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Charlotte Essich – die Frau im Talar, die eigentlich keinen haben durfte

18. April 2022 | | ,

Charlotte Essich war eine der ersten Theologinnen in Württemberg und eine der ganz wenigen unter ihnen, die noch vor der anstellungsrechtlichen Gleichstellung der Pfarrerinnen mit den Pfarrern 1968 sämtliche Amtshandlungen, auch den „Dienst am Mann“, ausführte, und das im Talar – alles für Frauen kirchenamtlich eigentlich nicht vorgesehen.

Charlotte Essich in der Hospitalkirche Stuttgart, 1960er Jahre

Am 18.4.1912 wurde Charlotte Essich in Oberndorf geboren. „Die interessanten Fragen der Theologie“ waren es, die sie im Jahr 1931 zum Studium der evangelischen Theologie bewogen hatten – wenngleich ohne Aussicht auf entsprechende Anstellung. Zwar waren Frauen seit 1904 zum Studium zugelassen, doch in ein vollwertiges Pfarramt mit Predigtamt und Sakramentshandlungen sollte dieser staatliche Schritt nicht führen. Vielmehr wurde in der Landessynode im Januar 1919 von einem Prälaten als Schreckgespenst an die Wand gemalt: “Die Frau wird den Anspruch erheben, auf der Kanzel, im Altar und am Taufstein gleich dem Manne zu wirken. (…) Und dieses Eindringen schwarmgeistiger Elemente gerade, ausgerechnet in die männlich-straffe, nüchtern-ernste Kirche Luthers ist unerträglich!”

Die Amtsbezeichnungen in Charlotte Essichs Berufslaufbahn spiegeln die Stadien des jeweils zugestandenen Dienstverhältnisses: Sie begann als „Praktikantin“, war „außerordentliche“ und „ordentliche Pfarrgehilfin“, ab 1937 konnten Frauen als „Vikarin“ eingesegnet werden und ab 1948 als Endstufe zur „Pfarrvikarin“ ernannt.

Frauen sollten auch nicht die offizielle Amtstracht, den Talar, tragen dürfen. Nicht einmal, als sie während der Kriegszeiten zunehmend für die Vertretung der abwesenden Pfarrer auch zum Predigtdienst herangezogen wurden. In Bad Cannstatt jedoch hatte Essichs Vorgängerin bei solcher Kriegsvertretung, Lenore Volz, den Dekan bereits überzeugt, dass es ohne Talar sehr schwierig sei, Gottesdienste zu halten. Also konnte Charlotte Essich, als sie 1943 an die Cannstatter Stadtkirche geholt wurde, in einem eilig herbeigeschafften und umgearbeiteten Talar auf die Kanzel treten – freilich nicht mit Beffchen, sondern vom männlichen unterscheidbar: mit blusenähnlichen weißen Leinen-Ecken.

Sie hat den Talar dann behalten und beibehalten: „Ganz unentbehrlich wurde mir der Talar, als ich im Herbst 1944 vom Oberkirchenrat in die Gemeinde Adelmannsfelden-Pommertsweiler (Dekanat Aalen) beordert wurde zur Vertretung des – an der Front weilenden – Ortspfarrers. Die Doppelpfarrei mit den verschiedenen Weilern und vielen weit auseinanderliegenden Höfen, stark belegt mit „Evakuierten“ (Erwachsenen und Schülern) wurde bis dato – so gut wie möglich bei der großen Entfernung, den schwierigen Wegverhältnissen – zu Fuß, per Rad und Skiern! – vom Pfarramt Neubronn aus versorgt. Nun sollte ich diese „Versorgung“ übernehmen.“

Doch herrschte auch dort die Meinung: „Frau auf der Kanzel, das geht nicht“. Also machte sie dem Kirchengemeinderat einen Vorschlag: „Wir wechseln ab. Jeden zweiten Sonntag hält ein anderer Kirchengemeinderat den Gottesdienst, ich habe es schon einmal aufgelistet: Zuerst Sie und dann … und dann …“. Der Vorsitzende nickte betreten. Sie kam ihm entgegen: „Das ist jetzt natürlich etwas kurzfristig. So könnte ich anbieten, dass ich den ersten Sonntag übernehme, und Sie dann länger Zeit zum Vorbereiten haben.“ Er schaute vor sich nieder und meinte nach einer langen Pause: „Ja, dann wird’s wohl bei Ihnen hängen bleiben.“

