28. Juni 2021 | Konstanze Grutschnig | Veröffentlichung
Wussten Sie, dass im 18. Jahrhundert auch in zahlreichen Württembergischen Gemeinden Kantaten im Gottesdienst aufgeführt wurden? In der traditionellen Musikgeschichte verbindet man die Kantatenkompositionen des 18. Jahrhunderts mit Komponisten aus Mittel- und Norddeutschland. Dieser Einfluss ist auch in Südwestdeutschland durch den Transfer von Musikalien nachweisbar. Allerdings haben neuere Forschungen ergeben, dass sich im frühen 18. Jahrhundert in Südwestdeutschland eine eigenständige Kantatenlandschaft entwickelt hat. In zahlreichen württembergischen Städten wie z.B. Schorndorf, Nürtingen, Balingen, Calw, Leonberg oder Herrenberg, aber auch in Dörfern wie Fellbach führte man im Gottesdienst Kantaten auf. Damit immer wieder neue Kompositionen erklingen konnten, wurden die Noten zwischen den Orten getauscht oder ausgeliehen und abgeschrieben. Die erhaltenen Bestände zeigen, dass zahlreiche württembergische Musiker Kantaten komponierten, die dann im ganzen Land aufgeführt wurden, wie z. B. zum Beispiel der Stuttgarter Stiftorganist Störl, Johann Gottlob Sauerbrey, der in Urach als Organist tätig war, Georg Philipp Bamberg, der zuerst als Organist in Calw wirkte und später als Hoforganist nach Stuttgart ging, sowie Georg Eberhadt Duntz und Jacob Senger, die ebenfalls am Stuttgarter Hof als Musiker angestellt waren.
Auf einer interdisziplinären Tagung, die das Musikwissenschaftliche Institut der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und das Landeskirchlichen Archiv Stuttgart im November 2012 organisierten, wurden diese Themen vorgestellt und sind nun in dem Konferenzband erschienen: „Die Kantate im deutschen Südwesten. Quellen, Repertoire und Überlieferung 1700-1770“ herausgegeben von Joachim Kremer, Norbert Haag und Sabine Holtz. Mainz: Schott, 2021 (Stuttgarter Musikwissenschaftliche Schriften; Bd. 6)
23. Juni 2021 | Andrea Kittel | Jubiläum, Ulm
Am 4. Juli findet wieder der legendäre württembergische Landesposaunentag des evangelischen Jugendwerks statt – Corona bedingt leider nicht in gewohnter Form, sondern digital und dezentral.
Das ist eine gute Gelegenheit an die Geschichte dieser kirchenmusikalischen Großveranstaltung zu erinnern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als überall Not und Schuld groß waren und viele Städte in Trümmern lagen, kamen im Jahr 1946 Bläser aus ganz Württemberg in Ulm auf dem Münsterplatz zusammen, um ein Zeichen für den Neubeginn zu setzen. Ulm selbst war bei mehreren Bombenangriffen fast völlig vernichtet worden. Das Münster war eines der wenigen größeren Gebäuden in der Innenstadt, das nahezu intakt geblieben war – obwohl noch im März 1945 eine 500-Kilo-Bombe das Chorgewölbe durchschlagen hatte, die jedoch glücklicherweise nicht explodierte.
Dieser erste Landesposaunentag nach dem Krieg muss ein bewegendes Ereignis gewesen sein. Landesbischof Theophil Wurm begann die Predigt zur Losung „Jesus Christus herrscht als König“ mit den Worten: „Seit 12 Jahren ist es mir nicht möglich gewesen, zu euch zu sprechen“. Körbe mit gespendeten Broten wurden herum gereicht, und als dann die 2000 anwesenden Bläser inmitten von Ruinen das „Gloria“ spielten, blieb Augenzeugen zufolge kaum ein Auge trocken.
Damit begann die große Tradition der Ulmer Posaunentage, die seither alle zwei Jahre an einem Wochenende im Mai oder Juni in der Münsterstadt stattfinden und den größten „Posaunenchor der Welt“ unter dem höchsten Kirchturm der Welt bilden.
Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts begleiten Posaunenchöre die Gottesdienste und Feiern der Evangelischen Kirche. Die württembergische Posaunenchorarbeit ist Teil der Jugendarbeit, wo die Ausbildung der Jungbläser traditionell durch ehrenamtliche Chorleiterinnen und -leiter in den Kirchengemeinden und Bezirken erfolgt.
Das Ulmer Münster wurde im Lauf der Zeit für die zunehmende Zahl der Teilnehmer der Landesposaunentage zu klein. Mittlerweile sind fünf weitere Veranstaltungsorte im Stadtgebiet mit einbezogen, um vorwiegend geistliche Werke aller Epochen und Stile zu musizieren und Gottesdienste zu feiern. Der Landesposaunentag endet traditionell mit einer liturgischen Schlussfeier auf dem Münsterplatz, bei der alle teilnehmenden Bläser gemeinsam musizieren. Als vorletztes wird der Choral „Nun danket alle Gott“ nach dem Satz von Johann Sebastian Bach geblasen: zuerst 4-stimmig, dann mit den Fanfaren und zum Abschluss mit der vom württembergischen Landesposaunenwart Hermann Mühleisen entwickelten Oberstimme. Während der dritten Strophe beginnen die Münsterglocken zu läuten. Zum Schluss wird die dritte Strophe des Chorals „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ – bei den Bläsern schlicht als „Gloria“ bekannt – gespielt.
Hinweise:
Bestand K 24 ejw
Landesposaunentag mal anders – Evangelisches Jugendwerk in Württemberg (ejw) – EJW (ejwue.de)
EJW feiert – Evangelisches Jugendwerk in Württemberg (ejw) – EJW (ejwue.de)
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Plakatsammlung Nr. 936
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Ulmer Münster und Münsterplatz: Plan für die Aufstellung der Bläser. K 24, 1824_1
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K24, 488_2
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Die Losung des Landesposaunentags 1946 „Jesus Christus herrscht als König“ sollte den Gegensatz zu dem vergangenen, gescheiterten Führerkult der Nazis zu verdeutlichen.
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Junge und erwachsene Bläser sind in Württemberg im evangelischen Jugendwerk organisiert. K 24, Bildarchiv Nr. U 973_8
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Bereits seit 1901 waren die evangelischen Bläser regelmäßig zu größeren Landestreffen zusammengekommen, oft in Stuttgart oder wie hier 1930 in Esslingen. K 24, Bildarchiv Nr. U231_1
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Landesposaunentag 1986 in Ulm K 24, Bildarchiv Nr. U 555_3
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Landesposaunenwart Hermann Mühleisen organisierte nach dem zweiten Weltkrieg das erste Bläsertreffen in Ulm. K 24, Bildarchiv Nr. U326_14
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Die Posaunenarbeit war lange eine rein männliche Angelegenheit. Heute sind Mädchen und Frauen ganz selbstverständlich dabei. Foto: ejw
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Plakatsammlung Nr. 932
20. Juni 2021 | Michael Bing | Nachkriegszeit
Mit den zunehmenden Flüchtlingsströmen trat die Unterkunftsfrage bald in den Vordergrund. Einquartierungen in Privathaushalten reichten bei weitem nicht aus, da auch Ausgebombte und Evakuierte unterzubringen waren. In dieser Bedrängnis wurden Kasernenanlagen und vormalige Arbeitslager zur massenhaften Unterbringung von Flüchtlingen umgenutzt. In Württemberg entstanden ca. 30 Flüchtlingslager. Große Lager waren die Schlotwiese in Zuffenhausen, das Durchgangslager in Ulm sowie die Lager in Weinsberg und Ludwigsburg. Das Hilfswerk bot den Flüchtlingen unmittelbare Nothilfe. So wurden die ankommenden Flüchtlinge in den landesweit eingerichteten Bezirksstellen registriert. Die dort tätigen Bezirkshelfer informierten über Suchdienste und Beratungsstellen, verteilten Kleidung und Lebensmittel. Auch medizinische Hilfe sowie Jugend- und Kinderbetreuung, z. B. in Form von Lagerkindergärten, gehörten zum fürsorgerischen Teil der Flüchtlingshilfe.
