier das entsprechende Totenregister von Stopfenheim bringen, jedoch sind die dortigen Kirchenbücher erst ab 1635 überliefert.

Peter Pfläderer hatte, wie im Kirchenbucheintrag beschrieben, und auf der Darstellung auch gut erkennbar, sogenannte Salzscheiben geladen, von denen jede anderthalb Zentner gewogen haben dürfte. Ein Loch in den Scheiben ermöglichte, diese beim lokalen Salzhändler aufzuhängen und wohl auch, sie für den Transport aneinanderzuzurren. Das Wasser der Solequellen wurde damals in riesigen Pfannen gesotten. Daraus erklärt sich die für heutiges Verständnis seltsame Form der Salzportionen. Woher das hier dargestellte Salz stammte, wird nicht klar. Aber der Fuhrmann befand sich auf dem Heimweg, so dass Schwäbisch Hall wohl nicht in Frage kommt. Zeitgenössische Abbildungen von solchen Salzfuhrwerken dürften jedenfalls sehr selten sein.

Der Zeichner der Illustration war wahrscheinlich der registerführende Pfarrer Christoph Kautz (1561-1607).

 

Quellen

KB Neuenstadt am Kocher, Mischbuch 1555-1636, Totenregister 1558-1636, Bl. 168r

wikipedia, Meile

wikipedia, Stopfenheim

wikipedia, Liste der Kommenden des Deutschen Ordens

Diözesanarchiv Eichstätt, Kirchenbücher

Biografische Informationen zu Christoph Kautz

Illustrierte Todeseinträge von hingerichteten Personen

13. Juli 2020 | | ,

In Neuenstadt am Kocher findet man in zwei Totenregistern mehrere Einträge, die durch Skizzen von Schwert und Rad, eines Schwerts oder eines Scheiterhaufens markiert sind. Diese Einträge sind solche von hingerichteten Personen. Zwar kann angenommen werden, dass es auch in Totenregistern anderer Pfarreien entsprechend markierte Einträge gibt, jedoch ist eine solche Häufigkeit eher selten. Ob in Neuenstadt mehr Hinrichtungen stattfanden, als in anderen Gerichtsorten, wird eher nicht angenommen.

In den Todeseinträgen sind die Verurteilten, ihre Vergehen und die Hinrichtungsart sowie teils ihr Alter genannt. Auf den ein oder anderen Leser mögen diese Einträge verstörend wirken, speziell auch dass die Todesstrafe auch bei Jugendlichen angewandt wurde. Es muss jedoch bedacht werden, dass im 17. Jahrhundert völlig andere Moralvorstellungen herrschten, als heute. Daraus resultierten auch die harten Strafen für (vermeintliche) Straftaten.

22.10.1602: „Ist Bartlin Wirth von Steinkirch[en] auß der Grafschafft Hohenloch von wegen nachfolgenden bösen Stückhen, als das er ein Ursach war das sein aigen Kind in der […] ertrunckhen, die weil er seinem Eheweib offtermals nach dem Leben gestelt, dißgleichen auch mit Diebstall und Ehebruch sich vergriffen, nach ergangenem Urteil mit dem Schwert vom Leben zum Todt gericht, hernach auf das Rad gelegt, christlich und mit vorhergangener hertzlicher Bekantnus und Reu über seine Sünd verschieden, war ein junger Mann auf etlich und 20 Jar alt, welches […] hatte auch in seiner Gefänckhnus communiciert.“

Das ein bereits Hingerichteter durch auf das Rad legen noch weiter bestraft wird, erscheint aus heutiger Sicht unnütz. Zur damaligen war man aber der Ansicht, dass die jeweilige Person auch über den Tod hinaus bestraft werden konnte. Außerdem diente der Leichnam als Abschreckung für andere.

 

07.12.1603: „Stoffel Götz von Ruocksen [= Ruchsen] (Mentzischen Gebietts in die Cent Meeckmüll [= Möckmühl] gehörig) ein Wildtprettschütz, ist wegen seines meinaidt[igem] Uhngehorsams und muttwillens, weil ehr zum vierten Mahl wid[er] kommen, mit dem Schwerdt alhir gerichtet worden.“

Dieser Eintrag ist schwer zu lesen, weshalb auch nicht richtig klar wird, welches schwere Vergehen Stoffel Götz verbrochen hatte.

 

22.07.1639: „Georgius Jomann, ein verruffer Landtdieb, Burger zuo Eberstall, Krautheimer Ampts, sonsten von Biringen gebürtig, Religionis pontificiae, darauff er auch gestorben, wesswegen ihm man das Schwerth laßen gedeyen, durch Fürbitt der Cappuciner bey H[errn] Graven von Trautmansdorff Oberamptmann, da er sonsten mit dem Strang hatt sollen gerichtet werden, hatt solches Urtheil außgestanden den 22. Julii“.

Georgius Jomann hatte das „Glück“, mit dem Schwert geköpft und nicht am Strang erhängt zu werden, da letzteres unter Umständen einen langsamen und qualvollen Tod bedeutet hätte. Außerdem wurde das Erhängen – diese Unterscheidung ist aus heutiger Sicht unverständlich – von der damaligen Gesellschaft als eine unehrenhafte Strafe, das Enthaupten mit dem Schwert als ehrenvolle Bestrafung angesehen. Die psychische Belastung dürfte jedoch dieselbe gewesen sein.

