Begegnung im Archiv: Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer? Teil 11

25. Oktober 2023 | |

Wir treffen Dr. Peter Poguntke. Der Historiker, Politologe und Journalist erarbeitet derzeit eine Broschüre zur Geschichte des Hospitalhofs in Stuttgart, die zum Jubiläum des neuen Hospitalhofs erscheinen soll. Das evangelische Bildungszentrum in der Stuttgarter Innenstadt wurde im Jahr 2014 eröffnet und wird kommendes Jahr zehn Jahre alt. Die Broschüre wird die bewegte Geschichte des Gebäudes nachzeichnen. Als Dominikanerkloster erbaut wurde es nach der Reformation zu einem Krankenhaus umgewidmet, dem namengebenden Hospital. Ende des 19. Jahrhunderts war es zunächst Standort des Polizeiamts, dann der Kriminalpolizei. Zudem wurde dort ein Polizeigefängnis eingerichtet.

Herr Dr. Poguntke recherchiert unter anderem im Stadtarchiv Stuttgart, im Staatsarchiv Ludwigsburg und im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Die Überlieferungslage für die Nutzung des Hospitalhofs als Sitz der Kriminalpolizei ist ungünstig, da das Gebäude 1944 bei einem Luftangriff einen Volltreffer erhalten hat, so dass die Akten verlustig gegangen sind.  Im Landeskirchlichen Archiv nimmt er vor allem Einsicht in die Personalakte von Pfarrer Helmut Goes, der als politischer Gefangener in diesem Polizeigefängnis inhaftiert war.

“Und zwar war Helmut Goes als politischer Gefangener nicht von der Kripo, sondern von der Gestapo festgenommen worden. Er wurde aufgrund eines Spottgedichts auf Hitler und die Nazis, das er 1931 verfasst hatte, verhört. Auf eine Anklage wurde damals jedoch verzichtet. Der Reichsminister entschied hingegen, dass Helmut Goes und die Beteiligten streng verwarnt werden sollten. Für eine Anklage war es eventuell zu früh. Als Goes inhaftiert wurde waren die Nationalsozialisten noch nicht lange an der Macht. Die Justiz war nicht ganz gleichgeschaltet. Außerdem hätte im Falle einer Anklage festgestellt werden müssen, dass Goes sein Spottgedicht noch zu einem Zeitpunkt verfasst hatte, als die Tat noch keinen entsprechenden Straftatbestand dargestellt hätte.”

 

 

Pfarrer und Gelehrter – zur Würdigung von Dr. Christoph Weismann (1940-2014)

18. Oktober 2023 | |

Am Freitag, 6.10.2023, fand mit circa 70 Gästen aus Nah und Fern ein Festakt zur Würdigung des Gelehrten Dr. Christoph Weismann im Lesesaal von Archiv und Bibliothek statt. Professor Dr. Hermann Ehmer, ehemaliger Referatsleiter von Archiv und Bibliothek, hielt den Festvortrag und konnte mit vielen Anekdoten aus dem Leben des Gelehrten Begeisterung hervorrufen. Dr. Weismann besaß eine private Bibliothek mit ca. 14 000 Büchern. Diese sowie andere handschriftliche Archivalien wurden inzwischen dem Archiv der Landeskirche und der Evangelischen Hochschul- und Zentralbibliothek überlassen. Eine kleine Ausstellung wurde im Foyer aufgebaut. Auch das Manuskript seiner Brenz-Bibliographie, die 2016 fertiggestellt und herausgegeben wurde, ist in einer der Vitrinen zu bestaunen.

Fotos: Landeskirchliches Archiv Stuttgart

Dokumente aus dem Turmknauf in Winnenden

12. Oktober 2023 | |

Turmkugel auf der Spitze der Stadtkirche Winnenden. Foto: Evangelische Kirchengemeinde Winnenden

Turmkugel auf der Spitze der Stadtkirche Winnenden. Foto: Evangelische Kirchengemeinde Winnenden

Bei der Renovierung der Stadtkirche St. Bernhard in Winnenden stellte sich die Frage nach dem Verbleib der Zeitkapsel in der Turmkugel. Die Turmkugel bzw. der Turmknauf ist eine runde, vergoldete Metallkapsel, die auf der Turmspitze unterhalb des Turmkreuzes angebracht ist. Aufgrund ihrer relativen Unzugänglichkeit galten Turmknäufe als sichere Aufbewahrungsorte für historische Zeugnisse aus der Bauzeit, wie zum Beispiel Zeitungen oder Münzen der damaligen Zeit, die man der Nachwelt überliefern wollte. Für die darin aufbewahrten Dokumente bürgerte sich die Bezeichnung „Kirchturmknopfakte“ oder „Turmakten“ ein. Zu den darin zu erwartenden Dokumenten gehören neben Aufzeichnungen der jeweiligen Kirchengemeinde auch Auszüge aus Geburts- und Sterberegistern sowie Berichte über besondere Ereignisse zur Bauzeit.

Die Zeitkapsel wurde anlässlich der Renovierung herausgenommen und geöffnet. Unsere Kollegin Birgitta Häberer wurde von der Kirchengemeinde kontaktiert und mit der Recherche zum Turmkugelarchiv beauftragt. Die Pfarrerin Heike Bosien besuchte unser Archiv und sichtete gemeinsam mit Frau Häberer verschiedene Akten aus dem Pfarrarchiv. Tatsächlich wurden die Dokumente bereits 1823 und dann 1977 transkribiert und im letztgenannten Jahr sogar im Gemeindebrief veröffentlicht. Auch die Umstände der Anfertigung der Turmkugel konnten durch die Korrespondenz geklärt werden. Inzwischen befindet sich die restaurierte Turmkugel wieder an ihrem Platz auf der Kirchturmspitze.

Die Turmkugel enthielt eine Kapsel mit Dokumenten aus den Jahren 1698, 1715, 1752, 1793, 1948 und 1977. Immer wieder musste die Turmkugel aufgrund von Materialermüdung, Blitzschlag oder Kriegseinwirkungen repariert oder ausgebessert werden, wie aus den Texten hervorgeht. Die Dokumente in der Zeitkapsel enthalten spannende Informationen über Naturereignisse, historische Ereignisse und technische Entwicklungen. Bei den diesjährigen Renovierungsarbeiten wurden der Zeitkapsel weitere Dokumente beigefügt.

Beitragsbild: Evangelische Kirchengemeinde Winnenden

 

Transkription der Dokumente in der Zeitkapsel (1977):

 

Die Auswirkungen der Hyperinflation von 1923 auf eine Kirchengemeinde (Stuttgart-Stammheim)

4. Oktober 2023 | |

„Nach dem heutigen Stand werden betragen die Gesamteinnahmen 1923 höchstens 1 Milliarde, die Ausgaben … zus. 46 Milliarden … “, stellt das KGR-Protokoll der Kirchengemeinde Stuttgart-Stammheim (damals noch Dekanat Ludwigsburg) am 6. Oktober 1923 lapidar fest und konstatiert damit ein Haushaltsdefizit von sage und schreibe 45 Milliarden Mark. Diese astronomischen Summen sind der traurige Höhepunkt einer Entwicklung, die bereits mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 begann und sich Anfang des Jahres 1923 rapide beschleunigte. Dieses Phänomen nennen die Fachleute „Inflation“ bzw. „Hyperinflation“.

Als „Inflation“ (von lat. Inflare = aufblasen, aufblähen) bezeichnet man den Wertverlust einer Währung bzw. deren Kaufkraft aufgrund der stetig wachsenden Geldmenge ohne Gegenwert (wie etwa Gold) innerhalb eines Wirtschaftssystems. Mit dem Ende des Krieges 1918 hatte die Mark bereits offiziell mehr als die Hälfte ihres ursprünglichen Wertes verloren, das heißt, man bekam im In- und Ausland also nur noch halb so viel für sie wie noch 1914. Hauptursache der sich eigentlich schon ab 1919 anbahnenden Hyperinflation war die Tatsache, dass der Staat in den Anfangsjahren der Weimarer Republik massiv und unkontrolliert zur Vermehrung des eigenen Papiergeldes die Druckerpressen anwerfen ließ, um seine Schulden zu begleichen (vor allem die Reparationen an die Siegermächte aufgrund des verlorenen Krieges). Im Zuge der Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen Anfang 1923 begann die heiße Phase der Hyperinflation, die schließlich zum Zusammenbruch der Wirtschaft und des Bankensystems führte. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Reallöhne fielen ins Bodenlose. Immer schneller vervielfachte sich die Abwertung der deutschen Währung. So betrug der Gegenwert eines US-Dollars nach dem amtlichen Wechselkurs vom 12. November 1923 630 Milliarden Mark.

Auch die Stammheimer Kirchengemeinde geriet in den Strudel dieser Ereignisse. Am 10. Januar 1922 wurden sämtliche Jahresgehälter der hauptamtlichen Mitarbeiter mit Wirkung vom 1. April des Jahres um durchschnittlich mindestens 50% erhöht (§4). In der Sitzung vom 28. Juni wurde festgestellt, dass offenbar immer weniger Mitglieder des Kirchenchors dazu bereit waren, bei Beerdigungen zu singen – und das, obwohl „die Verlegung der Leichen auf 1 Uhr“ vorgenommen wurde. „Von verschiedenen Seiten wird darauf hingewiesen, dass eben die Bezahlung von 5 M in keinem Verhältnis stehe zu der Zeitaufwendung. Deshalb beschließt der KGR eine Erhöhung auf 15 Mark pro Sänger. Die Mehrkosten von geschätzten zwei- bis dreitausend Mark im Jahr trägt die Kirchengemeinde, weil man verhindern will, dass finanziell schlechter gestellte Familien eine Umlegung dieser Gebühr nicht verkraften und daher auf einen „Leichengesang“ verzichten würden (§1). Zudem wurde wegen der Geldentwertung auch die Pfarramtskasse aufgestockt, aus deren Mitteln der Seelsorger Bedürftige in der Gemeinde unterstützen kann (§2). Bereits am 24. September mussten die Gehälter sowie die Gebühren für kirchliche Amtshandlungen von Pfarrer Emil Gayler erneut angepasst werden. So erhielt etwa der Kirchenpfleger rückwirkend zum 1. April statt bisher 600, künftig 1.200 Mark als jährliches Grundgehalt (§§ 1 und 2). Am 28. Dezember war der Kirchenpfleger nicht mehr zahlungsfähig, weil schlicht kein Geld in der Kasse war. Deshalb wurde er per Umlaufbeschluss ermächtigt, einen Bankkredit in Höhe von 12.000 Mark aufzunehmen, um die ab 1. Januar 1923 fälligen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Weil die Kirchengemeinde sie nicht mehr finanzieren konnte, sollten Brautpaare künftig nur noch dann eine Traubibel überreicht bekommen, wenn sie diese selbst bezahlen (5. Januar, §6). Um Geld zu sparen, wurde auf die Mitwirkung von Organist Oberlehrer Bäuerle bei den insgesamt ca. 40 sonntäglichen Christenlehren im Jahr verzichtet (1. März, §3). Vom 1. April bis 30. Juni wurden dem Kirchenpfleger am 5. Juni monatlich je 10.000 Mark zugesprochen (§2).