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LKAS, Bildersammlung. U 119. Flüchtlingsbaracke im Lager Schlotwiese in Zuffenhausen
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LKAS, Bildersammlung. U 84. Geteiltes Leid, geteilter Tisch – getrennte Essensvorbereitung im Flüchtlingslager Weinsberg
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LKAS, Bildersammlung, Best.-Nr. 8434. Fotograf: Hermann Weishaupt. Flüchtlingspfleger des Hilfswerks beim Besuch einer Flüchtlingsfamilie
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LKAS, OKR Altreg. Generalia 529 b. Veranschaulichung der Platzverhältnisse in den Flüchtlingslagern
Lagerseelsorge
Für die seelsorgerliche Betreuung der Flüchtlinge in den Lagern wurden im Bereich des landeskirchlichen Hilfswerks über 20 Pfarrer und Lagerdiakone bestellt. Gespräche, Bibelkreise und Gottesdienste sollten geistigen Rückhalt schaffen. Die Lagerseelsorger berichteten der Kirchenleitung, dem Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart, regelmäßig über ihre Arbeit und ihre Erfahrungen aus den Lagern.
In Rundbriefen wandten sich die Lagerpfarrer direkt an die Mitglieder der Flüchtlingsgemeinde. Flüchtlinge aus Thüringen, Sachsen, Mecklenburg, Berlin, Rumänien oder dem ehemaligen Jugoslawien wurden in Württemberg begrüßt:
Quellen:
LKAS, Bildersammlung
Bestand L 1 Klassifikation Flüchtlingslager
OKR Altreg. Generalia 529 b
14. Juni 2021 | Anette Pelizaeus | Bestand
Kisten, Bücher, Akten – als das Archiv der Ulmer Münsterbauhütte 2016 in das Landeskirchliche Archiv Stuttgart überführt wurde, war klar, dass damit viel Arbeit auf die Archivmitarbeiterinnen des Landeskirchlichen Archivs zukommen würde. Zu diesem Zeitpunkt konnte man allerdings noch nicht ahnen, welche enormen Herausforderungen die Erschließung mit sich bringen würde.
Doch die Arbeit hat sich gelohnt. Beispiele wie die Wiederherstellung des Chorgewölbes nach dem Bombeneinschlag vom 1. März 1945 oder der Restaurierung des Schmerzensmannes vom Hauptportal des Ulmer Münsters 1974 nehmen jede/n Nutzer*in in Wort und Bild anschaulich mit in das Münster und seine Bauhütte. Näheres dazu können Sie auf unserem Onlineportal „Württembergische Kirchengeschichte Online“ nachlesen.
Nun ist das Projekt abgeschlossen und das Archiv kann von allen Forscher*innen und Interessierten genutzt werden. Zusammen mit den im Stadtarchiv Ulm verwahrten Überlieferungen und der Plansammlung, die sich noch in der Münsterbauhütte befindet, lässt sich nicht allein die Baugeschichte des Gotteshauses mit dem höchsten Kirchturm der Welt in großen Teilen rekonstruieren, sondern man bekommt darüber hinaus auch einen beeindruckenden Einblick in den Baubetrieb der Münsterbauhütte mit ihren vielfältigen Aufgaben und ihren gesellschaftlichen und sozialen Strukturen. Insgesamt bietet das Archiv mit seiner herausragenden Überlieferungsdichte insbesondere in Bezug auf die Fertigstellung des Ulmer Münsters ein hohes Potenzial für zukünftige Forschung und stellt auf diese Weise eine Besonderheit dar, die in dieser Gesamtheit nur selten zu finden ist.
Münsterbauhütte Ulm – Bestandsfindbuch
Autorinnen: Anette Pelizaeus und Sabine Tomas
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Ulm Münsterbauhütte, Bildarchiv.
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Blick auf das Münster während des Turmausbaus. Ulm Münsterbahütte, Bildarchiv.
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Arbeiter auf dem Dach. Ulm Münsterbauhütte, Bildarchiv
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Außenbau von Südwesten 1879. Ulm Münsterbauhütte, Bildarchiv.
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Aufriss vom Thrän`schen Orgelgehäuse. Ulm Münsterbauhütte, Bildarchiv.