Begegnung im Archiv: Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer? Teil 10

30. August 2023 | | ,

Prof. Dr. Karl Hittler mit seinem Erstlingswerk “Familien in Mühlhausen an der Enz 1641 – 1920”

Wir treffen Professor Dr. Karl Hittler. Der frühere Leiter des Heilbronner Gymnasiallehrerseminars befindet sich bereits im Ruhestand und erstellt derzeit ein Ortsfamilienbuch für Großglattbach, einem Teilort von Mühlacker. Das ist jedoch nicht sein erstes Projekt dieser Art. Ein Ortsfamilienbuch eines anderen Teilorts von Mühlacker, nämlich von Mühlhausen an der Enz, liegt bereits seit 2013 gedruckt vor (1). Und auch ein entsprechender Band von Lomersheim ist bereits fertig erstellt und wird in absehbarer Zeit ebenfalls in derselben Publikationsreihe im Druck erscheinen. Mit der Genealogie beschäftigt sich Professor Hittler bereits seit vielen Jahren, zunächst im Rahmen der Recherchen zu seinen eigenen Vorfahren und nun mit dem Erstellen von Ortsfamilienbüchern, die ein wichtiges Hilfsmittel der Genealogie, aber auch für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sind. Unser Archiv hat solche Projekte immer sehr gerne unterstützt.

„Als ich Recherchen zu meinen eigenen Vorfahren durchführte, konnte ich unter anderem ein Ortsfamilienbuch von Niefern nutzen und merkte dabei, wie leicht es dank dieses Bandes war, meine eigenen Vorfahren bis zurück ins 16. Jahrhundert zu ermitteln. Bei der Genealogie kommt man mit der Zeit an einen Punkt, wo man nicht nur Quellen für die private Familienforschung nutzen will, sondern etwas selber beitragen möchte. Die Arbeit am Ortsfamilienbuch von Mühlhausen an der Enz betrachtete ich als einen besonderen Glücksfall, weil es ein Ort mit einer besonderen Geschichte ist. Ich empfand die Auswertung der Daten aus den Kirchenbüchern wie das Heben eines Schatzes. Wenn man so etwas gemacht hat, dann möchte man weitermachen.

Der Zugang zur Geschichte hat mich gereizt. Nach wie vor finde ich es interessant in den Kirchenbüchern auf Sachverhalte zu stoßen, die mit dem Gang der Weltgeschichte zu tun haben. Ich bin ja von Hause aus Naturwissenschaftler und habe bei der Anfertigung dieser Ortsfamilienbücher die Möglichkeit, gelernte Arbeitsweisen, wie etwa korrekt und systematisch zu arbeiten, oder immer wieder die Methoden zu hinterfragen, anzuwenden.“

  1. Familien in Mühlhausen an der Enz 1641 – 1920 : mit älteren Nachweisen ab 1596 / zusammengestellt von Karl Hittler. Hrsg. von Konstantin Huber und Marlis Lippik, Mühlacker 2013 (Mühlacker Geschichtshefte ; 4, Der Enzkreis ; 11, Württembergische Ortssippenbücher ; 104)

 

Zehn Jahre Kirchenbuchportal Archion

22. August 2023 | | ,

Vor einem Jahrzehnt begann ein bahnbrechendes Experiment, das zu einem Erfolg auf vielen Ebenen wurde: die Gründung des Kirchenbuchportals. 2013 mit der Vision, Kirchenbücher digital allen Interessierten zugänglich zu machen, haben zwölf evangelische Kirchen die Kirchenbuchportal GmbH ins Leben gerufen. Heute nach 10 Jahren, kann Archion stolz auf die gewaltige Entwicklung und die zahlreichen Partnerschaften zurückblicken, die uns zu einem essenziellen Teil der Forschungsgemeinschaft gemacht haben.

Archion ist inzwischen weit über die Grenzen evangelischer Archive hinausgewachsen ist. In enger Zusammenarbeit mit mittlerweile 25 Partnerarchiven hat das Portal nun über 150.000 Kirchenbücher online – ein wahres Füllhorn an Spuren gelebter Vergangenheit. Mehr als 80.000 registrierte Nutzer können nun von überall auf der Welt auf diese kostbaren Quellen zugreifen. Das Kirchenbuchportal wird Archion auch in den kommenden Jahren weiter auszubauen und noch mehr historische Schätze auf die digitale Reise zu schicken.

Unser Archiv war von Anfang an mit dabei. Die Bereitstellung der Kirchenbücher auf Archion hat auch unsere Arbeit verändert und für viele Forschende den Zugriff auf die württembergischen evangelischen Kirchenbücher sehr erleichtert. Die gute Zusammenarbeit mit dem Kirchenbuchportal Archion ist auch für uns ein Grund zur Freude. Ad multos Annos!