Zu einem lokalen Politikum entwickelte sich in diesen bewegten Zeiten die Entlohnung des Mesners. Hier galt seit 1905 die Regelung, dass die bürgerliche Gemeinde einen jährlichen Personalkostenersatz für das im Interesse der Kommune erforderliche Läuten und den Unterhalt der Glocken der Johanneskirche in Höhe von 281 Mark leistete. In diesen Zeiten der Geldentwertung ein Witz! Deshalb wurde unter §3 beschlossen, an die bürgerliche Gemeinde heranzutreten, dass diese sich künftig zur Hälfte am tatsächlich anfallenden Grundgehalt beteiligt (vierteljährige Zahlung auf Nachweis!). Am 19. Juni teilte das „Schultheißenamt“ dem Kirchengemeinderat jedoch mit, dass dessen Antrag auf eine zeitgemäße Beteiligung der Kommune an den Personalkosten der Mesnerstelle in der Sitzung des Gemeinderats auf heftigen Widerstand gestoßen war. „Insbesondere wurde ins Feld geführt, dass die Kirche den Ausgetretenen das Grabgeläut verweigere. Darum sei kein Grund vorhanden, dieser Bitte des K.G. Rats entsprechend weitere Teile der Mesnerbesoldung … auf Gemeindesteuermittel zu übernehmen. Es wurde u.a. auch die Drohung ausgesprochen, dass die Kirchenaustrittsbewegung, im Falle die Mehrheit des G. Rats die Sache doch bewillige, hier sofort neu aufleben werde, außerdem drohe ‚die Linke‘ mit Ablehnung des Gemeindeetats. Herr Schultheiß hielt es darum für richtig, eine Abstimmung zu verschieben, und den K.G. Rat anzugehen zur Wahrung des Burgfriedens in der Gemeinde Stammheim, wo nun einmal besondere Verhältnisse vorliegen.“ Doch er konnte das Gremium nicht dazu bewegen, seinen Antrag zurückzuziehen. Dieses sah sich vielmehr in der Pflicht, sämtliche Finanzquellen zu erschließen, die sich der Kirchengemeinde boten. Die weiteren Ereignisse machten eine Entscheidung des Gemeinderats freilich überflüssig.

Die Situation wurde immer aberwitziger und auswegloser, die gefassten Beschlüsse konnten mit der rasenden Geldentwertung schließlich nicht mehr Schritt halten: Am 14. September wurde das Jahresgehalt (1. April 1923 bis 31. März 1924) des Kirchenpflegers schließlich auf 10 Millionen Mark erhöht (§2) und es wurde festgestellt, dass das voraussichtliche Haushaltsdefizit des Jahres 1923 mindestens 212 Millionen betragen würde (§4). Unter diesen Umständen sah sich das Gremium außer Stande, einen ordnungsgemäßen Etat zu beschließen. Am 6. Oktober wurde der bereits eingangs zitierte Abmangel für das laufende Jahr von mittlerweile 45 Milliarden Mark prognostiziert. Finanziell gesehen, war die Kirchengemeinde Stammheim somit faktisch abgesoffen …

Mit der Beendigung der Ruhrkrise durch Reichskanzler Gustav Stresemann Ende September 1923 konnten endlich auch konkrete Schritte zur Stabilisierung der Währung unternommen werden. Herzstück der Währungsreform war die Schaffung der Rentenbank durch Regierungsverordnung. Damit sich die Inflationsspirale nicht erneut zu drehen begann, wurde die Gesamtsumme des sich im Umlauf befindlichen neuen Geldes auf 1,2 Milliarden sogenannter „Rentenmark“ begrenzt. Die vorhandenen Geldscheine wurden umgetauscht, für 1.000 Milliarden Papiermark gab es eine Rentenmark. Diese Maßnahmen griffen schneller als erwartet, sowohl die wirtschaftlichen als auch die innenpolitischen Verhältnisse Deutschlands konnten sich im Verlauf des Jahres 1924 nachhaltig stabilisieren. Denn die Produzenten waren bereit, ihre Waren gegen das neue Geld abzugeben.

Und so begegnen uns auch in der Stammheimer Kirchengemeinde am 18. Dezember 1923 wieder humane Zahlen: Der Kirchenpfleger verdiente künftig jährlich 120 Rentenmark, der Mesner 200, was bedeutet, dass der nach wie vor vertraglich festgesetzte jährliche kommunale Personalkostenersatz von 281 RM wieder mehr als ausreichend war (§3). Das Restvermögen der Kirchengemeinde betrug umgerechnet insgesamt noch 135.000 RM (§4). Allein aus 1922 noch ausstehende Kirchgeld-Einnahmen von Gemeindegliedern in Höhe von ca. 20.000 RM mussten endgültig abgeschrieben werden (§5). Es ist schon ziemlich viel Geld „verreckt“, damals …

 

 

Dieser Beitrag erschien in einer umfangreicheren Version zunächst auf dem Internetauftritt des Stuttgarter Kirchenbezirks.  Der Autor Thomas Mann hat den Beitrag für unseren Blog freundlicherweise leicht überarbeitet und gekürzt. Pfarrer Thomas Mann ist Seelsorger an der Stuttgarter Magdalenengemeinde und Referent des Stuttgarter Stadtdekans.

Beitragsbild: Geldscheine aus dem Jahr der Hyperinflation 1923. Fotograf: Thomas Mann

Neu in unserem Team: Heinrich Löber

27. September 2023 | |

Heinrich Löber vor dem Archivgebäude. Foto: Andreas Butz

Seit dem 18. September bereichert Heinrich Löber als neuer Kollege unser Team. Er war zuvor 14 Jahre im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe tätig, zuletzt als stellvertretender Leiter der Abteilung Archiv, Bibliothek und Registratur. Die geplante Zusammenlegung der Landeskirchlichen Archive Stuttgart und Karlsruhe war für ihn der Anlass, sich über die beruflichen Möglichkeiten in unserem Haus zu informieren. Er wird bei uns als Sachgebietsleiter im Archiv für die Bereiche Archivbenutzung, Ausbildung, Projektmanagement und Bestandserhaltung zuständig sein.

Heinrich Löber studierte Evangelische Theologie und schloss das Studium mit dem Diplom ab. Nach seinem Studium war er zunächst am Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beschäftigt. Eine Anstellung im Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg weckte in ihm das Feuer für den Beruf des Archivars. Nach weiteren Stationen in (kirchen-) historischen Projekten wurde Löber 2006 Angestellter im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz. Im Jahr 2009 trat Löber schließlich seine Stelle beim Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe an. Während seiner Zeit im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe absolvierte er berufsbegleitend den Masterstudiengang Archivwissenschaft an der FH Potsdam.

Einige seiner neuen Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart kannte Löber bereits aus früheren beruflichen Kontakten und hatte sie in guter Erinnerung. Er freut sich auf die Arbeit im Team und auf die neuen Herausforderungen. Heinrich Löber sieht das Archiv in der Verantwortung, die Überlieferung der Landeskirche zu sichern und die Nutzung der historischen Quellen zu gewährleisten. “Das ist der Auftrag, durch den unsere Aufgaben bestimmt werden. Wir sind aber aufgefordert, die Arbeitsabläufe zu optimieren, die Prozesse zu beschleunigen und die Digitalisierung voranzutreiben. Durch die angedachte Zusammenlegung des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart mit dem Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe (Landeskirchliches Archiv Baden und Württemberg) wird zudem die Effizienz unserer Arbeit gesteigert werden.” Damit wären wir, die wir uns um die Übernahme der alten Überlieferung kümmern, schon die ersten, die das Neue leben, so Heinrich Löber.

Einweihung des Gedenksteins für den Palästinapionier Hugo Wieland

21. September 2023 | | ,

Hugo Wieland, 1853 in Bodelshausen geboren und 1922 in Tübingen gestorben, war ein Pionier der Zementherstellung und des Bauwesens im damaligen Palästina und heutigen Israel. An ihn erinnert nun ein Gedenkstein auf dem Tübinger Stadtfriedhof, der von Wielands Nachkommen finanziert und von dem aus Nehren stammenden Steinmetz Eberhard Schmid gestaltet wurde. Der Gedenkstein wurde während der Corona-Pandemie aufgestellt. Die Universitätsstadt Tübingen und das Landeskirchliche Archiv Stuttgart haben am Mittwoch, 19. Juli 2023, die offizielle Übergabe nachgeholt.
In der Friedhofskapelle des städtischen Friedhofs im Grabfeld T, Gmelinstraße 20, hatte Bernd Walter, Leiter der Abteilung Friedhöfe bei den Kommunalen Servicebetrieben Tübingen, die Geste aus dem Ausland begrüßt und die Angehörigen willkommen geheißen. Dagmar Waizenegger, Leiterin des städtischen Fachbereichs Kunst und Kultur, sprach ein Grußwort. Dr. Jakob Eisler vom Landeskirchlichen Archiv Stuttgart stellte in einem Vortrag Leben und Werk Hugo Wielands vor. Peter Weiss umrahmte die Veranstaltung auf dem Akkordeon. Anschließend gingen vier Urenkel, die aus Deutschland, Australien und der Schweiz angereist waren, zum Gedenkstein an der ehemaligen Grabstätte von Hugo Wieland. Anschließend enthüllten die Urenkel den Stein, in den eine von Dr. Eisler aus Israel mitgebrachte Originalfliese aus der Wieland-Fabrik in Jaffa eingelassen war.

Wieland gehörte der Tempelgesellschaft an, einer religiösen Gruppierung, die sich Palästina niederließ. Er gründete 1894 eine Fabrik für Zementfußbodenplatten in Jerusalem. Damit wurde er zum Pionier der Zementproduktion im Heiligen Land. Anfang des 20. Jahrhunderts verlegte Carl Hugo Wieland seine Fabrik von Jerusalem nach Jaffa/Walhalla. Dort fertigte er Bauteile aus Zement, Fußbodenbeläge in diversen Farben und Mustern, Stufen, Balustraden, Balkonträger und Fenstereinfassungen in verschiedenen Formen. Der Rohzement kam aus Heidelberg und wurde über Rhein und Nordsee via Gibraltar ins Mittelmeer nach Jaffa verschifft. Auch die Farben für die Bodenbeläge wurden größtenteils aus Deutschland importiert.

Der Bedarf an solchen Fertigteilen war in den Kolonien Wilhelma und Sarona enorm. Der Bau neuer jüdischer Wohnviertel durch die Zuwanderung von Juden aus Osteuropa erweiterte den Absatzmarkt von Wieland zusätzlich. Vor allem den italienischen Zementplattenfabriken nahm Wieland Marktanteile ab, als er eine hochmoderne hydraulische Presse zur Herstellung von Bauplatten in Betrieb nahm.

