Artikel in Archivpädagogik

Besuch einer Schülergruppe im Evangelischen Archiv Baden und Württemberg

11. Juni 2025 | |

Historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zählt heute zu den wichtigen Aufgaben eines Archivs. So bietet auch das Evangelische Archiv Baden und Württemberg oftmals zusammen mit seinem Partner, dem Verein für Württembergische Kirchengeschichte, verschiedene Angebote auf diesem weitgefächerten Terrain an: Vorträge und Ausstellungen, Publikationen auf „Württembergische Kirchengeschichte online“, quellenkundliche Seminare, die Teilnahme am „Tag der Archive“ sowie Archivführungen, um nur die wichtigsten aufzuzählen. Sie alle dienen den Zielen, die Inhalte archivischer Bestände für die Auswertung bekannt zu machen und/oder in die Nutzung von Archiv und Archivgut auf analogem und digitalem Weg einzuführen. Zwar wenden sich unsere Veranstaltungen immer an ein breites Publikum, jedoch haben die einzelnen Veranstaltungen meistens auch einen bestimmte Adressatenkreis im Blickfeld: Studentinnen und Studenten, Kirchenhistorikerinnen und –historiker, Familienforscherinnen und -forscher, Heimatforscherinnen und -forscher, kirchliche und historische Vereine und natürlich auch unsere Kirchengemeinden.

Sieht man einmal von den Themenvorschlägen des Landeskirchlichen Archivs für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ab, so traten bisher Schülerinnen und Schüler als eigene Zielgruppe historischer Bildungsarbeit nicht in Erscheinung. Folglich betrat das Landeskirchliche Archiv auch ein Stück Neuland, als am 8. Mai 2025 dreizehn Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse des Werner-Heisenberg-Gymnasiums Göppingen zusammen mit ihrem Lehrer und ihrer Lehrerin das Landeskirchliche Archiv besuchten. Die Schulklasse hatte sich zuvor im Religionsunterricht mit dem Kirchenkampf der württembergischen Landeskirche beschäftigt. Dabei ist der Wunsch entstanden, ein Archiv und seine Aufgaben kennenzulernen, in dem auch die historischen Unterlagen zum Kirchenkampf aufbewahrt werden. Ihr Religionslehrer, Herr Michael Hermann, hatte dann die Verbindung zum Evangelischen Archiv Baden und Württemberg hergestellt und seine Schülerinnen und Schüler inhaltlich auf den bevorstehenden Besuch gut vorbereitet. Sie sollten die Kernaufgaben eines Archivs kennenlernen und erste Erfahrungen im Umgang mit historischen Originalquellen sammeln. Dementsprechend ist auch ein traditioneller analoger Einstieg im Lesesaal im Unterschied zum digitalen Einstieg auf der Website des Landeskirchlichen Archivs gewählt worden.

Am Beginn des Besuchs stand ein einleitender Vortrag über die deutsche Archivlandschaft, den Zuständigkeitsbereich des Landeskirchlichen Archivs und seiner Bestände auf dem Programm. Der weitere Verlauf war vorgegeben durch den Prozess der Archivierung von der Sicherung des Schriftgutes bis zu seiner Bereitstellung für die Benützung im Lesesaal: Unsere Restauratorin, Frau Anna Eifler, erklärte am anschaulichen Beispiel eines beschädigten Kirchenbuches die Notwendigkeit zur Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen. Ob bei einer Abgabe an das Archiv das gesamte Schriftgut übernommen werden sollte oder aber eine Auswahl nach bestimmten Kriterien zu treffen sei, die Frage also nach der Archivwürdigkeit von Schriftgut, wurde als nächstes mit den Schülerinnen und Schülern besprochen. Dem schloss sich die Erstellung von Findmitteln als der Kernaufgabe von Archiven an. Den pfarramtlichen Archivinventaren konnten die Schülerinnen und Schüler entnehmen, welche Daten bei der Erschließung der Archivalien erfasst werden müssen, damit die Quellen bei einer Recherche auch gefunden werden können. Zur Veranschaulichung und Einsichtnahme lagen Amtsbücher, Akten und Rechnungsunterlagen aus den Pfarrarchiven bereit, die zugleich auch die archivalischen Hauptgattungen darstellten.

Der Präsentation der Archivalien folgte die Führung durch ein Magazin, in dem auch die Pfarr- und Dekanatsarchive und der Nachlass des Landesbischofs Theophil Wurm, der für die Erforschung des Kirchenkampfes in Württemberg von zentraler Bedeutung ist, aufbewahrt werden. Hier konnte den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt werden, welche Anforderungen an die Verpackung der Archivalien, an Raumklima, -beschaffenheit und -ausstattung eines Magazins gestellt werden, damit die Überlieferung für die Nachwelt erhalten bleibt. Besonders beeindruckt waren die Schüler im Magazin von unseren Fahrregalanlagen.

Zurück im Lesesaal lagen nun aus dem Bestand D1 Theophil Wurm maschinenschriftliche Archivalien zum Kirchenkampf mit folgenden Themenkreisen bereit: Evangelische Bekenntnisgemeinschaft, Deutsche Christen, Eingliederung der evangelischen Jugendarbeit in Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel.  Michael Hermann erläuterte seiner Klasse nun die anstehende Aufgabe: in Zweier- oder Dreiergruppen sollten die Schülerinnen und Schüler die Dokumente lesen und sich für eines davon entscheiden, dessen Inhalt sie besonders anspricht. Nach einer dreißigminütigen Arbeitszeit stellten dann die Kleingruppen ihren Mitschülerinnen und -schülern ihre Auswahl vor und beantworteten Rückfragen.

Danach war dringend eine Pause angesagt. Die Schülerinnen und Schüler hatten schließlich bis dahin eine Menge an Informationen über das Archivwesen erhalten, aufmerksam und interessiert zugehört, Fragen gestellt und ihr erstes Quellenstudium in einem Archiv absolviert.

Am Ende blieb noch ein wenig Zeit, um auf die Website des Landeskirchlichen Archivs, die Online-Findbücher und unsere digitalisierten Quellen im Internet hinzuweisen, dabei besonders auf den Nachlass Theophil Wurm und auf die Kriegschroniken des Zweiten Weltkrieges, denn schließlich fand ja der Archivbesuch an einem 8. Mai statt. So konnten die Schülerinnen und Schüler bei weiterem Interesse von ihrem heimischen PC aus den Archivbesuch fortsetzen und abschließen.

Der Besuch der Schülergruppe war ein erster Schritt des Landeskirchlichen Archivs auf dem Weg zu einem archivpädagogischen Konzept für Schülerinnen und Schüler.  Er verdeutlichte, welche Aspekte ein Archiv als außerschulischer Lernort bei seiner Konzeptualisierung einbeziehen muss: Archiverfahrungen, paläografische Kenntnisse, und die Jahrgangsstufe der Schülerinnen und Schüler; die Abstimmung von Lehrplan und Quellenstudium. Gerade in Anbetracht einer analogen und/oder digitalen Einstiegsmöglichkeit in die Archivnutzung ist über eine Aufgabenteilung zwischen Schule und Archiv im Vorfeld eines Archivbesuchs weiter nachzudenken, denn eine Archivpädagogik kann nur gemeinsam von Schule und Archiv entwickelt werden. Deshalb am Ende nochmals herzlichen Dank an Herrn Hermann und seine Klasse vom Werner-Heisenberg-Gymnasium für die gute Kooperation.

Beitragsbild: EABW