 

27.11.1656: „Den 27. Novembr[is] ist Barbara, Jerg Mörten s[elig] Wittib, welche wegen lang verübter Hexerei zue Cl[ever]sultzbach, in Gleichem Anna, Balthas Laysen Wittib von Michelbach, und Anna, Hanß Nollen Wittib, von Bretach, alß auch uberzeügte Hexen alhir decolliert [= enthauptet], nachgehendts zue Aschen verbrannt worden.“

Dem hier genannten „Verbrechen“ fielen im 16. bis 18. Jahrhundert leider sehr viele und definitiv unschuldige Menschen – zumindest was den Vorwurf der Hexerei betrifft – zum Opfer. Auffällig in diesem Eintrag ist, dass alle drei Frauen Witwen und somit ohne Schutz oder Unterstützung durch den Ehemann waren. Auch hier wurde eine Bestrafung nach dem Tod angewandt. Die Leichen der enthaupteten wurden verbrannt, so dass die Leichname nicht beerdigt werden konnten und die Seelen keine Ruhe fanden.

 

11.09.1666: „Den 11. 7bris ist Fridrich Kugler, 15. Annorum [= Lebensjahr], Andreas Kuglers geweßener Sattelknecht Sohn, welcher sodomiticam abominationem cum vitulo tertia vice agirt [= welcher die Sodomie mit einem Kalb zum dritten Mal begangen hatte], decollirt, und zur Aschen verbrannt worden.“

Dass ausdrücklich erwähnt wird, dass Fridrich Kugler die Tat zum dritten Mal begangen hatte, könnte ein Hinweis darauf sein, dass man bei diesem Jugendlichen die Strafe nicht gleich beim ersten Mal anwenden wollte. „Doppelstrafe“ wie beim vorherigen Eintrag.

 

30.10.1666: „Den 30. 8bris ist Stoffel Hilckers, Endris Hilckers Bueb von Lampoltzhausen decollirt und p[er]plex[us] [= verworrener] Sodomiam verbrannt worden.“

Ob es sich in diesem Fall um einen ähnlichen wie den vorhergehenden gehandelt hat, bleibt offen. Unter Sodomie verstand man damals, vor allem aus kirchlicher Sicht, jedes Sexualverhalten, das nicht der Fortpflanzung dient, also etwa der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern oder auch nur Masturbation. Das Alter des Stoffel Hilckers ist nicht angegeben, jedoch deutet die Bezeichnung „Bueb“ darauf hin, dass er noch ein Jugendlicher war.

 

15.07.1673: „Den 15. Julii ist Maria, Veit Webers sel[ig] Wittib mit ihrer Tochter Anna Maria Hambergerin wegen begangenem Kindsmords tecollirt und auff dem eüßern Kürchhof begraben worden.“

Welches Motiv die beiden Frauen für ihre Tag hatten, wird in dem Todeseintrag nicht erwähnt. Eine Recherche in der im Hauptstaatarchiv Stuttgart überlieferten Akte könnte diese Frage beantworten.

Quellen

KB Neuenstadt am Kocher, Mischbuch 1555-1636, Totenregister 1558-1636, Bl. 166r (22.10.1602)

KB Neuenstadt am Kocher, MB 1555-1636, To 1558-1636, Bl. 166v (07.12.1603)

KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 141r (22.07.1639)

KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 170r (27.11.1656)

KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 178v (11.09.1666, 30.10.1666)

KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 185v (15.07.1673)  

Allgemeiner Literaturhinweis: Unsere Arbeitshilfe zur Forschung mit den württembergischen Kirchenbüchern kann zum Preis von 5,00 Euro bestellt werden.

Zwangstaufe eines türkischen Kindes in Mühlhausen an der Enz im Jahr 1689

6. Juli 2020 | | , ,

Bei den militärischen Aktionen der Reichstruppen auf dem Balkan, die sich nach der misslungenen osmanischen Belagerung Wiens (1683) entfalteten, wurden auch Menschen verschleppt, die zumindest teilweise nach Württemberg gelangten, vor allem nach der Eroberung von Belgrad im Jahr 1688. Unser Blogbeitrag vom 28. Mai 2020 macht auf einen solchen Fall aufmerksam. Der Blog von Leo-BW hat kurz nach dieser Veröffentlichung diese Verschleppungen in den historischen Kontext eingeordnet. Wir kennen aus unseren Kirchenbüchern, die vermutlich noch viele solche Taufen enthalten auch einen anderen, aber anders gelagerten Fall. Es gab offenbar auch vereinzelt Türken, die sich im Verlauf dieser militärischen Ereignisse von den Reichstruppen anwerben ließen. Hier haben wir den Fall eines türkischen Dragoners, seiner ebenfalls türkischen Frau, und seines neu geborenen Sohnes. Während die muslimische Religionszugehörigkeit des Reiters offenbar kein Hinderungsgrund für die Anwerbung war, verfuhr man bezüglich seines Kindes auf eine drastische Weise.

