29. November 2021 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
Dieses weihnachtliche Objekt zeigt, dass es schon in früheren Zeiten Ideen gab, wie Praktisches mit Schönem verbunden werden kann. Ein Christbaumständer mit Weihnachtskrippe und Musikbox – ein 3 in 1-Set aus dem Jahr 1905. Praktisch im Aufbau und praktisch in der Aufbewahrung. Hatte man die eingebaute Spieluhr einmal aufgezogen, lief sie 15 Minuten lang mit den Liedern „Stille Nacht“, „O Tannenbaum“, „O du fröhliche“ und „Am Weihnachtsbaum, die Lichter brennen“. Dabei drehte sich die Krippenszene im Kreis. Eine Attraktion für die Familienweihnacht!
Hergestellt wurde das Wunderding in Württemberg. Die Firma Gruoner & Bullinger aus Winterbach erwarben dafür im Jahr 1905 das Kaiserliche Patent. Der „Erfindungsgegenstand“, so heißt es in der Patentschrift, „zeichnet sich dadurch aus, dass neben dem Spielwerk ein Glockenspiel angeordnet ist, das durch ein Zahnradsegment abwechslungsweise mit der Achse für den Christbaumständer angetrieben wird, während gleichzeitig durch ein unterbrochenes Getriebedurch die auch die Notenwalze während eines Teils der Bewegung des Glockenspiels stillsteht.“ Drei Querschnittszeichnungen in der Beilage veranschaulichen die komplexe Mechanik.
Im Lauf der Zeit sind Teile der Apparatur gebrochen und angerostet, so dass Spielwerk und Drehmechanismus heute leider nicht mehr funktionieren. In die Museale Sammlung kam das kuriose Objekt durch den Enkel von Franz Xaver Bullinger, der Techniker und Teilhaber der produzierenden Firma war.
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Kaiserliches Patent, 1905, Museale Sammlung, Nr. 95.703
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25. November 2021 | Andrea Kittel | Lesesaal
Wir treffen Dr. Erich Viehöfer. Der Historiker ist Spezialist für Kriminalfälle. 35 Jahre lang leitete er das Strafvollzugsmuseum in Ludwigsburg. Für Ausstellungen und Vorträge erforschte er die Biografien und Lebensumstände inkriminierter Personen, befasste sich mit Betrug, Diebstahl, Mord und Prostitution vergangener Jahrhunderte. Auch Gerichtsurteile und ihre Vollstreckung sind sein Thema. Sein momentanes Interesse gilt u. a. den Scharfrichtern, ihren Techniken und Gerätschaften, aber auch ihren Familien. Heute im Ruhestand, ist er als Vortragsredner weiterhin gefragt und so setzt er seine einschlägigen Recherchen fort.
„Ins Landeskirchliche Archiv führte mich neben den Scharfrichtern auch der Fall eines Amokläufers, der 1913 in Degerloch seine Familie erschlug und anschließend in Mühlhausen an der Enz neun weitere Personen erschoss. Die Kirchenbücher konnten hier Hinweise zum familiären Umfeld – Herkunft, Paten, Wegbegleitern geben.
Aktuell beschäftigt mich der Fall der Witwe des ersten Ludwigsburger Totengräbers, die 1740 im dortigen Zucht- und Arbeitshaus wegen Kuppelei angeklagt worden war und nur knapp der Todesstrafe entging. Nachdem in der sehr umfangreichen Akte des Malefitzgerichtes weder ihr Mädchenname noch ihr Herkunftsort genannt war, fand ich in den Kirchenbüchern im Landeskirchlichen Archiv bei den Angaben zu ihrer Heirat die wesentlichen Bausteine, um weiter recherchieren zu können. Aus den Kirchenkonventsprotokollen ihres nunmehr gefundenen Herkunftsortes Dürrenzimmern erschloss sich die Vorgeschichte dieser Frau.