Ab 1903 produzierte Wieland auch Dachziegel, die bis dahin von Conrad Breisch importiert worden waren, so dass er zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seinen Produkten fast eine Monopolstellung einnahm. Dazu trug nicht zuletzt seine Innovationsfreude bei: Seine Firma entwickelte ein Verfahren, um Rohre aus Zement herzustellen, die wesentlich besser und billiger waren als die bisher verwendeten Eisenrohre. Sie wurden in großen Mengen für die Bewässerungsanlagen der Orangenplantagen benötigt. Diese Rohre wurden in ganz Palästina verwendet und der Umsatz der Firma stieg.

So konnte die Firma weiter expandieren und moderne Maschinen zur Zementherstellung, Dieselmotoren, Schleifmaschinen und Pressen anschaffen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschäftigte die Firma Wieland über 40 Mitarbeiter.

Während des Ersten Weltkrieges wurden die Templer aus Jerusalem und Jaffa in Ägypten interniert. Nach Kriegsende kam er erkrankt nach Deutschland und wurde 1921 in die Tropenklinik Tübingen gebracht, wo er wenige Wochen später verstarb.

Carl Hugo Wieland und seine Söhne waren Pioniere der Zementherstellung und des Bauwesens in Palästina. Ihre Produkte ersetzten die teureren Importprodukte, ihre Zementröhren lieferten den Orangenplantagen in Jaffa und Umgebung eine effektive und rentable Technologie.

Fotos: Bernd Walter, Friedhofsverwaltung Tübingen

Beitragsbild: Vier Urenkel Hugo Wielands enthüllen den Gedenkstein

Neuer FSJler im Archiv

13. September 2023 | |

Wir begrüßen Noah-Joshua Veit, der sich bei uns nun für ein Jahr im Rahmen eines FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) Denkmalpflege engagieren wird.

Sein geschichtliches Interesse, und der Wunsch sich nach dem Abitur beruflich zu orientieren, führten zu seinem Entschluss, ein FSJ in unserem Archiv zu machen. Er erschließt während seiner Zeit bei uns Bestände, begleitet uns auf Außentermine, hilft der Musealen Sammlung, der Öffentlichkeitsarbeit, und vieles andere mehr. Außerdem nimmt er an Seminaren der Jugendbauhütte Baden-Württemberg teil, die das FSJ Denkmalpflege in Baden-Württemberg organisiert. Wir freuen uns über die Unterstützung unseres Teams! Er wird auf unserem Blog auch regelmäßig über seine Arbeit bei uns berichten.

Das FSJ Denkmalpflege richtet sich an junge Erwachsene zwischen 16 und 26 Jahren. Wir sind eine der Einsatzstellen. Mehr Infos gibt es hier:

https://freiwilligesjahr-bw.ijgd.de/fsj-in-der-denkmalpflege

 

 

Einblicke in das Leben der Waldenser. Das Museumsstüble in Pinache

6. September 2023 | | ,

Am 7. September feiert die Landeskirche den 200. Jahrestag der Eingliederung der Waldenser- und Hugenottenkirchen in die Landeskirche. Bis dahin bestand eine eigene Waldenserkirche in Württemberg mit französischen Gottesdiensten. Wer waren eigentlich die Waldenser und warum siedelten sie sich in Württemberg an? Am 4. September 1699 hatte der württembergische Herzog Eberhard Ludwig seine Bereitschaft erklärt, ungefähr 2.200 um ihres reformierten Glaubens willen aus dem Piemont Vertriebenen eine neue Heimat zu geben. Diesen Waldensern – wie auch aus Frankreich nach Württemberg geflohenen Hugenotten – gestand der Herzog in Privilegien zu, ihre religiösen Angelegenheiten „jetzt und künftig“ selbstständig, d. h. unabhängig vom lutherischen Konsistorium, zu regeln. An mehreren Orten in Württemberg entstanden 1699 Waldenser- und Hugenottensiedlungen, so in Großvillars, Kleinvillars, Pinache mit Filiale Serres, Perouse, Dürrmenz-Welschdorf  mit den Filialen Schönenberg, Sengach und Corres, Lucerne und 1700 noch Neuhengstett und Nordhausen.

Wer in die Welt der württembergischen Waldenser ein wenig eintauchen und etwas über sie erfahren möchte, dem kann der Besuch des Museumsstübles im ehemaligen Waldenserort Pinache empfohlen werden. Das kleine Museum wurde im alten Rathaus des heutigen Teilorts von Wiernsheim eingerichtet. In drei Räumen werden dort Dokumente, Gegenstände und Bilder aus der Geschichte des Waldenserortes gezeigt. Besonders eindrucksvoll ist etwa ein Tondokument eines alten waldensischen Sprechers der okzitanischen Sprache, die sich hörbar stark vom Französischen unterscheidet. Tatsächlich sprachen die württembergischen Waldenser im Alltagsleben nicht französisch, was nur die kirchliche Amtssprache war, sondern ihre alpine Form des Okzitanisch. Eindrucksvoll ist eine ausgestellte Tracht einer Waldenserin, die ein Geschenk der Gemeinde Pinasca zur Feier der 40-jährigen Partnerschaft an die bürgerliche Gemeinde Wiernsheim war.

Das Museumsstüble ist von März bis November an jedem 1. Sonntag im Monat von 14 Uhr bis 17 Uhr geöffnet. Führungen sind nach Absprache jederzeit möglich. Kontaktdaten finden Sie hier. Der Eintritt ist frei, um eine kleine Spende wird gebeten.

In Neuhengstett findet am 14. Oktober eine Tagung zum Thema Waldenser statt.

Einen Beitrag zur Geschichte der Waldenser auf Württembergische Kirchengeschichte Online finden Sie hier.

Die Fotos wurden freundlicherweise von Frau Schuler vom Freundeskreis der Waldenser in Pinache und Serres zur Verfügung gestellt.

 

 

Begegnung im Archiv: Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer? Teil 10

30. August 2023 | | ,

Prof. Dr. Karl Hittler mit seinem Erstlingswerk “Familien in Mühlhausen an der Enz 1641 – 1920”

Wir treffen Professor Dr. Karl Hittler. Der frühere Leiter des Heilbronner Gymnasiallehrerseminars befindet sich bereits im Ruhestand und erstellt derzeit ein Ortsfamilienbuch für Großglattbach, einem Teilort von Mühlacker. Das ist jedoch nicht sein erstes Projekt dieser Art. Ein Ortsfamilienbuch eines anderen Teilorts von Mühlacker, nämlich von Mühlhausen an der Enz, liegt bereits seit 2013 gedruckt vor (1). Und auch ein entsprechender Band von Lomersheim ist bereits fertig erstellt und wird in absehbarer Zeit ebenfalls in derselben Publikationsreihe im Druck erscheinen. Mit der Genealogie beschäftigt sich Professor Hittler bereits seit vielen Jahren, zunächst im Rahmen der Recherchen zu seinen eigenen Vorfahren und nun mit dem Erstellen von Ortsfamilienbüchern, die ein wichtiges Hilfsmittel der Genealogie, aber auch für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sind. Unser Archiv hat solche Projekte immer sehr gerne unterstützt.

„Als ich Recherchen zu meinen eigenen Vorfahren durchführte, konnte ich unter anderem ein Ortsfamilienbuch von Niefern nutzen und merkte dabei, wie leicht es dank dieses Bandes war, meine eigenen Vorfahren bis zurück ins 16. Jahrhundert zu ermitteln. Bei der Genealogie kommt man mit der Zeit an einen Punkt, wo man nicht nur Quellen für die private Familienforschung nutzen will, sondern etwas selber beitragen möchte. Die Arbeit am Ortsfamilienbuch von Mühlhausen an der Enz betrachtete ich als einen besonderen Glücksfall, weil es ein Ort mit einer besonderen Geschichte ist. Ich empfand die Auswertung der Daten aus den Kirchenbüchern wie das Heben eines Schatzes. Wenn man so etwas gemacht hat, dann möchte man weitermachen.

Der Zugang zur Geschichte hat mich gereizt. Nach wie vor finde ich es interessant in den Kirchenbüchern auf Sachverhalte zu stoßen, die mit dem Gang der Weltgeschichte zu tun haben. Ich bin ja von Hause aus Naturwissenschaftler und habe bei der Anfertigung dieser Ortsfamilienbücher die Möglichkeit, gelernte Arbeitsweisen, wie etwa korrekt und systematisch zu arbeiten, oder immer wieder die Methoden zu hinterfragen, anzuwenden.“

  1. Familien in Mühlhausen an der Enz 1641 – 1920 : mit älteren Nachweisen ab 1596 / zusammengestellt von Karl Hittler. Hrsg. von Konstantin Huber und Marlis Lippik, Mühlacker 2013 (Mühlacker Geschichtshefte ; 4, Der Enzkreis ; 11, Württembergische Ortssippenbücher ; 104)

 

Zehn Jahre Kirchenbuchportal Archion

22. August 2023 | | ,

Vor einem Jahrzehnt begann ein bahnbrechendes Experiment, das zu einem Erfolg auf vielen Ebenen wurde: die Gründung des Kirchenbuchportals. 2013 mit der Vision, Kirchenbücher digital allen Interessierten zugänglich zu machen, haben zwölf evangelische Kirchen die Kirchenbuchportal GmbH ins Leben gerufen. Heute nach 10 Jahren, kann Archion stolz auf die gewaltige Entwicklung und die zahlreichen Partnerschaften zurückblicken, die uns zu einem essenziellen Teil der Forschungsgemeinschaft gemacht haben.

Archion ist inzwischen weit über die Grenzen evangelischer Archive hinausgewachsen ist. In enger Zusammenarbeit mit mittlerweile 25 Partnerarchiven hat das Portal nun über 150.000 Kirchenbücher online – ein wahres Füllhorn an Spuren gelebter Vergangenheit. Mehr als 80.000 registrierte Nutzer können nun von überall auf der Welt auf diese kostbaren Quellen zugreifen. Das Kirchenbuchportal wird Archion auch in den kommenden Jahren weiter auszubauen und noch mehr historische Schätze auf die digitale Reise zu schicken.

Unser Archiv war von Anfang an mit dabei. Die Bereitstellung der Kirchenbücher auf Archion hat auch unsere Arbeit verändert und für viele Forschende den Zugriff auf die württembergischen evangelischen Kirchenbücher sehr erleichtert. Die gute Zusammenarbeit mit dem Kirchenbuchportal Archion ist auch für uns ein Grund zur Freude. Ad multos Annos!

Badische Fahne als Depositum im Archiv der württembergischen Landeskirche

16. August 2023 | |

Vor kurzem ergab sich zwischen den beiden Evangelischen Landeskirchlichen Archiven von Baden und Württemberg eine spontane Zusammenarbeit. Im Keller des Pfarrhauses der Kirchengemeinde Waldkirch (Baden) lagerte lange Zeit die reich verzierte Fahne des 1891 gegründeten örtlichen Evangelischen Arbeitervereins. 2017 hatte man das wertvolle Stück entdeckt, geborgen und sogar konservatorisch behandeln lassen. Zur sicheren Unterbringung wurde die Fahne 2022 schließlich dem Archiv der Evangelischen Landeskirche in Baden (EKIBA) übereignet. Das wertvolle textile Objekt muss aus konservatorischen Gründen liegend aufbewahrt werden, was bei einer Größe von 130×130 cm jedoch die Kapazitäten der in Karlsruhe vorhandenen Planschränke sprengt. Welch ein Glück, dass das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart unlängst zwei Planschränke in Übergröße angeschafft hat. Als das Archiv der EKIBA anfragte, ob eine Einlagerung bei uns in Württemberg möglich sei, konnten wir unmittelbar zusagen. Die Fahne befindet sich nun als Depositum aus Baden in unserem Magazin.

