Taufe eines türkischen Mädchens im Jahr 1691 in Alpirsbach

28. Mai 2020 | | ,

Am 24. Februar 1691, am Gedenktag für den Apostel Matthias, war in Alpirsbach ein „Türken Mägdlen getauft worden, welches der durchleuchtigste Prinz von Veldenz bei der Eroberung Belgrad bekommen und hernachmahls zu beßerer Versorgung und christlicher Anfertigung dem wohledlenvösten und hochgeachten Herrn Johann Wolffgang Diezen, damaligen Vogten zu Dornhan, jetztund aber Amptmann und Closters Verwalter hier zu Allpirspach gnädigst recommendiert und anemfohlen [und da der] hochermeldter Prinz durch eine unglückliche Begebenheit anno 1689 in der Belägerung Mainz sein Leben laßen müßen, sich als ein Vater dieses Kindes angenommen.“
Während der Türkenkriege im 17. und 18. Jahrhundert deportierten höheren Offiziere der christlichen Armeen häufig so genannte „Beutetürken“ als Kriegsgefangene ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Hierbei ist zu erwähnen, dass diese „Beutetürken“ oftmals keine ethnischen Türken waren, sondern Angehörige anderer Ethnien, die in der Osmanischen („türkischen“) Armee oder Verwaltung dienten bzw. Angehörige solcher Bediensteter waren. Während die „Beutetürken“ anfänglich als Prestigeobjekt oder Geschenk für eine höhergestellte Personen dienten, so wurden sie in späterer Zeit getauft, in die Gesellschaft integriert und heirateten einheimische Partner. Einige erlangten sogar wichtige Funktionen in der Verwaltung und einen hohen gesellschaftlichen Stand, vereinzelt wurden sie auch in den erblichen Adelsstand erhoben.
Das getaufte Mädchen, dem der Name Christiana Maria Elisabetha gegeben wurde, war ungefähr zehn Jahre alt. Der kurbayerische Oberst Prinz August Leopold von Pfalz-Veldenz (1663-1689), der an der Belagerung und Eroberung von Belgrad durch kaiserliche, kurbayerische und andere deutsche Armeen vom 7. August bis 6. September 1688 während des Großen Türkenkrieges (1683-1699) teilnahm, brachte es mit ins Reich. Das Mädchen kam in die Obhut von Johann Wolfgang Diez und dessen „Eheliebste“ Anna Maria, die nach dem Tod des Prinzen am 9. September 1689 in Zusammenhang mit der Belagerung und Befreiung des von französischen Truppen besetzten Mainz durch kaiserliche, kurbayerische, hessische und andere deutsche Truppen vom 1. Juni bis 8. September 1689 während des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688-1697) das Mädchen an Kindes statt annahmen.
Johann Wolfgang Diez (~ 15.12.1657 in Stuttgart, + 08.01.1734 ebenda), war vom 22. September 1682 bis 24. September 1689 Vogt und Alpirsbacher Pfleger in Dornhan, vom 10. Oktober 1689 bis 25. Juli 1706 Amtmann und Klosterverwalter in Alpirsbach und schließlich vom 18. Juli 1706 bis Februar 1709 und von Februar 1711 bis zu seinem Tod Rentkammer-Expeditionsrat. Er schloss am 27. November 1683 in Stuttgart die Ehe mit Anna Maria Belling (~ 10.09.1657 in Cannstatt, + 24.04.1724 in Stuttgart).
Auffällig im Taufeintrag der Christiana Maria Elisabetha ist die große Zahl der Paten. Diese waren der Obrist-Lieutenant Carl vom Cronsfeldischen Regiment mit seiner Ehefrau, die durch den Leutnant Valentin Dikmann und seiner Ehefrau vertreten wurden, Johann Dieterich Widerholt, Obristwachtmeister und Oberamtmann zu Hornberg, mit seiner Gemahlin, Johann Krafft, der Abt von Alpirsbach und seine Ehefrau, die beiden Bürgermeister Friderich Heß und Martin Birk „als Deputierte von Dornhan“, Cunrad Birk, Vogt zu Dornstetten, Johann Christoph Hegel, Pfarrer in Alpirsbach, mit seiner Gemahlin, Wilhelm Heinrich Bardili, Amtschreiber in Alpirsbach, mit seiner Ehefrau, Johann Armbruster, Bürgermeister in Alpirsbach, mit seiner Ehefrau, Hanß Jerg Stählein, Bürgermeister in Alpirsbach, Hanß Bihler, Vogt zu Alpirsbach, Hanß Jacob Schneider, Stabsvogt zu Rötenbach, Jacob Scherer, Vogt zu Reutin, Hanß Adrion, Vogt zu Ehlenbogen und Marx Mik, Amtspfleger in Alpirsbach, „lauter von dem Ampt deputierte“. Insgesamt sind 21 Paten (und zwei Stellvertreter) genannt, deutlich mehr als bei der Taufe eines leiblichen Kindes von Johann Wolfgang Diez am 2. April 1691. Dort sind es nur vier Paten (und zwei Stellvertreter). Warum genau einige Paten vom Amt abgeordnet worden sind, bleibt offen.
Der Apostel Matthias wurde laut biblischer Überlieferung nach dem Tod des Judas Iskariot zu den verbliebenen ersten elf Jünger Jesu hinzugefügt. Möglicherweise wurde deshalb Christiana Maria Elisabetha an seinem Gedenktag getauft, da sie genauso wie Matthias nicht von Anfang an eine Anhängerin Jesu war.
Über den weiteren Lebensweg von Christiana Maria Elisabetha ist nichts bekannt.

Quellen
KB Alpirsbach, Taufregister 1663-1731, Bl. 46v (24.02.1691) = http://www.archion.de/p/0656912c2b/
KB Alpirsbach, Taufregister 1663-1731, Bl. 47v (02.04.1691) = http://www.archion.de/p/c89082aa7e/
KB Bad Cannstatt, Mischbuch 1626-1658, Ta 1626-1658, ohne Seitenzählung (10.09.1657) = http://www.archion.de/p/1564dc5c40/
KB Stuttgart Stiftskirche, Eheregister 1669-1698, S. 278 (27.11.1683) = http://www.archion.de/p/161ebe4eb3/
KB Stuttgart Stiftskirche, Taufregister 1650-1660, Bl. 245v (15.12.1657) = http://www.archion.de/p/27c3c460d9/
KB Stuttgart Stiftskirche, Totenregister 1697-1724, Bl. 243v (24.04.1724) = http://www.archion.de/p/f374f88ec3/
KB Stuttgart Stiftskirche, Totenregister 1725-1746, Bl. 130r (08.01.1734) = http://www.archion.de/p/fd2a31ba5d/
Pfeilsticker, § 1674, 2306 und 3281 (Biografie Diez)
Faber, XXVI, B, § 14 (Biografie Diez)
Wikipedia: Beutetürken
Wikipedia: Belagerung von Belgrad (1688)
Wikipedia: Belagerung von Mainz (1689)
Wikipedia: Gustav Philipp von Pfalz Veldenz (Artikel über den Bruder, in dem August Leopold von Pfalz-Veldenz erwähnt wird)

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