Dem Eintrag von Pfarrer Johann Reichard Lang im Taufregister ist zu entnehmen, dass er am 31. Oktober 1689 in der Albanikirche in Mühlhausen an der Enz Zwillinge taufte. Ihm wurde durch Offiziere des kurbayerischen Dragoner-Regiments, das damals für einige Tage in dem damals reichsritterschaftlichen Dorf Mühlhausen im Quartier lag, überraschend noch ein weiteres Kind gebracht, das er taufen sollte. Die Eltern dieses Kindes waren Türken. Der Vater diente im kurbayerischen (Arcos`schen) Dragonerregiment, das im Jahr davor gegen die osmanischen Truppen gekämpft hatte und bei der erfolgreichen Einnahme Belgrads beteiligt gewesen war. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation stand damals in einer Art Zweifrontenkrieg gegen Frankreich im Westen und das Osmanische Reich im Südosten, so dass Truppen teilweise zwischen diesen Kriegsschauplätzen hin- und herwechselten. Das kurbayerische Regiment befand sich vom 29. Oktober bis 2. November in Mühlhausen an der Enz, wo auch der genannte türkische Dragoner und seine ebenfalls türkische Frau, und das gemeinsame Kind untergebracht waren. Die Gelegenheit, dass er an diesem Tag mit einem Trupp in Nachbardörfern, beziehungsweise in der Umgebung unterwegs war, um zu Fouragieren, also um Lebensmittel oder Pferdefutter zu besorgen, nutzten seine Vorgesetzten jedoch dazu, seinen Sohn zum Christen zu machen. Die anwesende Mutter wehrte sich „heftig“ gegen dieses Ansinnen. Mit Hilfe einer anderen Soldatenfrau konnte das Kind „mit Gewalt“ aus dem Quartier des türkischen Ehepaars geholt und in die Kirche vor den Taufstein gebracht werden, wo der Pfarrer angewiesen wurde, es auf den Namen Hans Adam Mühlhäuser zu taufen. Der Name der Eltern blieb dem Pfarrer unbekannt. Der Nachname wurde nach dem hiesigen Ort gewählt, die Vornamen offenbar nach dem erst einige Wochen zuvor verstorbenen Ortsherren Hans Adam von Hohenfeld (1652-1689). Die Paten waren die kurbayerischen Offiziere Hauptmann de Mardin, Hauptmann Heim, Hauptmann Baron Rohrbach, Hauptmann Trollinger, Hauptmann Leva, Leutnant Hopffner, Fähnrich (“Fendtrich”) Harm. Das weitere Schicksal des zwangsgetauften Knaben ist unbekannt.

Text des Eintrags:

“Es hat sich aber zugetragen, d[aß] zwar mir Pfarrern vor dem Taufstein unbewußt war ein türkisches Kind, solle mit obgesetzten zweyen Zwillingen mitgetauft und zu einem Christen gemacht werden, dessen Eltern, Vater und Mutter, geborene Türken waren, die türkische Mutter sich aber deswegen heftig gewägert (gewehrt) und sich durchaus dazu nicht verstehen wollen, daß ihr Kind sollte getauft werden. Bis die Herren Officiere in Abwesenheit ihres Manns, der ohne des Fourage geritten, solches durch eine Soldatenfrau mit Gewalt aus ihrem Quartier nehmen lassen, die es dann in die Kirche vor den Taufstein gebracht und mit obermeldten Zwillingen getauft und den christlichen Namen aus Befehl der Herren Officierers Hans Adam Mühlhausser gegeben worden. Eltern: Waren geborene türkische Eltern, deren Namen mir unbekannt. Waren unter dem Churbayerischen Arzischen Regiment Dragonersleuth.”

Link zur Originalquelle auf Archion:

Taufeintrag im Mischbuch von Mühlhausen an der Enz vom 31.10.1689

 

Politik geht vom Volk aus

2. Juli 2020 | |

Politik geht vom Volk aus und sein Instrument sind Wahlen. Gerade heute wird dieses Instrument immer wichtiger, wer nicht wählen geht, wählt populistisch. Auch damals war man sich der Bedeutung und der Macht der Wahlen bewusst. Mit Kreuzen und Strichen versehene Stimmzettel der Gemeinderatswahlen in der Stadt Ulm am 11. Mai 1919 aus dem Archiv der Ulmer Münsterbauhütte lassen erahnen, dass Politik im Alltag der Bürger eine Rolle spielte und angekommen war. Ob die Notizen vom Münsterbaumeister oder einer seiner Mitarbeiter stammen, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Fest steht aber, das man sich Gedanken gemacht hat und offensichtlich ein breites politisches Spektrum als wählbar ansah. Den erhaltenen Notizen zufolge lag die Deutsche Demokratische Partei Ulms bei den Mitarbeitern der Münsterbauhütte hoch im Kurs, gleich 19 Kandidaten sollten drei bis sechs Stimmen bekommen, gefolgt von der Sozialdemokratischen Partei mit zehn Kandidaten und der Zentrumspartei mit neun Kandidaten. Schlusslicht bildeten hier die Württembergische Bürgerpartei mit vier Kandidaten und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Ulm-Söflingen mit nur einem Kandidaten, der drei Stimmen erhalten sollte. Ob tatsächlich so aus der Münsterbauhütte heraus gewählt wurde, bleibt Spekulation.

Quelle: Ulm, Münsterbauhütte, 538

Hochschwanger von Peterzell bei Alpirsbach nach Sulz am Neckar

29. Juni 2020 | | ,

Normalerweise ist der Taufeintrag eines ehelich geborenen Kindes recht übersichtlich. Er enthält das Datum der Taufe, später auch das Datum der Geburt, den Ort der Geburt bzw. den Wohnort der Eltern sowie die Namen des Kindes (oder der Kinder bei Mehrlingen), der Eltern, der beiden Paten und der Patin. Bei den Paten finden sich oft auch Angaben zum Beruf, in einigen Pfarreien auch beim Vater. Der Taufeintrag eines unehelichen Kindes enthält meistens noch Angaben zum Vater der Mutter sowie zum Vater des Vaters – sofern dieser bekannt war – und Angaben, ob er sich zu Vaterschaft bekannt hat.

