Portrait eines unbekannten Mannes im ältesten Kirchenbuch von Heumaden

24. März 2023 | | , ,

Als Reaktion auf unseren Beitrag über künstlerische Illustrationen in Kirchenbüchern hat uns ein Genealoge auf das Portrait eines unbekannten Mannes im ältesten Kirchenbuch von Heumaden aufmerksam gemacht. Auf der Seite 45 ist ein Portrait eines schätzungsweise 50- bis 60-jährigen Mannes eingezeichnet.[1]

Da die Tinte der Zeichnung, des Eintrags „Anno Domini 1608“ auf derselben und des Eintrags auf der folgenden Seite dieselben zu sein scheint, kann angenommen werden, dass der Zeichner der Pfarrer Johann Mylius war, der sein Amt am 18. März 1608 antrat, aber bereits am 20. Juni 1609 an der Pest verstarb. Ein Selbstbildnis ist eher ausgeschlossen, da Mylius, der sich 1600 an der Universität Tübingen immatrikulierte,[2] 1608 eher um die 30 Jahre alt gewesen sein dürfte. Sein Alter ist in seinem Todeseintrag leider nicht angegeben.[3]

Uwe Geiger vermutet in seinem Aufsatz über die Pfarrersfrau Margaretha Maickler, bei dem dargestellten Mann könnte sich um den Heumadener Pfarrer Albert Kupferschmied handeln.[4] Kupferschmied starb am 21. Januar 1608 – nicht wie im Artikel angeben im Januar 1609 – jedoch im Alter von 32,5 Jahren,[5] so dass es eher auszuschließen ist, dass er die dargestellte Person ist.

Auf der Seite mit dem Portrait ist lediglich ein Taufeintrag zu finden, nämlich der von Catharina Weber vom 13. August 1607. Da der abgebildete Mann nicht in typischer Pfarrerkleidung dargestellt ist, könnte er auch Hans Weber, genannt Klein, der Vater der Catharina sein.[6] Auch sein Alter ist nicht bekannt, in seinem Todeseintrag vom 26. September 1614 ist jedoch angegeben, dass er Mitglied des Gerichts war.[7] Er könnte deshalb das nötige Ansehen gehabt haben, um sich in Kirchenbuch verewigen zu lassen.

Wer schlussendlich der unbekannte Mann war, bleibt im Dunkeln der Geschichte.

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Heumaden, Mischbuch 1558-1806, Taufregister 1558-1780, S. 45

[2] KB Heumaden, M 1558-1806, Vorblatt , vlg. auch Eintrag im Pfarrerbuch auf wkgo.

[3] KB Heumaden, M 1558-1806, Totenregister 1593-1753, S. 604

[4] Geiger, Uwe: Margaretha Maickler geborene Kepler, verwitwete Binder. Rekonstruktion eines Frauenlebens. In: Schwäbische Heimat 2022|4, S. 51 – 56 (Online-Veröffentlichung), hier S. 52

[5] Eintrag im Pfarrerbuch auf wkgo  und KB Heumaden, M 1558-1806, To 1593-1753, S. 602

[6] Hermann, Richard: Familienbuch Heumaden. Stuttgart-Heumaden jetzt 70619 Stuttgart. Die Familien von Heumaden 1558 – 1877. Stuttgart 2010, S. 229, Nr. 1267

[7] KB Heumaden, M 1558-1806, To 1593-1753, S. 611

 

 

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Künstlerische Illustrationen in den Nellinger Kirchenbüchern

21. März 2023 | | ,

Im ersten Kirchenbuch von Nellingen auf den Fildern sind im Taufregister auf mehreren Seiten verschiedene künstlerische Illustrationen zu finden, die auf ein gewisses Talent des Urhebers schließen lassen.

 

Die erste Seite [1] beginnt mit der Beschreibung der Einführung der Taufregister im Herzogtum Württemberg:

 

„Anno Domini 1558 im Monat

deß Mertzens, hatt der Durchleuchtige, Hochge-

porne Furst unnd Herr, Herr Christoph Hertzog

zu Wurtembeg, und zu Theckh, Grave zu

Mumpelgarth etc. unser gnädiger Furst und

Herr, auß vilerley Bewegen den notwendigen

Ursachen, einen gemeinen Bevelh allenthalben

im Furstenthumb außgehen laßen, nemlich

das hinfuro alle Kinder, so zu dem christenlichen

Tauff gebracht, sollen mit irem Vatter, Muter,

und Gefattern, auch der Tag, und in welchem Jar

sie getaufft, ordenlich auffgeschriben werden,

wie hernach in disem Buch volget. Der

Herr beware ihren Eingang, und Außgang,

von nun an, und in Ewigkeit.

Amen“

 

Im anschließenden Bild ist Mariä Verkündigung dargestellt (Lukas 1,26–38 ). Die Buchstabenreihe A.G.D.T. B.T.I.M. im Bild steht für „Ave Gratia plena, Dominus Tecum, Benedicta Tu In Mulieribus“, also für den Anfang des Angelusgebets, der auf Deutsch lautet: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.“ oder angelehnt an Lukas 1,28: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen.“. Die Bedeutung des Stabes, den der Engel in der Hand hält, ist unklar.

 

Auf der zweiten Seite [2], dem Beginn der Taufeinträge des Jahres 1561, sind Szenen aus der Bibel dargestellt. In der obigen Tafel sind es:

  1. Die Erprobung Abrahams: die Opferung Isaaks (Genesis 22,10-12 = 1. Buch Mose 22,10-12).
  2. Simsons (Samsons) Heirat einer Philisterin und sein Rätsel: Simson zerreißt einen Löwen mit bloßen Händen (Iudicum 14,6 = Richter 14,6 ).
  3. Die Kreuzigung Jesu (Matthäus 27,35 ff ). Dargestellt ist auch Longinus, der römische Zenturio, der Jesus nach dessen Tod eine Lanze in die Seite gestochen haben soll. Dies ist nur im Johannesevangelium erwähnt (Johannes 19,34).
  4. Die Auferstehung Jesu (Markus 16). Jesus trägt die so genannte Siegesfahne, ein Symbol für seine Auferstehung.
  5. Die kupferne Schlange (Serpens) (Numeri 21,4-9 = 4. Buch Mose 21,4-9).
  6. Jonas und der Wal – Jonas‘ Geschichte beginnt in Jona 1, der Wal (großer Fisch) taucht aber erst in Jona 2,1 auf.

 

In der unteren Tafel sind dargestellt:

  1. Auch hier passt das Bild nicht zur angegebenen Bibelstelle. Der Ziegenbock (Hircus) wird erst in Levitikus 16,22 (= 3. Buch Mose 16,22) erwähnt: „und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen“. Was die beiden wahrscheinlich nachträglich von einer anderen Person eingefügten Symbole auf bzw. neben dem Ziegenbock darstellen, ist unklar. In Levitikus 15 (= 3. Buch Mose 15 ) geht es um Ausflüsse aus den Genitalien, weshalb ein Phallus-Symbol nicht ausgeschlossen ist.
  2. Agnus Dei mit Siegesfahne, hervorgegangen aus den Pessach-Lämmer, deren Blut als Schutzzeichen vor der zehnten Plage an den Türpfosten gestrichen wurde (Exodus 12 = 2. Buch Mose 12).

 

Auf der dritten Seite [3] folgt auf einen Taufeintrag vom 5. Dezember 1562 und einem „Trennbild“, durch einen roten Fingerzeig, der evtl. später eingefügt wurde, noch hervorgehoben:

 

„Anno hoc currensus 1562 die 18 Decemb.

M. Samuel Neuhauser futurus parochus in

hoc pago Nellingen prima contionem habuit et

Profectus eo proxima die ante vigilias natiuitatis

Jesu Christi“

 

Übersetzt heißt dies (in etwa): „In diesem laufenden Jahr 1562, am 18. Tag des Dezembers, hatte Magister Samuel Neuhauser, der zukünftige Pfarrer in diesem Dorf Nellingen, die erste Versammlung und fuhr am nächsten Tag vor dem Vorabend der Geburt Jesus Christus fort.“

Samuel Neuhauser kam wohl am 18. Dezember 1562 zu einem ersten Kennenlernen nach Nellingen und trat sein Amt offiziell zum 22. Dezember 1562 an.

Das Bild darunter könnte die Segnung der Kinder (Matthäus 19,13-15) darstellen.

 

Auf der vierten Seite [4] ist nach einen Taufeintrag vom 31. Dezember 1564 und wiederum einem „Trennbild“ der gekreuzigte Jesus dargestellt. Neben ihm ist auf einer Tafel zu lesen: „ECCE AGNUS DEI QUI TOLLIT PECCA TA MUNDI“, übersetzt: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“ Die Person rechts daneben auf einer Kanzel könnte Johannes Brenz, den Reformator des Herzogtums Württemberg, darstellen.

 

Auf der fünften Seite [5] folgt auf einen Taufeintrag vom 24. November 1568 ein Ornament. Darin steht in der Mitte IHS CHRS = Jesus Christus.

In den Ecken links oben, rechts oben, rechts unten und links unten stehen nummeriert die Namen von 1. Paulus, 2. (Simon) Petrus, 3. Judas und 4. Jakobus. Während die ersten beiden bedeutende Persönlichkeiten für das Urchristentum waren, Paulus der bedeutendste Missionar des Urchristentums, Petrus der Sprecher der Apostel und Leiter der Jerusalemer Urgemeinde, ist unklar, warum Judas und Jakobus hervorgehoben sind. Sollte mit ersterem Judas Iskariot, der Jesu verriet, gemeint sein, so war auch dieser für das Christentum in gewisser Weise bedeutend, wenn auch im negativen Sinn. Ob mit Jakobus einer der beiden Apostel (s.u.) gemeint ist oder Jakobus, der Stammvater Israels, oder Jakobus, der Bruder Jesu, bleibt unklar.

In den Spitzen oben, rechts, unten und links stehen die Namen der Evangelisten Matthäus („Math.“), Markus, Lukas und Johannes. Ersterer und letzterer waren gleichzeitig Apostel.

In den Schleifen stehen, im Uhrzeigersinn oben beginnend, die Namen der Apostel Jakobus der Ältere, Johannes, Philippus, Bartholomäus, Thomas, Matthäus, Jakobus der Jüngere („Jacobus mi[nor]“), Judas Thaddäus, Simon, Matthias (der „nachrückte“, nachdem Judas Iskariot Jesus verraten hatte), Petrus und Andreas.

Auf der sechsten Seite [6], der ersten Seite mit den Taufeinträgen von 1570, ist im gleichen Ornament wie auf der fünfen Seite die Anbetung des Jesuskindes durch die Sterndeuter aus dem Osten dargestellt (Matthäus 2,10-11). In der christlichen Kunst wird dieses Motiv mit „Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige“ oder kurz „Anbetung der Könige“ betitelt. In dem Bild sind nur zwei Sterndeuter dargestellt, wovon einer eine dunkle Hautfarbe hat. In der Bibel wird weder die Anzahl noch die Hautfarbe oder Namen der Sterndeuter genannt. Die Zahl drei, die Namen Caspar, Melchior und Balthasar, in machen Darstellungen auch die dunkle Hautfarbe des letzteren, hat sich erst über die Jahrhunderte entwickelt. Hier: Beispiele für die Darstellung

Wem wir diese Illustrationen zu verdanken haben, bleibt unbekannt. Im Zeitraum 1558 bis 1570 waren in Nellingen zwei Pfarrer tätig: Johannes Vetter von 1555 bis Ende 1562, anschließend Samuel Neuhauser bis 1570. Ein Abgleich mit den Taufregistern anderer Tätigkeitsorte dieser Pfarrer, sofern überliefert, ergab, dass dort keine Illustrationen vorzufinden sind. Möglicherweise gestatteten die Pfarrer einer anderen, künstlerisch begabten Person, diese Illustrationen einzuzeichnen, oder beauftragten diese sogar. Da vor allem die Illustration auf der zweiten Seite „klösterlich“ wirkt und es in Nellingen zu dem Zeitpunkt noch eine aktive Propstei gab, zu der ein gutes Verhältnis bestand – der katholische Propst ist in einigen Taufeinträgen als Taufpate aufgeführt – wäre es auch denkbar, dass ein Mönch aus der Propstei der Maler war.

In welchem Umfang auch in Kirchenbüchern anderer Orte ähnliche Illustrationen vorzufinden sind, ist nicht bekannt. Es kann aber angenommen werden, dass es diese nicht nur in den Nellinger Kirchenbüchern gibt, wie folgender Zufallsfund aus Flözlingen bestätigt.

Dem 1650 beginnenden Totenregister ist das Bild einer schlafenden Person (eines Kindes?) vorangestellt. Die Person hält eine Sanduhr, ein Symbol für die Vergänglichkeit. Im oberen Bildrand steht „Bey Sonnenschein, mus dises Sein.“, im unteren „HODIE MIHI. CRAS TIBI“, also „heute mir, morgen dir“. Letzterer Spruch ist auf vielen Epitaphien u.ä. zu finden.

Diese beschriebenen einfachen Illustrationen dürften von Laien gemalt worden sein. Farbenprächtige und detailreiche Auftragsarbeiten von Berufsmalern sind in den Tübinger Totenregistern zu finden, worüber Andreas Butz im November 2022 berichtete: https://blog.wkgo.de/2022/11/18/

 

 

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Nellingen, Mischbuch 1558-1729, Taufregister 1558-1729, Vorbl. 3v

[2] Ebenda, Bl. 7v

[3] Ebenda, Bl. 13r

[4] Ebenda, Bl. 17v

[5] Ebenda, Bl. 27v

[6] Ebenda, Bl. 29v

[7] KB Flözlingen, Mischbuch 1644-1717, Totenregister 1650-1717, S. 1

Ausstellung über Schneller-Schulen nun 100 Mal gezeigt

14. März 2023 | | , ,

Die historische Ausstellung „IN WÜRDE LEBEN LERNEN“ – Geschichte der „Schneller-Schulen“   die das Landeskirchliche Archiv, Stuttgart mit der EMS 2010 konzipierte, wurde in diesem Monat zum hundertsten  Mal in Deutschland gezeigt. Die abgespeckte Version, die auf 12 Rollups zu sehen war, wurde ca. 90 Mal in Gemeinden in Württemberg gezeigt aber auch in Hessen (z.B. in Lauterbach (Vogelsbergkreis) oder Gerstungen (Rhön), Rheinland Pfalz, Berlin bis nach Mecklenburg Vorpommern.

Hier eine kurze Zusammenfassung der Inhalte der Ausstellung:

Im Auftrag der Pilgermission gründete der Pädagoge und Missionar Johann Ludwig Schneller 1860 das Syrische Waisenhaus in Jerusalem. Durch den Bürgerkrieg in der zu Syrien gehörenden Provinz Libanon waren viele christliche Kinder zu Waisen geworden. Ihnen sollte das neue Haus ein Leben in WÜRDE bieten. Der Tagesablauf war streng geregelt und ausgefüllt mit Arbeit, Gebet und Gesang. Von Anfang an wurde auch Gewicht auf handwerkliche Berufsausbildung gelegt. Bis zum Ersten Weltkrieg vergrößerte sich die Fläche der Schule, dass sie mehr Raum einnahm als die Jerusalemer Altstadt. Besucher beschrieben es als „ein Bethel vor Jerusalem“. Durch die Wirren des 2. Weltkrieges konnte das SW in seiner ursprünglichen Form in Jerusalem nicht weiter bestehen. Johann Ludwig Schnellers Enkel, Hermann und Ernst, bemühten sich, die Schneller-Schulen im Nahen Osten wieder zu beleben. In den 1950er Jahren wurde in Khirbet Kanafar im Libanon gegründet und schon Anfang der 1960er Jahre konnte in Amman in Jordanien eine weitere Filiale aufgebaut werden.

