Ein in einem Kirchenbuch dokumentierter Kriminalfall

26. Januar 2022 | |

Kirchenbücher dokumentieren nicht nur kirchliche Amtshandlungen und damit das, was man heutzutage als Personenstandsfälle bezeichnet, sondern mitunter auch nicht alltägliche Dinge wie Kriminalfälle. In manchen Fällen sind zu solchen Kriminalfällen auch noch weitere Dokumente in staatlichen und anderen Archiven überliefert, so dass eine tiefergehende Untersuchung eines Falles möglich ist. Das Ergebnis einer solchen Untersuchung ist nicht nur für die Genealogie interessant, sondern auch für die Sozial- und Rechtsgeschichtsforschung und in manchen Fällen auch für die Geschichte der Medizin.

Auf einen solchen Kriminalfall stößt man im Totenregister von Fluorn (heute Teil von Fluorn-Winzeln, Lkr. Rottweil). Unter dem 20. Dezember 1658 ist folgendes vermerkt:

„Den 20. Decembris montags früeh zu 3 Uhren starb zu Fluorn in des Scheerers Matthiae Schneiders Hauß, Bernhard Keckh, wohnhafft zu Heenweyler, 26 Jahr alt, der den 29. Novembris von Jacob Wesnern, Mezgern zu Heenweyler, wegen einer strittigen Wäßerung verwundt worden, welcher darnach zu Peterzell, wohin er verpfarrt war, den 24. Decembris, am Heiligen Christabend, christlich begraben worden. Resurgat ad gaudium aeternum[1].“

Am Rand ist vermerkt: „ist nach Peterzell gefüehrt worden“[2]

Der Hönweiler, eine Hofgruppe, gehörte zum Peterzeller Stab des Alpirsbacher Klosteramts und damit zum Kirchspiel des Pfarramts Peterzell (heute Teil von Alpirsbach, Lkr. Freudenstadt). Im Totenregister von Peterzell sind der Vorfall und die Folgen umfangreicher beschrieben:

„Den 29. Novembris anno 1658, am Abend Sankt Andreae,[3] uf die 1 ½. Stund nach Bettzeit, hatt sich folgender elende Casus und Fall in Heenweyler zugetragen, daß nemblichen umb einer strittigen Wäßerung wegen Jacob Wesner, Mezger, und Bernhard Keck, Ludwig Wörners Tochtermann[4] (alle Inwohner zu Heenweyler), so hart aneinander gerathen, daß gedachter[5] Jacob Wesner, den ermelten[6] Bernhard Kecken mit einer Hauen[7] oben an den Kopff geschlagen, daß er eine tödtliche Wunden bekommen, von derentwegen er den Scheerern[8] überantwortet werden müßen hatt, aber endlich leyder er Bernhard Keck umb angezeigter tödtlicher Wunden willen, zu Fluorn (daselbsten er in Matthiae Schneiders des Scheerers Behausung gelegen), als er zuvor den 17. Decembris das heilige Abendmahl empfangen, seinen Geist den 20. Decembris morgens zu 3 Uhren aufgegeben in dem 26. Jahr seines Alters. Und ist hernach erst den 24. Decembris, am heiligen Christabend (weilen ihn zuvor ein Medicus[9] Herr Samuel Hafenreffer, Phil. et. Med. D.[10] und Professor zu Tübingen, wie auch ein Barbierer[11] von Tübingen, Abraham Rieg, durch anatomische Eröffnung besichtiget) zu Peterzell alhir, dann er von Fluorn herüber geführt ward, christlich zur Erden bestattet worden. Deus largiatur huic laetam resurrectionem et tales a nobis avertat casus tragicos, per Dominum nostrum Jesum Christum in Spiritu Sancto.[12] Amen.“[13]

Dem Täter, Jacob Wesner, wurde der Prozess wegen Totschlags gemacht. Da die damaligen örtlichen Richter aber juristische Laien waren, wurde der Totschlag-Prozess im Verfahren der Aktenversendung durchgeführt. D.h. dass der Fall bzw. die diesbezügliche Akte an die Juristische Fakultät Tübingen versandt wurde, die ein Rechtsgutachten mit vorgefertigtem und auch für den Laien verständlichen Urteil erstellte.