Nun gibt es aber auch Taufeinträge, die um einen umfangreichen Fließtext ergänzt wurden. Dies deutet auf besondere Umstände der Geburt oder der Taufe hin. Diese Umstände geben dem ansonsten eher kargen Informationsgerüst etwas Leben und gewähren einen kleinen Einblick in das damalige Leben.

Im Taufregister der Pfarrei Peterzell bei Alpirsbach im Schwarzwald, die auch für den Nachbarort Römlinsdorf zuständig war (und auch heute noch ist), findet man unter dem Eintrag vom 6. Februar 1706, dem Taufeintrag für Johann Jacob, Sohn des Andreas Wörner, Tagelöhner in Römlinsdorf, und dessen Ehefrau Christina, eine solche umfangreichen Ergänzung:

„NB. [= notabene:] Obgedachtem Andreas Wörners Haußfrau hatt den 6ten Februar wollen auff Sultz gehen, daselbsten Saltz zu kauffen; als sie nun in dem Heimgehen begriffen war, wurde sie in dem Sultzer Wald von den Kindswehen überfallen und gebahr auff denen Weydener Äckhern disen ihren jung Sohn; worzu ein Burger von Röthenberg kommen, der solch Kind von ihr abgelößet, in sein wullen Hembd gewickhelt, auch die Kindbetterin mit sich nachen Marschelckhen Zimmern geführet hatt, allwo sie erst die Secundinam [= Nachgeburt] abgeleget und weil weegen großer Kälte das Kind sehr schwach, es allda durch den Herrn Vicarium M[agister] Heidecker in des allten Schulmeisters Hauß, noie [= nomine = namens] Egmann, gähtauffen lassen; weil nun die Kindbetterin erst folgenden 7. Februar sich uff einem Pferdt nach Rimmlinsdorff führen lassen, als ist das Kind den 8ten Februar darauff hier der Ordnung gemäß in der christlichen Kirche von obgenanndten Gevatterleüth vorgetragen worden.“

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass es im 18. Jahrhundert so etwas wie Mutterschutz nicht gab und die Frauen bis kurz vor der Geburt arbeiteten bzw. arbeiten mussten. Dennoch ist es erstaunlich, dass Andreas Wörners Ehefrau Christina den ungefähr 14 km langen Fußmarsch nach Sulz am Neckar, für den sie schätzungsweise zweieinhalb bis drei Stunden unterwegs war, trotz winterlicher Temperaturen und hochschwanger auf sich genommen hatte, um Salz zu kaufen. Wie viel sie gekauft hatte, ist nicht erwähnt, jedoch kann man davon ausgehen, dass sie sich nicht nur wegen ein paar Gramm auf den Weg gemacht und deshalb auf dem Rückweg eine größere Last zu tragen hatte.

Als sie ihren Sohn Johann Jacob außerhalb des Waldes auf den zum Ort Weiden gehörenden Äckern zur Welt brachte, hatte sie ungefähr die Hälfte des Rückweges bereits hinter sich. Glücklicherweise war auch ein Bürger von Rötenberg auf der Strecke, der sie dann nach Marschalkenzimmern, der nächstgelegenen Siedlung, die außerdem wohl auf seinem Weg lag, brachte, wo sie über Nacht blieb. Im dortigen Taufbuch ist als Geburtsort der Sulzer Wald unweit des Dorfes angegeben. Ob ihr Ehemann benachrichtigt wurde oder ob er sorgenvoll bis zum nächsten Tag ausharren musste, bleibt ungeklärt. Festgehalten hat der Peterzeller Pfarrer, dass das Kind ordnungsgemäß und wie es damals üblich von den Paten, Jacob Wößner, genannt „Burgöscher“, Bauer in Römlinsdorf, Johann Jacob Wößner, Junggeselle in Hönweiler, und Christina, Ehefrau von Andreas Beesch, Bauer in Römlinsdorf, zwei Tage nach seiner Geburt in der Kirche vorgetragen, die Geburt und Taufe also der Gemeinde bekannt gegeben wurden.

Eine Taufe in Peterzell fand nicht statt, da Johann Jacob wegen kältebedingter Schwachheit bereits in Marschalkenzimmern notgetauft („Gähtaufe“) worden war. Den nachträglich eingetragenen Angaben im Taufeintrag ist aber zu entnehmen ist, dass er das Erwachsenenalter erreichte, als Erwachsener in Römlinsdorf wohnte, am 30.09.1738 heiratete und schließlich 1754 gestorben war.

 

 

Anmerkung

Burgöscher = Hinweis auf seinen Wohnort oder Hof innerhalb des Ortes, ein heutiger Straßenname in Römlinsdorf lautet „Burgesch“

Hönweiler = Ortsteil von Peterzell

 

Karte mit den im Taufeintrag erwähnten Orte

https://de.batchgeo.com/map/f9ffe86d165ed7dc11fc3bb98bbf7a9f

 