Die digitale Verfügbarkeit vieler Quellen, z.B. bei Archion, hat meine Arbeit enorm erleichtert. Die persönliche Recherche im Landeskirchlichen Archiv bleibt aber für mich unentbehrlich.”
17. November 2021 | Andreas Butz | Genealogie, Kurioses
Wer mit Kirchenbüchern als Quellen arbeitet – sei es aus Gründen historischer oder genealogischer Forschung – weiß, dass man dort auf ungewöhnliche Begrifflichkeiten stößt. Das können Bezeichnungen für Krankheiten, Berufe, Verwandtschaftsverhältnisse sein, die heute nicht mehr üblich sind. Nicht in jedem, aber in vielen Kirchenbüchern findet man bei den Einträgen auch eigentümliche Symbole. Da sich darunter zwei Symbole finden, die auch heute noch verwendet werden, nämlich ♀ und ♂ , so meint man vielleicht auf den ersten Blick, der Pfarrer habe das Geschlecht des Täuflings mit einem Symbol bezeichnet. Da dies aber in durchschnittlich jedem zweiten Fall nicht zutrifft, und da sich neben diesen Symbolen noch andere, nicht deutbare Symbole bei den Einträgen finden, wird schnell klar, dass diese Interpretation nicht die Richtige sein kann. Tatsächlich handelt es sich um die Symbole für die damals bekannten sieben Planeten, die manchmal auch eine römische Gottheit repräsentieren, im Falle der beiden noch heute gebräuchlichen Zeichen waren dies der Kriegsgott Mars, dessen Schild und Speer in der Form des Symbols angedeutet werden, einerseits, und die Göttin der Liebe, Venus, andererseits, deren Handspiegel abgebildet wird. Vier der römischen Götter (Mars, Merkur, Jupiter, Venus) sind nicht nur den Planeten, sondern auch einzelnen Wochentagen zugeordnet. Beim Montag, der dem Mond, beziehungsweise der Göttin Luna zugeordnet ist, oder beim Sonntag, der der Sonne zugeordnet ist, ist die Beziehung zum Planeten gleich gegeben, und auch sprachlich leicht erkennbar. Wer in der Schule französisch gelernt hat, kann sich dann auch die restlichen Planeten herleiten, da sie sich in den dortigen Bezeichnungen für die Wochentage erkennen lassen, wie Mardi für den Mars, Mercredi für den Merkur, Jeudi für den Jupiter (Donnerstag), Vendredi für die Venus. Im Englischen erkennt man bei der Bezeichnung Saturday leicht den Planeten Saturn. Nun wird auch klar, welche Bedeutung die Symbole in den Kirchenbüchern haben. Wir erfahren durch sie an welchem Wochentag die Taufe, beziehungsweise Eheschließung stattfand. Hier die vollständige Aufschlüsselung:
Beitragsbild: Seite aus dem Taufregister von Ulm 1721-1728
Literaturhinweis:
Michael Bing / Andreas Butz (Hg.), Evangelische Kirchenbücher in Württemberg. Eine Arbeitshilfe für die historische und familiengeschichtliche Forschung, Stuttgart 2016.
10. November 2021 | Andrea Kittel | Lesesaal
Wir treffen Gudrun Silberzahn-Jandt. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin aus Esslingen ist neben einer Referentinnentätigkeit mit Studien forschend tätig. Sie kennt das Landeskirchliche Archiv schon aus früheren Arbeiten – etwa zum Alltag im Nationalsozialismus auf den Fildern, zum heutigen Hospiz in Esslingen oder zum Alltag in der ehemals „Anstalt Stetten“ genannten Einrichtung der Diakonie im Remstal.