Da die Stuttgarter Oberräte, über die das Rechtsgutachten an den württembergischen Herzog weitergeleitet wurde, dasselbe für zu milde empfanden, wurde auch noch von der Juristischen Fakultät Straßburg ein Rechtsgutachten erbeten.

Beide Rechtsgutachten sind im Hauptstaatsarchiv Stuttgart in der Akte mit dem Titel „Tübinger und Straßburger Konsilien auch Anbringen betreffend homicidii des Jakob Wössner aus Höhenweiler“ überliefert.[14] Die Konzepte des Rechtsgutachtens der Juristischen Fakultät Tübingen und des darin erwähnten Gutachtens der Medizinischen Fakultät Tübingen sind im Universitätsarchiv Tübingen archiviert.[15]

Weitere Einzelheiten zu diesem Fall sind zu finden in dem Beitrag „Eine strittige Wässerung mit Todesfolge in Hönweiler 1658. Ein Beispiel für einen Totschlag-Prozess im Verfahren der Aktenversendung“ in den Südwestdeutschen Blättern für Familien- und Wappenkunde 39 (2021), S. 159 – 180 und hier. 

Anmerkungen:

[1] Resurgat … aeternum = Er erstehe auf zur ewigen Freude.

[2] Kirchenbücher Fluorn, Totenregister 1643-1808, S. 9.

[3] am … Andreae = am Abend vor dem Andreastag (30. November).

[4] Tochtermann = Schwiegersohn.

[5] gedachter = genannter, erwähnter.

[6] ermelten = genannten, erwähnten.

[7] Haue = Hacke.

[8] Scherer = Wundarzt, auch Bader genannt, Vorgänger des heutigen Chirurgen.

[9] Medicus = Arzt.

[10] Phil. et. Med. D. = Dr. phil. und Dr. med.

[11] Barbier = Bartscherer, der auch die niedere Chirurgie ausübt.

[12] Deus … Sancto = Gott schenke diesem eine glückliche Auferstehung und halte solch ein tragisches Unglück von uns fern, durch unseren Herrn Jesus Christus im Heiligen Geist.

[13] Kirchenbücher Peterzell, Mischbuch 1606-1732, Totenregister 1649-1732, S. 5.

[14] Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 209, Bü 7.

[15] Universitätsarchiv Tübingen, 84/12, S. 405 – 416 bzw. Universitätsarchiv Tübingen, 14/11, Bl. 6v – 9v.

 

Begegnung im Archiv: Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer? Teil 4

18. Januar 2022 | |

Wir treffen Harald Haury im Lesesaal. Er ist im Landeskirchlichen Archiv kein Unbekannter.

Über die Jahre hat Haury immer wieder dort recherchiert. Für seine Doktorarbeit versuchte er, an Hand der Personalakten deutschchristlicher Pfarrer mehr über die württembergischen Anhänger des völkischen Theologen Johannes Müller in Erfahrung zu bringen, dessen Gründung Schloss Elmau heute als mondänes Luxushotel bekannt ist. Es folgten Nachprüfungen im Rahmen der Ernst Troeltsch-Edition, Haurys Hauptarbeitsgebiet seit 2006, und für ein Projekt zur Kirchengeschichte Esslingens während des späten Kaiserreiches und in den Jahren des Ersten Weltkrieges.

Gegenwärtig ist Haury als Mitarbeiter eines Projektes der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm als Nutzer im Haus.

„Von der Landeskirche beauftragt, aber unabhängig arbeitend, versucht die Ulmer Projektgruppe eine Serie von Fällen sexualisierter Gewalt aus den 1950er und 1960er Jahren aufzuarbeiten, die sich laut den Aussagen von Betroffenen im Hymnus-Chor, vor allem aber im Vorbereitungsjahr auf das Landexamen ereigneten, das über die Aufnahme in den landeskirchlichen Seminaren in Bad Urach, Schöntal, Blaubeuren und Maulbronn entschied,“ erläutert Harald Haury sein aktuelles Forschungsprojekt.