Durch den syrischen Bürgerkrieg kam auf die Schneller-Schulen heute eine große Verantwortung, da sie sich bemühen jährlich hunderte weitere Schulplätze für Flüchtlingskinder zur Verfügung zu stellen.

Die Ausstellung kann immer noch an interessierte Gemeinden weiter verliehen werden.

Optimierung durch Erfahrungsaustausch und Diskussion: 5. ACTApro Anwendertag

10. März 2023 | |

Am 1. März haben sich in unserem Archiv 23 Archivare und Archivarinnen aus 13 Stadt-, Kreis-, Universitäts-, Firmen-, Stiftungs- und Kirchenarchiven aus Baden-Württemberg sowie zwei Vertreter der startext GmbH zum 5. ACTApro Anwendertag getroffen.

Wie auf jedem der jährlich und nun auch wieder in Präsenz stattfindenden Anwendertage haben wir uns über unsere Erfahrungen mit der Verzeichnungs- und Recherchesoftware „ACTApro Desk“ und der Onlinerecherche- und Präsentationsplattform „ACTApro Benutzung“ (unsere Seite: https://suche.archiv.elk-wue.de) ausgetauscht. Außerdem konnten wir mit den Vertretern von startext, die uns über die neuesten Entwicklungen der Software informierten, über den ein oder anderen Optimierungsbedarf und verschiedene Vorschläge für neue Funktionen diskutieren.

Auch wenn die Vorstellungen von startext und die der Archive in manchen Punkten sich nicht decken, fand das Treffen in entspannter und kollegialer Atmosphäre statt. Durch den Erfahrungsaustausch kann das Arbeiten mit der Software in den einzelnen Archiven optimiert, durch die Diskussion mit startext die Software selbst verbessert und an die Erfordernisse der Archive angepasst werden, was für beide Seiten ein Gewinn ist. Außerdem war es nach zwei digitalen Anwendertagen wieder schön, die Kollegen und Kolleginnen persönlich zu treffen, neue Gesichter zu sehen und sich von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten.

Studientag der Empirischen Kulturwissenschaft im Landeskirchlichen Archiv

1. März 2023 | |

Eine Studierendengruppe des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen forschte am Freitag, den 13.01.2023 im Landeskirchlichen Archiv zur Thematik „Verschickungskinder“. Das Ziel war, Studierende für die Forschungsarbeit mit Originalquellen aus Kindererholungsheimen zu begeistern. Der Studientag begann mit einer Einführung in die Recherchemöglichkeiten der Archivbestände, daran anschließend wurde ein Film von 1969/70 aus einem Allgäuer Kindererholungsheim gezeigt und darüber diskutiert. Nach der Archivführung durch die Magazinräume – mit Betrachtung des Geburts- und Sterbeeintrags Ludwig Uhlands aus den Tübinger Kirchenbüchern – folgte eine Arbeitsphase im Lesesaal. Dort lagen ausgewählte Unterlagen aus dem Bestand des Diakonischen Werkes zu verschiedenen Fragestellungen rund um das Thema „Verschickungskinder“ für die Studierenden bereit.

Die Studentin Luca Merz hat ihre Eindrücke dazu festgehalten:

„Auf der Suche nach Antworten auf Fragen nach dem Leben in Kinderkurheimen betrat die Gruppe Kulturwissenschaftsstudierender der Universität Tübingen heute Morgen das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart. Im Gepäck hatten wir allerhand offene Fragen, erwartungsfroh Hinweise für unsere Forschung in den Tiefen des Archivs finden zu können. Das Thema unseres Seminars ist die Kinderverschickungen der Nachkriegsjahre. Gemeinsam mit unserer Dozentin Gudrun Silberzahn-Jandt sind wir auf der Suche nach Quellen, um mehr über den Alltag und die teils gewaltvollen Strukturen in sogenannten Kindererholungsheimen zu erfahren. Dabei beschäftigen wir Studierenden uns mit ganz unterschiedlichen Themenbereichen der Kinderverschickungen, wie beispielsweise dem Thema Heimweh, Bettnässen oder dem erzieherischen Ansatz der Kurheime. Im Landeskirchlichen Archiv durchforsteten wir gezielt die durch die Archivarin bereitgelegten Akten, um mehr über die Zustände der Heime zu erfahren. Dabei stießen wir immer wieder auf Überraschungen. Die verzweigten Wege, denen wir während der Führung folgten, zeigten, wie vielschichtig das Archiv ist. Es war überwältigend, die Menge an Archivalien zu sehen: die gesammelten Informationen sind fast greifbar, wenn man die schmalen Gänge zwischen den Akten entlang geht. Dazu kommt der kühle Geruch nach tonnenweisem Papier und staubiger Luft, der Ort speichert nicht nur sehr viel Wissen, er fühlt sich auch danach an. Trotz der schier unendlichen Akten in diesem Archiv braucht man jedoch auch Wissen um fündig zu werden, wenn man nach etwas bestimmtem sucht. Das Archiv beherbergt zwar unzählige Schriftstücke, Fotos und Broschüren, doch die Recherche kann sich vielleicht genau deswegen wie die redensartliche Suche nach der der Nadel im Heuhaufen anfühlen. Denn wichtig ist zuvor zu wissen, wo Akten gelagert sind. Dies ist abhängig davon, zu welchem Träger das Heim gehörte – war es ein kirchliches, und wenn ja zur Caritas oder Diakonie gehörig und zu welcher Landeskirche oder Diözese. Wenn es um Aufsichtsakten von staatlichen Behörden geht, sind diese in staatlichen Archiven, wenn es um Heime anderer Träger geht, dann dort, falls sie überhaupt ein Archiv führen. Da ist eine gründliche Recherche in Onlinedatenbanken im Vorhinein hilfreich. Aber wäre die kulturwissenschaftliche Forschung überhaupt Forschung, wenn man sich nicht auf die Suche nach den richtigen Akten machen müsste, um an neue Erkenntnisse zu kommen?“

 

Siehe auch:

Nachkriegszeit Teil 10: „Verschickungskinder“ – im Erholungsheim Bergfreude in Scheidegg im Allgäu : Württembergische Kirchengeschichte online – Blog (wkgo.de)

Serie zur Nachkriegszeit VI: Das Kindererholungsheim Laufenmühle bei Welzheim : Württembergische Kirchengeschichte online – Blog (wkgo.de)

 

Kirchenregister von Auslandsgemeinden in Kroatien im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart

22. Februar 2023 | | ,

Renato de Lucca von der Brazilian Association of History and Genealogy Researchers recherchierte vor einiger Zeit in unserem Archiv und entdeckte dort auch die bei uns verwahrten Kirchenregister ehemaliger evangelischer Kirchengemeinden im ehemaligen Jugoslawien, unter anderem im Staatsgebiets von Kroatien. Er hat darüber einen lesenswerten Beitrag verfasst, der zunächst in einer Zeitschrift in Brasilien, dann aber auch in Periodika in Paraguay und in Kroatien veröffentlicht wurde. Man vergisst leicht, dass die Nachfahren der 1945 vertriebenen Donauschwaben heute nicht nur in Deutschland leben, sondern teilweise auch in ganz andere Weltregionen, wie etwa nach Südamerika migriert sind. Auch der kroatische Fernsehsender Nova TV wurde auf Herr de Luccas Beitrag aufmerksam und hat ihn für einen TV-Bericht interviewt. Wir freuen uns immer, wenn über Quellen unseres Archivs medial berichtet wird. Herr de Lucca hat seinen Beitrag unter anderem auch in die deutsche Sprache übersetzen lassen und uns die Erlaubnis erteilt, ihn in unserem Blog zu veröffentlichen. Die Übersetzung hat Herr Garo Hairabetian erstellt.

Es folgt der Text von Herr de Lucca:

Es ist nicht lange her, da erhielt ich eine Anfrage von einem Mann mit kroatischen Wurzeln, der erzählte, dass er den Geburtsnachweis seines Großvaters, geboren in Velimirovac (Welimirowatz), Kroatien, nicht ausfindig machen konnte. Ich erfuhr, dass die Institutionen dieses Landes ihn über die Nichtexistenz dieser Aufzeichnungen und die damit verbundene Unmöglichkeit die kroatische Staatsangehörigkeit zu beantragen informierten, obwohl der kroatisch-stämmige Mann im Besitz einer gut erhaltenen, lesbaren  und originalen Geburtsurkunde seines Großvaters aus den 1920er Jahren war.

Nach vergeblichen Recherchen in nationalen und regionalen Archiven, Kirchen, Notariaten und Museen in verschiedenen Regionen Kroatiens, deren Mitarbeiter ich für ihre Hilfe sehr dankbar bin, erhielt ich die Information, dass die Bücher mit den entsprechenden Aufzeichnungen sich möglicherweise in Deutschland befinden. Wie kann man etwas ausfindig machen, dass sich nicht mehr in den Händen der zuständigen Institution befindet? Es ist kein Zufall, dass sich die Antwort darauf regelmäßig in der Familiengeschichte findet.

An jenem Tag, nach Gesprächen mit Rafael Fix, dessen Großvater der kroatische Auswanderer mit deutschen Wurzeln war, der in Banovci, Kroatien, geboren wurde und Lutheraner war, fand ich das fehlende Teil zur Lösung des Rätsels. Sein Großvater, der in diesen verschollenen Büchern registriert ist, kehrte Jahre später nach Deutschland zurück, nachdem er aus Kroatien nach Brasilien ausgewandert war. Er beantragte seine Geburtsurkunde, die vom Kirchlichen Landesarchiv in Stuttgart ausgestellt wurde, wo heute diverse Kirchenbücher – nicht nur aus Kroatien, auch aus Serbien, Rumänien und der Slowakei – archiviert sind.

Auslandsgemeinden im Save – Donau – Drau – Gebiet Kroatiens

Nur um beispielhaft darzustellen, warum die Bücher sich außerhalb ihrer Ursprungsländer befinden, erläutere ich kurz, was sich in Velimirovac, Kroatien vor nicht allzu langer Zeit ereignet hat und dessen Aufarbeitung bis in die Gegenwart reicht.

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs1, war Velimirovac mehrheitlich von Deutschen bewohnt. Laut Volkszählung2 von 1910, hatte das Dorf 797 Einwohner, von denen 764 Deutsche und zum Großteil Protestanten waren. Die Mehrheit der Deutschen kam in den 1880er Jahren von Backa in Vojvodina, gegenwärtig serbisches Gebiet, auf Einladung eines Grafen, um die Wälder abzuholzen und sie in Ackerflächen umzuwandeln.

Zwischen den beiden Weltkriegen verließen zahllose Bewohner, unter Verfolgung und Anfeindungen leidend, das Dorf vor Ankunft der Soldaten. Konfrontiert mit der harten Realität, siedelten einige der Familien auch nach Brasilien über.

Nach der Schließung der evangelischen Gemeinde von Velimirovac im Jahre 1944, nahmen ihre Vertreter die Kirchenbücher mit zu den Archiven der Kirche in Stuttgart, wo sie sich heute befinden und eingesehen werden können.

Die Bewohner, die im Dorf geblieben sind, wurden 1945 in ein Arbeitslager bei Valpovo gebracht, als die Behörden kollektiv allen Deutschen die Schuld für die Verbrechen der Nazis zusprachen. Nach dem Krieg wurden viele Bewohner auch ihrer Besitztümer beraubt und nach Österreich und Deutschland geschickt.

Die Kirchenbücher der Gemeinden sind ursprüngliche, kostenlose Quellen für genealogische Nachforschungen und im Falle ihrer Verfügbarkeit erleichtern sie den Menschen die Rekonstruktion der Familiengeschichte und dienen Wissenschaftlern zudem als Grundlage für Forschungen verschiedener Wissensgebiete.

Obwohl im Verhältnis zu Praktizierenden anderer Religionen ihre Zahl relativ gering ist, ist anzumerken, dass die Bekanntmachung dieser evangelischen Quellen für die Nachkommen einen bemerkenswerten Unterschied gemacht hat, sowohl beim Zugang zu Informationen zur Rekonstruktion der Familiengeschichte als auch bei der Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte in Brasilien, Kroatien oder anderen Teilen der Welt.

In einem der im Kirchenarchiv von Stuttgart aufbewahrten und bereitgestellten Bücher1 finden sich Dutzende Einträge von Familien, die derzeit in Österreich, Deutschland, Frankreich, Vereinigte Staaten von Amerika, Kanada, Mexiko, Australien und Kroatien leben.

Das Buch nennt viele Nachnahmen, darunter Becker, Buchler, Benz, Kolb, Medel, Neumann, Hoffmann, Krebs, Stock, Werner, Schenkenberger, Toth, Hassmann, Heil und Szabo.

Im Folgenden eine Auflistung des Katalogs, der sich nur auf Kroatien bezieht und online verfügbar ist. Er kann über die Seite Archion (Württemberg /Auslandsgemeinde) oder direkt über das Landeskirchliche Archiv eingesehen werden kann.

 

Ein Taufregister aus Szeliste

Reformierte Evangelische Kirche von Szeliste-Velimirovac

Gemischtes Buch       1886-1905      (Band 1)

Taufregister    1899-1924       (Band 2)

Taufregister    1924-1936       (Band 3)

Taufregister    1936-1954       (Band 4)

Heiratsregister            1887-1905      (Band 5)

Heiratsregister            1906-1938      (Band 6)

Heiratsregister            1939-1954      (Band 7)

Sterberegister 1887-1905       (Band 8)

Sterberegister 1906-1924       (Band 9)

Sterberegister 1924-1933       (Band 10)

Sterberegister 1934-1948       (Band 11)

 

Lutherische Evangelische Kirche von Szeliste-Velimirovac (Szeliste oder Selište war der Name von Velimirovac bis 1914)

Gemischtes Buch       1886-1907      (Band 1)

Gemischtes Buch       1904-1926      (Band 2)

Gemischtes Buch       1927-1944      (Band 3)

Gemischtes Buch       1940-1943      (Band 4)

Gemischtes Buch       1902-1926      (Band 5)

Sterberegister 1939-1944       (Band 6)

 

Reformierte Evangelische Kirche von Vinkvacko Novo Selo , Kroatien

Neudorf (Vinkovačko Novo Selo), Kroatien

Gemischtes Buch       1831-1860      (Band 1)

Gemischtes Buch       1860-1897      (Band 2)

Taufregister    1881-1903       (Band 3)

Einige evangelische Kirchenbücher von Novo Selo (Neudorf) in Kroatien

Taufregister    1904-1926       (Band 4)

Taufregister    1926-1944       (Band 5)

Taufregister    1897-1922       (Band 6)

Heiratsregister            1923-1944      (Band 7)

Sterberegister 1881-1910       (Band 8)

Sterberegister 1911-1944       (Band 9)

Sterberegister 1914-1918       (Band 10)

Konfirmationsregister 1927-1944      (Band 11)

Verschiedenes            1902-1942      (Band 12)

 

Reformierte Evangelische Kirche von Banovci (alter Name war Šidski Banovci), Kroatien

Sidske Banovce (Banovci, Novi Banovci, Sidski Banovci, Schider Banovci, Sidske Banovce, Banowce, Banowzi), Serbien, Reformierte Gemeinde

Gemischtes Buch       1862-1905      (Band 1)

Taufregister    1899-1935       (Band 2)

Taufregister    1936-1944       (Band 3)

Heiratsregister            1904-1943      (Band 4)

Sterberegister 1905-1944       (Band 5)

 

Quellen

Landeskirchliches Archiv Stuttgart

Archion (Internetkatalog und digitalisiertes Kirchenregister), verfügbar über www.archion.de

Nationalarchiv in Osijek, Zagreb und verschiedene Notariate (Osijek, Slatina, Zagreb, usw.)

