Künstlerische Illustrationen in den Nellinger Kirchenbüchern

21. März 2023 | | ,

Im ersten Kirchenbuch von Nellingen auf den Fildern sind im Taufregister auf mehreren Seiten verschiedene künstlerische Illustrationen zu finden, die auf ein gewisses Talent des Urhebers schließen lassen.

 

Die erste Seite [1] beginnt mit der Beschreibung der Einführung der Taufregister im Herzogtum Württemberg:

 

„Anno Domini 1558 im Monat

deß Mertzens, hatt der Durchleuchtige, Hochge-

porne Furst unnd Herr, Herr Christoph Hertzog

zu Wurtembeg, und zu Theckh, Grave zu

Mumpelgarth etc. unser gnädiger Furst und

Herr, auß vilerley Bewegen den notwendigen

Ursachen, einen gemeinen Bevelh allenthalben

im Furstenthumb außgehen laßen, nemlich

das hinfuro alle Kinder, so zu dem christenlichen

Tauff gebracht, sollen mit irem Vatter, Muter,

und Gefattern, auch der Tag, und in welchem Jar

sie getaufft, ordenlich auffgeschriben werden,

wie hernach in disem Buch volget. Der

Herr beware ihren Eingang, und Außgang,

von nun an, und in Ewigkeit.

Amen“

 

Im anschließenden Bild ist Mariä Verkündigung dargestellt (Lukas 1,26–38 ). Die Buchstabenreihe A.G.D.T. B.T.I.M. im Bild steht für „Ave Gratia plena, Dominus Tecum, Benedicta Tu In Mulieribus“, also für den Anfang des Angelusgebets, der auf Deutsch lautet: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.“ oder angelehnt an Lukas 1,28: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.“. Die Bedeutung des Stabes, den der Engel in der Hand hält, ist unklar.

 

Auf der zweiten Seite [2], dem Beginn der Taufeinträge des Jahres 1561, sind Szenen aus der Bibel dargestellt. In der obigen Tafel sind es:

  1. Die Erprobung Abrahams: die Opferung Isaaks (Genesis 22,10-12 = 1. Buch Mose 22,10-12).
  2. Simsons (Samsons) Heirat einer Philisterin und sein Rätsel: Simson zerreißt einen Löwen mit bloßen Händen (Iudicum 14,6 = Richter 14,6 ).
  3. Die Kreuzigung Jesu (Matthäus 27,35 ff ). Dargestellt ist auch Longinus, der römische Zenturio, der Jesus nach dessen Tod eine Lanze in die Seite gestochen haben soll. Dies ist nur im Johannesevangelium erwähnt (Johannes 19,34).
  4. Die Auferstehung Jesu (Markus 16). Jesus trägt die so genannte Siegesfahne, ein Symbol für seine Auferstehung.
  5. Die kupferne Schlange (Serpens) (Numeri 21,4-9 = 4. Buch Mose 21,4-9).
  6. Jonas und der Wal – Jonas‘ Geschichte beginnt in Jona 1, der Wal (großer Fisch) taucht aber erst in Jona 2,1 auf.

 

In der unteren Tafel sind dargestellt:

  1. Auch hier passt das Bild nicht zur angegebenen Bibelstelle. Der Ziegenbock (Hircus) wird erst in Levitikus 16,22 (= 3. Buch Mose 16,22) erwähnt: „und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen“. Was die beiden wahrscheinlich nachträglich von einer anderen Person eingefügten Symbole auf bzw. neben dem Ziegenbock darstellen, ist unklar. In Levitikus 15 (= 3. Buch Mose 15 ) geht es um Ausflüsse aus den Genitalien, weshalb ein Phallus-Symbol nicht ausgeschlossen ist.
  2. Agnus Dei mit Siegesfahne, hervorgegangen aus den Pessach-Lämmer, deren Blut als Schutzzeichen vor der zehnten Plage an den Türpfosten gestrichen wurde (Exodus 12 = 2. Buch Mose 12).

 

Auf der dritten Seite [3] folgt auf einen Taufeintrag vom 5. Dezember 1562 und einem „Trennbild“, durch einen roten Fingerzeig, der evtl. später eingefügt wurde, noch hervorgehoben:

 

„Anno hoc currensus 1562 die 18 Decemb.

M. Samuel Neuhewser futurus parochus in

hoc pago Nellingen prima contionem habuit et

Profectus eo proxima die ante vigilias natiuitatis

Jesu Christi“

 

Übersetzt heißt dies (in etwa): „In diesem laufenden Jahr 1562, am 18. Tag des Dezembers, hatte Magister Samuel Neuheuser, der zukünftige Pfarrer in diesem Dorf Nellingen, die erste Versammlung und fuhr am nächsten Tag vor dem Vorabend der Geburt Jesus Christus fort.“

Samuel Neuhäuser kam wohl am 18. Dezember 1562 zu einem ersten Kennenlernen nach Nellingen und trat sein Amt offiziell zum 22. Dezember 1562 an.

Das Bild darunter könnte die Segnung der Kinder (Matthäus 19,13-15) darstellen.

 

Auf der vierten Seite [4] ist nach einen Taufeintrag vom 31. Dezember 1564 und wiederum einem „Trennbild“ der gekreuzigte Jesus dargestellt. Neben ihm ist auf einer Tafel zu lesen: „ECCE AGNUS DEI QUI TOLLIT PECCA TA MUNDI“, übersetzt: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“ Die Person rechts daneben auf einer Kanzel könnte Johannes Brenz, den Reformator des Herzogtums Württemberg, darstellen.