Genau so kam es, und ihre Arbeit wurde sehr geschätzt: Religionsunterricht, Bibelstunden, Seelsorge, Gottesdienste, Taufen, Beerdigungen – nicht kirchen-amtlich ermächtigt, aber pfarramtlich notwendig. Eine Bäuerin sagte zu ihr: „Wenn nur der Hitler mal hierher käme, dann würde ich dem die Wahrheit sagen, so wie Sie uns immer sonntags!“

Charlotte Essich war bereits während des Studiums der sich formierenden Bekennenden Kirche beigetreten, sie hatte 1937 den Treueeid auf den Führer verweigert und sich stets klar und vernehmbar gegen den Nationalsozialismus gestellt. So wurde der Dienst auch durch Angst vor Denunzierung erschwert. Der Rückhalt bei den Gemeindegliedern scheint jedoch stärker gewesen zu sein.

Frauen-Beffchen, spitz zulaufend, 1948, von der Stuttgarter Paramentenwerrkstatt entwickelt. Landeskirchliches Archiv, Museale Sammlung, Inv.-Nr. 95.003-02

Als die Pfarrer aus dem Krieg zurückkamen, mussten die Frauen wieder aus den Gemeinden weichen. Charlotte Essich, inzwischen als „Vikarin“ im Gemeindedienst in Schwäbisch Hall, wurde 1948 schließlich zur Evangelischen Frauenhilfe (heute: EFW) in für den Reisedienst versetzt, zur geistlichen Betreuung und Fortbildung von Frauen in ganz Württemberg. Ihre theologische Leidenschaft trieb sie auch hier und sie konnte rückblickend sagen: „Ich war insofern schon feministisch in Bibelarbeiten, als man da auf Frauen eingeht, das wurde ja sonst nicht getan!“

Wenngleich der Talar dabei fast immer im Schrank bleiben musste, wurde er doch bereits damals zu einem geschichtlichen Zeugnis:

„Ja, der Talar, mich umhüllend – wurde in jener Zeit sogar fotographiert anlässlich eines Besuches von Miss Sarah Coggan, Schwester des damaligen Erzbischofs von York, später von Canterbury, einer englischen Theologin mit der Amtsbezeichnung „Deaconess“. Miss Coggan wollte sich über Dienst und Situation der württembergischen Theologinnen informieren – eines der Fotos, die Miss C. nach England mitnahm, wurde in einer englischen Frauenzeitschrift – samt Bericht – abgedruckt.“

1974 ging Charlotte Essich in den Ruhestand, versah aber längere Zeit im Schwarzwald noch aufwändige Vertretungsdienste. Danach zog sie nach Tübingen, wo sie am 18. Juli 2008 starb.

Ihr Talar ist ein textiles Zeugnis einer bewegten Geschichte.  Charlotte Essich gab ihn 1995 in die Sammlung des Landeskirchlichen Museums in Ludwigsburg und verfasste dazu einen Text „Geschichte eines alten Talars“. Beides wird heute im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart aufbewahrt und steht für Ausstellungen und Forschungsarbeiten zur Verfügung.

Das Manuskript wird, mit Kommentaren versehen, demnächst auf wkgo veröffentlicht und verfügbar sein.

 

Quellen der Originalzitate:

Gespräche und Interviews mit Stefanie Schäfer-Bossert (Aufzeichnungen bei der Autorin, Privatarchiv Schäfer-Bossert)

Charlotte Essich, „Geschichte“ eines alten Talars, 1995. (Manuskript)

 

Hintergrundinformationen und Literatur bei:

Stefanie Schäfer-Bossert: Die ersten Württemberger Theologinnen und ihr langer Weg ins Pfarramt, https://www.wkgo.de/themen/theologinnen

Dort angefügt auch eine Zeitleiste mit markanten Daten in der Geschichte der ersten Theologinnen in Württemberg.

Spezieller Frauentalar in der Musealen Sammlung

25. März 2019 | |

 

 

In der Musealen Sammlung im Landeskirchlichen Archiv befinden sich ein Frauentalar und ein Frauenbeffchen. Sie stammen von Charlotte Essich, einer der ersten württembergischen Pfarrerinnen. Beide Objekte zeugen davon, wie schwer der Weg der Frauen ins Pfarramt bis zur Gleichstellung im Jahr 1968 war.