Bibliothek der Stadt Osijek (Gradska i Sveučilišna knjižnica u Osijeku).

Siedlungen und Population der Republik Kroatien 1857-2001, Statistisches Büro von Kroatien, Volkszählung von 2011,

ASBRAP – Associação Brasileira de Pesquisadores de História e Genealogia

Genealogia Croata (Kroatische Genealogie in Brasilien), auf Facebook verfügbar.

 

 

Literatur

BARWICH, Leopold Karl. Heimatbuch Welimirowatz: Menschen zwischen Welten, zur Erinnerung an unser deutsches Dorf in Slawonien. Reutlingen, Deutschland: Heimatausschuss Welimirowatz, 1985. Verfügbar  in digitalem Format nach Antrag an Landeskirchenarchiv Stuttgart.

Kirchenbücher aus Jugoslawien für die Gemeinden, Katalog der Bücher der Jugoslawischen Kirche für die Gemeinden von Becmen, Nemci, Szeliste- Velimirovac, Sidske Banovce, 1987, Landeskirchenarchiv Stuttgart. Verfügbar in digitaler Form auf Antrag.

BEER, Josef. Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien Band I Ortsberichte. München: Donauschwäbische Kulturstiftung – Stiftung des privaten Rechts, 1997.

SCHERER, Anton. Kratka povijest podunavskih Nijemaca. Osijek, Zagreb, Split: Pan Liber, 1999.

LUCCA, Renato de. Registros Paroquiais Croatas localizados na Alemanha. São Paulo: Associação Brasileira de Pesquisadores de História e Genealogia, 2021, Zeitschrift ASBRAP Nummer 28

 

Audiokassetten als historische Quellen

15. Februar 2023 | |

Viele werden Audiokassetten noch aus der eigenen Kindheit und Jugend kennen, als sie darauf Musik aus dem Radio, von anderen Audiokassetten oder von CDs aufgenommen und sich so ihre eigenen Mixtapes zusammengestellt hatten. Audiokassetten wurden aber auch für andere Aufnahmen benutzt. Immer wieder gelangen aus Nachlässen von Mitgliedern von Bibel- oder Hauskreisen Audiokassetten mit Aufnahmen von Predigten oder Vorträgen zu religiösen Themen v.a. aus den 1980ern und 1990ern ins Landeskirchliche Archiv Stuttgart. Diese Aufnahmen gewähren neben den üblichen amtlichen Akten einen Einblick ins geistliche Leben dieser Jahrzehnte in Württemberg und würden sogar eine Forschung zu den rhetorischen Fähigkeiten der Sprechenden ermöglichen.

Die Audiokassetten werden genauso wie andere Archivalien verzeichnet. Da anzunehmen ist, dass in einigen Jahrzehnten kein Abspielgerät für Audiokassetten mehr zur Verfügung steht, werden die darauf befindlichen Aufnahmen digitalisiert, um sie auch zukünftigen Generationen zugänglich zu machen. Außerdem ermöglichen Audiodateien eine leichtere, z.B. auch vergleichende Nutzung.

Aktuell verzeichnet und digitalisiert Felix Kräutl im Rahmen seines Freiwilligen Sozialen Jahrs in der Denkmalpflege die Audiokassetten aus dem Bestand D 151, dem Nachlass von Ortwin Schweitzer, des Leiters des Hauskreisreferats des Amts für missionarischen Dienste der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Über die dafür notwendigen Vorarbeiten schreibt er:

„Aktuell digitalisiere ich einige Kassetten, vor allem gut 250 Kassetten aus dem Nachlass Ortwin Schweitzers. Bevor wir mit dem Digitalisieren beginnen konnten, musste ich die gut 300 unsortierten Kassetten erst einmal sortieren und feststellen, ob sie denn auch archivwürdig sind oder auskassiert werden sollen. Ich musste genau darauf achten, ob es nun Kassetten aus dem Handel oder doch selbst aufgenommene waren und musste bei denen aus dem Handel prüfen, ob an den darauf befindlichen Aufnahmen Ortwin Schweizer mitwirkt oder ob er diese nur erworben hat und diese folglich nicht archivwürdig sind.“

Die Digitalisierung erfolgt über ein handelsübliches Doppel-Kassettendeck, einer externen Soundkarte und der Open-Source-Software „Audacity“. Die erzeugten Audiodateien werden im FLAC-Format (Free Lossless Audio Codec) gespeichert und im DIMAG, dem digitalen Magazin des Archivs archiviert.

Erweiterungsbau Landeskirchliches Archiv

8. Februar 2023 | |

Am Freitag, den 3. Februar fand hinter unserem Archivbau in der Balingerstr. 33/1 in Stuttgart-Möhringen der Spatenstich zu einem Bauprojekt statt, welches uns nun mehr als ein Jahr begleiten wird. Die Parkplätze sind für diesen Zeitraum erst einmal weggefallen, aber bald schon wird das Archiv von dieser Maßnahme profitieren können. Durchgeführt wurde der Spatenstich von Stefan Werner (Direktor im Evangelischen Oberkirchenrat), Dr. Claudius Kienzle (Referatsleiter und Leiter des Landeskirchlichen Archivs), Michael Bing (Leiter Registratur und Dokumentenmanagement)  und Bertram Sehl (Leiter Zentrales Gebäudemanagement). Ein Abschluss mit den Kollegen und Kolleginnen, den Architekten, Planern, Vertretern der Kommunalpolitik und weiteren geladenen Gästen rundete das Ereignis ab und gab Gelegenheit zum Austausch und zur Information.

Mittlerweile sind schon die schweren Maschinen am Arbeiten. Es wird einen Anbau an das bisherige Bestandsgebäude geben. Insgesamt wird die Grundfläche von 5.000 qm auf 6.300 qm, sowie die Geschossflächen von 8.500 qm auf 13.600 qm erweitert.

In diesem Anbau werden künftig unterkommen:

  • Archivflächen
  • das Planarchiv
  • das Fotoarchiv
  • das Digitalisierungszentrum
  • Besprechungsbereiche/ -räume
  • Büros und Kommunikationszone
  • die Anlieferung
  • und der Technikbereich.

Insgesamt wird es im Anbau 15.000 laufenden Metern Regalflächen geben. Das entspricht etwa der Strecke vom Stuttgarter Rotebühlplatz bis zur Balinger Straße 33 in Möhringen und dann noch weiter bis zum Campus der Uni Stuttgart in Stuttgart-Vaihingen.

Wie im Neubau des Oberkirchenrats Stuttgart an der Gänsheide, sieht auch das Energiekonzept vom Anbau des Archiv vor, dass es ohne fossile Brennstoffe auskommt. Es wird eine Luft-Wasser-Wärmepumpe geben, sowie ein Trafo und Photovoltaik-Anlage.

Die Photovoltaikanlage wird den gesamten Eigenverbrauch selbst erzeugen.

Der Bezug soll 2024 stattfinden.

Aktuell ist eine Bauzeit von 15 Monaten angesetzt.

Studierendengruppe des Evangelischen Stifts Tübingen bei uns zu Gast

1. Februar 2023 | |

Im Rahmen der studentischen Lehrveranstaltung „Das Kirchenjahr und seine Textilien“ unter der Leitung von Janek Schröder ging eine Gruppe des Evangelischen Stifts den Fragen nach: Warum hängen an Altar und Kanzel diese „bunten Teppiche“? Welche Bedeutung haben ihre Farben und weshalb braucht es beim Abendmahl so viele weiße Tücher? Wie sollen sich im Gottesdienst Handelnde anziehen?

Nachdem die Studierenden sich mit den biblischen Grundlagen und historischen Entwicklungen beschäftigt hatten, führte sie eine Exkursion zu uns ins Landeskirchliche Archiv Stuttgart. Sie erhielten Einblick in den Archivbestand der Evangelischen Paramentenwerkstatt, die von 1924 bis 1997 in Württemberg wirkte. Entwürfe und Fotografien aus dieser Zeit zeigten die gestalterischen und handwerklichen Grundlagen der textilen Werke. Anschließend ging es in das Magazin der Musealen Sammlung, wo Paramente aus verschiedenen Epochen und Stilrichtungen entdeckt werden konnten. Besondere Stücke waren selbstgebastelte Altartücher, die in Kriegsgefangenenlagern des Zweiten Weltkriegs von den Internierten aus Lumpen- und Teppichresten gefertigt worden waren, um auch unter schwierigen Bedingungen einen würdigen Gottesdienst feiern zu können. Großes Interesse bestand ebenso an der liturgischen Kleidung. Die Museale Sammlung beherbergt nicht nur Standardversionen von Talar und Beffchen, sondern auch individuell gestaltete Exemplare aus den 1980er Jahren, die versuchten, den traditionell gesteckten Rahmen zu sprengen, um etwa mehr Nähe zu Alltag und Gemeinde herzustellen. Vorgestellt wurde auch der Talar einer der ersten Pfarrerinnen in Württemberg und dem dazugehörigen „Frauenbeffchen“, das einem Blusenkragen nachempfunden war.

Die im Seminar erarbeiteten Sachkenntnisse der Studierenden wurden rege eingebracht und waren für mich als Sammlungsleiterin eine Bereicherung. Ich freue mich jedenfalls darauf, mit weiteren studentischen Gruppen ins Gespräch über kirchliche Sachkultur zu kommen.

Zu den Lehrveranstaltungen im Evangelischen Stift Tübingen hier.

 

Aus dem FSJ: Betende Hände

25. Januar 2023 | |

Diese Woche habe ich mit Frau Kittel eine riesige Sammlung „Betende Hände“ begutachtet und sortiert. Albrecht Dürer hat dieses Motiv 1508 gezeichnet. Seit den 1950er Jahren wurde es in allen möglichen Variationen kopiert und hing in vielen Häusern als Wandschmuck. Eine Dame hat die Sachen jahrelang bei Haushaltsauflösungen und Flohmärkten gesammelt und das Ganze dann der Musealen Sammlung im Landeskirchliche Archiv geschenkt.

Als wir die Bilder in unserem Besprechungsraum ausgebreitet haben, fiel die schwankende Qualität der Objekte auf. Die überraschende Zahl der unterschiedlichen Materialien zeigt, dass dieses Motiv in der Vergangenheit wohl sehr beliebt war. Bei diesen Bildern kommt es nicht auf das Einzelne an. Viele erscheinen uns heute kitschig und schlecht gemacht. Wichtig ist die große Menge der Bildnisse. Sie zeigt, dass die „Betenden Hände“ vielen Menschen etwas bedeutet haben.

Deshalb haben wir die gesamte Sammlung in die Museale Sammlung aufgenommen und kein Stück ausgeschieden. Die fast 400 Objekte haben wir in fünf großen Kisten und 26 Archivschatullen gut verpackt. Um diese Menge an Bildern zu erleben wäre es perfekt, diese Bildnisse im Ganzen auszustellen.

Auszüge aus der Sammlung (Inv. Nr. 23.020):

Georg Ferdinand Kittel (1832-1903)

18. Januar 2023 | | ,

Denkmal Ferdinand Kittel in Bangalore/Indien Foto: Bernhard Dinkelaker

Groß steht sein Denkmal an der „Mahatma Gandhi Road“ in Bangalore in Indien: Ferdinand Kittel, geboren am 7.4.1832 in Ostfriesland. Mit 18 Jahren ging er zur Ausbildung nach Basel – und lernte dort auch Griechisch, Lateinisch, Hebräisch, Englisch und Französisch. 1853 wurde er mit 21 Jahren von der Basler Mission nach Indien ausgesandt, wo er – unterbrochen durch zwei lange Heimataufenthalte – bis 1892 wirkte.

Warum wurde ihm dort ein Denkmal errichtet? Auf welchem Buch ruht seine Hand? Und warum trägt die Statue eine Fahne in der Hand?

Ferdinand Kittel tauchte wie kaum ein anderer Missionar in die Kultur Indiens ein. Wie Paulus „den Griechen ein Grieche“ (1. Kor. 9,20), so wollte er „den Indern ein Inder“ werden. Besonders widmete er sich der Kannada-Sprache, damals „Kanaresisch“ genannt. Das war nicht einfach, denn es gab mehrere Dialekte, dazu viele Fremdworte und Einflüsse aus anderen indischen Sprachen – und auch die kanaresische Schrift wurde in vielen Varianten geschrieben. Er gab eine Anthologie der kanare­sischen Literatur heraus und veröffentlichte eine Sammlung indischer Fabeln für die Schule. Das Leben Jesu schilderte er im Versepos „Kathamale“ in traditionellen indischen Versen und schrieb eigene Gedichte in Kannada.

Ihn begeisterten die bunten indischen Feste. Er schrieb der Missionsleitung: „Wir Evangelischen bieten den Sinnen der Heiden sehr wenig. Wir haben keine Processionen, keine eigentlichen religiösen Volksfeste, kein Gepränge in den Kirchen. Es dürften sich doch noch Ceremonien finden, die wir benutzen könnten – unschuldige volksthümliche Weisen“. Er schlug vor, christliche Lieder nach lokalen Melodien zu singen und mit traditionellen Instrumenten zu begleiten – aber die Missionsleitung war dagegen.

Sie befahl ihm auch, aus dem Dorf, wohin er gezogen war, wieder in die sichere Missionsstation umzuziehen, wo Hygiene und Gesundheit besser geschützt waren.

Foto von Georg Ferdinand Kittel vor der Aussendung 1853 (mit 21 Jahren). QS-30.001.0262.01

Nach zwanzigjähriger Arbeit veröffentlichte er 1894 ein Kannada-Englisch Wörterbuch mit 30.000 Einträgen auf 1758 Seiten – finanziell unterstützt vom Maharadscha von Mysore. Es ist nicht nur eine Übersetzungshilfe, sondern enthält viele Belege aus der einheimischen Literatur.  1903 folgte eine Grammatik. Damit schuf er den Standard dieser Sprache, die heute von ca. 44 Millionen Menschen gesprochen wird und in einer eigenen Schrift geschrieben wird. Es ist die wichtigste Sprache des indischen Bundesstaates Karnataka.

Ferdinand Kittels Wörterbuch Kannada-English von 1894. Quelle: ZVAB

Durch sein „Beffchen“ ist er in der Statue als Pfarrer erkennbar – aber das Buch, auf das er seine Hand legt, ist nicht die Bibel, sondern eben dieses für die Inder so wichtige Wörterbuch. Und es ist die rot-gelbe Fahne dieses Landes, die seine Statue in der Hand hält. So ehrt ihn dieses Land. Auch eine Stadt und ein College sind nach ihm benannt.

Als er 1860 die Basler Mission bat, wie es das damals üblich war, ihm eine Frau schicken, wurde ihm Pauline Eyth aus Tübingen vermittelt. Sie starb schon nach vier Jahren Aufenthalt in Indien. Darauf heiratete er in einem Heimaturlaub 1867 deren jüngere Schwester Wilhelmine Julie Eyth. Aus erster Ehe hatte er zwei Söhne, in zweiter Ehe wurden zwei Töchter und zwei Söhne geboren; ein Sohn wurde auch Missionar und setzte Ferdinand Kittels Arbeit in Indien fort.