Quellen

KB Peterzell, Mischbuch 1606-1732, Taufregister 1694-1732, S. 86

KB Marschalkenzimmern, Mischbuch 1637-1793, Taufregister 1637-1793, Bl. 18v 

Krieg, Verlust, Tod

22. Juni 2020 | | ,

Einschränkungen, Entbehrungen, Angst – Was die eine Generation in der Corona-Krise erst lernen muss, ist einer kriegsgezeichneten Generation nicht neu. Die Verluste, die diese Generation hinnehmen musste, sind schwer in Worte zu fassen. So traf es im zweiten Weltkrieg auch die Münsterbauhütte: Das Gebäude an sich völlig zerstört, das Münster selbst von Bomben beschädigt. Und der Münsterbaumeister? Münsterbaumeister Karl Friederich verlor am 17.09.1944 bei einem Tieffliegerangriff in einem Zug bei Offenburg, in dem er sich befand, das Leben. Während eines Münsterumgangs und einer anschließenden Münsterbaukomiteesitzung am 12. September 1951 wurde ein Gedenkstein im Übergang von der südlichen Seitenschiffvorhalle zur Hauptportalvorhalle zu seinen Ehren enthüllt. Seine Mitarbeiter wie auch sein Nachfolger hatten teilweise schwer an den Nachwirkungen des Krieges zu tragen. Steinhauer Schöck beispielsweise beantragte Ende der 40er Jahre Arbeitsschuhe, da er selbst über kein festes Schuhwerk mehr verfügte. Laut eines Schreibens des Münsterbauamts an das städtische Wirtschaftsamt vom 07. Mai 1948 kam Steinhauer Schöck erst mit schlechtem Schuhwerk, dann mit seinen leichten Sonntagsschuhen zur Arbeit, da ihm die vom Amt gestellten Holzschuhe nach einer Kriegsverletzung (Spitzfuß) Beschwerden verursachten. Daher bemühte sich das Münsterbauamt bei der zuständigen Stelle für den betroffenen Steinhauer um neues Schuhwerk.

LKA, Ulm, Münsterbauhütte, 315

LKA, Ulm, Münsterbauhütte, 493

LKA, A 129, 1213

„Religiöse Schwärmereien“ in Vöhringen

10. Juni 2020 | |

In einem Schreiben vom 17. November 1778 teilten die herzoglichen Regierungsräte im Namen des württembergischen Herzogs dem Oberamt Rosenfeld und dem Dekanat Balingen folgendes mit:

„Uns ist aus einem […] wegen eines zu Vöhringen befindlichen bürgerlichen Innwohners und Bauren nahmens Ludwig Gührings, welcher nicht nur vor seine Person in Glaubens-Sachen irrige und fanatische Principia hege, sondern auch solche mündlich und schrifftlich auszubreiten suche, erstatteten unterthänigsten Bericht des mehreren […] referirt worden. Wann wir nun hirauf gnädigst verordnet haben wollen, daß ihr der Specialis nebst dem Pfarrer zu Vöhringen ohne jemals zu ermüden alles nur immer mögliche überhaupt gewißenhafft anwenden sollet, um den Gühring mit der nöthigen Klugkeit, Sanftmuth und Gedult dereinstens wieder zu recht zu bringen, in solcher Absicht aber besonders ihr der Specialis ihn je und je vor euch zu bescheiden und ihn den Ungrund seiner Meynungen […] vermittelst außerlesener und deutlicher Stellen der heiligen Schrift […] mit Sanfftmuth und Gedult wie bißhero also auch noch fernerhin zu erkennen zu geben […], überdiß aber der Pfarrer zu Vöhringen diesen irrenden Mann wohl zu beobachten, ihne ins besondere in seinem Unterricht zu nehmen, nach seiner Faßlichkeit und Temperament sich sanfftmüthig und einfältig mit ihne zu besprechen und überhaupt niemahlen zu ermüden habe und verdrüßlich werden solle, einen solchen auf Abwege gerathenen Mann auf die richtige Bahn der heilsamen Wahrheit einzuleiten. Alß habt ihr übrigens denselben auf das ernstlichste zu verwarnen, sich ja wohl vorzusehen, daß er niemahlen jemanden einiges Aergenüß gebe, vornehmlich aber von nun an unterlaße, seine besondere Meynungen weitershin weder schrifftlich noch mündlich außzustreuen […]“

Was hatte Ludwig Gühring angestellt, dass er sich den Unmut des Herzogs auf sich zog? Näheres geht aus einem Protokoll des Pfarrers zu Vöhringen vom 25. Juli 1778 hervor:

„Ludwig Gühring, Bürger und Bauer von hier, aetat. [= seines Alters] 60 Jahr […], äußert seit einiger Zeit ins Publicum, in und außerhalb Orts, durch mundlichen Vortrag und Schriften, die er lesen und abschreiben läßt und die er zum Theil auch weiter gern abdrucken ließe, ähnliche Principia mit den Irrlehren der alten Noëtianer […] und mit den Photinus, Macedonius und Priscillianus […], hauptsächlich agnoscirt [= anerkennt] er nicht die Personalitaet des Vatter und des Heiligen Geistes und statuirt: 1) Nur der Sohn seye eigentlich eine einzige Person in der Gottheit, weil dieser gebohrn seye und in ihm die ganze Fülle der Gotthet leibhafftig wohne – Gott seye ja nur ein Geist und habe sich nie in persöhnlicher Gestalt geoffenbart […].“

Gühring war also jemand, der die bestehende Glaubenslehre in Frage stellte und seine eigene theologische Meinung nicht nur vertrat, sondern diese auch unters Volk bringen wollte. Seine Ansichten ähnelten – zumindest nach Ansicht des Vöhringer Pfarrer – denen von Noët von Smyrna (wirkte um 180), Photinus von Sirmium (+ 376), Macedonius von Konstantinopel (+ nach 360) und Priscillian (+ 385), deren Lehren alle der offiziellen kirchliche Lehre widersprachen. Der Pfarrer von Vöhringen hatte über Gühring in den Jahren 1778 bis 1780 eigens eine Akte mit dem bezeichnenden Titel „Die religiösen Schwärmereien Ludwig Gührings, Bauers, betreffend“ angelegt. Diese umfasst 52 Seiten und enthält neben Berichten des Pfarrers und des Specials auch verschiedene Schreiben Gührings, auch an den Herzog und nach dem 17. November 1778!