 

Die Geschichte der Fahne des Evangelischer Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau:

Der Evangelische Arbeiterverein Waldkirch-Kollnau wurde am 3. Mai 1891 gegründet und bestand bis 1939/1941.

Erste evangelische Arbeitervereine gab es bereits im frühen 19. Jahrhundert im Ruhrgebiet. Als ab 1890 die politische Arbeit von Pfarrern erlaubt wurde, entstanden in ganz Deutschland vergleichbare Zusammenschlüsse. In Baden wurden die ersten Evangelischen Arbeitervereine in Freiburg und Zell im Jahre 1887 ins Leben gerufen. Mit seiner Gründung im Jahr 1891 war auch der Verein Waldkirch-Kollnau früh dabei. Der Zweck des Vereins bestand darin: Unter den Glaubensgenossen das evangelische Bewusstsein zu erhalten und zu stärken, die sittliche Hebung und allgemeine Bildung der Mitglieder zu mehren, den Mitgliedern ein christliches Verständnis der sozialen Fragen und Aufgaben der Gegenwart zu vermitteln und ihnen bei Bedarf Unterstützung zukommen zu lassen. Die Vereinsaktivitäten vor Ort geschahen in der Regel in enger Absprache mit der Kirchengemeinde.

Am 25. Juni 1904 wurde die Fahne des Ev. Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau geweiht. Feierlich präsentiert wurde sie dann im Garten des Gasthauses Kreuz. Hier entstand höchstwahrscheinlich auch das Foto. Beim Gottesdienst und der anschließenden Enthüllung waren die katholischen Vereine aus Waldkirch und Kollnau zugegen, aber auch staatliche, städtische und kirchliche Behörden. Die auf dem Foto sichtbare Schleife war den „Frauen und Jungfrauen“ zu verdanken. Bei der Übergabe der Schleife sprach Frl. Mina Glos: „Also lasst mit dieser Schleife / eure Fahne heiter krönen / daß der Männer rechte Taten / sich durch Frauenhand verschönern.“ Auf der Vorderseite der Fahne sind der badische Greif und der deutsche Reichsadler dargestellt. Auf der Rückseite die vier Embleme aus der Welt der Handarbeit: ein Seidenraupenkokon (Sinnbild für die Seidenweberei, insbesondere der Fabrik Sonntag), ein Webschifflein (Sinnbild für die Kollnauer Spinnweberei), ein Hammer sowie ein Zahnrad und eine Zange (als Sinnbild für die mechanischen Handwerke).

Neben der Erwachsenenbildung unterstützte der Verein seine Mitglieder durch den gemeinsamen (und dadurch günstigeren) Bezug von Kohlen, Briketts, Kartoffeln, Kaffee und Kakao. Aus dem Verein heraus bildete sich ein Männerchor, ein gemischter Chor sowie eine Musikabteilung. 1893 sowie 1908 versuchte der Verein, gesunde Arbeiterwohnungen zu schaffen, letztlich ohne Erfolg. Die bittere Zeit des Ersten Weltkrieges führte zu einem Rückgang des Vereinslebens. Seine Aufgaben wandelten sich im Versenden von Gütern an die im Feld stehenden Mitglieder. Zum endgültigen Niedergang kam es dann in den 1930er Jahren. 1941 wurde der Verein aufgelöst.

Die Fahne ist sicher ursprünglich im Gemeindehaus aufbewahrt worden. Irgendwann gelangte sie in einem wenig geeigneten Behältnis in den (leider feuchten) Keller des Waldkircher Pfarrhauses, wo sie 2017 wieder entdeckt wurde. Nach einer fachmännischen Reinigung (Entfernen des Schimmels) durch eine Restauratorin wurde sie liegend und in Seidenpapier eingeschlagen in einem großen Karton auf dem Dachboden der Evangelischen Kirche gelagert. Als dieser Dachboden gedämmt wurde, musste sie wieder entfernt werden. Deshalb hat sich der Kirchengemeinderat 2022 dazu entschlossen, die Fahne schließlich an die Evangelische Kirche Baden abzugeben.

(Informationen von Andreas Haasis-Berner von der Ev. Kirchengemeinde Waldkirch.)

Beitragsbild: Fahne des Ev. Arbeitervereins Waldkirch-Kollnau, 1904. Depositum Nr. 23.030;01-04

Beschreibung und weitere Bilder der Fahne in unserer Online-Bestandsübersicht hier.

Bestandsgeschichte im Findbuch des Pfarrarchivs Waldkirch [Bestand: 044., Waldkirch; Bestände und Findmittel (archiv-ekiba.de)].

Erfahrungsbericht FSJ-Denkmalschutz im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart

26. Juli 2023 | | ,

Seit Beginn meines Freiwilligen Sozialen Jahres habe ich mich im Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hauptsächlich in den Bereichen der Musealen Sammlung und der klassischen Aktenarbeit beweisen müssen. Vor allem im ersten halben Jahr habe ich einen Großteil meiner Zeit beim Inventarisieren von Bildern, Gegenständen und Möbeln in der Musealen Sammlung verbracht, sowie dem Vorbereiten von Ausstellungen und dem Durchführen einer Einholung von Missionsgut für die Sammlung. Es gab Massen von noch noch nicht inventarisierten Gegenständen, die einem ihre Geschichte erzählen wollen oder deren Geschichte gefunden werden will.

Ebenfalls haben mir die klassisch archivarischen Tätigkeiten sehr viel Spaß gemacht, beispielsweise das Digitalisieren und das Durchführen von Einholungen von Pfarrarchiven und Diakonieakten, das Bearbeiten von Aktenbeständen und die Arbeiten im Magazin. Er war schön, dass ich Sütterlin-Schrift lernen und gleich anwenden konnte. Fraktur-Schrift konnte ich bereits lesen. Über das Jahr habe ich an insgesamt fünf Einholungen teilgenommen, bin an der Verzeichnung meines zweiten Aktenbestandes und habe unsere Disketten vollständig und die Daten-CDs und Audio-Kassetten zu Teilen digitalisiert.

Für mich war es ein sehr gutes und richtungsweisendes Jahr und ich plane nach einem abgeschlossenen Studium zum gehobenen Archivdienst in das Landeskirchliche Archiv zurückzukehren.

Dekanatsarchiv Ludwigsburg nun ganz erschlossen und recherchierbar

21. Juli 2023 | |

Für das Dekanatsarchiv Ludwigsburg lag bereits seit 1962 ein Inventar vor, und der Bestand wurde seit den 1990er Jahren im Landeskirchlichen Archiv aufbewahrt. Allerdings gelangten Anfang der 2000er Jahre weitere Bestandteile des Dekanatsarchivs in das Landeskirchliche Archiv. Außerdem waren in dem älteren Archivinventar nicht alle Akten des Bestands berücksichtigt, so dass es notwendig war, die Erschließung zu ergänzen.

In dem neuen Archivinventar kann hier online recherchiert werden.

Das Dekanat Ludwigsburg gehört nicht zu den älteren Dekanaten der württembergischen Landeskirche. Schließlich wurde die barocke Residenzstadt erst im Jahr 1714 gegründet. Die neue Stadt wurde 1720 Sitz eines Oberamts und eines Dekanats. Dazu wurde das frühere Dekanat Markgröningen aufgelöst. Zusätzlich wurden noch Kirchengemeinden der Nachbarbezirke Cannstatt, Marbach und Waiblingen eingegliedert.

Die Dekanatsarchive beinhalten jeweils die Überlieferung des Stadtpfarramts. Da der Stadtpfarrer in Personalunion auch der Dekan des Kirchenbezirks ist, laufen bei ihm die Fäden zusammen. Auf dem Dekanatamt werden pfarramtliche Akten und dekanatsamtliche Akten gebildet. Ein wichtiger Bestandteil der dekanatsamtlichen Akten sind die Ortsakten zu den einzelnen Kirchengemeinden. Bei Ludwigsburg sind dies folgende Gemeinden: Aldingen, Asperg, Beihingen, Benningen, Bissingen (Enz), Eglosheim, Geisingen, Heutingsheim, Hochberg, Hochdorf, Hoheneck, Kornwestheim, Ludwigsburg, Markgröningen, Neckargröningen, Neckarrems, Neckarweihingen, Ossweil, Pflugfelden, Poppenweiler, Schwieberdingen und Tamm.

 

Bericht über die Tagung “Jerusalem Nabel der Welt” in Jerusalem

19. Juli 2023 | |

Letzte Woche fand in Jerusalem eine Tagung des „Yad Ben Zwi Instituts zur Erforschung der Geschichte des Landes Israel“ und der „Israeli Antiquities Authority“ vom 10. Juli bis zum 14. Juli statt.

Bei der großen und mit 400 Teilnehmern gut besuchten Tagung wurden über 70 Vorträge gehalten von Dozenten und Forschern aus der ganzen Welt zum Thema „Jerusalem – Nabel der Welt“. Vorträge wurden in englischer und hebräischer Sprache gehalten und dazu wurden auch Führungen in der Stadt am Montag und Freitag, die zur Thematik der Vorträge gehörten angeboten. Ich habe eine Führung durch die württembergische Templerkolonie angeboten und zwei Tage später einen Vortrag zur Geschichte des Deutschen Vereins zu Jerusalem 1873-1910 gehalten. Zur Führung kam die Maximale Zahl an erlaubten Teilnehmern – 30 Personen. Wir gingen vom Gemeindehaus über die Hauptstraße durch die Seitenstraßen bis zum Friedhof, wo weitere ausführliche Darstellungen der Entstehung der Kolonie und Persönlichkeiten dargestellt wurden. Bei dem Vortrag kamen an die hundert Personen die in Yad Ben Zwi an der Konferenz Teilnahmen.

Anbei einige Eindrücke aus der Führung durch die Kolonie und den Friedhof.

Dr. Jakob Eisler ist zuständig für die Forschungsstelle Palästina im Landeskirchlichen Archiv.

Mit freundlichem Dank an den Fotografen Larry Price, Jerusalem.

 

Aus der Musealen Sammlung

12. Juli 2023 | |

In der Musealen Sammlung befindet sich ein interessantes Schnitzbild aus Kamerun, das den Titel “Das Reich Gottes in der Erdnuss” trägt. In vielen württembergischen Kirchengemeinden kennt man dieses Bild. Wie kam es dazu?