1892 kehrte er endgültig nach Deutschland zurück und zog nach Tübingen. Die dortige Universität verlieh ihm für seine sprachwissenschaftliche Arbeit 1896 die Ehrendoktorwürde. Dort starb er am 18.12.1903.  In Indien ist er noch sehr bekannt; immer wieder besuchen Inder  – Christen wie Hindus –  sein Grab auf dem Tübinger Friedhof.

Kittels Grab auf dem Tübinger Friedhof. Foto Goesseln, wikimedia commons. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ferdinand_Kittel_Stadtfriedhof_T%C3%BCbingen.jpg

Schriftkundliche Herausforderungen in den Mötzinger Kirchenbüchern

11. Januar 2023 | |

In den Kirchenbüchern der Pfarrei Mötzingen (Landkreis Böblingen) stößt man auf verschiedene Einträge, die auch für geübte Forschenden schriftkundliche Herausforderungen darstellen.

Im Eheregistereintrag vom Ostermontag 1698 (Feria secunda paschalis, 25. April 1698) ist die Hochzeit eines Johannes Geigers, „Tragoner unter dem löbl[ichen] würtembergischen Regiment“ eingetragen.

Das große G ist auf Anhieb nicht zu erkennen, auf den ersten Blick sieht der Buchstabe eher wie ein großes A aus. Die spätere Ergänzung des Nachnamens mit Bleistift hilft an dieser Stelle aber weiter. Ohne den Bleistiftnachtrag (oder zusätzlich zu diesem) hilft ein Vergleich der Namen in den anderen Einträgen auf der Seite. Oben auf der Seite, in den Einträgen vom 1. Mai 1694 und dem 29. Januar 1695 findet man die Eheeinträge eines Georg Werners bzw. eines Joh. Georg Sattler. Da an diesen Stellen nichts anders stehen kann außer jeweils Georg, kann über diese Namen das große G eindeutig identifiziert werden.[1]

Im Eheregistereintrag vom „7. Herbstmon[at]“ (September) 1701 ist eine weitere Herausforderung zu finden. Erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass in diesem Eintrag die Hochzeit eines Blasius Großmann, „gewesener Dragoner unter dem fuggerischen Regiment“ eingetragen ist.

Während sich bei anderen Schreibern und Schriften (z.B. der Sütterlin), das große B und das große L ähneln, ist es in diesem Fall das große B und das große G. Ein Abgleich mit dem Eintrag vom „28. Weinmon[at]“ (Oktober) 1700 hilft weiter. Dort ist zweimal der Name Georg und zweimal das Wort Burger zu finden, so dass das große G bzw. das große B eindeutig identifiziert werden kann.[2]

Eine Herausforderung der etwas anderen Art stellen die Taufeinträge vom 4. November 1699 bis zum 3. März 1704 auf den Seiten 179 bis 184 dar. Johann Melchior Ruoff, der Pfarrer, der auch für die Ähnlichkeit von großem B und großem G verantwortlich ist, hat zum Zeitpunkt von Geburt und Taufe detailliertere Angaben gemacht als sein Vorgänger bzw. Nachfolger (vgl. Abbildung der Doppelseite 178f). Das beachtliche daran ist die geringe Buchstabenhöhe, mit der Ruoff die Einträge teilweise geschrieben hat – er muss mit einer sehr feinen Feder geschrieben haben. Diese geringere Buchstabenhöhe hat Ruoff (in Abstufungen) auch für die bei Militärangehörigen üblichen zusätzlichen Angaben verwendet.

Anhand des Ausschnitts von Seite 179 und den Detailabbildungen ist der Unterschied zwischen „Haupttext“ einerseits und Anmerkungen und zusätzlichen Angaben andererseits bzw. die geringe Buchstabenhöhe zu erkennen.

Im ersten Detailbild ist außerdem eine weitere Herausforderung zu sehen. Das kleine y und das kleine p im Nachnamen Nymphius sind auf den ersten Blick sehr ähnlich. In diesem Detail ist zudem in der zweiten Erwähnung des Nachnamen Nymphius (5. Zeile: „Nymphiq“) sowie in Notarius (6. Zeile: „Notariq“) das gängige Kürzel für „us“ zu sehen, das einem kleinen q oder einer tiefergestellten 9 ähnelt.[3]

 

[1] KB Mötzingen, Mischbuch 1560-1774, Eheregister 1564-1749, S. 33

[2] KB Mötzingen, M 1560-1774, E 1564-1749, S. 34

[3] KB Mötzingen, M 1560-1774, Taufregister 1595-1774, S. 178f

 

Die Gaben der Könige

19. Dezember 2022 | | ,

Weihnachten ist das Fest der Gaben. In den bildlichen Darstellungen der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem sind es die Figuren der drei Könige, die dem „neuen König“ huldigen und ihre Gaben darbringen: Weihrauch, Myrrhe und Gold. Im Neuen Testament werden sie nicht als „Könige“ bezeichnet, auch gibt es keine Angabe über ihre Anzahl. Diese Angaben entstammen einer umfangreichen Legendenbildung, die im 3. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Seit dem 9. Jh. tragen sie die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar. In der christlichen Kunst des Mittelalters und der Renaissance entwickelten sich die drei Könige zu Repräsentanten der damals bekannten drei Erdteile Europa, Afrika und Asien. Damit wird betont: Die Geburt Jesus Christi ist ein Geschenk an alle Menschen, weltweit.

Beitragsbild: Anbetung der Könige (Matth. 2, 1-12), um 1880, Lithografie, schablonenkoloriert, Museale Sammlung, Inv. Nr. 06.037

 

Was zwei Postkarten erzählen können

14. Dezember 2022 | | , ,

Diese beiden originellen Postkarten tauchten unter vielen anderen in einem privaten Nachlass auf, der an die Museale Sammlung im Landeskirchlichen Archiv abgegeben wurde. Was zunächst nach lustigen Urlaubsgrüßen aus Hamburg aussieht, täuscht. Beim näheren Hinschauen wird deutlich: die Absender, ein Ehepaar aus Esslingen, sind dabei, auszuwandern. Sie schreiben aus Baracke 6 der Auswanderer-Hallen im Stadtteil Veddel: „Wir werden am Donnerstag um 11 Uhr von einem kleinen Dampfer hier abgeholt und fahren Nachmittag 4 Uhr hier weg.“ Die Reise sollte wohl in die USA gehen, denn sie erwähnen noch Mitreisende, deren Ziel Philadelphia ist.

Ein Hinweis auf die Datierung findet sich auf der Vorderseite einer der beiden Karten. Dort ist handschriftlich notiert: „Über die Karten haben wir sehr gelacht. Eine kostet 300 000“. In Deutschland war also Inflation, was auf die Jahre 1922/23 hinweist.

Zwischen 1919 und 1932 wanderten insgesamt rund 600.000 Deutsche in überseeische Länder aus. Der Höhepunkt lag Anfang der 1920er Jahre. Im Ersten Weltkrieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren viele Menschen gezwungen, ihren Entschluss zur Auswanderung zunächst aufzuschieben. Anfang der 1920er Jahre mussten sie ihre Auswanderungspläne rasch umsetzen, weil die Inflation in Deutschland ihre Geldreserven zusammenschmelzen ließ. Weitere schlossen sich an und versuchten, in der Hoffnung auf eine bessere Existenz aus der Krise zu flüchten.

Schon im 19. Jahrhundert war Hamburg zum bedeutenden Auswandererhafen geworden. Das Geschäft mit den Auswanderern war lukrativ. Die großen Reedereien warben in ganz Deutschland und Osteuropa für den Transport ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Bis die Auswanderer auf ihr Schiff kamen, brauchten sie darüber hinaus eine Unterkunft und Lebensmittel sowie Proviant für die Reise. Immer mehr Flüchtlinge strömten nach Hamburg, so dass die städtischen Auswandererbaracken bald nicht mehr ausreichten. Im Stadtteil Veddel, südlich des Müggenburger Zollhafens entstanden auf Initiative des Reeders Albert Ballin ab 1900 die Auswandererhallen der Hamburg-Amerika Linie. Auf gut 55.000 Quadratmetern fanden zunächst 1200, später sogar 5000 Menschen Platz. Die Ausreisewilligen mussten dort bis zu 14 Tagen in Quarantäne bleiben. Neben Schlaf- und Speisesälen, medizinischer Betreuung und Waschsälen gab es auch eine Kirche und eine Synagoge.

Wie sich der Aufenthalt der beiden Esslinger weiter gestaltete, entzieht sich unserer Kenntnis. Nicht einmal ihre Namen sind bekannt, da die Karten, wohl in einem Briefumschlag versandt, nicht unterschrieben waren. Zu hoffen bleibt, dass die Verfasser und ihr Gepäck in Übersee gut angekommen sind und sie nicht in ähnlicher Weise strauchelten, wie die humorigen Gestalten auf den Postkarten.

 

Weihnachtskrippen aus Krakau

9. Dezember 2022 | |

In allen katholischen Kirchen Polens werden zur Weihnachtszeit Weihnachtskrippen mit teilweise lebensgroßen Figuren aufgestellt. Nach dem Vorbild dieser Krippen entstanden seit etwa 1900 verkleinerte, tragbare Ausführungen, die von den Dorfjungen von Haus zu Haus getragen wurden.

Die in Krakau übliche Form der Krippe (polnisch Szopka) besteht aus Holz, Pappe und bunter Aluminiumfolie. Diese wurden im Lauf der Zeit immer üppiger und aufwändiger geschmückt und die Krippenbauer wetteiferten miteinander um die prächtigste Krippe. Im Jahr 1927 wurde erstmals ein offizieller Wettbewerb ausgeschrieben. Seit 1937 werden alljährlich am ersten Donnerstag im Dezember die neuen Weihnachtskrippen auf den Stufen des Mickiewicz-Denkmals am Krakauer Marktplatz zur Schau gestellt. Der Krippenwettbewerb gilt als ein Höhepunkt im Leben der Stadt und zieht jedes Jahr viele Teilnehmer an.

Die typische Krakauer Krippe (Szopka Krakowska) ist inspiriert von Krakauer Baudenkmälern wie der Marienkirche, dem Königsschloss auf dem Wawel oder der Tuchhalle. Im Miniaturformat werden Details wie Türmchen, Galerien, Bogengänge, Balustraden oder Glasfenster filigran nachgebaut, fantasievoll kombiniert und kreativ dekoriert. Neben der biblischen Weihnachtsszene sind in den Krippen auch Darstellungen von historischen oder prominenten zeitgenössischen Persön­lichkeiten zu finden.

In der Musealen Sammlung des Landeskirchlichen Archivs befinden sich mehrere solcher Krippen. Hier ein paar Beispiele:

Fundstück im Pfarrarchiv Knittlingen: Urmanuskript der Anekdoten vom württembergischen Hof entdeckt (Teilmanuskript)

7. Dezember 2022 | | , ,

Beim Verzeichnen des vor kurzem in das Landeskirchliche Archiv zur Verwahrung und Verwaltung überführten Pfarrarchivs von Knittlingen fiel unserer Kollegin Birgitta Häberer ein Aktenbüschel auf, das mit “Memorabilien über die Grävenitzsche und Süßsche Angelegenheit” betitelt war. Dass es sich dabei um kein übliches Aktenfaszikel pfarramtlicher Provenienz handelte, war leicht ersichtlich. Doch was hatte die herzoglich-württembergische Mätresse und Landhofmeisterin Wilhelmine von Grävenitz, beziehungsweise Gräfin von Würben mit Knittlingen, beziehungsweise dem Pfarramt Knittlingen zu tun? Als unser Kollege Andreas Butz durch die Schriftstücke blätterte, erinnerte er sich an die im Jahr 2015 als Veröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde herausgegebene Edition der “Anekdoten vom württembergischen Hof. Memoiren des Privatsekretärs der herzoglichen Mätresse Christina Wilhelmina von Grävenitz (1714-1738)“.

Miniatur Wilhelmine von Graevenitz ( 1686 – 1744). Württembergisches Landesmuseum. Fotograf: Wuselig. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Landesmuseum_W%C3%BCrttemberg_-_Wilhelmine_von_Graevenitz864.jpg

Der Verfasser dieser Anekdoten, Heinrich August Krippendorf (1683-1742), war von 1714 bis 1731 der Privatsekretär von Wilhelmine von Grävenitz, außerdem auch Sekretär des Geheimen Rats und Regierungsrat und hatte somit unmittelbare Einblicke in die Verhältnisse des württembergischen Hofes und in die dortige Günstlings- und Mätressenwirtschaft. Er hat die Anekdoten unter dem Pseudonym Procopius Vessadiensis verfasst, also als Prokop von Dessau, womit er sich als Verfasser in die Tradition von Prokopios von Caesarea stellte, einem spätantiken Autor mit Insiderwissen des oströmischen Kaiserhofes in Konstantinopel. Krippendorfs Anekdoten waren eigentlich nicht für den Druck bestimmt, sondern nur für die Zirkulation im engeren Freundeskreis. Die in seinem Bericht genannten Personen wurden in seinem Text nicht namentlich benannt, sondern erhielten Pseudonyme. Grävenitz erscheint in den Anekdoten etwa als “Fredegunde”, was auf die mächtige Mätresse des Merowingerkönigs Chilperich (6. Jahrhundert) anspielt. Herzog Eberhard Ludwig ist Artamenis. Auch alle Orte wurden verschlüsselt.

Bislang kannte man zwei Handschriften der Anekdoten, die in der württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart und in der Bayerischen Staatsbibliothek in München verwahrt werden. Der Vergleich der Handschrift aus dem Pfarrarchiv Knittlingen mit dem Digitalisat der Handschrift in der Württembergischen Landesbibliothek, die frei im Internet einsehbar ist, machte es sehr wahrscheinlich, dass beide Texte von derselben Feder geschrieben wurden. Während die beiden bisher bekannten Exemplare Reinschriften darstellen, handelt es sich bei der Knittlinger Handschrift offenbar um die Entwurfsvorlage, was darin deutlich wird, dass sie allerlei Randbemerkungen, nachträgliche Einschübe , wieder verworfene und durchgestrichene Sätze und Absätze enthält. Der Entstehungsprozess kann hier nachvollzogen werden. Allerdings ist das Knittlinger Manuskript unvollständig. Die 80 Seiten umfassen nur den Appendix der Anekdoten, also den Zeitraum seit dem Ableben Herzog Eberhard Ludwigs, mit der Verhaftung der herzoglichen Mätresse, ihrer Verteidigung und ihrer Flucht nach Berlin, und mit der ausführlichen Schilderung der Verhaftung und Hinrichtung von Joseph Süß Oppenheimer. Wie bei den bereits bekannten Handschriften, liegt auch dieser Handschrift eine Aufschlüsselung der Pseudonyme bei. Zusätzlich enthält die Akte noch einen Vorschlag eines Vergleichs mit der Gräfin Würben, vermutlich von 1736, einige weitere kleinere Dokumente aus der Feder Krippendorfs, sowie 32 Seiten Notamina, in denen Krippendorf über sein Dienstverhältnis als Privatsekretär der Mätresse Grävenitz-Würben ausführlich Rechenschaft ablegt, ein Bericht der sich inhaltlich auch in den Grävenitzschen Prozessakten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (A 48/5) findet.