Im Protokoll des Vöhringer Pfarrers ist Gührings Alter mit 60 Jahren angegeben. Dadurch konnte sein Taufeintrag im Vöhringer Taufbuch am 16. März 1718 zugeordnet werden. Im Taufeintrag wurde nachträglich eingetragen, dass er am 18. November 1783 im Lazarett in Stuttgart verstorben war, was auch durch den entsprechenden Eintrag im Stuttgarter Totenregister bestätigt wird. Interessanterweise ist Gühring dort als „Feuersprizenmacher“ bezeichnet.

Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart sind unter den Signaturen A 25 Bü. 212 eine Akte mit dem Titel „Die von Ludwig Gihring in Vöhringen, Amt Rosenfeld, erfundene Wasserpumpmaschine“ aus dem Jahr 1770 und A 239 Bü. 15 eine mit dem Titel „Gesuch des Ludwig Gühring von Vöhringen, Rosenfelder Amts, zurzeit in Stuttgart, um eine Belohnung und ein Privileg für seine neu erfundene Feuerspritze“ aus den Jahren 1781-1783 archiviert. Die eben genannten Fakten und die Tatsache, dass es in Vöhringen im betroffenen Zeitraum laut Vöhringer Seelenregister 1768-1808 kein anderer in Frage kommender Ludwig Gühring gab, sprechen dafür, dass diese beiden Akten ebenfalls den hier behandelten Ludwig Gühring betreffen.

War Gühring also nicht nur ein „Andersdenkender“, sondern auch ein genialer Tüftler? Eine Forschung zu Ludwig Gühring, auch als ein Teil einer größer angelegten Untersuchung zu Dissidenten und/oder Tüftlern in der damaligen Zeit, könnte interessante Einblicke liefern.

Quellen
Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, G 563 (Evangelisches Pfarramt Vöhringen, unverzeichnet), Schatulle „Verschiedenes 2“, Mappe „Die religiösen Schwärmereien Ludwig Gührings, Bauers, betreffend“
KB Vöhringen, Mischbuch 1689-1786, Taufregister 1689-1765, ohne Seitenzählung (16.03.1718)
KB Stuttgart Stiftskirche, Totenregister 1767-1784, Bl. 247v (18.11.1783)
KB Vöhringen, Seelenregister 1768-1808, Doppelseite G-H
Wikipedia: Noet
Wikipedia: Photinus von Sirmium
Wikipedia: Macedonius I of Constantinople
Wikipedia: Priscillian

Das „Prinzle“-Epitaph in der Stadtkirche St. Georg in Weikersheim und Vorankündigung der Neuerscheinung des Kirchenführers

2. Juni 2020 | | , , ,

Von herausragender Bedeutung des Kirchengebäudes ist das berühmte Kinderepitaph des Herzogs Heinz von Sachsen-Lauenburg auf der Nordseite des Mittelschiffes, der 1437 im Alter von nur sechs Jahren verstarb. Es ist ein hochrechteckiges Epitaph, das auf einem Sockel aus Sandstein ruht und eine Sandsteineinfassung aufweist. Das Epitaph wird auch als das Weikersheimer “Prinzle” bezeichnet und ist als eines der ältesten aus dem Mittelalter noch erhaltenen Kinderepitaphe anzusehen. Es ist aus verschiedenen gebrannten Tonplatten zusammengesetzt und weist einen umlaufenden gekehlten Rahmen mit aufgelegtem Blattwerk auf. Im Binnenfeld ist lebensgroß und im Ganzkörperportrait die aus Blei gegossene Figur des kleinen Herzogs dargestellt. Er steht unter einem vorgewölbten Baldachin auf einem hohlen Baumstumpf. Der Knabe trägt ein knielanges Hemdchen mit langen Ärmeln in Blaugrau mit vergoldeter Ornamentik, neigt seinen Kopf leicht zur Seite und legt seine Hände zum Gebet zusammen. Vor dem Baumstumpf liegt das an den beiden Querseiten eingerollte Schriftblatt mit der aufgemalten Sterbeinschrift. Beidseitig des Kindes jeweils oben und unten und nach innen geneigt befinden sich die vier Wappenschilde von Sachsen, Leiningen, Weinsberg und Braunschweig. Alle Wappenschilde ziert ein Maßwerkwimperg mit abschließendem Kielbogen, der von Krabben besetzt ist und eine krönende Kreuzblume aufweist. Die Wimperge werden von Fialen begleitet, die jedoch bei den unteren Wimpergen nicht alle erhalten geblieben sind.

Heinz war der Sohn Herzogs Erich V von Sachsen-Lauenburg aus dem Geschlecht der Askanier und seiner Frau Elisabeth von Weinsberg. Sein Vater verstarb Ende 1435, so dass er als Kind Herzog wurde, allerdings nur für ein Jahr, da er mit sechs Jahren seinem Vater in den Tod folgte. Sein Onkel wurde dann zum neuen Herzog. Sein Großvater mütterlicherseits war der Stifter der Weikersheimer Kirche.