Im Vorfeld der Weltmissionskonferenz (1980) in Melbourne, Australien, schrieb der Ökumenische Rat der Kirchen 1979 seine Mitgliedskirchen an und bat um Beiträge und Reflexionen zum Konferenzmotto ‚Dein Reich komme’, einer Bitte aus dem Vaterunser. Die Presbyterianische Kirche in Kamerun bat darauf ihre Mitglieder – Theologen und Laien – um ihre Ideen dazu. Den ersten Preis bekam der Schnitzer Martin Loh Nyonka mit dem Tafelbild “Das Reich Gottes” in einer Erdnuss. Erklärung: Wie die Erdnuss zwei Kerne hat, besteht das Reich Gottes auch aus zwei Bereichen – der sozialen und der geistlichen Arbeit. Das Schnitzwerk wurde in Melbourne ausgestellt und ist jetzt im Besitz des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Lange hing es dort im Büro des Generalsekretärs. Da das Bild sehr großen Anklang fand, wurde es von Martin Loh Nyonka noch vier Mal nachgeschnitzt: zum einen für Papst Johannes Paul II, der sich am 12. August 1985 in Yaoundé mit Vertretern aller christlichen Kirchen in Kamerun traf, zum zweiten für Hans Knöpfli, den früheren Leiter des Kameruner Handwerkerzentrums in Bali-Nyonga, der die Arbeit von Martin Loh Nyonka begleitete, zum dritten für den späteren Landesbischof Eberhardt Renz anlässlich seines Ausscheidens als Afrikareferent der Basler Mission.

1987 lernte Pfarrer Jürgen Quack, den Schnitzer bei einem Besuch in Kamerun, kennen und bat ihn, eine weitere Kopie für seine Arbeit im Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung (DiMOE) in Württemberg zu fertigen. Quack zeigte das Bild in vielen Gemeinden und Schulen, um zum einen eine afrikanische Sicht auf das Kommen des Reiches Gottes kennenzulernen und zum anderen ein Gespräch über das Verständnis des Reiches Gottes in Deutschland anzuregen. Zur Vermittlung verwendete er Objekte aus der Kultur des Kameruner Graslandes, die im Bild dargestellt sind und ein Plakat mit erläuternden Texten.

Beitragsbild: Schnitzbild “Das Reich Gottes in der Erdnuss” (Inv. Nr. 22.130)

Zwist um eine Friedenskirche

5. Juli 2023 | | , , ,

Historische Aufnahme der Friedenskirche (Garnisonskirche) in Ludwigsburg. LKAS, Bildersammlung, U 662

Derzeit wird der bislang noch unverzeichnete Teil des Dekanatsarchivs Ludwigsburg erschlossen. Naturgemäß stößt man beim Verzeichnen auf den ein oder anderen interessanten Vorgang. Dass ausgerechnet ein Aktenbund, der den Titel “Friedenskirche” (jetzt LKAS, DA Ludwigsburg, Nr. 709) trug, umfangreiches Material über einen konfessionellen Zwist enthielt, fanden wir bemerkenswert. Aus heutiger Sicht und aus der zeitlichen Distanz kann man freilich leicht mit einer gewissen Gelassenheit auf Probleme blicken, die damals die Gemüter erhitzten.

Friedenskirche Ludwigsburg. Von Ecelan – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3614898

Auf der B 27 von Stuttgart kommend erblickt man kurz vor der Abbiegung zur Ludwigsburger Innenstadt auf linker Seite eine imposante Kirche. Dieser Kirchenbau ist nicht nur schön, sondern hat auch eine besondere Geschichte. Die heutige Friedenskirche war ursprünglich die evangelische Garnisonskirche für den ehedem wichtigen württembergischen Militärstandort. Entworfen von dem Architekten Friedrich von Thiersch, wurde sie 1903 im Beisein des Königspaars eingeweiht. 1920 wurde die Garnisonsgemeinde aufgelöst. Das Gebäude wurde dennoch bis 1945 für Militärgottesdienste genutzt. Die Württembergische Kirchenleitung hatte sich 1924 beim Militärpfarramt V ein Mitbenutzungsrecht an der Garnisonskirche gesichert. Infolge des Zusammenbruchs der deutschen Wehrmacht haben die evangelischen Militärgemeinden aufgehört zu bestehen. 1945 wurde beschlossen, aus dem ehemaligen Südstadtbezirk der Stadtkirche eine neue Kirchengemeinde zu bilden. Im Mai 1947 wurde aus der Südstadtgemeinde eine eigene Teilkirchengemeinde mit neuen, erweiterten Grenzen gebildet. 1948 erfolgte die Umbenennung zur Friedenskirche. Aufgrund des großen Zustroms von katholischen Heimatvertriebenen wurde der katholischen Kirchengemeinde eingeräumt, die Kirche mitzubenützen, was ein Jahrzehnt lang auch ein funktionierendes Arrangement war. Man wechselte sich bei der Benutzung der Räumlichkeiten ab. Der Eigentümer war aber der Bund, und als dieser ab 1958 über den Verkauf der Kirche an die evangelische Kirchengemeinde verhandelte, kam eine gewisse Unruhe auf, da die katholische Kirchengemeinde sich nun hintangesetzt  fühlte. Von dem her standen sich nun bis 1966 zwei Interessen entgegen: Auf der einen Seite, das Interesse an einem Weiterbestehen des Status Quo, auf der anderen Seite das Interesse am Zustandekommen des Kaufvertrages zwischen der evangelischen Friedenskirchengemeinde und dem Bund. Die Entwicklung führte zu einem umfangreichen Schriftverkehr, zu etlichen Stellungsnahmen, zu Kontaktaufnahmen bis in höchste politische Kreise (etwa zu Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, Minister Hans Wilhelmi, Minister Franz-Josef Strauß, verschiedene Bundestagsabgeordnete). Erst als der Kauf vollzogen wurde, ebbten die Wellen wieder ab. Das Problem war letztlich nicht so groß wie man dachte, da die katholische Kirchengemeinde noch bis in die 70er Jahre die Kirche mitbenutzten konnte. Auch wenn sich die Benennung der Friedenskirche auf einen Neuanfang nach ihrer militärischen Vergangenheit bezog, so erwies es sich auch hier, dass man, wenn ein Streit vorbei ist, wieder Frieden schließen und im Frieden gut zusammenleben kann.

Abenteuerliche Anlieferung von Archivmaterial

30. Juni 2023 | |

Derzeit entsteht an der Rückseite unseres Gebäudes ein Erweiterungsbau. Aus diesem Grund befindet sich dort, wo bis Februar noch unser Parkplatz und unsere Anlieferung war eine große Baustelle. Zwar versuchen wir die Einholung von neuen Beständen stark einzuschränken, da eine normale Anlieferung nicht mehr möglich ist. Gleichzeitig gehen unsere Erschließungs- und Verzeichnungsarbeiten aber weiter. Aus diesem Grund haben wir nach wie vor den üblichen Verbrauch an Archivschatullen für das Verpacken der Archivalien. Von dem her mussten wir wieder Nachschub an diesen Materialien bestellen, in diesem Fall 17 Paletten mit Archivschatullen. Wie bekommt man jedoch 17 Paletten mit Schatullen in ein Archiv unter Wegfall des normalen Anlieferungsbereiches? Glücklicherweise war das Bauunternehmen so freundlich, uns zu helfen. Die Paletten wurden mit Hilfe des Baukrans über die Baustelle hinweg direkt zu dem Anlieferungstor geführt. Das war für uns allerdings ein sehr ungewöhnliches Ereignis. Die Paletten wurden vor unserem Tor ebenerdig auf eine Platte gestellt und dann mit einen Hubwagen in den Anlieferungsbereich hineingezogen.

Rückblick auf die Buchvorstellung am 23. Juni

28. Juni 2023 | | , , ,

Vergangenen Freitag fand in den Räumen des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart eine mit knapp hundert Interessenten sehr gut besuchte Tagung zu einer Neuerscheinung statt. Vorgestellt wurde das zweibändige Werk über die historischen Friedhöfe der Templer im Nahen Osten (1869-1948).  Grußworte sprachen der Vorsitzende des Vereins für württembergische Kirchengeschichte, Professor Dr. Norbert Haag, sowie als Hausherr der Leiter des Landeskirchlichen Archivs, Dr. Claudius Kienzle. Ein Grußwort des Leiters des Erhaltungsrats für Welterbestätten in Israel, Dr. Omri Shalmon, wurde verlesen. Danach folgten Vorträge von Professor Haim Goren aus Israel über die ersten, noch misslungenen Ansiedlungsversuche der Templer in Palästina. Oberbaudirektor i.R. Ulrich Gräf gab interessante Aufschlüsse über die Gestaltung der Grabsteine in ihren zeitlichen Kontexten. Dr. Jakob Eisler vom Landeskirchlichen Archiv erläuterte Hintergründe, die die Bedeutung der Dokumentation herausstellten und gab einige Beispiele aus dem Buch, die deutlich machten, wie umfassend von den Autoren für den biografischen Teil der Bände geforscht wurde. Herr Klingbeil von der Tempelgesellschaft berichtete über die Geschichte und die Pflege dieser Friedhöfe, insbesondere auch was die Zeit nach beginn des Zweiten Weltkrieges betraf, nachdem die Mitglieder der Tempelgesellschaft Israel schon verlassen hatten. Die Vorträge waren alle lebhaft und kurzweilig. Der Verein für württembergische Kirchengeschichte hatte für die Bereitstellung von Getränken und Speisen im Foyer gesorgt, so dass nach im Anschluss der Veranstaltung noch reichlich Gelegenheit für Gespräche bestand. Am Büchertisch konnte das werk gleich erworben werden.

Eine weitere Buchvorstellung wird in Israel  im Zentrum der Israelischen Denkmalpflegebehörde in „Mikwe Israel“ (vormals die erste Jüdische Landwirtschaftsschule von 1870 die vom Württemberger Theodor Sandel geplant wurde) stattfinden. Dr. Omri Shalmon, Frau Tamar Tuchler von der Denkmalbehörde Jaffa/Tel-Aviv und weitere Denkmal Persönlichkeiten werden dabei sein.

Der Doppelband kann hier bestellt werden: margarete.gruenwald@elk-wue.de

Jakob Eisler/Ulrich Gräf, Die historischen Friedhöfe der Templer im Nahen Osten (1869– 1948), Bd. 1: Templerfriedhöfe im Süden, Bd. 2: Templerfriedhöfe im Norden, Stuttgart 2023. 2 Bde. im Schuber, 780 S. 79,00 EUR. ISBN 978-3-944051-23-9 (Bd. 1), ISBN 978-3-944051-24-6 (Bd. 2).

Kirchenbücher von Katharinenfeld (Bolnisi) in Georgien

22. Juni 2023 | | ,

Historische Kirchenbücher der evangelischen Kirchengemeinde Katharinenfeld können nun als Digitalisate eingesehen werden. Online einsehbar sind folgende Register: Taufregister (1827-1835), Konfirmandenregister (1828-1848), Eheregister (1827-1843), Totenregister (1827-1843), Totenregister (1864-1889) sowie das Personalbuch der evangelisch-lutherischen Gemeinde (1891-1914). 

