Ein Wandbild in der Strümpfelbacher Kirche und die Aktualität Luthers in Zeiten von Hass, Gewalt und Krieg
Stellen wir uns einmal vor, Martin Luther hätte 1517 in Wittenberg nicht seine 95 Thesen unter die Menschen gebracht, hätte sich nicht für die Bedeutung des Wortes in der Predigt, für die Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt, für die Kindertaufe und für die Musik im Gottesdienst eingesetzt? Was wäre geschehen, wenn er nicht davon gesprochen hätte, dass die aufwendige Glaubenspraxis der damaligen christlichen Kirche eben nicht dem wahren Glauben an Jesus Christus diente? Dann hätte es zumindest im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts keine kriegerischen Auseinandersetzungen um den rechten christlichen Glauben gegeben, dann wären keine Klosterkirchen aufgelöst und keine neuen Gottesdienstordnungen eingeführt worden. Kurz, es wäre zunächst alles beim Alten geblieben. Aus protestantischer Sicht wäre der Verlust gleichwohl hoch gewesen, profitieren wir doch auch noch heute von der Einrichtung neuer Schulen zur Unterweisung im neuen Glauben und zur Förderung der allgemeinen Bildung, von der Bibel in einer einheitlichen deutschen Sprache und von Gottesdiensträumen, in denen Altar, Kanzel, Taufbecken und Orgel gleichermaßen dem Wort Gottes dienen und damit gleichwertige Ausstattungsstücke sind. Es hätten sich keine Gottesdiensträume entwickelt, in denen z.B. der Altar in der Mitte der Kirche steht, es gäbe keine Kanzelaltäre, in denen Altar, Kanzel und Orgel übereinander angeordnet sind, es hätte aber auch keine so ausgeprägte Entwicklung des Kirchenliedes gegeben, denn wir kennen nicht nur „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „Vom Himmel hoch da komm ich her“, sondern viele andere Lieder mehr. Denn Martin Luther war nicht nur Augustinermönch, Theologe, Professor und Reformator, sondern auch Dichter und Musiker.
Trotz seiner vielseitigen Persönlichkeit wurde Martin Luther immer wieder in Anlehnung an das von Lucas Cranach (1472-1553) gemalte Porträt von 1528 mit schwarzem Talar, Barett und strengem Gesichtsausdruck dargestellt, obwohl Luther selbst geäußert hatte, er wolle mit einem Schwan porträtiert werden, und zwar in Anlehnung an eine Prophezeiung, die der damals in Konstanz gefangene böhmische Reformator Jan Hus (um 1370-1415) Ende 1414 geäußert hatte. Man werde im Gefängnis eine Gans braten – denn Hus heißt auf Deutsch Gans -, aber nach hundert Jahren werde man einen Schwan singen hören. In einer Glosse von 1531 bezog Luther diese Aussage von Hus auf seine eigene Person. So entstand die Bildtradition von Luther und dem Schwan. Ein erstes Motiv dieser Art stammt aus dem Jahr 1603 von Jacob Jacobs und hängt in der Hamburger Hauptkirche St. Petri. Ein weiteres Beispiel aus der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist das 1698 von Georg Friedrich List geschaffene Wandbild in der Pfarrkirche St. Jodokus in Strümpfelbach im Kirchenbezirk Waiblingen. Wie in Hamburg steht auch in Strümpfelbach Martin Luther im schwarzen Talar im Mittelpunkt des Bildes. In Strümpfelbach hält er die aufgeschlagene Bibel in den Händen, während über ihm ein Engel mit Buch und Ring schwebt. Der Engel symbolisiert den himmlischen Schutz der Bibel und der neuen Lehre, mit der Martin Luther durch den Ring eng verbunden ist. Links von Luther steht eine Säule auf einem Sockel mit dem Christusmonogramm als Symbol für den rechten Glauben an Jesus Christus und die Standhaftigkeit Martin Luthers. Rechts von Luther steht ein Schwan mit weit geöffnetem Schnabel, der sich der Person Luthers zuwendet, als Symbol für die Fortdauer der Reformation.
Gesteigert wird das auf Pfarrer Magister Georg Ludwig Schmidlin fußende Bildprogramm, dessen Anfangsbuchstaben auf dem Sockel unter der Säule zu finden sind, durch die Inschrift auf dem Postament der Säule, in der es folgendermaßen heißt: “Der Engel schwebt, Lutherus steht, was Er gelehret,// das bleibet ewiglich. Stoppeln und hew verzehret// das Feuer. Der Schwan singt. Ein Schaar, die mild, Fürbild// und Gegenbild heiligt, als Christi Ehrenschild”.
Das Wandbild Martin Luthers mit dem Schwan in der Pfarrkirche St. Jodokus in Strümpfelbach zeigt also in besonderer Weise die Aktualität Martin Luthers als Fürsprecher der Reformation, als jemanden, der für seinen Glauben einsteht und für diesen kämpft. Gerade in der heutigen Zeit, geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen in der ganzen Welt, ist ein deutliches Zeichen für das Eintreten für das Wort Gottes, für die Würde des Menschen und die Menschlichkeit wichtiger denn je.
Beitragsbild: Inschrift Lutherbild Strümpffelbach. LKAS, Inventarisation, Bilder, DA Waiblingen, Strümpfelbach, Nr. 281