Lange Zeit gab es für evangelische Geistliche keine einheitliche Amtstracht. 1811 wurde in preußischen Ländern erstmals eine Talarpflicht eingeführt. Erst 1888 verpflichtete ein Kirchenerlass die württembergischen Pfarrer zu schwarzem Talar und weißem Beffchen.

Als ab 1904 in Württemberg auch Frauen zum Theologiestudium zugelassen waren, wurde ihnen weder ein vollwertiges Pfarramt noch eine Amtstracht zugestanden.  Sie firmierten als „Pfarrgehilfinnen“ und „Pfarrvikarinnen“ und waren vom Predigtamt und von Sakramentshandlungen ausgeschlossen. Ihr seelsorgerliches Amt versahen sie im schwarzen Kleid.

Charlotte Essich (1912-2008) studierte von 1931-1936 evangelische Theologie. Obwohl der Predigtdienst für Frauen damals noch nicht vorgesehen war, wurde Frau Essich während des 2. Weltkrieges, im Jahr 1943, als Kriegsstellvertreterin auf die Kanzel nach Cannstatt berufen. Das ging natürlich nicht im Kleid, also bekam sie einen umgearbeiteten Talar, der mit einem „frauengemäßen Verschluss“ und anliegendem Kragen versehen wurde. Ein Beffchen war nicht genehmigt, deshalb wurden weiße seidene Kragenecken angeknüpft.

1948 wurde offiziell eine Amtstracht für Frauen zugelassen und in Zuge dessen ein spezielles Frauenbeffchen geschaffen. Die Leiterin der Evangelischen Frauenarbeitsschulen Stuttgart, Johanna Binder, entwarf ein pflegeleichtes Krägelchen, das nur gebügelt und nicht gestärkt werden musste. Schließlich hatten die Pfarrerinnen keine dienstbaren Frauen im Hintergrund, die diese Aufgabe für sie übernommen hätten. Das „Frauenbeffchen“ war bis zur Gleichstellung durch die Einführung der Frauenordination 1968, und vielfach darüber hinaus, in Gebrauch.

Auf Württembergische Kirchengeschichte Online finden Sie auch einen ausführlichen Artikel zur Amtstracht in Württemberg von Wolfgang Schöllkopf.

Entwurf für einen neuen Talar für Pfarrerinnen

1. März 2019 | |

In der Musealen Sammlung im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart befindet sich eine Entwurfszeichnung für einen Frauentalar aus dem Jahr 2008. Sie stammt von dem Nattheimer Künstler Rudolf Thelen und kam über den früheren Crailsheimer Dekan Dr. Winfried Dalferth ins Haus. Ein Gespräch der beiden über die Amtstracht von Pfarrerinnen und Pfarrer hat Thelen zu dieser Radierung inspiriert. Mehr als ein künstlerischer Impuls sollte daraus nicht werden. Zu lange mussten die württembergischen Theologinnen für ihre Gleichberechtigung kämpfen. Lange Zeit waren sie von Predigtamt und Sakramentshandlungen ausgeschlossen, firmierten als Pfarrgehilfinnen und -vikarinnen. Ihr seelsorgerliches Amt versahen sie im schwarzen Kleid. Das Tragen eines Talars war ihnen erst seit 1948 erlaubt – allerdings nicht mit Beffchen, sondern mit einem speziell für die Frauen entwickelten weißen Kragen. Erst seit der Einführung der Frauenordination im Jahr 1968 tragen Frauen dieselbe Amtstracht wie die Männer. Bestrebungen, modisch weibliche Akzente ins Amt einzubringen, haben sich bislang in Grenzen gehalten.

 

Ein Talar für Dr. Helmut Thielicke – Ein Zufallsfund in den Akten des Oberkirchenrats aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges

20. Februar 2019 | |

Helmut Thielicke (1908-1986) war einer der großen deutschen evangelischen Theologen seiner Zeit. Vom NS-Regime von seiner Professur für Systematische Theologie in Heidelberg abgesetzt, übernahm er ab 1940 als Beauftragter für kirchliche und theologische Fragen des Evangelischen Oberkirchenrats in Stuttgart bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Vertretungsdienste in mehreren Pfarreien der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Zahlreiche, im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart im Manuskript überlieferte Vorträge und Predigten dokumentieren seine Tätigkeit in Württemberg. Mehr