Konfirmandenregister von Katharinenfeld

Die Siedlung Katharinenfeld wurde im Jahr 1819 von württembergischen Auswanderern westlich von Tiflis gegründet und nach Katharina, der Gemahlin von König Wilhelm von Württemberg (eine Schwester von Zar Alexander) benannt. Der Hintergrund der Gründung von schwäbischen Ansiedlungen im Bereich des Kaukasusgebietes waren wirtschaftliche Notlagen in der Heimat und religiöse Vorstellungen. Besonders das Jahr 1816 mit seinen klimatisch bedingten Missernten sorgte für einen wirtschaftlich motivierten Auswanderungswunsch. Chiliastische Vorstellungen vom nahenden Weltende verbanden sich mit einem radikalen Pietismus (bzw. Separatismus) und dem Wunsch beim jüngsten Gericht möglichst nahe am Heiligen Land zu sein, in das eine Auswanderung damals aber noch nicht möglich war. Die Einwanderung in das südliche Kaukasusgebiet war jedoch möglich und wurde von Russland, das diese Gebiete kurz vorher erobert hatte auch durch Gewährung von Grund und Boden, Steuerfreiheit und anderen Vergünstigungen an die Siedler begünstigt. Nach anfänglichen großen Schwierigkeiten konsolidierten sich die Siedlungen ökonomisch und gesellschaftlich. In Sowjetzeiten wurde die Ortschaft in Luxemburg umbenannt (nach Rosa Luxemburg). Das kirchliche Leben wurde in Sowjetzeiten sehr eingeschränkt aber die Siedlungen bestanden noch bis zur im Jahr 1941 verordneten Deportation der Einwohner in andere Gegenden der UdSSR. 1944 erhielt Katharinenfeld seinen heutigen Namen Bolnisi. Die Nachfahren der früheren Bewohner wohnen mittlerweile zum großen Teil in Deutschland.

Die heutige evangelische Kirchengemeinde von Bolnisi gehört zur Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien und dem Südlichen Kaukasus.

Verwendete Literatur: Verlorene Spuren. Schwäbische Auswanderung in den Kaukasus. Dokumentation zur Ausstellung im Heimatmuseum Reutlingen (2017)

Rückblick auf den Gemeindenachmittag in Roigheim und den Gemeindeabend in Züttlingen

21. Juni 2023 | | ,

Die Abgabe von Pfarrarchiven zur Verwahrung und Verwaltung an das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart löst in vielen Kirchengemeinden ein Unbehagen aus. Befürchtungen werden laut, ihre Archivalien wären damit den Gemeinden entzogen und künftige kirchengeschichtliche Forschungen durch die Aufbewahrung an einem entfernten Ort erheblich erschwert worden. Daher ist es wichtig, die Kirchengemeinden über den Verbleib ihrer Pfarrarchive und die Nutzungsmöglichkeiten ihrer historischen Überlieferung im Landeskirchlichen Archiv zu informieren und ihnen den Mehrwert einer dauerhaften sicheren Verwahrung verständlich zu machen.

Beitragende zum Züttlinger Gemeindeabend, v.l: Birgitta Häberer, Bertram Fink, Ute Schüßler, Stefan Martin, Gudrun Haas, Julia Schäfer.

2013 und 2021 hatten die Kirchengemeinderäte von Züttlingen und Roigheim (Dekanat Neuenstadt) aus konservatorischen Gründen beschlossen, die Pfarrarchive zur Verwahrung und Verwaltung an das Landeskirchliche Archiv Stuttgart abzugeben. Die Kirchengemeinden konnten für die ehrenamtliche Erschließung der Archivalien im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart die Leiterin des heimatkundlichen Arbeitskreises Möckmühl, Frau Ute Schüßler gewinnen. Um die Durchführung von heimatkundlichen und kirchengeschichtlichen Forschungsvorhaben bereits vom heimischen PC aus vorbereiten zu können, sind die beiden von ihr erstellten ausführlichen Archivinventare auf der Website des Landeskirchlichen Archivs öffentlich zugänglich (Pfarrarchiv Roigheim hier und Pfarrarchiv Züttlingen hier ).

Am 13.06.2013 fanden im Roigheimer Gemeindesaal  und im Züttlinger Gemeindehaus Veranstaltungen statt, die sich mit den pfarramtlichen historischen Quellen und ihrer Bedeutung für die Erinnerungskultur beider Kirchengemeinden beschäftigten. Nachdem Dr. Bertram Fink, der zuständige Sprengelarchivar im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, den Weg der Archivalien vom Pfarramt bis zu ihrer Bereitstellung unter fachkundiger Beratung im Lesesaal des Landeskirchlichen Archivs nachgezeichnet hatte, stellte Ute Schüssler das jeweilige Archivinventar und einzelne Archivalien vor, die das weite Spektrum der pfarramtlichen Überlieferung abdecken. Auf diese Weise vermittelte Frau Schüßler einen lebendigen Einblick in das kirchlich-kommunale Leben beider Gemeinden. Der abschließende dritte Vortrag von der Sprengelarchivarin Birgitta Häberer hatte diejenigen Archivalien zum Thema, mit denen sich erfahrungsgemäß die Gemeindemitglieder am stärksten identifizieren, nämlich die Kirchenbücher beider Pfarrämter. Birgitta Häberer stellte die verschieden Gattungen und ihren Informationswert sowie deren Bereitstellung im gemeinsamen Kirchenbuchportal der landeskirchlichen Archive „Archion“  vor. So konnten einer sehr interessierten Zuhörerschaft an diesem Beispiel die Vorteile einer digitalen Bereitstellung von Archivalien vor Augen geführt werden.

Es bleibt zu hoffen, dass  Gemeindemitglieder in Zukunft den Weg in das Landeskirchliche Archiv Stuttgart finden und/oder die digitalen Angebote des Landeskirchlichen Archivs und seiner Kooperationspartner nutzen, um sich mit ihrer Kirchengeschichte zu beschäftigen. Wir haben guten Grund, optimistisch zu sein.

Begegnung im Archiv. Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer. Teil 9

14. Juni 2023 | | , , ,

Wir treffen Helmut Walser Smith. Er ist Professor für Geschichtswissenschaft an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Derzeit macht er Recherchen für sein nächstes Buch, welches die Aufarbeitung der Erinnerung an die bundesrepublikanischen jüdischen Gemeinden in der Zeit nach dem Holocaust zum Thema hat. Der Schwerpunkt liegt hier auf württembergischen Kleinstädten mit ehemals jüdischen Minderheiten, im Sinne einer Mikrogeschichte. Er arbeitet im Landeskirchlichen Archiv hauptsächlich mit dem Bestand K 13 Hilfsstelle für Rasseverfolgte bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart. Diese Hilfsstelle wurde im Jahr 1945 von der evangelischen Landeskirche eingerichtet und wurde von Fritz Majer-Leonhard geleitet.

“In den 50er Jahren fehlten weitgehend genauere Kenntnisse, was mit den jüdischen Gemeinden geschehen war, wer ermordet worden war, wer den Holocaust überlebte, beziehungsweise wo die Gemeindeglieder nun lebten. Fritz Majer-Leonhard war einer der ersten, die frühe Statistiken über die Gemeinden erstellte. Auf eine Initiative von ihm ging es auch zurück, dass Anfang der 1960er Jahre vom Land Baden-Württemberg beschlossen wurde, eine Dokumentationsstelle einzurichten, so dass zum ersten Mal in Deutschland von offizieller Seite Daten aus den einzelnen Gemeinden erhoben wurden.”

Der Historiker nutzt seinen Forschungsaufenthalt auch zu Recherchen in anderen Archiven. Zum Beispiel im Stadtarchiv Stuttgart, wo etwa die Unterlagen der Israelitischen Religionsgemeinschaft verwahrt werden. Im Stadtarchiv Ulm sieht er die Quellen ein, die mit der großangelegten Dokumentation im Zusammenhang stehen, welche die Stadt Ulm bereits Anfang der 60er Jahre in Auftrag gegeben hat. Außerdem nutzt er den Bestand der Dokumentationsstelle zur Erforschung der Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit, die das Hauptstaatsarchiv Stuttgart bereits digital zur Verfügung stellt.

Im November wird er noch einmal anreisen, um im Rahmen des vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg veranstalteten Stuttgarter Symposiums den Vortrag “Die Jews from Württemberg melden sich zurück: 1945 – 1988″ zu halten. Aus der Perspektive der New Yorker Organisation “The Jews from Württemberg” zeichnet er in dieser Veranstaltung die Erfahrungen und Begegnungen von Juden nach, die nach dem Holocaust die Orte ihrer ehemaligen Gemeinden besuchten.

 

 

Neuerscheinung: Transkription des Protokollbuchs für Polizei- und Gerichtssachen 1724-1817 des Bergamts Alpirsbach

7. Juni 2023 | |

Die ab 1642 in Württemberg eingerichteten Kirchenkonvente sollten für ein gutes, christliches Zusammenleben aller Bewohner sorgen. Zu diesem Zweck konnten die Konventsrichter jeden Einwohner und jede Einwohnerin bei Verstoß gegen die kirchliche und sittliche Ordnung heranzitieren, verhören und bestrafen. Jeden? – Nein! Nicht jeden. Die in den Bergbauorten im württembergischen Schwarzwald – v. a. Alpirsbach, Christophstal, Gutach (Ortenaukreis), Hallwangen, Hornberg (Ortenaukreis), Neubulach, Reinerzau und Schiltach – arbeitenden und zur örtlichen Einwohnerschaft gehörenden Bergleute unterstanden nicht der Jurisdiktion des Kirchenkonvents, sondern der des württembergischen Bergamts in Alpirsbach.

Deshalb sind – mit einzelnen Ausnahmen – in den Kirchenkonventsprotokollen keine Einträge zu Bergleuten zu finden. Stattdessen ist – zumindest für die Zeit von 1724 bis 1817 – das Protokollbuch für Polizei- und Gerichtssachen 1724-1817 des Bergamts Alpirsbach heranzuziehen, das im Hauptstaatsarchiv Stuttgart im Bestand A 58 a unter der Signatur Bü. 232 (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-1012076) überliefert ist.

In diesem Protokollbuch sind hauptsächlich Vergehen der Bergleute protokolliert, also in erster Linie Streit zwischen den Bergleuten, aber auch Auseinandersetzungen mit Nicht-Bergleuten. Daneben sind auch Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit und Vergehen gegen die geltenden Sitten (z.B. uneheliche Schwangerschaft) dokumentiert. Eine immer wiederkehrende Thematik und Streitursache ist der (übermäßige) Alkoholkonsum unter den Bergleuten. Daneben sind auch Befragungen einzelner Bergleute zu ihrer Herkunft, ehelicher Abstammung und vorherigen Tätigkeiten vor ihrer beabsichtigten Eheschließung mit örtlichen Bürgerstöchtern zu finden. In diesen Befragungen geben die betroffenen Bergleute nicht nur Auskunft zu ihrer Herkunft, sondern machen auch Angaben zu früheren Arbeitsorten und Kameraden, die mit ihnen denselben Weg gegangen sind. Ab 1790 sind hauptsächlich Vereinbarungen über Gedinge (Akkordarbeit) niedergeschrieben. Zu manchen Bergleuten lassen sich nur einzelne Einträge finden, einige Bergleute, v. a. Steiger, Schicht- oder Farbmeister, werden hingegen öfters erwähnt.

