Nachlass Otto Mörike erschlossen
Im Rahmen meines Masterstudiums der Historischen Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft an der Universität Wien habe ich ein vierwöchiges Praktikum im Landeskirchlichen Archiv absolviert. In dieser Zeit habe ich unter anderem den Nachlass von Otto Mörike verzeichnet.
Otto Mörike (7. April 1897 – 9. Juli 1978) war ein evangelischer Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der vor allem durch sein Engagement gegen den Nationalsozialismus und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung bekannt wurde. Er war Mitglied der Pfarrhauskette. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er drei Jahre an der Front kämpfte und unter anderem die Schlacht von Verdun (1915) und die Schlacht an der Somme (1916) miterlebte, studierte er evangelische Theologie an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen und absolvierte sein anschließendes Vikariat in Oberboihingen. Dort lernte er auch seine Frau Gertrud Mörike (geb. Lörcher) kennen, die er 1926 in Oppelsbohm, seiner damaligen Wirkungsstätte, heiratete. 1935 übernahm er eine Pfarrstelle in Kirchheim/Teck. Zunächst von den Versprechungen der Nationalsozialisten überzeugt, schloss er sich bald der Bekennenden Kirche an. Immer wieder geriet er in Konflikt mit dem nationalsozialistischen Regime. Bereits 1936 wurde ihm die Lehrerlaubnis für den Religionsunterricht entzogen, 1938 warfen Mörike und seine Frau bei der Abstimmung über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich – auch das ist in diesem Nachlass überliefert – anstelle eines Stimmzettels eine ausführliche Erklärung ein, warum sie dem Anschluss nicht zustimmen konnten. Noch am selben Tag wurde er von einer von der Gestapo aufgehetzten Menschenmenge schwer verletzt, auch das Pfarrhaus wurde beschädigt. Wegen “Vergehens gegen das Heimtückegesetz”, “Kanzelmissbrauchs” und “Beleidigung” wurde er zu 10 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und erhielt Rede- und Aufenthaltsverbot in Kirchheim/Teck.
Lange wurde in Parteikreisen diskutiert, inwieweit er seinen Beruf noch ausüben dürfe. Gemeindemitglieder und Nachbargemeinden setzten sich jedoch für ihn ein, so dass er, wenn auch unfreiwillig, nach Weissach und Flacht versetzt wurde. Dort lebte die Familie Mörike, Mörike und seine Frau hatten sechs Kinder und einen Pflegesohn. Sie nahmen Juden in ihrem Pfarrhaus auf und organisierten Verstecke. Außerdem sammelte er Spenden für andere Pfarrer, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes wurde Mörike 1947 nach Stuttgart Weilimdorf versetzt und 1953 zum Dekan des Kirchenbezirks Weinsberg ernannt. 1959 trat er in den Ruhestand. Er engagierte sich weiterhin in der Friedensbewegung und war unter anderem Vorsitzender der Aktion Sühnezeichen in Württemberg. 1971 verlieh der Staat Israel Mörike und seiner Frau die Yad-Vashem-Medaille für die Rettung von Juden und ihr Engagement gegen das nationalsozialistische Regime. In Bissingen/Teck wurde ein Freizeitheim nach ihm benannt, in Weilimdorf ein Weg durch den Pfarrgarten.
Die Wahl vom 10. April 1938 und ihre Folgen sind im Bestand ausführlich dokumentiert. Zum Prozess gegen Otto Mörike vor dem Sondergericht in Kirchheim/Teck sind einige Unterlagen vorhanden, ebenso Unterlagen der NSDAP und der Gestapo zu seiner antinationalsozialistischen Haltung. Hinzu kommen zahlreiche Predigten, etwa aus seiner Dornhaner Zeit, Schriften wie “Etliche Besonderheiten aus unserem Leben und Dienst” sowie Briefe von und an Otto und Gertrud Mörike. Auch spätere Ereignisse wie eine Reise nach Israel (1969) und seine Arbeit für die Aktion Sühnezeichen sind durch Korrespondenzen u.a. mit Franz von Hammerstein oder Landesbischof Helmut Claß überliefert.
Der Nachlass ist unter der Signatur D169 erschlossen und jetzt hier online einsehbar.