„Gerade zur Alltagsgeschichte findet sich in manchen Aktenbeständen erstaunlich viel. Pfarrvisitationsberichte beispielsweise fragten zwar bestimmte Themen ab, die Antworten aber sind nicht standardisiert, und so erfährt man, dass der Pfarrer sich ärgerte, wenn Jugendliche statt in den Gottesdienst zu gehen, schon früh poussieren, oder dass das Pfarrhaus ‚allen Winden und Feuchtigkeiten ausgesetzt ist, sich aber nicht viel machen lasse‘ und daher manche Pfarrer sich eher ungern nach Oberesslingen versetzen ließen.
Aktuell recherchiere ich nach Aktenbeständen, die über die Praxis der Kinderverschickungen in den Nachkriegsjahrzehnten Auskunft geben können. Dabei bin ich schon fündig geworden. Ich konnte etwas über die Kurheime erfahren – wie diese sich in Prospekten nach außen darstellen, aber auch darüber, was intern in Arbeitsberichten oder von Eltern und Kindern oder Praktikantinnen und Praktikanten geäußert wurde. Auch finden sich Essenspläne und Beschreibungen des Tagesablaufes in einzelnen Heimen mit den für die meisten Kinder viel zu langen Ruhezeiten am Nachmittag. Immer wiederkehrendes Thema ist das Heimweh, das diese Kinder durchmachten. Veränderungen werden deutlich, wenn ab Ende der 1970er Jahre statt Kuren für Kinder hauptsächlich Mutter-Kind-Kuren angeboten wurden. Die Recherchen sind noch nicht abgeschlossen. Ich werde auf jeden Fall demnächst wieder nach Möhringen kommen.”
4. November 2021 | Andrea Kittel | Jubiläum
Was tun, wenn die Bäuerin krank ist, zur Entbindung in die Klinik muss oder ein Kuraufenthalt bevorsteht? Was ist mit ihrer Arbeit in Haus und Hof? Wer schaut nach den Kindern? Wie soll die Landwirtschaft weiterlaufen, wo doch jede Hand gebraucht wird?
Um den Bauersfamilien in solchen Belastungsfällen zu helfen, wurde vor 70 Jahren der neue Ausbildungsberuf „Dorfhelferin“ geschaffen. Die Initiative ging aus von der Evang. Frauenhilfe in Württemberg, – heute Evangelische Frauen in Württemberg (EFW). Seit ihrer Gründung 1919 hatten sie die Förderung und Unterstützung von Frauen zum Ziel und schufen viele diakonische, politische und spirituelle Projekte: Anlaufstellen für Hausmädchen, Erholungshäuser für erschöpfte Mütter…
1951 begann das neu gegründete Dorfhelferinnenwerk mit der Ausbildung staatlich anerkannter Fachkräfte im familienpädagogischen, hauswirtschaftlichen und pflegerischen Bereich. Die Dorfhelferinnen leisten im unmittelbaren Lebensumfeld der Familien praktische Hilfen und sorgen so – auch in vorübergehenden Krisenzeiten – für das Wohl der betroffenen Kinder. Sie sind darüber hinaus qualifiziert, in Vertretung der Bäuerin Aufgaben im landwirtschaftlichen Haushalt und Betrieb zu übernehmen. Dies sind vor allem Melk- und Erntearbeiten und die Direktvermarktung der Produkte auf Märkten und Hofläden.
LINKS:
LKAS Bestand K 34
Evangelisches Familienpflege- und Dorfhelferinnenwerk
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Bericht, um 1960, K 34, Nr. 249
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Wochenbetthilfe, um 1960, Nr. 13.028-11
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T-Shirt mit Werbeaufdruck, 1980, Nr. 13.028-02
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Hilfe in der Landwirtschaft, um 1960, Nr. 13.028-10
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Dorfhelferin in ihrer Tracht, um 1960, Nr. 13.028-13
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Bis in die 1970er Jahre trugen die Dorfhelferinnen eine spezielle Tracht mit Brosche, Nr. 09.005; 01-03
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Brosche “Durch die Liebe diene einer dem andern”, Nr. 09.005-03
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Schautafel mit Informationen zu Ausbildung und Beruf, 1980, Nr. 13.028-22