Dieses Buch stellt aufgrund seines Inhalts bei der Erforschung der Kontroll- und Regulierungsvorgänge hinsichtlich der Bergleute im Allgemeinen sowie bei Spezialuntersuchungen z. B. zu Konflikten oder Armut unter den Bergleuten oder zum Verhältnis zwischen denselben und der örtlichen Bevölkerung, aber auch bei biografischen Forschungen zu einzelnen württembergischen Bergleuten eine herausragende und für Württemberg einzigartige Quelle dar. Abhängig von der Häufigkeit der Erwähnung sind umfangreichere Studien zu einzelne Berufsgruppen und sogar tiefergehende Einblicke in das Leben bestimmter Bergleute möglich.

Wer in diesem Protokollbuch forschen möchte, muss sich nicht die Mühe machen, selbst im Hauptstaatsarchiv die alte Schrift zu lesen, da das Protokollbuch als Transkription vorliegt. Diese enthält erklärende Anmerkungen, ein Glossar, Personen-, Sach- und Ortsindizes sowie einen Index über die Gruben und Werke. Es wurde in der Reihe „Südwestdeutsche Quellen zur Familien- und Wappenkunde“ des Vereins für Familienkunde in Baden-Württemberg veröffentlicht und kann über die Webseite des Vereins bezogen werden.

 

Weitere Informationen zum Protokollbuch, einschließlich der Indizes sind auf https://www.uwe-heizmann.de/bergamtsprotokoll.html zu finden.

Fundstücke: Sammlung von Briefsiegeln

25. Mai 2023 | |

In unserem Archiv befindet sich eine Schachtel, die gefüllt ist mit einer bunten Mischung von Siegeln. Beigefügt ist ein Heft, das weitere, nach Orten sortierte eingeklebte Exemplare enthält. Eine wahre Fundgrube für Wappenforscher und einschlägige Sammler!

Jemand hatte die Siegel von Briefumschlägen abgetrennt, der genaue Zeitraum ist nicht zu ermitteln. Das in alphabetischer Reihenfolge geführte beiliegende Heft lässt darauf schließen, dass auch die in der Kiste aufbewahrten Siegel irgendwann hätten sortiert werden sollen.

Die Siegelsammlung stammt aus der inzwischen aufgelösten “Sammelstelle für Landeskirchliches Schrifttum” und war wohl eine Schenkung. Auf dem Etikett der Kiste ist zu lesen: “Siegel. Geschenk von Frau Pfarrer Bengel, Korntal“. Ob die Pfarrfrau die Sammlerin war, oder ob sie nach dem Tod ihres Gatten die Relikte seines Hobbys in guten Händen wissen wollte, werden wir wohl nicht mehr rekonstruieren können. Die Siegel liegen indes unsortiert weiterhin in unserem Archiv – mittlerweile in der Musealen Sammlung unter der Inventarnummer 22.128.

Siegel waren nicht nur als Insignien zur Beglaubigung von Urkunden gebräuchlich, sondern auch zum sicheren Verschließen von Briefen, um bei wichtigen oder offiziellen Schreiben die Unversehrtheit zu garantieren und den Absender kenntlich zu machen. Hierzu wurde ein Siegelstempel in eine weiche, erhärtende Masse – den Siegellack – gedrückt. Durch den Stempel wurde das Familien- oder Ortswappen eingeprägt.

Die Siegelsammlung in unserer Online-Bestandsübersicht.

 

Abbildungen: Museale Sammlung, Inv. Nr. 22.128

Museale Sammlung online

22. Mai 2023 | | ,

Den Internationalen Museumstag am 22. Mai haben wir zum Anlass genommen, unsere Museale Sammlung online zu stellen. Unter AS 9 finden Sie auf unserer Internetseite Landeskirchliches Archiv Stuttgart – Suche (elk-wue.de) rund 15.000 Objekte. Neben Zeugnissen kirchlicher und privater Frömmigkeit sind christliche Skulpturen, Gemälde, Grafiken und liturgische Gegenstände aus der Arbeit evangelischer Verbände und Vereine, der Diakonie und der Mission enthalten. Unsere Sammlungsstücke stehen für Ausstellungen und Filmaufnahmen von Museen und Kirchengemeinden zur Verfügung. Viel Spaß beim Recherchieren und Entdecken unserer Museumsschätze!

Beispiel für eine Verzeichnungseinheit mit anklickbarem Digitalisat

 

Neues Buch zu den Verbindungen zwischen Württemberg und Palästina erschienen

22. Mai 2023 | | , ,

In dem neu erschienenen Buch wird erstmals die Geschichte der Zweigstellen des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, das im Jahr 1860 von dem Württemberger Johann Ludwig Schneller gegründet worden war, umfassend dargestellt. Außerdem erfährt der Leser auch einiges über das Syrische Waisenhaus selbst, sowie dessen ideellen Hintergrund, seine Vorgeschichte und Entwicklung. Andreas Butz zeigt in seiner Arbeit,  dass Johann Ludwig Schneller seine Tätigkeit nicht nur auf die Jerusalemer Schule  beschränkte, sondern auch auf die Idee eine moderne arabische Gesellschaft zu gründen, die von Ackerbau leben würde und da eine Landwirtschaftsschule in Bir Salem zu gründen versuchte. Das große Gut Bir Salem sollte unter die Leitung von Matthäus Spohn in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht zum Vorbild in Palästina werden. Nach mancherlei Versuchen (Getreide, Viehhaltung, Weinanbau) kristallisierte sich der Orangenanbau als die geeignete Nutzung heraus. In seinem Buch skizziert der Autor die genaue Entwicklung dieser Anstalt unter Berücksichtigung und Nutzung aller möglich zu findenden Archivalien und Materialien. Mit der selben Gründlichkeit untersuchte er auch die Station in Nazareth (Galiläisches Waisenhaus) und die Station Chemet Allah. Auch in Nazareth wurde der Hübel, auf dem die Einrichtung gebaut wurde, umfassend kultiviert. Chemet Allah, das wie Bir Salem im Bereich der Küstenebene lag, wurde mit modernen Methoden Weizen angebaut.

Hier werden Pionierarbeit in der Landwirtschaftlichen Erziehung sowie Schnellers Ideen zur Entwicklung der Niederlassungen genau skizziert. Danach werden die zwei weiteren Anstalten, die erst richtig in der Mandatszeit wuchsen, dargestellt. Daran schließt sich eine ausführliche Beschäftigung mit der Beschreibung der Niederlassungen in der Reiseliteratur und diversen Reiseerfahrungen an. Des Weiteren werden Publikationen einzelner Reisenden und deren Veröffentlichungen analysiert.

Andreas Butz beschäftigt sich in diesem Buch nicht nur mit der historischen Bedeutung der Zweigniederlassungen. Es gelingt ihm Überlieferungslücken z.B. durch Recherchen in bislang ungenutzten Privatarchiven und Institutionsarchiven wie der Karlshöhe oder des Bethel-Archives Lücken zu schließen und damit bislang unbekannte Informationen und Details zu ermitteln. Dies trägt dazu bei, dass auch einzelnen Persönlichkeiten und Mitgliedern und Mitarbeitern des Waisenhauses und ihrer Bedeutung für das Unternehmen und der Entwicklung der Zweigniederlassungen zum ersten Mal dargestellt werden. Mit dem vorliegenden Werk werden die Grundlagen für die Anerkennung dieser Zweigniederlassungen, die früher kaum in der Forschung Beachtung fanden.

Die Arbeit wurde im Jahr 2020 von der Universität Stuttgart als Dissertation angenommen. Dr. Andreas Butz wurde in Stuttgart geboren, studierte in Tübingen und Stuttgart Geschichte und Anglistik und an der FH Potsdam Archivwesen (Diplom-Archivar). Er arbeitet als Archivar beim Landeskirchlichen Archiv. Das Buch ist als Band 52 in die Reihe der Abhandlungen des Deutschen Palästina Vereins (Deutscher Verein zur Erforschung Palästinas) aufgenommen worden. Es kann überall im Buchhandel bestellt werden. Rezensionsexemplare können beim Harrassowitz-Verlag erfragt werden.

 

Beitragsbild: Andreas Butz mit seiner Dissertationsschrift vor dem Regal mit der historischen Bibliothek des Syrischen Waisenhauses. Die historische Bibliothek wird heute in der Evangelischen Hochschul- und Zentralbibliothek in Stuttgart-Möhringen aufbewahrt. Es finden sich dort unter anderem die Bücher, die die Lehrkräfte des Waisenhauses zur Vorbereitung ihres Schulunterrichts verwendeten.

 

Himmelfahrt

17. Mai 2023 | | ,

Gebetbuch, 1688, hg. vom Abendprediger der Stiftskirche in Stuttgart Johann Heinrich Schellenbaur (1643-1687), Museale Sammlung (17.005)

Ist Christus im Streitwagen mit flammenden Rädern gen Himmel gefahren?

Der Kupferstich in diesem in Stuttgart herausgegebenen Gebetbuch von 1688 zeigt nicht den himmelfahrenden Christus, sondern den Propheten Elija aus dem Alten Testament. In vielen alten Darstellungen wird die Himmelfahrt des Elija als Präfiguration der Himmelfahrt Christi gezeigt: Das, was im Alten Testament angekündigt wird, vollendet sich im Neuen Testament.

40 Tage nach Ostern feiern Christen Himmelfahrt, den Tag an dem Jesus Christus von seinen Jüngern Abschied nahm und in die unsichtbare Welt Gottes zurückkehrte. Seitdem sitzt er “zur Rechten Gottes”, wie es im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt. (Markus 16,19, in Lukas 24,51 sowie in der Apostelgeschichte 1,1–11.)

Das vorliegende Gebetbuch ist noch unter anderen Aspekten interessant. Jedes Titelkupfer ist einer württembergischen Stadt gewidmet, hier: Stetten. Andere zeigen Blaubeuren, Lauffen, Marbach oder Brackenheim…

Kirchenbücher als Quelle zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

16. Mai 2023 | |

Kirchenbuch von Gräfenhausen

Am 15. Mai 2023 wurde im Landratsamt des Enzkreises in Pforzheim die Ausstellung “Sterben und Leben. Der Dreißigjährige Krieg zwischen Oberrhein, Schwarzwald und Kraichgau” vor vollem Haus eröffnet. Die Schau ist bis zum 13. Juli zu sehen. Doch nicht nur das: es gibt auch eine wissenschaftliche Tagung zum Thema und das Portal Dreißigjähriger Krieg mit hunderten von archivischen Quellen und Kirchenbucheinträgen, Diagrammen, Aufsätzen, Videos, Karten und Tabellen wurde online gestellt. Das Landeskirchliche Archiv hat als Leihgeber zur Ausstellung ein Kirchenbuch von Gräfenhausen beigesteuert, das in einer Vitrine gezeigt wird. Die aufgeschlagene Doppelseite nennt 40 Angehörige der Pfarrei (darunter 13 Kinder), die teilweise durch soldatische Gewalt und kriegsbedingte Seuchen umkamen. Die Einträge sind überschrieben mit:

Ausschnitt aus einer Informationstafel

Mittwochs, den 27. Septembris, ist Stadt, Schloss und Ampt Newenbürg von dem kaiserlichen Kriegsvolck eingenommen, die Leutt in die Wildnussen und Wäld verjagt, auch folgende Personen umbkommen und begraben worden:”.