Wie aber gelangten diese Schriftstücke in das Pfarrarchiv Knittlingen? Man würde Unterlagen dieser Art am ehesten in einem Familienarchiv erwarten, sofern sie die Jahrhunderte überhaupt überleben. Aber auch das ließ sich schnell klären, denn bei der Durchsicht der Liste der Knittlinger Pfarrer stach der Name Wilhelm Aurelius von Krippendorf ins Auge, der 1782 zum Dekan in Knittlingen ernannt wurde und dieses Amt bis zu seinem Tod 1809 ausführte. Sein Vater war Heinrich August von Krippendorf, der Verfasser der Handschriften. Das lässt den Schluss zu, dass die Unterlagen des Grävenitzschen Privatsekretärs über seinen Sohn, der in Knittlingen Dekan war, in das Knittlinger Pfarrarchivs gelangt waren.

Das Inventar des Pfarrarchivs Knittlingen kann nun online durchsucht werden. Die Akte mit den Handschriften Krippendorfs haben wir digitalisiert und kann hier eingesehen werden.

Adventskalender

30. November 2022 | |

Dieser selbstgebastelte Adventskalender kam über den Nachlass einer frommen Familie in die Museale Sammlung. Handschriftlich steht auf dem Haus geschrieben:

„Hast du geöffnet die Fensterlein, so kommt auch bald das Christkindlein.

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Belege für erste Formen des Adventskalenders stammen aus bürgerlichen pietistischen Kreisen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden verschiedene Bräuche, die die ungeduldige Erwartung der Kinder auf das Weihnachtsfest begleiteten. Überliefert sind etwa die Adventsandachten im „Rauhen Haus“ – der von Joh. H. Wichern gegründeten Knabenrettungsanstalt. Während man täglich eine biblische Verheißung der Christgeburt vorlas, steckte man auf den tannengeschmückten Kronleuchter eine weitere Kerze. Daraus entstand der Adventskranz.

Als Zeitzähler vor Weihnachten dient auch der Adventskalender. Die geöffneten Türchen sollen das Fortschreiten der Zeit vor Augen führen und mit kleinen Bildern oder süßen Überraschungen die Spannung auf das Fest steigern.

Bild: Adventskalender. Bastelarbeit, um 1900. Museale Sammlung (Inv. Nr. 11.302)

Weihnachtsgeschenke 1938

23. November 2022 | |

Kurz nach den Sommerferien, fängt es jedes Jahr wieder an zu „weihnachten“. Lange vor dem ersten Advent glitzern überall schon Sterne und Christbaumkugeln, in den Geschäften und Onlineportalen werden weihnachtliche Produkte und Geschenkideen angepriesen. Das war im vorigen Jahrhundert nicht anders. Im Pfarrarchiv Unterreichenbach fand sich ein Prospekt der „Vereinigten Verkaufsstellen der Anstalt Bethel in Bielefeld“ aus dem Jahr 1938, der bereits im September an Kirchengemeinden und kirchliche Kreise versandt wurde. Die 24-seitige Broschüre zeigt eine weit gefächerte Produktpalette: Engelsfiguren, Kerzenleuchter, Adventskranzständer, Porzellanteller mit Weihnachtsmotiven, Kaffeegeschirr mit Abzeichen evangelischer Vereine sowie weitere Geschenkideen, wie etwa Henkelkörbe und Spardosen. Auf Seit 9 wird ganz selbstverständlich und nebenbei ein Objekt angeboten, das uns heute stutzen lässt: “Hitlers Landhaus ‘Wachenfeld’ als Spardose” in zwei Größen und mit Hakenkreuzflagge.

Im Jahr 1938 war das wohl nichts Außergewöhnliches. Mit dem historischen Wissen von heute mag man dem Zynismus, der in diesem Angebot liegt, nicht recht glauben.

Die Heil- und Pflegeanstalt Bethel bei Bielefeld wurde 1867 von Friedrich von Bodelschwingh für geistig- und körperlich behinderte Menschen gegründet. Ab 1974 wurden verschiedene Werkstätten als Beschäftigungsmöglichkeiten für die Behinderten angegliedert. Die „Vereinigten Verkaufsstellen“ dienten mit dem Vertrieb von Produkten für Kirchen und Kirchengemeinen zur Aufstockung der Finanzen der Anstalt. Auf der Vorderseite des Prospektes ist zu lesen: „Der Reinerlös auch aus dem Weihnachtsversand“, kommt „den Kranken unserer Anstalt zugute,“ und so unterstützt „ein jeder der bei uns bestellt das Liebeswerk an den Kranken und Elenden“.

Angesichts der von den Nationalsozialisten durchgeführten Zwangssterilisationen an Behinderten und der ab 1940 durchgeführten systematischen Krankenmorde ist es äußerst irritierend, dass eine Behinderteneinrichtung wie Bethel in ihrer Produktverkaufsstelle 1938 arglos die Spardose “Hitlers Landhaus” vertrieben hat – ein Objekt, das mit der Ideologie verbunden war, die Behinderte Menschen als „lebensunwert“ betrachtete.

Die Anstalt Bethel stellt sich heute der Verantwortung, indem sie Erinnerungsarbeit und historische Forschung zu ihrer eigenen Geschichte im Nationalsozialismus betreibt. „Geschichte fundiert aufzuarbeiten und daraus Lehren für die aktuelle und künftige Arbeit zu ziehen, ist eine Verpflichtung gegenüber allen, die in Betheler Einrichtungen Leid erfahren haben.“

Bethel im Nationalsozialismus – Bethel

 

Hier der ganze Prospekt:

Weihnachtswaren-Angebot für Kirchengemeinden, Vereinigte Verkaufsstellen der Anstalt Bethel, Bielefeld 1938 (Museale Sammlung, Inv. Nr. 22.106)

Zum 100. Geburtstag von Jörg Zink: Über 6.000 Fotografien frei zugänglich

22. November 2022 | | , , ,

Fischer am See Genezareth (LKAS AS 6, Nr. 10476)

Jörg Zink (1922-2016) wäre am 22. November hundert Jahre alt geworden. Er war zu seiner Zeit einer der bekanntesten und sichtbarsten Theologen der württembergischen Landeskirche. Für viele war er das Gesicht eines Protestantismus, der die Verkündigung des Evangeliums konsequent mit den Fragen und Anforderungen der Zeit verknüpfen will.

Als Fernseh- und Rundfunkpfarrer, Autor zahlloser Bücher populärwissenschaftlicher und erbaulicher Art, als gefeierter Kirchentagsredner, Bibelübersetzer, Liederdichter und Prediger wurde er einem großen Publikum bekannt. Mit dem Bildnachlass von Jörg Zink lässt sich nun eine weitere Facette im Wirken dieses umtriebigen und produktiven Theologen kennenlernen: Jörg Zink war auch ein passionierter – und, wie man in seinem Bildnachlass sehen kann, ein begabter – Fotograf. Diese Seite seines Schaffens ist freilich nicht ganz unbekannt: Viele Illustrationen aus Zinks zahlreichen Büchern stammen von ihm selbst.

Jörg Zink unternahm vor allem in den 1970er-Jahren viele Reisen ins Heilige Land und in die ganze Mittelmeerregion. Von Griechenland bis in den Iran, von Ägypten bis Italien bereiste er die Altertümer des Mittelmeerraums. Dabei galt sein Interesse nicht nur den Zeugnissen der antiken Hochkulturen, den Tempeln, Ruinen, Burgen. Er suchte gerade dort auch nach dem zeitgenössischen Leben. Im Leben der Menschen schien für ihn das Leben in biblischer Zeit auf. In Palmyra waren ihm die Schafhirten ebenso wichtig wie die antiken Bauten; in den Fischern am See Genezareth, die er fotografierte, sah Jörg Zink die Jünger Jesu.

Szene am Nilufer in Ägypten

Im Jahr 2005 ließ Jörg Zink seine Dias digitalisieren und übergab die Digitalisate dem Evangelischen Medienhaus, damit die Fotos der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten. Einige Jahre waren die Bilder als kostenpflichtiges Angebot zugänglich. Inzwischen wurden sie vom Landeskirchlichen Archiv übernommen. Das Archiv stellt die Bilder inzwischen auf seiner Rechercheseite zur Verfügung.

Der Bestand „AS 6: Fotonachlass Jörg Zink“ enthält 6.363 Digitalisate im Umfang von 118 Gigabyte. Die leider nur rudimentäre Verzeichnung der ursprünglichen Online-Datenbank wurde übernommen. Die Bilder sind nach Ländern und geografischem Bezug gegliedert, die ursprüngliche Schreibweise wurde dabei beibehalten.
Der direkte Link zum Bestand ist: http://suche.archiv.elk-wue.de/actaproweb/document/Best_d5997a4b-1eb3-4906-807b-bbd0302b4c52

Es war (noch) nicht möglich, die Bilder in einer CC-Lizenz freizugeben, aber die Bilder sind kostenfrei nutzbar und in relativ hoher Auflösung verfügbar. Das angehängte Wasserzeichen ist nicht invasiv und dient lediglich der Kennzeichnung der Bilder.

Mit den über 6.000 Fotografien von Jörg Zink wird pünktlich zu Zinks 100. Geburtstag ein Schatz für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Die vielfach künstlerisch wertvollen Fotografien aus dem Mittelmeerraum sind bedeutende Zeitzeugnisse aus den 1970er-Jahren, die Jörg Zinks spezifischen, biblisch geprägten fotografischen Blick erlebbar machen.

Die Totenbücher der Stiftskirche in Tübingen

18. November 2022 | | ,

Beim Durchblättern der Tübinger Totenbücher fällt dem Betrachter eine Besonderheit auf: Es finden sich dort im Zeitraum zwischen 1692 und 1796 inmitten der anderen, schmucklosen Eintragungen insgesamt 75 handgemalte und oft reich verzierte Gedenkblätter für Verstorbene. 57 dieser besonderen Kirchenbucheintragungen sind ganzseitige Bilder, die in die betreffenden Bände eingeklebt wurden, die restlichen gemalten Sterberegistereinträge wurden direkt auf die Seiten des Kirchenbuchs zwischen den anderen Eintragungen aufgemalt. 36 Männer, zehn Frauen und 29 Kinder erhielten solche prächtig ausgestaltete Gedächtnisdarstellungen. In der Regel handelt es sich dabei um Theologen der Universität Tübingen oder Angehörige von solchen, oder aber um andere Universitätsangehörige. Die ersten Eintragungen wurden von den künstlerisch vorgebildeten Mesnern Andreas Herzog und seinem Sohn Johann Michael Herzog gestaltet. Die späteren Bilder stammen von Berufsmalern wie Jakob Daniel Schreiber, Joseph Franz Malcote, August Friedrich Oelenheinz  und Jakob Friedrich Doerr.

Die entsprechend der Maße der Bilder oft ausführlichen Sterbeeinträge mit Nennung der Stellung, Ämter und gesellschaftlichen Tätigkeit der Personen oder ihrer Väter oder Ehemänner sind teilweise in deutscher, teilweise in lateinischer Sprache gehalten. Man wundert sich, welcher Funktion diese prächtigen Eintragungen dienten. In einem Kirchenbuch waren sie schließlich nicht öffentlich sichtbar, und konnten somit kaum dem Trost der Hinterbliebenen dienen. Was die Einfügung dieser Gedächtnismale in die Kirchenbücher allerdings auszeichnete war die zu erwartende Langfristigkeit ihrer Überlieferung für die Nachwelt. Kirchenbücher verblieben auf dem Pfarramt und wurden stets gewissenhaft verwahrt. Da diese Praxis in Tübingen scheinbar einzigartig zu sein scheint, überlegt man auch, wodurch sie inspiriert worden sein könnte. Vielleicht waren es die in der Tübinger Stiftskirche reichlich vorhandenen Grabmonumente, die die Idee für die ins Bild gesetzten Einträge anregten. Bis jetzt wurden  diese Totenbücher noch keiner Untersuchung gewürdigt, die diese und andere Fragen klären könnte.

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts enthalten die Darstellungen fast nur allegorische Darstellungen und Ornamentik. Danach wurden Abbildungen der Personen üblich, die entweder als Ganzkörperdarstellungen in die Bildszenen eingefügt wurden oder als Porträts erscheinen.  Die Malereien beinhalten fast immer ornamentale Ausschmückungen und allegorische Darstellungen. Als Sinnbilder des Todes und der Vergänglichkeit findet man etwa Bilder menschlicher Gerippe oder Totenschädel, ablaufende Sanduhren, herunterbrennende Kerzen. Solche eher düsteren Anmutungen werden aber aufgehellt durch kindliche Engelsgestalten barocker Art sowie anmutige, manchmal sogar leicht bekleidete allegorische Frauengestalten, bunte Blüten, Landschaften und Ornamente. In die Abbildungen eingestreut, etwa auf Täfelchen in den Händen von Kindern oder Engeln, findet man auch Sinnsprüche und Hinweise auf biblische Textstellen.

Literatur: Hermann Jantzen, Stiftskirche in Tübingen, Tübingen 1993, S. 139.

Tübinger Kirchenbücher bei Archion: Totenbuch 1652-1714, Totenbuch 1715-1737, Totenbuch 1737-1766, Totenbuch 1767-1799

Als Galerie eine Auswahl von künstlerisch gestalteten Einträgen in den Tübinger Totenbüchern:

Der Hl. Martin im Chor der Plieninger Martinskirche

11. November 2022 | | , ,

Die evangelische Landeskirche in Württemberg birgt ein reiches kulturelles Erbe, bedenkt man schon allein die große Zahl an noch vorhandenen Pfarr- und Stadtkirchen, Stifts- und Klosterkirchen aus romanischer und gotischer Zeit. Meist stechen die weithin sichtbaren Kirchtürme, reich geschmückten Altäre, Kanzeln, Emporen oder prächtige Orgeln in Auge, während beispielsweise die Schlusssteine, das sind die Schmuckelemente der Kreuzungspunkte von Gewölbebogen der mittelalterlichen Kreuzrippengewölbe, meist kaum Beachtung finden. Ein Blick ins Gewölbe lohnt sich dennoch sehr, sind in den Schlusssteinen doch nicht selten Stifter, Stifterpaare, Patrone, Kirchenväter, Heiligenfiguren, Evangelisten, Propheten oder Engel dargestellt. Gerade jetzt zum Fest des Hl. Martin von Tours, das ja alljährlich zum Gedächtnis seiner am 11. November 397 n. Chr. In Tours erfolgten Beisetzung in vielen Orten mit Laternenumzügen und oder Martinsfeuern gefeiert werden, empfiehlt sich insbesondere ein Blick in das Chorgewölbe der Plieninger Martinskirche. Im Chorschluss befindet sich hier nämlich ein runder, am Rand vergoldeter Schlussstein, der mit dem Neubau des Chores im ausgehenden 15. Jahrhundert geschaffen wurde und die legendäre Mantelteilung des Hl. Martin zeigt. Dieser war ab 334 bei der Reiterei der Kaiserlichen Garde in Amiens stationiert, als er die legendäre Mantelteilung vollzog und verabschiedete sich darauffolgend von seinem Militärdienst, um von nun an für die Kirche zu streiten. Im Jahr 351 wurde er getauft, gründete schon 361 in Ligugé ein Kloster, die spätere Abtei St. Martin de Ligugé, die schließlich auch ihm geweiht wurde. Im Jahre 375 errichtete er in der Nähe von Tours das Kloster Marmoutier und im Jahr 370 oder 371 wurde er zum Bischof von Tours geweiht. Durch sein beispielhaftes, tugendsames Leben förderte er den christlichen Glauben und durch die Gründung von Kirchen und Klöstern trug erheblich zur Christianisierung im europäischen Raum bei. Der Schlussstein zeigt den Soldaten auf einem Schimmel sitzend und er ist gerade dabei, mit seinem kurzen Schwert, das er in seiner Rechten hält, seinen roten Offiziersmantel zu teilen, um die eine Hälfte einem armen, lediglich mit einem offenen, kurzärmeligen, zerrissenen Untergewand und einfachen Stiefeln bekleideten Bettler zu geben, der vollkommen erschöpft vor ihm zusammengebrochen zu sein scheint. Der Bettler versucht sich zwar aufzurichten, hat seine Rechte zu dem Soldaten erhoben und seinen linken Ellenbogen neben seiner Umhängetasche auf dem Boden abgestützt, doch er schafft es nicht, sich aufzurichten und aufzustehen. Die Ambivalenz zwischen dem aufrecht auf dem Pferd sitzenden Soldaten und dem erbärmlich anzusehenden Bettler könnte kaum größer sein und wird zudem auch dadurch gesteigert, dass der gesamte Kopf des Hl. Martin über den Schlussstein hinausreicht, der Kopf des Pferdes ein stückweit, während der Kopf des Bettlers nicht über den Korpus des Pferdes hinauskommt, sondern unter diesem verharrt. Gerade die Stärke der helfenden Geste im Leid ist es, die in dieser Darstellung in der Ambivalenz zwischen Helfendem und Bedürftigem so eindrucksvoll zur Darstellung gelangt und der eben gerade an der exponierten Stelle des Chorschlusses deutlicher Ausdruck verliehen wird als an dem bereits romanischen Relief mit Darstellung des Heiligen Martin an der oberen Nordfassade der Plieninger Martinskirche.