Bald wird ein neuer Kirchenführer zur Stadtkirche St. Georg in Weikersheim erscheinen, verfasst von Anette Pelizaeus, Inventarisatorin im Landeskirchlichen Archiv, und Günter Breitenbacher. Die Neubearbeitung des schon bestehenden Kirchenführers ergab sich aus der Inventarisation des Kirchenbezirks Weikersheim im vergangenen Jahr. Der Kirchenführer liefert neue Erkenntnisse sowohl zu ihrer Baugeschichte als auch ihrer Ausstattungsstücke. Alle zur Baugeschichte des Sakralbaues heranzuziehenden Quellen wurden gesichtet, in die heutige Schriftsprache umgesetzt und ausgewertet, wodurch die vielschichtige Entwicklung von der einst einfachen romanischen Kirche bis zur heutigen Stadtkirche mit ihrem wohl gelungenen Stilpluralismus lebendig nachvollziehbar wird. Innenraum und Außenbau des Kirchengebäudes erschließen sich durch präzise Beschreibungen und anhand ausgewählter Betrachtungen, die alle historisch, kunsthistorisch oder kulturhistorisch interessierten Besucherinnen und Besucher in die jeweilige Stilepoche der jeweiligen Kunstobjekte eintauchen lassen. Zahlreiches Anschauungsmaterial dient als lebendige Begleitung des Fließtextes, der nicht zuletzt von der geistlichen Botschaft des Sakralgebäudes im christlichen Abendland zeugt.

Foto: Landeskirchliches Archiv Stuttgart

Wer nicht hören will, muss zahlen

25. Mai 2020 | | ,

Ein Gipserobermeister auf der Baustelle der Dreifalitgkeitskirche in Ulm nahm es mit der Genauigkeit und Ordnung nicht so genau – und erhielt prompt die Quittung dafür. Trotz wiederholten mündlichen und schriftlichen Hinweisen durch den Vorarbeiter, der Gipserobermeister möge seine am Turm der Dreifaltigkeitskirche in das Dachinnere hineinragenden Gerüststangen ordnungsgemäß verwahren, so das Münsterbauamt Ulm, geschah nichts. Zumindest geschah nichts seitens des Gipsers, der Regen hingegen war nicht untätig und hinterließ im Inneren der Kirche einen Wasserschaden. „Wir sind deshalb zu unserem Bedauern genötigt, Sie für alle Aufwendungen, die hierdurch und durch die nötigen dringlichen Abwehrmaßregeln entstanden sind, verantwortlich zu machen und zum Ersatz der Kosten heranzuziehen.” Eine entsprechende Rechnung liegt den Unterlagen leider nicht bei.

LKA, Ulm Münsterbauhütte, 610

 

Großer Adels-Stammbaum im Bestand des Pfarrarchivs Hemmingen

21. Mai 2020 | | ,

Im Bestand des Pfarrarchivs Hemmingen, das erst seit kurzem im Landeskirchlichen Archiv verwahrt wird, befindet sich auch ein Stammbaum des Adelsgeschlechts der Freiherren Varnbüler von Hemmingen, der die Angehörigen von etwa 1400 bis 1900 aufführt. Die auf Leinen aufgezogene Zusammenstellung hat die Maße von 106 x 132 cm. Teilweise enthalten die etwa 250 Einträge auch Biogramme der Personen. Ebenfalls enthalten ist ein Übersichtsplan über die Gräber der Adeligen, sowie auch über die Anordnung der Familiengemälde in der Ahnengalerie. Die Stammtafel wurde von Pfarrer Ernst Hoffmann erstellt, der von 1883 bis 1907 in Hemmingen tätig war. Das Geschlecht derer von Varnbüler war ursprünglich ein Bürgergeschlecht. Ein wichtiger Vertreter war Johann Konrad Varnbüler (1595-1657), der württembergische Gesandte zu den Verhandlungen des Westfälischen Friedens. Er wurde in Anerkennung seiner Dienste im Jahr 1650 von Herzog Eberhard III. mit dem Ritterort Hemmingen belehnt und erhielt vom Kaiser die Adelsbestätigung. Die Familie war für die Pfarrei nicht unbedeutend, denn bis ins 20. Jahrhundert hinein kam ihr im Wechsel mit Württemberg die Ernennung des Ortspfarrers zu (halbes Patronatsrecht). Das Schloss (heute das Rathaus der Kommune), die Laurentiuskirche, das Pfarrhaus  und das evangelische Gemeindezentrum liegen nebeneinander.

Kranz- und „Gehörnte Hand“-Symbol in einem Kirchenbuch?

18. Mai 2020 | | ,

Im Eheregister der Pfarrei Michelfeld (Kirchenbezirk Schwäbisch Hall) sind in den Jahren 1609 bis 1612 neben neun Einträgen Symbole zu finden, die einen Kranz und eine „Gehörnte Hand” (mano cornuta) darstellen. Den meisten wird die „Gehörnte Hand” als Metal-Hand („Pommesgabel”) bekannt sein, jedoch hat sie in verschiedenen Zusammenhängen andere Bedeutung. Welche sie und der Kranz im Eheregister haben, wird erkennbar, wenn man im Taufregister nach dem jeweils ersten Kind der betroffenen Ehepaare schaut.