Badische Fahne als Depositum im Archiv der württembergischen Landeskirche

16. August 2023 | |

Vor kurzem ergab sich zwischen den beiden Evangelischen Landeskirchlichen Archiven von Baden und Württemberg eine spontane Zusammenarbeit. Im Keller des Pfarrhauses der Kirchengemeinde Waldkirch (Baden) lagerte lange Zeit die reich verzierte Fahne des 1891 gegründeten örtlichen Evangelischen Arbeitervereins. 2017 hatte man das wertvolle Stück entdeckt, geborgen und sogar konservatorisch behandeln lassen. Zur sicheren Unterbringung wurde die Fahne 2022 schließlich dem Archiv der Evangelischen Landeskirche in Baden (EKIBA) übereignet. Das wertvolle textile Objekt muss aus konservatorischen Gründen liegend aufbewahrt werden, was bei einer Größe von 130×130 cm jedoch die Kapazitäten der in Karlsruhe vorhandenen Planschränke sprengt. Welch ein Glück, dass das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart unlängst zwei Planschränke in Übergröße angeschafft hat. Als das Archiv der EKIBA anfragte, ob eine Einlagerung bei uns in Württemberg möglich sei, konnten wir unmittelbar zusagen. Die Fahne befindet sich nun als Depositum aus Baden in unserem Magazin.

 

Die Geschichte der Fahne des Evangelischer Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau:

Der Evangelische Arbeiterverein Waldkirch-Kollnau wurde am 3. Mai 1891 gegründet und bestand bis 1939/1941.

Erste evangelische Arbeitervereine gab es bereits im frühen 19. Jahrhundert im Ruhrgebiet. Als ab 1890 die politische Arbeit von Pfarrern erlaubt wurde, entstanden in ganz Deutschland vergleichbare Zusammenschlüsse. In Baden wurden die ersten Evangelischen Arbeitervereine in Freiburg und Zell im Jahre 1887 ins Leben gerufen. Mit seiner Gründung im Jahr 1891 war auch der Verein Waldkirch-Kollnau früh dabei. Der Zweck des Vereins bestand darin: Unter den Glaubensgenossen das evangelische Bewusstsein zu erhalten und zu stärken, die sittliche Hebung und allgemeine Bildung der Mitglieder zu mehren, den Mitgliedern ein christliches Verständnis der sozialen Fragen und Aufgaben der Gegenwart zu vermitteln und ihnen bei Bedarf Unterstützung zukommen zu lassen. Die Vereinsaktivitäten vor Ort geschahen in der Regel in enger Absprache mit der Kirchengemeinde.

Am 25. Juni 1904 wurde die Fahne des Ev. Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau geweiht. Feierlich präsentiert wurde sie dann im Garten des Gasthauses Kreuz. Hier entstand höchstwahrscheinlich auch das Foto. Beim Gottesdienst und der anschließenden Enthüllung waren die katholischen Vereine aus Waldkirch und Kollnau zugegen, aber auch staatliche, städtische und kirchliche Behörden. Die auf dem Foto sichtbare Schleife war den „Frauen und Jungfrauen“ zu verdanken. Bei der Übergabe der Schleife sprach Frl. Mina Glos: „Also lasst mit dieser Schleife / eure Fahne heiter krönen / daß der Männer rechte Taten / sich durch Frauenhand verschönern.“ Auf der Vorderseite der Fahne sind der badische Greif und der deutsche Reichsadler dargestellt. Auf der Rückseite die vier Embleme aus der Welt der Handarbeit: ein Seidenraupenkokon (Sinnbild für die Seidenweberei, insbesondere der Fabrik Sonntag), ein Webschifflein (Sinnbild für die Kollnauer Spinnweberei), ein Hammer sowie ein Zahnrad und eine Zange (als Sinnbild für die mechanischen Handwerke).

Neben der Erwachsenenbildung unterstützte der Verein seine Mitglieder durch den gemeinsamen (und dadurch günstigeren) Bezug von Kohlen, Briketts, Kartoffeln, Kaffee und Kakao. Aus dem Verein heraus bildete sich ein Männerchor, ein gemischter Chor sowie eine Musikabteilung. 1893 sowie 1908 versuchte der Verein, gesunde Arbeiterwohnungen zu schaffen, letztlich ohne Erfolg. Die bittere Zeit des Ersten Weltkrieges führte zu einem Rückgang des Vereinslebens. Seine Aufgaben wandelten sich im Versenden von Gütern an die im Feld stehenden Mitglieder. Zum endgültigen Niedergang kam es dann in den 1930er Jahren. 1941 wurde der Verein aufgelöst.

Die Fahne ist sicher ursprünglich im Gemeindehaus aufbewahrt worden. Irgendwann gelangte sie in einem wenig geeigneten Behältnis in den (leider feuchten) Keller des Waldkircher Pfarrhauses, wo sie 2017 wieder entdeckt wurde. Nach einer fachmännischen Reinigung (Entfernen des Schimmels) durch eine Restauratorin wurde sie liegend und in Seidenpapier eingeschlagen in einem großen Karton auf dem Dachboden der Evangelischen Kirche gelagert. Als dieser Dachboden gedämmt wurde, musste sie wieder entfernt werden. Deshalb hat sich der Kirchengemeinderat 2022 dazu entschlossen, die Fahne schließlich an die Evangelische Kirche Baden abzugeben.

(Informationen von Andreas Haasis-Berner von der Ev. Kirchengemeinde Waldkirch.)

Beitragsbild: Fahne des Ev. Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau, 1904. Depositum Nr. 23.030;01-04

Beschreibung und weitere Bilder der Fahne in unserer Online-Bestandsübersicht hier.

Bestandsgeschichte im Findbuch des Pfarrarchivs Waldkirch [Bestand: 044., Waldkirch; Bestände und Findmittel (archiv-ekiba.de)].