Bildquelle: Inventarisation, Pelizaeus, DA Degerloch, Plieningen, Martinskirche Nr. 154.

Tod auf der Fernstraße

9. November 2022 | | , ,

Nimmt man das Totenregister von Lienzingen (heute ein Teilort von Mühlacker) zur Hand, so bemerkt man relativ schnell, dass dort immer wieder Todesfälle von Personen aufgeführt werden, die nicht im Ort lebten, sondern auf der Durchreise verstarben. So verstarben alleine zwischen 1784 und 1797 dreizehn Personen unterwegs. Ortsfremde Personen werden in so gut wie allen Kirchenbüchern aufgeführt, manchmal mehr, manchmal weniger. Die relative Häufigkeit in Lienzingen ist aber wohl der Tatsache geschuldet, dass der Ort an einer Fernstraße lag. Die sogenannte Frankfurter Route war zeitweise die wichtigste Fernverkehrsstraße des Herzogtums Württemberg und führte von Ulm über Geislingen an der Steige, Esslingen, Cannstatt, Schwieberdingen, Vaihingen, Illingen, Lienzingen, Maulbronn, Knittlingen, Bretten, Bruchsal zur damaligen Handelsstadt Frankfurt. Sie war ab dem 16. Jahrhundert auch Teil des Niederländischen Postkurses, der ersten dauerhaft betriebenen Postreiterstrecke des Heiligen Römischen Reiches, die Italien, beziehungsweise Tirol, mit den spanischen Niederlanden (Belgien) verband.

Nicht selten handelte es sich bei den in den Sterbeeinträgen genannten auswärtigen Personen um Angehörige des Militärstandes, die beim Durchzug ihrer Einheit unterwegs verstarben. So zum Beispiel am 14.2.1790 Johann Eberhard Friedrich Schmid, Soldat unter dem Generalmajor von Hügelschen Regiment auf dem Asperg, verstorben 14.2., beerdigt 16.2., 31 ½ Jahre, Auszehrung oder am 11.6.1794 Jacob Goldner, Gemeiner unter dem kaiserlich königlichen Infanterie Regiment Preiss, verstorben 11.6. abends um 4 Uhr, begraben 12.6. abends 6 Uhr, ungefähr 23 Jahr, Steckfluß durch die große Hitze auf dem Marsch bewirkt.

Außerdem sind es auch Bettler, die mehr oder weniger zufällig während ihres Umherstreifens in Lienzingen oder nach einer Bettelfuhr (Orte entledigten sich damals oft der bei ihnen gelandeten Bettler und Bettlerinnen, indem man sie in einen Nachbarort überführte) verstarben. So etwa am 23.1.1791 ein fremdes unbekanntes Weib, ihren Angaben nach aus Mömpelgard, kam auf einer Bettelfuhr von Illingen halbtodt im Armenhaus an, verstorben den 22.1. abends nach 6 Uhr.

Auch wandernde Handwerker und Händler finden sich unter den im Totenregister aufgeführten, wie etwa am 5.3.1792 Johann Georg Wahler, Bürger, Gärtner und Samenhändler zu Vaihingen an der Enz, 5.3., nachts um 11 Uhr zwischen Maulbronn und Lienzingen auf der retour von Sulzfeld, 8.3. begraben, 44 Jahr, Erkältung.

Es finden sich auch Migranten unter den Verstorbenen. Der Eintrag vom 5.7.1784 nennt Anna Maria, Georg Grubers, eines catholischen Emigranten aus Ebersing in Lothringen, hier im Adler gestorbenes Kind, verstorben 5.7., beerdigt 6.7., 1 ½  Jahr, Blattern oder am 17.05.1785 Joseph, Johannes Büglers, eines catholischen Emigranten aus Hodweiler bei Bitsch in Lothringen Söhnlein, im Adler allhier verstorben 17.5., beerdigt 18.5., 6 Jahr, Ruhr. Vermutlich handelte es sich bei den durchreisenden Emigranten aus Lothringen um angeworbene Siedler für die neuen habsburgischen Gebiete im südöstlichen Donauraum (dritter Schwabenzug 1782-87), die auf dem Landweg nach Ulm unterwegs waren, um sich dort für die Fahrt donauabwärts einzuschiffen.

Es wurden über die Straße auch Kranke transportiert, wie sich dem Eintrag am 29.11.1796 die 25jährige Catharina Klotzin catholisch von Stetten bei Hechingen gewesene Köchin zu Bruchsal und Weingarten. Wollte sich von letzterem Ort krank nach Haus führen lassen, starb aber unterwegs, und ward todt in hiesigen Adler gebracht (siehe Beitragsbild) entnehmen lässt, wie etwa auch dem Eintrag am 19.5. desselben Jahres N.N. ein kaiserlicher Soldat, der in das Solitude-Lazarett geführt werden sollte, auf hiesigem Rathaus aber starb und allda todt zurückgelassen wurde, verstorben 19.5., begraben 20.5. .

Solche Register bieten durchaus Chancen für historische Untersuchungen. Eine Erhebung solcher Daten aus den Totenregistern von Orten an einer Fernstraße ermöglicht einen Einblick in die Zusammensetzung des Personenkreises, der sich auf solchen Routen bewegte.

 

Quelle:

Sterberegister von Lienzingen (1694-1836) auf Archion

Verlauf der Frankfurter Route (orange) durch Württemberg und weiter bis nach Bruchsal, Lienzingen rot umkringelt. Grundlage: Karte des Koenigreichs Württemberg. Gezeichnet von G.F. Haug 1813.

Namensgeschichten 6: Der Nachname als Hinweis auf den Ablageort eines Findelkindes in Daxlanden

2. November 2022 | |

In der Reihe „Namensgeschichten“ werden Fälle vorgestellt, in denen der Umgang mit Namen eine bemerkenswerte Rolle spielt.

Als letzten Teil der Reihe wird ein Taufeintrag aus Daxlanden, einem katholischen Ort in Baden und heutigen Stadtteil von Karlsruhe, vorgestellt. Der Taufeintrag wurde bei privaten Forschungen des Autors gefunden. Auch wenn der Ort sowohl was die Konfession als auch die Region betrifft nicht zum Zuständigkeitsbereich des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart gehört, ist der Eintrag dennoch erwähnenswert. Der Taufeintrag ist der eines Findelkindes, das nach den Umständen seiner „Ablage“ benannt wurde. Der besagte Eintrag vom 16. Februar 1810 lautet:

„Im Jahr des Herrn Eintausend achthundertzehn, den 16ten Tag des Monats Hornung, hat der hiesige Bürger und Ackersmann Valentin Pferrer – durch ein Kindes Geschrey aufgeweckt – morgens 5 Uhr, innerhalb seiner geschloßnen Hausthüren zur lincken Seite, ein auf dem Boden liegendes, in schlechten Windlen eingefetschtes [= eingewickeltes] Kind gefunden, welches durch das neben der Hausthüre angebrachte enge Hünerloch hineingeschoben wurde. Sogleich machte der Hausbewohner v[on] Pferrer mir unterschriebenen, dem hiesigen Ortsvorstand Martin Dannemeyer, und der Hebamme Catharina Speckin, die gebührende Anzeige. Nachdem wir hierauf Augenschein genommen, und die Hebamme versicherte, daß dieses Kind – weiblichen Geschlechts – noch nicht 3 Tage gebohren seyn könnte, so wurd selbes dem nemlichen Tag, Nachmittag 12 Uhr, von mir unterschriebenen, in hiesiger Pfarrkirche getauft, und erhielt von mir den Namen Juliana Lochmännin. Die Taufpathin dieses Kindes ist, Maria Anna Bellerin, des hier verstorbenen Bürgers Martin Beller ehelig ledige Tochter. – Hierauf wurde sogleich der umständliche Bericht hierüber, dem hoch[löblichen] Oberamt abgeschickt.

Dieses bescheinen, Daxlanden den 16ten Hornung 1810

Friedrich Kappler, Parochus mpp. [= Pfarrer, eigenhändig (unterschrieben)]

Zeugen: Martin Bher [?]

Caspar Schmitt“

Quelle

Generallandesarchiv Karlsruhe, Bestand 390, Nr. 2018 (Karlsruhe, Stadtteil Daxlanden, katholische Gemeinde: Standesbuch 1810-1830), Bild 7

Ein weiterer historischer Beleg für einen Fall von Intersexualität

26. Oktober 2022 | |

Am 18. Juni 2020 berichteten wir über den historischen Beleg für einen Fall von Intersexualität. Wir stellten einen Taufeintrag aus Peterzell bei Alpirsbach vor, in dem beschrieben wurde, dass bei einem am Palmsonntag 1653 getauften Mädchen namens Anna Epting „ettlich Tag nach empfangener Tauf mehr männliches alß weibliches Geschlechts gefunden worden“, weshalb das Kind schließlich in Hans Jacob Epting umbenannt wurde. Anhand von weiteren Quellen konnte belegt werden, dass Hans Jacob Epting später Heiligenpfleger und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft war.[1]

Am heutigen Welttag der Intersexualität (Intersex Awareness Day) stellen wir einen weiteren historischen Beleg für einen Fall von Intersexualität vor. Im Taufregister von Kayh bei Herrenberg ist unter dem 29. März 1702 die Taufe einer Martha aus Altingen eingetragen.[2]

Die Eltern waren Johannes Hammer, „Balbierer und Beysitzer“ (Herrenfriseur, Wundarzt und Chirurg sowie Bürger mit eingeschränktem Bürgerrecht) in Altingen, „Pontif[icii] Relig[ionis]“ (päpstlicher Religion = katholischer Konfession), und seine Ehefrau („ux[or]“) Catharina Krauß, „Evang[elischer] Religionis“.

Nach der Angabe der Paten („Gevatterl[eute]“) ist zu lesen, dass die Taufe geschah, „Nach deme von beederseits hohen Obrigkeiten vogtgerichtl[ich] ist verabschidet und decredirt worden, welcherley Geschlechts das Kind ist, nach deßen Eltern Religion, auch das Kindt zur H[eiligen] Tauff soll getragen werden, deßwegen dieser bäpstl[iche] Vatter gutwillig das Kindt allhero gebracht und in Persona erschinen, weilen die Mutter Evangelisch.“

Anhand dieser Anmerkung kann geschlossen werden, dass das Geschlecht des Kindes nicht eindeutig war, weshalb es schließlich von den Obrigkeiten festgelegt wurde. Auf welcher Grundlage dies geschah, ob es evtl. ein medizinisches Gutachten gab, ist unbekannt. Schließlich hatten sich beide Obrigkeiten darauf geeinigt, dass das Kind weiblichen Geschlechts sei und dies angeordnet.

Auffällig ist, dass die Feststellung des Geschlechts ohne sonstige Bemerkungen kurz festgehalten wird, die Uneindeutigkeit des Geschlechts zwar nichts Alltägliches, aber auch nichts Ungewöhnliches war, während die unterschiedliche Konfession der Eltern und dass der katholische Vater „gutwillig“ die evangelische Taufe seines Kindes gestattet hatte besondere Erwähnung findet, für den Pfarrer also einen höheren Stellenwert hatte, was sich auch in der Verwendung des Begriffs „Religion“ anstelle von „Konfession“ erkennen lässt.

Ein weiterer Fall einer erwachsenen intersexuellen Person kann bei Martha Hammer leider nicht dokumentiert werden, da sie – wie viele Kinder ihres Alters zu der Zeit – bereits früh verstarb und am 20. Mai 1703 beerdigt wurde.[3]

Abschließend müssen noch die politischen und konfessionellen Verhältnisse in Altingen erklärt werden:

Der Ort war bis 1805 geteilt, eine Hälfte gehörte zu Württemberg, die andere zu Österreich. Die österreichischen Untertanen blieben nach der Reformation katholisch, die württembergischen Untertanen wurden evangelisch und schlossen sich der Pfarrei Kayh an, waren aber nie förmlich dort eingepfarrt.[4] Johannes Hammer war aufgrund seiner Konfession österreichischer Untertan, Catharina Krauß entsprechend ihrer Konfession württembergische Untertanin. Deshalb musste obiger Fall vor beide Obrigkeiten, vor das württembergische Amt Herrenberg und das vorderösterreichische Amt Rottenburg, gebracht werden.

 

[1] https://blog.wkgo.de/2020/06/18/historischer-beleg-fuer-einen-fall-von-intersexualitaet/ und https://www.facebook.com/LKAS.de/photos/a.110475517144932/170538011138682/

[2] Kirchenbücher Kayh, Taufregister 1697-1779, S. 31

[3] Kirchenbücher Kayh, Totenregister 1657-1741, Bl. 56v

[4] LKAS, A 29, Nr. 2256, Unter-Nr. 1 (Pfarrbeschreibungen der Pfarrei Kayh 1828), S. 3 

Martin Luthers „September-Testament“ von 1522

19. Oktober 2022 | | ,

Es war im Winter 1521/1522, als Martin Luther in der berühmten Lutherstube seines Verstecks auf der Wartburg, die auch heute noch zu den meistbesuchten Touristenzielen Deutschlands zählt, das Neue Testament vom griechischen Urtext in die deutsche Sprache übersetzte. Schon 11 Wochen später – bei seiner Rückkunft nach Wittenberg Anfang März 1522 – war das Manuskript fertiggestellt. Einer seiner wichtigsten Mitarbeiter war der Reformator, Professor und Sprachwissenschaftler Philipp Melanchthon. Die Übersetzung, die Luther in Wittenberg zusammen mit ihm und anderen Gelehrten kritisch durchsah, lag bereits im September 1522 in gedruckter Form vor, weshalb sie in der Forschung auch als „September-Testament“ bezeichnet wird. Aus der gemeinsamen Arbeit erwuchs eine gerade auch für die gesamte Bibelübersetzung äußerst fruchtbare Arbeitsgemeinschaft, aus der dann schließlich auch die beiden ersten Vollbibeln Martin Luthers von 1534 und 1545 hervorgingen, die dann schließlich millionenfach gedruckt wurden.