Für die Ehepaare, die am 19.11.1609 und 14.05.1611 geheiratet hatten, ist keine Taufe eines Kindes im Taufregister eingetragen. Hierfür kann es mehrere Gründe (z.B. Totgeburt, Wegzug) geben. Da im Michelfelder Taufregister eine Lücke zwischen dem 05.01.1612 und dem 20.06.1613 ist, erübrigt sich außerdem die Suche nach Taufeinträgen von Kindern der Ehepaare, deren Ehen am 01.03.1612, 02.03.1612 und 10.05.1612 geschlossen wurden. Fündig wird man aber für die Ehepaare, die am 22.05.1610, 05.08.1610, 26.08.1610 und 15.01.1611 getraut wurden. Deren jeweils erstes Kind wurde am 22.10.1610, 23.01.1611, 07.12.1610 bzw. 19.04.1611 getauft. Die Taufe fand üblicherweise entweder am Tag der Geburt oder ein oder zwei Tage danach statt. Die Kinder kamen also ungefähr fünf Monate, fünf Monate und 18 Tage, drei Monate und elf Tage sowie drei Monate und vier Tage nach der Hochzeit zur Welt.

Für andere Ehepaare, die in dem betrachteten Zeitraum geheiratet hatten und nicht durch Symbole markiert sind, können nur zwei Taufeinträge von Kindern gefunden werden.

Das eine Ehepaar hatte am 30.01.1610 geheiratet, das andere am 22.07.1610. Ihr erstes Kind wurden am 04.06.1611 bzw. 24.10.1611 getauft, also jeweils mehr als neun Monate nach der Hochzeit.

Auch wenn die Quellenlage recht schwach ist, kann es dennoch als wahrscheinlich angenommen werden, dass mit Kranz und „Gehörnter Hand” Ehepaare gekennzeichnet wurden, die aufgrund vorehelichen Geschlechtsverkehrs bereits bei der Hochzeit ein Kind erwarteten.

Hierbei steht der Kranz für einen Strohkranz, der den Verlust der Jungfräulichkeit symbolisierte. Bräute, die gegen die damaligen Moralvorstellungen verstießen, durften bei der Hochzeit – sofern sie einen Kranz trugen – nur einen Strohkranz tragen. In manchen Regionen mussten diese Frauen und ihre angehenden Männer mit einem Strohkranz markiert an drei Sonntagen nacheinander vor der Kirchentüre stehen und so Buße für ihr Vergehen ableisten.

Die „Gehörnte Hand” ist hier als ein Schutzzeichen zu betrachten, mit dem Unglück, das man durch sein Fehlverhalten heraufbeschworen hatte, abgewehrt werden sollte. Warum in zwei Fälle (26.08.1610 und 02.03.1612) die „Gehörnte Hand” zweimal vorkommt, bleibt ungeklärt.

Paare, die gegen die Moralvorstellung verstießen, mit derlei Symbolen zu markieren, ist eher selten. An anderen Orten findet man vielmehr eine Angabe wie z.B. „geboren drei Monate nach der Hochzeit” im Taufeintrag des Kindes oder die Angabe „frühe Beischläfer” bei den Eltern. Solche Angaben fehlen bei den betroffenen Kindern in Michelfeld.

Warum der damalige Pfarrer, Josef Bäuerlin (~ 04.11.1572 in Schwäbisch Hall, + 12.03.1613 ebenda), Pfarrer in Michelfeld von 1609 bis zu seinem Tod, diese Art der Markierung gewählt hatte, bleibt offen.

Auf dem Kirchenbuchportal Archion findet man die Einträge hier  (Bild 127), die anderen Seite sind auf den Bildern 128 bis 131.

Das Kirchenbuch ist KB Michelfeld, Mischbuch 1609-1649 (= Band 2), E 1609-1632.

 

Nicht nur Bibeln im Visier

27. April 2020 | | ,

Am dritten Juni 2019 berichteten wir über Kriminalgeschichten aus dem Ulmer Münster. Dererlei Geschichten begegnen uns in unserem Archivmaterial häufig. Eine weitere Kriminalgeschichte mit Aktualitätsbezug behandelt den Diebstahl von Kupfer. Ob Kupferfallrohre an Gebäuden, Metall auf Lagerplätzen oder Baumaterial auf einer Baustelle – Kupfer ist heute ein begehrtes Diebesgut, und das war es offensichtlich auch schon früher. Ein Bericht zu einer Münsterbaukomiteesitzung am 12. September 1951 zur Sicherung und Erhaltung des Ulmer Münsters erläutert den damals an der Münsterbauhütte begangenen Kupferdiebstahl wie folgt: „In den Tagen vor Weihnachten, nachmittags zwischen 14 u. 15 Uhr, wurden durch drei schulpflichtige Knaben im Alter von 7 bis 12 Jahren, an vier Stellen (am Chor u. an der Südseite) die kupfernen Regenabfallrohre bis auf die Höhe von 2 m entwendet u. als Altkupfer veräussert. Ein Teil konnte wieder beigebracht werden. Als Ersatz sind Rohre aus verbleitem Blech angebracht u. im Kupferton gestrichen.” Es fällt schwer, die Kinder für ihre Tat zu verurteilen, betrachtet man doch die Tatzeit, wenige Jahre nach Kriegsende, als das Leben noch voller Entbehrungen für die gesamte Bevölkerung war. Ob Bubenstreich oder Verzweiflungstat, die Münsterbauhütte hatte ebenfalls mit Kriegsfolgen zu kämpfen und musste die gestohlenen Rohre durch minderwertigere Rohre, kupferfarben angestrichen, ersetzen.

LKA, A 129, 1213