„Als Haupttäter wurde von den Betroffenen durchweg ein im Evangelischen Jungmännerwerk Württembergs stark engagierter Stuttgarter Industrieller genannt, der sich während der NS-Zeit um den Erhalt der Seminarausbildung verdient gemacht hatte, das Vorbereitungsjahr auf das Landexamen im Auftrag der Seminarstiftung bis Ende der 1960er-Jahre organisierte und den Hymnus-Chor von 1951 bis 1964 in seinem Haus proben ließ. Ein wichtiges Ziel der Recherche im Landeskirchlichen Archiv ist es, die Zusammenhänge besser zu verstehen, in denen sich die von den Betroffenen geschilderten Übergriffe ereignen und erst nach Jahrzehnten publik werden konnten. Dabei geht es um institutionelle Zusammenhänge und Mentalitäten besonders des konservativ-pietistischen Kirchenflügels ebenso wie um das umfangreiche Netzwerk, das sich der Hauptbeschuldigte vor allem dank seiner Position in den Leitungskreisen des Jungmännerwerks schaffen konnte. Erfreulicherweise lassen sich gerade diese weiterführenden Fragen an Hand der Aktenüberlieferung im Landeskirchlichen Archiv durchaus verfolgen. Neben einigen wenigen Akten, die den Namen des Hauptbeschuldigten explizit im Namen haben, gibt es recht umfangreiche Bestände zum Vorbereitungsjahr auf das Landexamen, zu den Seminaren, zum Hymnus-Chor und reichlich Leitungsprotokolle des württembergischen Jungmännerwerks. Aus der Arbeit mit diesem Material und mit Hilfe der Betroffenenaussagen dürften sich weitere Ansatzpunkte zur Fortführung der Recherche ergeben.“

Harald Haurys Recherchen im Landeskirchlichen Archiv sind demzufolge noch nicht abgeschlossen. Bislang hat er folgende Bestände des Archivs durchgesehen:

A 132 Evangelische Seminarstiftung, C 8 Evangelisch-Theologisches Seminar Maulbronn, C 9 Seminar Schöntal, C 10 Seminar Urach, K 24 Evangelisches Jugendwerk und K 45 Hymnus-Chor.

Amtskalender im Laufe der Zeiten

11. Januar 2022 | |

In den Pfarrarchiven findet sich oft eine serielle Quelle, die den Zeitraum ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Laufzeit der pfarramtlichen Überlieferung abdeckt: die Amtskalender. Dort trugen die Pfarrer der Kirchengemeinden stichpunktartig und mehr oder weniger durchgehend bestimmte Termine ein, die sich aus ihrem Aufgabenbereich ergaben. Eine große inhaltliche Ausführlichkeit bietet die Quelle nicht. Sie bietet die Möglichkeit entweder punktuell auf bestimmte Tage oder Wochen zuzugreifen oder längere Zeiträume zu vergleichen.

Die Amtskalender haben sich im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte rein äußerlich verändert. Den Anfang machte man mit staatlichen württembergischen Kalendern in handlichem Oktav-Format, die in ihrem vorgedrucktem Inhalt im Wesentlichen mit Hinweisen zum agrarischen Jahreszyklus durch die jeweiligen Jahre führten. Dazu gab es noch Anekdoten und nützliche Information, wie etwa Termine der Märkte, die im jeweiligen Monat im Königreich Württemberg stattfanden. Ab 1871 druckte die Landeskirche selber Amtskalender. Damit war die Möglichkeit gegeben, die Pfarrer gezielt durch das Jahr zu führen. Dies geschah durch Hinweise auf den kirchlichen Jahreslauf mit Feiertagen und Gedenktagen. Auch war nun mehr Platz für die Eintragungen geboten, da das Format des Kalenders vergrößert wurde. Im großen und ganzen blieb man bei dieser Gestaltung bis heute, auch wenn der Einband heute nicht mehr schwarz sondern blau ist.

Die abgebildeten Kalender wurden dem Pfarrarchiv Schützingen entnommen, das derzeit verzeichnet wird.