Für den Druck des „September-Testaments“ zog Martin Luther Melchior Lotter den Jüngeren sowie die beiden Verleger Lucas Cranach – er lieferte für die Schrift auch mehrere Holzschnitte – und Christian Döring heran. Die Drucklegung des Neuen Testaments dauerte nur fünf Monate, wobei zum Schluss auf drei Druckpressen gleichzeitig gearbeitet wurde, damit der 222 Blätter enthaltende Folioband bis zur Herbstmesse 1522 vorlag. Innerhalb von drei Monaten wurden dann etwa 3.000 Exemplare gedruckt. Das „September-Testament“ verbreitete sich so rasch, dass es bereits im Dezember 1522 vergriffen war. Spätestens am 19. Dezember desselben Jahres erschien dann das „Dezember-Testament“, also das „September-Testament“ in zweiter und gleichsam verbesserter Auflage. Aber damit nicht genug, denn zwischen 1522 und 1533 wurde das Neue Testament immerhin insgesamt 85 mal aufgelegt.

Das „September-Testament“ ist erstens insofern von epochaler Bedeutung, als Martin Luther für seine Übersetzung erstmals wieder auf den griechischen Originaltext und nicht auf die bereits vorhandene lateinische Übersetzung zurückgriff, er zweitens seine theoretischen Reflexionen und drittens seine enorme Wortgewalt einfließen ließ, die sich an der gehobenen Sprechsprache der Zeit orientierte, aber auch neue Vokabeln wie etwa „Sündenbock“, „Lückebüßer“ oder „Lockvogel“ in den Sprachbestand einbrachte. In diesem Sinne formte er das zur Schrift gewordene Wort Gottes in den eigenen Sprachgebrauch um, damit dieses zu einem ansprechenden Wort Gottes werde, das gehört und verkündet werden konnte.

Er hatte das übersetzte Testament zudem mit zahlreichen Randerläuterungen versehen, die nicht nur Wort- und Sacherklärungen, sondern darüber hinaus auch erbauliche Ausdeutungen von biblischen Worten und Begriffen beinhalteten. Zudem versah er die Übersetzung mit mehreren Einleitungstexten wie etwa die „Vorrede auf das Neue Testament“, in welcher er den Doppelsinn des Wortes „Evangelium“ erläuterte, sowie Vorreden zu allen neutestamentlichen Briefen einschließlich jeweils knapper Inhaltsübersichten. Auch in diesen Vorreden fehlten Erläuterungen zu theologischen Zentralbegriffen nicht.

Angesichts der Tatsache, dass das „September-Testament“ als Vorlage für die später erschienen Vollbibeln schon nach drei Monaten vergriffen war, eine enorm hohe Auflage erzielte und somit von einem großen Teil der deutschsprachigen Bevölkerung des 16. Jahrhunderts gelesen oder betrachtet wurde, hat es eine ungemein hohe Wirkmächtigkeit erreicht.

 

Quellen und Literatur

Septembertestament:

Das Neue testament Deutzsch: [Septembertestament]/ [Martin Luther]. – Vuittemberg: [Melchior Lotter d.J. für Christian Döring und Lucas Cranach d. Ä., ca. 21. Sept. – Matthäustag – 1522-CVII, LXXVII, [26] Bl.2. Der Titel des Folio-Bandes lautete: „Das Newe Testament Deutzsch“. Vgl. zur Titelseite des Folio-Bandes Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sign. Bb deutsch 152201.

Literatur:

Beutel, Albrecht: Thesen und Testament. Beginn der Reformation, Altere Bibelübersetzungen und Septembertestament, in: Käßmann, Margot/Rösel, Martin (Hrsg.): Die Bibel Martin Luthers. Ein Buch und seine Geschichte. Leipzig 2006, S. 55-75.

Müllhaupt, Erwin: Luthers Testament. Zum 450. Jubiläum des Septembertestamentes 1522. Witten, Berlin 1972, S. 7-95.

Vorstellung von Dr. Claudius Kienzle, dem neuen Leiter des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart

13. Oktober 2022 | |

Seit dem 1. August ist Dr. Claudius Kienzle Referatsleiter des Referats 5.4 im Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart. Zu seinem Zuständigkeitsbereich gehören die Leitung des Landeskirchlichen Archivs, der Evangelischen Hochschul- und Zentralbibliothek Württemberg, des Arbeitsbereichs Dokumenten- und Wissensmanagement der Verwaltung des Oberkirchenrats, sowie die dem Archiv angeschlossenen Abteilungen Museale Sammlung und Inventarisation.

Er ist im Landeskirchlichen Archiv keineswegs ein Unbekannter. Bereits 1998 machte er als Geschichtsstudent ein Praktikum im Hause, um das potentielle Berufsfeld Archivar kennenzulernen. Wie er heute sagt, war diese Erfahrung tatsächlich so positiv für ihn, dass er dieses Berufsziel wählte. In den folgenden Jahren arbeitete er immer wieder als Werkstudent bei Erschließungsprojekten für das Landeskirchliche Archiv.

Wie man anhand dieser biografischen Skizzen vielleicht erahnen kann, ist er mit seiner Ernennung zum Leiter des Landeskirchlichen Archivs bei seinem Traumberuf angekommen. Dabei warten auf ihn einige Herausforderungen als Referatsleiter. Die elektronische Aktenführung soll mit ihren Möglichkeiten ausgeweitet und in Einklang mit der Verwaltungsreform gebracht werden. Neben den digitalen Unterlagen müssen aber auch die analogen Bestände, die weiterhin wachsen, gut gesichert werden. Für sie ist ein Erweiterungsbau des Archivs geplant. Der Baubeginn ist im Jahr 2023. Außerdem ist die Gratwanderung zu meistern, auf die erwartbaren Strukturveränderungen der Landeskirche einzugehen, und dennoch die Vermittlung des kulturellen Erbes zukunftsfähig aufzustellen. Seine Aufgabe als Referatsleiter sieht er als stark koordinierend. Er möchte mit den Mitarbeitern als Team arbeiten.

Aufgewachsen in einem Pfarrhaus, hat Dr. Kienzle in Tübingen und in Heidelberg Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Religionswissenschaft studiert. Somit hat er einen biografischen und wissenschaftlichen Zugang zu den kirchlichen Quellen. Konsequenterweise beschäftigte er sich für seine geschichtswissenschaftliche Promotion mit einem kirchengeschichtlichen Thema, nämlich “Mentalitätsprägung im gesellschaftlichen Wandel. Evangelische Pfarrer in einer württembergischen Wachstumsregion der frühen Bundesrepublik“. Während der Promotion hatte er ein Forschungsstipendium des Instituts für europäische Geschichte (Mainz). Nach der Promotion im Jahr 2008 arbeitete er zunächst im Landeskirchlichen Archiv und nahm parallel dazu an der Fernweiterbildung Archivwesen an der FH Potsdam  teil. Von 2009 bis 2011 erfolgte eine archivfachliche Ausbildung im Rahmen eines Referendariats zum Höheren Archivdienst des Landes Hessen. An der Marburger Archivhochschule übernahm er dann für zwei Jahre die Leitung der Koordinierungsstelle für die Retrokonversion von analogen archivischen Findmitteln.

Mit der Rückkehr nach Stuttgart war er beim Landesarchiv Baden-Württemberg tätig. 2014 wurde er Leiter der Abteilung Dokumentenmanagement (Registratur) des Oberkirchenrats Stuttgart. Dort beschäftigten ihn unter anderem die Einführung der elektronischen Akte sowie der Aufbau eines neuen Servicebereiches für die Schriftgutverwaltung. Somit verfügt er nicht nur über eine starke Verbindung zum Archiv, sondern auch zur Abteilung Dokumentenmanagement im Oberkirchenrat.

Zuletzt dürfen wir noch darauf hinweisen, dass man ihn im Archiv nicht nur als Kollegen und studentischen Mitarbeiter kennt, sondern auch als Archivnutzer in unserem Lesesaal, da er für seine Dissertation Anfang der 2000er Jahre ausgiebig Akten aus unseren Beständen auswertete. Gerade die Quelle der Pfarrberichte und die Visitationsberichte waren für seine Arbeit sehr ergiebig. Besonders spannend findet er aber auch die Bestände der kirchlichen Einrichtungen und die Diakoniearchive, da sich in diesen kirchliches Handeln außerhalb der Parochialverhältnisse widerspiegelt. Und noch in einer anderen Hinsicht waren die Erfahrungen, die er im Landeskirchlichen Archiv machen konnte, für ihn wegweisend: Er hat im Archiv seine Frau kennengelernt.

 

 

 

Namensgeschichten 5: Der unterschiedliche Umgang mit einem wohl zu vulgär klingenden Namen.

5. Oktober 2022 | |

In der Reihe „Namensgeschichten“ werden Fälle vorgestellt, in denen der Umgang mit Namen eine bemerkenswerte Rolle spielt.

Hochzeit 27.01.1767 Aistaig

Im Eheregister von Aistaig ist unter dem 27. Januar 1767 die Hochzeit eines Georg Fridrich Ozeler, ehelicher lediger Sohn von Joseph Ozelers, eines verstorbenen Bürgers und Leinenwebers in der Filialgemeinde Weiden, eingetragen.[1] Der Nachname lässt aufhorchen, ist er doch ungewöhnlich, auch eine nicht-deutsche Herkunft könnte vermutet werden.

Bei der Suche nach dem Taufeintrag von Georg Fridrich wird man unter dem Namen Ozeler nicht fündig, jedoch findet man unter dem 30. Dezember 1739 den Taufeintrag eines Georg Fridrich, dessen Vater Joseph Vozeler, ein Weber in Weiden, war.[2] Ein Abgleich in den Taufregistern ergibt, dass dieser Joseph (V)Ozeler noch weitere Kinder hatte. Das nächste Kind dieser Familie wurde erst 1743 in Weiden geboren. In dem entsprechenden Taufeintrag vom 20. Februar 1743 wird der Vater mit „Joseph Ozeler, Weber“ angegeben.[3]

Anhand der Übereinstimmung der anderen in den Taufeinträgen genannten Personen – die Mutter, die Paten und die Patin – kann die Personengleichheit Joseph (V)Ozeler bestätigt werden. In beiden Einträgen lautet der Name der Ehefrau Anna Maria, die Paten heißen Jacob und Johannes Esslinger, die Patin Ursula. Sie war die Ehefrau von Andreas Remp bzw. von Johannes Steidinger. Andreas Remp starb am 8. März 1742,[4] seine Witwe heiratete am 25. September desselben Jahres Johannes Steidinger (das Wort „Wittib“ fehlt im Eintrag).[5]

Auch in anderen Tauf-, Ehe- und Todeseinträgen wird – mit einer Ausnahme – ab Beginn der 1740er Jahre nur noch der Name Ozeler verwendet. Warum? Vermutlich erschien der ursprüngliche Name dem ab 1740 in Aistaig tätigen Pfarrer Georg Friedrich Baur[6] zu vulgär und er änderte ihn von Pfarramtswegen. Quellen, die diese Vermutung belegen könnten, sind leider nicht vorhanden.

Die Vozeler in Weiden stammten von denen aus Bickelsberg ab, die wiederum von denen aus Tuningen abstammten. Außerdem kommt der Name Vozeler auch noch in anderen Orten vor.

In Tuningen wurde „Vozeler“ in „Voßeler“ abgeändert. Z.B. ist der Vater im Taufeintrag vom 22. Juli 1710 Hanß Jacob Vozeler, ein Zimmermann.[7] Im Taufeintrag vom 23. Dezember 1712 ist der Vater Hanß Jacob Voßeler, ein Zimmermann.[8] In beiden Einträgen heißt die Mutter Anna, der erste Pate Jacob Irion, der zweite im erstgenannten Eintrag Johann Vozeler, im zweiten Johann Voßeler. Die Patin ist in beiden Fällen die Ehefrau des Müllers Andreas Hauser, wobei dieser sich Ende November 1712 neu verheiratet hatte.[9] Pfarrer zu der Zeit war Johann Christian Maurer (Mäurer, Meurer), ein Pfarrerwechsel fand in der Zeit nicht statt.[10]

In Aldingen (Lkr. Tuttlingen) wurde aus der Namensvariante „Votseler“ ebenfalls die Variante „Voßeler“. Z.B. heißt der Vater im Taufeintrag vom 17. August 1713 Heinrich Votseler,[11] im Eintrag vom 9. Mai 1716 Heinrich Voßeler.[12] In beiden Einträgen heißt die Mutter Ursula, die Paten Jacob Raad und Hanß Limb (?), die Patin Christina Heßler(in). Pfarrer zu der Zeit war Georg Daniel Esenwein. Auch hier fand ein Pfarrerwechsel in der Zeit nicht statt.[13]

In Bickelsberg wurde der Name bereits im 17. Jahrhundert geändert, von „Vozeler“ in „Uzeler“, jedoch nur vorübergehend. Z.B. heißt der Vater im Taufeintrag vom 11. September 1674 Michäel Votzeler,[14] im Eintrag vom 1. September 1681 Michäel Uzeler[15] und im Eintrag vom 19. Oktober 1687 wieder Michäel Votzeler.[16] Die Mutter heißt Anna Maria bzw. Anna, Michael Uzeler hatte am 9. November 1686 erneut geheiratet.[17] Ein Pate heißt Johannes Traub, die Patin Maria, die Ehefrau des Hans Georg/Jerg (Georg/Jerg ist der Nachname). Die zweite Patenstelle war unterschiedlich besetzt, wahrscheinlich weil der jeweilige Pate verstorben war. Pfarrer in dem betroffenen Zeitraum war ein Johann Wolfgang Pfadler. Dieser kam Mitte 1674 nach Bickelsberg und starb dort 1687.[18]

Warum der Name nur vorübergehend geändert wurde, bleibt unklar. Nachdem man wieder zur alten Namensvariante zurückgekehrt war, blieb man dabei. Zu einer erneuten Änderung im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, wie in anderen Orten, kam es nicht. Vielleicht weil absehbar war, dass der Name sowieso bald ausstarb. Der letzte Namensträger, ein Michael Fotzeler, nun mit F geschrieben, starb am 9. November 1723.[19]

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Aistaig, Mischbuch 1741-1815, Eheregister 1741-1797, ohne Seitenzählung (27.01.1767)

[2] KB Aistaig, M 1648-1741, Taufregister 1698-1741, oSz (30.12.1739)

[3] KB Aistaig, M 1741-1815, Ta 1741-1795, oSz (20.02.1743)

[4] KB Aistaig, M 1741-1815, Totenregister 1741-1808, oSz (08.03.1742)

[5] KB Aistaig, M 1741-1815, E 1741-1797, oSz (25.09.1742)

[6] https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:GNDPFB311

[7] KB Tuningen, M 1636-1752, Ta 1662-1751, oSz (22.07.1710)

[8] KB Tuningen, M 1636-1752, Ta 1662-1751, oSz (23.12.1712)

[9] KB Tuningen, M 1636-1752, E 1662-1751, oSz (Dom. 26. p. Tr.)