 

Auf der fünften Seite [5] folgt auf einen Taufeintrag vom 24. November 1568 ein Ornament. Darin steht in der Mitte IHS CHRS = Jesus Christus.

In den Ecken links oben, rechts oben, rechts unten und links unten stehen nummeriert die Namen von 1. Paulus, 2. (Simon) Petrus, 3. Judas und 4. Jakobus. Während die ersten beiden bedeutende Persönlichkeiten für das Urchristentum waren, Paulus der bedeutendste Missionar des Urchristentums, Petrus der Sprecher der Apostel und Leiter der Jerusalemer Urgemeinde, ist unklar, warum Judas und Jakobus hervorgehoben sind. Sollte mit ersterem Judas Iskariot, der Jesu verriet, gemeint sein, so war auch dieser für das Christentum in gewisser Weise bedeutend, wenn auch im negativen Sinn. Ob mit Jakobus einer der beiden Apostel (s.u.) gemeint ist oder Jakobus, der Stammvater Israels, oder Jakobus, der Bruder Jesu, bleibt unklar.

In den Spitzen oben, rechts, unten und links stehen die Namen der Evangelisten Matthäus („Math.“), Markus, Lukas und Johannes. Ersterer und letzterer waren gleichzeitig Apostel.

In den Schleifen stehen, im Uhrzeigersinn oben beginnend, die Namen der Apostel Jakobus der Ältere, Johannes, Philippus, Bartholomäus, Thomas, Matthäus, Jakobus der Jüngere („Jacobus mi[nor]“), Judas Thaddäus, Simon, Matthias (der „nachrückte“, nachdem Judas Iskariot Jesus verraten hatte), Petrus und Andreas.

Auf der sechsten Seite [6], der ersten Seite mit den Taufeinträgen von 1570, ist im gleichen Ornament wie auf der fünfen Seite die Anbetung des Jesuskindes durch die Sterndeuter aus dem Osten dargestellt (Matthäus 2,10-11). In der christlichen Kunst wird dieses Motiv mit „Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige“ oder kurz „Anbetung der Könige“ betitelt. In dem Bild sind nur zwei Sterndeuter dargestellt, wovon einer eine dunkle Hautfarbe hat. In der Bibel wird weder die Anzahl noch die Hautfarbe oder Namen der Sterndeuter genannt. Die Zahl drei, die Namen Caspar, Melchior und Balthasar, in machen Darstellungen auch die dunkle Hautfarbe des letzteren, hat sich erst über die Jahrhunderte entwickelt. Hier: Beispiele für die Darstellung

Wem wir diese Illustrationen zu verdanken haben, bleibt unbekannt. Im Zeitraum 1558 bis 1570 waren in Nellingen zwei Pfarrer tätig: Johannes Vetter von 1555 bis Ende 1562, anschließend Samuel Neuhäuser bis 1570. Ein Abgleich mit den Taufregistern anderer Tätigkeitsorte dieser Pfarrer, sofern überliefert, ergab, dass dort keine Illustrationen vorzufinden sind. Möglicherweise gestatteten die Pfarrer einer anderen, künstlerisch begabten Person, diese Illustrationen einzuzeichnen, oder beauftragten diese sogar. Da vor allem die Illustration auf der zweiten Seite „klösterlich“ wirkt und es in Nellingen zu dem Zeitpunkt noch eine aktive Propstei gab, zu der ein gutes Verhältnis bestand – der katholische Propst ist in einigen Taufeinträgen als Taufpate aufgeführt – wäre es auch denkbar, dass ein Mönch aus der Propstei der Maler war.

In welchem Umfang auch in Kirchenbüchern anderer Orte ähnliche Illustrationen vorzufinden sind, ist nicht bekannt. Es kann aber angenommen werden, dass es diese nicht nur in den Nellinger Kirchenbüchern gibt, wie folgender Zufallsfund aus Flözlingen bestätigt.

Dem 1650 beginnenden Totenregister ist das Bild einer schlafenden Person (eines Kindes?) vorangestellt. Die Person hält eine Sanduhr, ein Symbol für die Vergänglichkeit. Im oberen Bildrand steht „Bey Sonnenschein, mus dises Sein.“, im unteren „HODIE MIHI. CRAS TIBI“, also „heute mir, morgen dir“. Letzterer Spruch ist auf vielen Epitaphien u.ä. zu finden.

Diese beschriebenen einfachen Illustrationen dürften von Laien gemalt worden sein. Farbenprächtige und detailreiche Auftragsarbeiten von Berufsmalern sind in den Tübinger Totenregistern zu finden, worüber Andreas Butz im November 2022 berichtete: https://blog.wkgo.de/2022/11/18/

 

 

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Nellingen, Mischbuch 1558-1729, Taufregister 1558-1729, Vorbl. 3v

[2] Ebenda, Bl. 7v

[3] Ebenda, Bl. 13r

[4] Ebenda, Bl. 17v

[5] Ebenda, Bl. 27v

[6] Ebenda, Bl. 29v

[7] KB Flözlingen, Mischbuch 1644-1717, Totenregister 1650-1717, S. 1

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