[10] https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:GNDPFB5399

[11] KB Aldingen (Tuttlingen), M 1657-1759, Ta 1658-1748, oSz (17.08.1713)

[12] KB Aldingen (Tuttlingen), M 1657-1759, Ta 1658-1748, oSz (09.05.1716)

[13] https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:GNDPFB1859

[14] KB Bickelsberg, M 1662-1721, Ta 1662-1721, Bl. 13v =

[15] KB Bickelsberg, M 1662-1721, Ta 1662-1721, Bl. 25r

[16] KB Bickelsberg, M 1662-1721, Ta 1662-1721, Bl. 36r

[17] KB Bickelsberg, M 1558-1722, E 1636-1688, Bl. 201r

[18] https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:GNDPFB6131

[19] KB Bickelsberg, M 1721-1809, To 1721-1764, Bl. 110v

Begegnung im Archiv. Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer. Teil 8

29. September 2022 | | , ,

Wir treffen Vanessa Witt. Sie ist Studentin der Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Derzeit schreibt sie eine Hausarbeit für ein kirchengeschichtliches Proseminar, das sich mit den deutschen Einflüssen auf Palästina beschäftigte. Die Studierenden sollen  zur Erstellung der Seminar-Hausarbeiten in den Primärquellen recherchieren. Die Hausarbeit von Frau Witt beschäftigt sich mit dem Leben und Wirken von Hermann Schneller (1893-1993), der von 1928 bis 1940 Direktor des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem war, und der dann nach dem zweiten Weltkrieg die Johann-Ludwig-Schneller-Schule in Khirbet Kanafar begründete, deren Direktor er bis 1964 war. Eine Exkursion führte die Seminarteilnehmer in unser Haus, so dass das Landeskirchliche Archiv Frau Witt bereits bekannt war. Sie recherchiert in den Akten des Bestandes K8 (Syrisches Waisenhaus).

“Es liegt hier viel vor zu der Thematik Hermann Schneller. Da das Material sehr umfangreich ist, konnte ich nicht alles durchsehen, manches konnte ich nur überfliegen. Nicht alles ist für die Arbeit verwendbar, so dass ich mich beschränken muss. Während des Durchsehens des Materials die Entscheidung zu treffen, was daraus wichtig ist, beziehungsweise wo der Schwerpunkt liegen sollte, ist nicht leicht. Interessant war etwa der Schriftverkehr Hermann Schnellers mit Hans Niemann, der in den Akten vorliegt, sowie zum Beispiel die Dankschreiben für die Spenden, die viel über die jeweilige Lage des Syrischen Waisenhauses erzählen”.

Als vorteilhaft für Frau Witt erwies sich auch die Möglichkeit, bei ihren Archivbesuchen auf die Sekundärliteratur zur Thema Syrisches Waisenhaus in der Evangelischen Hochschul- und Zentralbibliothek (Standort Möhringen) zugreifen zu können.

 

Namensgeschichten 4: Eine mysteriöse Namensergänzung bei der Familie Hetzel in Vöhringen

20. September 2022 | |

In der Reihe „Namensgeschichten“ werden Fälle vorgestellt, in denen der Umgang mit Namen eine bemerkenswerte Rolle spielt.

In den Kirchenbüchern von Vöhringen (Lkr. Rottweil) trifft man auf eine interessante und zuerst mysteriöse Namensergänzung. Der Name „Hetzel/Hezel“ (vereinzelt auch „Hözel“) ist in manchem Fällen um das Wort „Straub“ ergänzt, in manchen hingegen nicht.

Z.B. ist im Taufeintrag vom 27. Dezember 1802 als Vater ein „Johannes Hezel“ und unter dem 29. Dezember 1802 ein „Johann Jacob Hezel (Straub)“ eingetragen.[1] Im Taufeintrag („renat[us]“) vom 26. Dezember 1800 ist ein „Johannes Hezel, Hanß Jerg Hezels Sohn“[2] genannt, am 11. November 1798 ein „j[un]g Johannes Hezel Straub“.[3]

Hochzeiten 20.11.1787 und 21.01.1788 Vöhringen

Auch im Eheregister taucht die mysteriöse Namensergänzung bei manchen „Hezel-Einträgen“ auf, bei andern wiederum nicht. Z.B. heiratete am 20. November 1787 ein „Johann Michael Hezel, Johann Konrad Hezels, Bürgers und Ochsenwirts allhier ehlich lediger Sohn“, im nächsten Eintrag vom 22. Januar 1788 ist die Hochzeit einer „Anna, Johannes Hezels, Strauben, Bauers und Richters allhier eh[lich] ledig Tochter“ vermerkt.[4]

Hochzeiten November 1709 Vöhringen

Die mysteriöse Namensergänzung zieht sich durch das ganze 18. Jahrhundert und darüber hinaus und ist somit auch generationsübergreifend, wie aus dem Hochzeitseintrag vom 26. November 1709 deutlich wird. Darin ist die Hochzeit eines „Hanß Martin Hetzel, Straub, Martin Hetzels, Strauben, bürgerl[ichen] Inwohners und Gerichtsverwandten allhier ehl[icher] Sohn“ dokumentiert. Im Eintrag davor („Eodem“ für den 19. November 1709), ist die Hochzeit einer „Johanna, Hanß Martin Hetzels Müllers, bürgerl[er] Inwohners allhir eheliche Tochter“ eingetragen.[5]

Die Namensergänzung diente also der Kenntnismachung unterschiedlicher „Hetzel-Linien“. Doch was war das Unterscheidungskriterium?

Der Taufeintrag vom 26. Dezember 1682 gibt einen ersten Hinweis, dort steht als Vater: „Hanß Jacob Hözel oder Strauben Sohn“.[6] Dieser Hanß Jacob wurde am 6. Juni 1658 getauft.[7] Im entsprechenden Taufeintrag ist die Namensergänzung nicht zu finden. In diesem Taufeintrag und dem vom 22. März 1664 sind jedoch sowohl die Eltern als auch die Paten dieselben: Johannes Hetzel und Anna bzw. Conrad Geißer/Geyser, Hanß Dieterlin und Barbara, die Ehefrau von alt Hans Geißer/Geyser. Im Taufeintrag von 1658 ist ungewöhnlicherweise noch ein dritter Pate: Michael Reeß. Daraus folgt, dass die Einträge zu Kindern aus einer Familie gehören. Im Taufeintrag vom 22. März 1664 findet man schließlich die Lösung, dort steht als Ergänzung zum Vater: „Strauben Stieffsohn“.[8]

Im Hochzeitseintrag des Johannes Hetzel vom 16. Juni 1656 erfährt man noch Genaueres zu Straub. Johannes Hetzel war „Hans Hetzels Metzgers und Bürgers allhie zu Vöringen hinderlassener ehelicher anitzo Hans Strauben Stiefhsohn“.[9] Der am 6. Juni 1658 getaufte Hanß Jacob war hingegen nicht der Stiefsohn von Straub, sondern dessen Stiefenkel.

Besagter Hans Hetzels (der Metzger) ist am 11. November 1632 gestorben.[10] Wann seine Witwe Hans Straub ehelichte, ist unbekannt, da das Eheregister erst 1648 beginnt.

Ausgangspunkt der beschriebenen Namensergänzung – man könnte auch sagen: des Doppelnamens – war also der Stiefvater eines Hetzel-Kindes.

Dieser Doppelname wurde von den Pfarrern, wahrscheinlich auch von der Familie selbst, über 140 Jahre lang benutzt, so dass man ihn auch noch in den ersten Familienregistern des 19. Jahrhunderts findet.[11]

Wenn einem die Bedeutung der beschriebenen Namensergänzung bewusst ist, erleichtert dies die Unterscheidung der unterschiedlichen Hetzel-Linien und damit die Ahnenforschung bezüglich dieser Familien – wobei es sich gezeigt hat, dass das „Straub“ in Einzelfällen auch vergessen wurde. Außerdem tritt in manchen Fällen der Nachteil auf, dass statt der üblicherweise zur Unterscheidung verwendeten Berufsangabe „Straub“ verwendet wurde und man über den Beruf seins Ahns nichts erfährt.

 

Quellen

[1] Kirchenbücher Vöhringen, Taufregister 1774-1817, S. 157

[2] KB Vöhringen, Ta 1774-1817, S. 145

[3] KB Vöhringen, Ta 1774-1817, S. 130

[4] KB Vöhringen, Eheregister 1775-1842, S. 11

[5] KB Vöhringen, Mischbuch 1689-1786, E 1689-1774, ohne Seitenzählung (19.11.1709, 26.11.1709)

[6] KB Vöhringen, M 1618-1689, Ta 1618-1689, oSz (26.12.1682)

[7] KB Vöhringen, M 1618-1689, Ta 1618-1689, oSz (06.06.1658)

[8] KB Vöhringen, M 1618-1689, Ta 1618-1689, oSz (22.03.1664)

[9] KB Vöhringen, M 1618-1689, E 1648-1688, oSz (16.06.1656)

[10] KB Vöhringen, M 1618-1689, Totenregister 1621-1634, oSz (11.11.1632)

[11] KB Vöhringen, Familienregister 1808-1834, Bl. 92a bis 93b

Namensgeschichten 3: Eine pfarramtliche Namensänderung in Flözlingen – waren die Etter früher netter?

14. September 2022 | |

In der Reihe „Namensgeschichten“ werden Fälle vorgestellt, in denen der Umgang mit Namen eine bemerkenswerte Rolle spielt.

Taufregister 1681 Flözlingen

In Flözlingen kam es 1681 zu einer Namensänderung. Personen mit dem Nachnamen Netter hießen fortan Etter (teils in der Variante Ötter). Auffällig ist, dass sich der Schnitt zwischen dem alten und dem neuen Namen, der sowohl im Tauf- als auch im Ehe- und im Totenregister belegt ist, mit dem Wechsel des Pfarrers deckt. Johann Daniel Schäffer (ca. 1640 bis 1703)[1] übernahm die Pfarrstelle nach Pfingsten (25. Mai) 1681 und hatte sie bis zum 11. April 1699 inne.[2]

Das Bild rechts zeigt den Schnitt im Taufregister. Am 10. Mai 1681 („renatus“) heißt der erste Paten Frantz Netter, in derselben Tabellenzeile hat Pfarrer Schäffer den Pfarrerwechsel eingetragen. Am 18. September 1681 ist dann die Taufe eines Kindes eines Frantz Etters eingetragen.[3]

Die Vermutung liegt nahe, dass der neue Pfarrer für die Namensänderung verantwortlich ist. Was waren die Gründe? Ein schlechtes Gehör? Dies wäre nur bei Martin (N)Etter denkbar. Möglicherweise eine pauschale negative Bewertung des Charakters der (N)Etter? Der Grund bleibt unklar. Auch die Kirchenkonventsprotokolle liefern keine Erklärung. Dort sind sowohl ein Martin als auch ein Frantz Etter Konventsrichter, aber immer Etter mit Nachnamen. Nur Frantz Etter – „ein heimlicher Censor“ (was auch immer das war) – wird einmal, in dem Protokoll vom 26. März 1682, Netter genannt. Da die entsprechende Textstelle eine Wortmeldung des Konventsrichters Bartli Beer wiedergibt, könnte dieser noch den alten Namen verwendet haben, gegen Ende des Protokolls heißt Frantz wieder Etter.[4]

Anhand der folgenden Beispiele zu Hanß, Frantz und Martin (N)Etter ist ersichtlich, wie die Personengleichheit anhand der Übereinstimmung der anderen in den Taufeinträgen genannten Personen – die Mutter, die Paten und die Patin – bestätigt werden kann. Dies ist sinnvoll, wenn man bei der genealogischen Recherche auf solche oder ähnlich gelagerte Fälle trifft, wenn man also – da bekanntlich chronologisch rückwärts recherchiert wird – nach einer jüngeren Namensvariante sucht, aber nur noch eine andere, ältere Namensvariante findet.

In den Taufeinträgen zu den am 28. Februar 1676 und am 20. Dezember 1681 getauften Kinder von Hanß (N)Etter lautet der Name der Mutter Anna. Die Paten waren Christian Löhrer (Vogt), Michel Geiger und Catharina, Christian Beeren Ehefrau.[5]

In den Taufeinträgen zu den am 8. Juni 1679 und am 18. September 1681 getauften Kinder von Frantz (N)Etter lautet der Name der Mutter Ursula. Die Paten waren Jacob Löhrer, Christian, Bartle Beeren Sohn bzw. coelebs (Junggeselle), und Catharina, Christian Löhrers (Vogt) Ehefrau.[6]

In den Taufeinträgen zu den am 13. August 1679 und an Pfingsten (6. Juni) 1683 getauften Kinder von Martin (N)Etter lautet der Name der Mutter Maria. Die Paten waren Jacob Schmaltz, Gallus Beer (Schmied) und Rosina, (Andreas Jäschlins) Schulmeisters Weib. [7] Hier helfen auch die zusätzlichen, von zweiter Hand eingetragenen Angaben „6tes Kind“ bzw. „8tes Kind, II. Ehe“ und die Ergänzungen zur Mutter „geb. Geiger“ bzw. „geb. Geiger [durchgestrichen und korrigiert zu:] Maier“ weiter, wenn auch die Frage nach dem siebten Kind und die Korrektur des Nachnamens weitere Recherchen erfordern. Hierüber kann die Personengleichheit ebenfalls bestätigt werden.

Am 30. Oktober 1670 hatten Martin Netter, Sohn des verstorbenen Christian Netters, des Gerichts und Bürgers in Flözlingen, und Maria, Tochter des Hanß Geiger, Vogt in Flözlingen, in Flözlingen geheiratet.[8]

Maria Geiger starb am 10. Oktober 1681. Ihre Todeseintrag lautet: „Den 12. 8bris wirdt begraben, Maria, Marttin Etters Baurenpflegers allhier liebe Hausfrau, welche am Montag vorher über die Geburth gestorben, also Mutter und Kind beyeinander geblieben. [Ihres Alters] 38“.[9] Damit ist zum einen die Frage nach dem siebten Kind geklärt, zum anderen die Personengleichheit von Martin (N)Etter bestätigt.

Martin Etter, Bauernpfleger (Vogt) und Witwer, heiratet am 14. Februar 1682 in Flözlingen Maria, die Tochter von Hanß Geörg Mayer, Weber in Mönchweiler.[10] Dass Martin Etters zweite Ehefrau den gleichen Vornamen trug, wie seine erste, erklärt den im Taufeintrag von 1683 und in fünf weiteren [11] zuerst falsch eingetragenen und anschließend korrigierten Nachnamen.

 

Quellen

[1] https://www.wkgo.de/personen/suchedetail?sw=gnd:GNDPFB6996

[2] Kirchenbücher Flözlingen, Mischbuch 1644-1717, Pfarrerliste (am Anfang des Buches)

[3] KB Flözlingen, M 1644-1717, Taufregister 1644-1717, S. 27

[4] KB Flözlingen, M 1644-1717, Kirchenkonventsprotokolle 1681-1709, ohne Seitenzählung (26.03.1682)

[5] KB Flözlingen, M 1644-1717, Ta 1644-1717, S. 21 und 27

[6] KB Flözlingen, M 1644-1717, Ta 1644-1717, S. 25 und 27

[7] KB Flözlingen, M 1644-1717, Ta 1644-1717, S. 25 und 27

[8] KB Flözlingen, M 1644-1717, Eheregister 1648-1717, S. 7

[9] KB Flözlingen, M 1644-1717, Totenregister 1650-1717, S. 15

[10] KB Flözlingen, M 1644-1717, E 1648-1717, S. 10

[11] KB Flözlingen, M 1644-1717, Ta 1644-1717, S. 28, 31, 33, 34 und 35