Kirchenbücher waren insgesamt eine wichtige Quelle für dieses Projekt des Enzkreis-Archives. Wir wissen zwar viel über Schlachtverläufe und wichtige Kriegsprotagonisten, aber Berichte, die genau Auskunft über das Leiden der Menschen und ihre Bewältigungsstrategien geben sind selten. Das Team des Kreisarchivs unter der Leitung von Kreisarchivar Konstantin Huber hat die Kirchenbücher von 39 Pfarreien im Großraum Pforzheim für  die Ausstellung und das Geschichtsportal umfassend in Hinsicht auf Informationen über den Dreißigjährigen Krieg hin untersucht. Auf diese Weise ließen sich fast 1.400 Einträge erfassen, die in irgendeiner Weise mit dem Thema Krieg zu tun haben. Dank des Kirchenbuchportals Archion war und ist ein guter Zugang zur Erforschung der Quellen gegeben. Zum Beispiel im Kirchenbuch von Ensingen fand sich eine Chronik der Ereignisse, in anderen Kirchenbüchern Hochzeiten von Soldaten mit Einheimischen, Todesfälle durch kriegerische Handlungen, Hunger oder eingeschleppte Seuchen, und vielerlei andere Informationen. Auch für Erkenntnisse zur Neubesiedlung der am Ende des Krieges teilweise entvölkerten Dörfer stellen die Kirchenbücher die wichtigste Quelle dar.

Bericht von der Veranstaltung in der Stadtkirche Weikersheim (Vorstellung des neuen Kirchenführers)

10. Mai 2023 | | ,

Nach der Renovierung des Außenbaues der Stadtkirche St. Georg in Weikersheim erstrahlt nun dieser wieder in neuem Glanz – Grund für mehrere Veranstaltungen in der Kirche, zu denen auch die Vortragsveranstaltung am Mittwoch, den 26. April 2023 zählte. Anlass dafür war jedoch nicht nur die Fertigstellung der Renovierung, sondern auch die Vorstellung des neuen Kirchenführers, der schon seit 2020 vorliegt, aber die diesbezügliche Veranstaltung musste wegen den Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus leider abgesagt werden. Diese Publikation wurde mit Unterstützung des Landeskirchlichen Archivs und des Vereins für württembergische Kirchengeschichte erarbeitet. Umso größer war also nun die Freude, dass es jetzt möglich war, sich abends in der Kirche zu versammeln.

Zunächst stellte Günter Breitenbacher die Baugeschichte der Kirche vor. In seinen Ausführungen erläuterte er den von den adligen Herren von Weikersheim ab Mitte des 12. Jahrhunderts erbauten Vorgängerbau der heutigen Kirche. Dieser kleine Kirchenbau entstand jenseits des Vorbachs nahe der Mündung in die Tauber und wurde dem Hl. Georg geweiht. Mit der Stadtgründung um 1330 verlegten die Adligen von Hohenlohe die Siedlung zu dieser und die Bevölkerung verließ nach und nach das unbefestigte Dorf und zog in die Nähe der Burganlage in der Stadt. Diese Situation macht verständlich, dass man sich eine Kirche innerhalb der Stadtmauern wünschte, die dann schließlich auch von Conrad von Weinsberg und seiner Gemahlin Anna von Hohenlohe gestiftet und von 1419 – 1425 erbaut wurde. Auch diese Kirche wurde dem Hl. Georg geweiht.

Dr. Anette Pelizaeus vom Landeskirchlichen Archiv widmete sich nun der Ausstattung der spätgotischen dreischiffigen Hallenkirche mit dem sich anschließenden, aber erst 1615-1618 in der heutigen Form erbautem Chor. Dieser stattliche Neubau, dessen westliches Hauptportal im Tympanon stolz das Stifterpaar mit dem Kirchenmodell präsentierte – heute im Inneren der Kirche zu sehen – bewahrt aber immerhin noch die Reste eines ehemaligen Rundbogenfrieses des Vorgängerbaues, die im gesamten Kirchenschiff verteilt sind. Neben diesen Zeugnissen der Vergangenheit darf als einzigartig bewertet werden, dass das mächtige Kranzgesims des gewölbten Chores den Lebenslauf des Grafen Georg Friedrich von Hohenlohe in goldener Schrift auf schwarzem Grund enthält, in dessen Regierungszeit der Chor errichtet wurde. Ein weiteres Highlight der Kirche ist das Kinderepitaph des Herzogs Heinz von Sachsen-Lauenburg, des Enkels des Stifterpaares, der 1437 im Alter von  nur sechs Jahren verstarb.

Auf dem Beitragsbild: Frau Dekanin Renate Meixner, die den Abend moderierte, dankte den Referierenden und überreichte ihnen jeweils ein Stück des Schieferdaches über dem Kirchenschiff aus der Zeit vor der Renovierung.

 

Anette Pelizaeus, Günter Breitenbacher: Die Stadtkirche St. Georg in Weikersheim, Stuttgart 2020 (Nr. 26), ISBN 978-3-944-051-17-8, Preis 4,00 Euro.

Die Publikation kann beim Verein für Württembergische Kirchengeschichte bestellt werden (E-Mail: Margarete.Gruenwald@elk-wue.de)

 

Beitragsbild: Inge Braune, Freie Journalistin, Weikersheim

 

„hat empfangen 1500 Kinder“ – Quellen zu Hebammen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert

5. Mai 2023 | | ,

Bei der Erforschung von Frauenberufen tritt meist sehr schnell das Problem auf, dass es in den vergangenen Jahrhunderten zum einen überhaupt nur wenige vom Ehemann unabhängige Berufe für Frauen gab und dass zum anderen noch weniger schriftliche Quellen zu diesen Frauen bzw. deren Berufen existieren. Eine Ausnahme hiervon sind die Hebammen, zu denen in verschiedenen Quellen Informationen zu finden sind. Anlässlich des heutigen Internationalen Hebammentags sollen die einzelnen Quellen im Folgenden dargestellt werden.

 

Kirchenbücher

Abb. 1: Begräbniseintrag der Hebamme Maria Werner, 19.03.1706 Alpirsbach

In den Kirchenbüchern findet man üblicherweise die Lebensdaten der Hebammen und – da sie verheiratet oder verwitwet sein mussten – auch die Daten zu Hochzeit, Ehemann und ggf. Kindern. In den Todeseinträgen mancher Hebammen findet man außerdem Angaben zu Amtsdauer und Anzahl der Kinder, bei deren Geburten die Hebamme geholfen hatte.

Abbildung 1 zeigt den Begräbniseintrag von Maria Schweiker [1], Witwe des Michael Werners, die 77 Jahre, 7 Monate und 9 Tage alt wurde, in Alpirsbach das Amt der Hebamme 33 Jahre lang ausübte und in dieser Zeit 1.500 Kinder „empfangen“ hatte. Sie wurde am 19. März 1706 begraben. [2]

Als weiteres Beispiel sei der Todeseintrag von Christina Obergfell, Witwe und Hebamme „auff der Sommerau“ in Brigach, vom 19. August 1716 in St. Georgen (heute badische Landeskirche) genannt. Sie wurde 71 Jahre und 4 Monate alt und übte das Amt der Hebamme 34 Jahre lang aus. In dieser Zeit half sie 1.253 Kindern auf die Welt. [3]

[1] Albrecht, Georg: Familienverzeichnis von Alpirsbach II, S. 99

[2] Kirchenbücher Alpirsbach, Mischbuch 1663-1808, Totenregister 1687-1708, S. 60

[3] Kirchenbücher St. Georgen, Mischbuch 1704-1776, Totenregister 1704-1745, S. 43

 

Kirchenkonventsprotokolle

In den Kirchenkonventsprotokollen sind die Wahlen der Hebammen und der Geschworenen Weiber protokolliert. Letztere assistierten den Hebammen, überwachten diese aber auch. Hebammen und Geschworene Weiber wurden von den gebärfähigen Frauen des Ortes in einer öffentlichen Wahl gewählt.

Abb. 2: Protokollauschnitt: Wahl eines Geschworenen Weibs, 29.06.1805 Alpirsbach

Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus dem Protokoll einer Wahl eines Geschworenen Weibs am 29. Juni 1805 in Alpirsbach. Hier war der Schreiber gründlich, er hat jede einzelne stimmberechtigte Frau mit ihrer jeweiligen Wahl aufgeführt. Auffällig ist, dass die Frauen nicht namentlich genannt sind, sondern nur als Ehefrauen oder Witwen ihrer Ehemänner angegeben sind, selbst die schlussendlich gewählte Frau, „Friederich Gigis, Schneiders alhier Eheweib“. Der Eintrag enthält außerdem noch einen Hinweis auf die Ausbildung der Hebamme, denn diese wurde „Herrn Accoucheur Trautwein zum Unterricht empfolen.“ [4] Der Geburtshelfer Trautwein lässt sich nicht eindeutig identifizieren, jedoch waren so gut wie alle im Familienverzeichnis von Alpirsbach aufgeführten, zeitlich in Frage kommenden Trautwein Chirurgen, lediglich einer war Rotgerber. [5]

Als weiteres sind in den Kirchenkonventsprotokollen Angaben zur Festlegung des Wartgeldes zu finden. Das Wartgeld erhielten die Hebammen dafür, dass sie für Schwangere in den letzten Wochen der Schwangerschaft ständig abrufbar und auch während der Wochenbettpflege in erhöhtem Umfang einsatzbereit sein mussten.

Interessantere Einträge dokumentieren Klagen einer Hebamme oder Klagen über eine Hebamme. So beklagte sich am 2. Oktober 1705 die Hebamme in Alpirsbach, dass manche Schwangere, v. a. die aus den Filialen Rötenbach, Reutin und Unterehlenbogen, nicht sie, sondern andere Frauen zur Hilfe holten. Die Stabs- und Dorfvögte wurden angewiesen, dafür zu sorgen, dass Schwangere sich an die Hebamme wandten. [6]

Abb. 3: Protokollauschnitt: Klage über die Hebammen, 13.01.1737 Schwenningen

In einem anderen, ausführlich dokumentierten Fall beklagten sich am 13. Januar 1737 die Frauen in Schwenningen über die Hebammen. Aus dem Protokoll – Abbildung 3 zeigt einen Ausschnitt daraus – sind die einzelnen Aussagen der Frauen zu entnehmen, jedoch scheinen diese nur zögerlich und zum Missfallen der Konventsrichter ausgesagt zu haben. Nachdem die Aussagen von 27 Frauen einzeln notiert wurden, ist dem Protokoll Folgendes zu entnehmen:

„Weilen um der Weiber noch zuviel sind und die Zeitt zu kurz, so auch eine redet wie die andere sagt, als hatt man alle zumahl vorgenommen und ihnen ernstlich gesagt: weil sie den Brey nicht wolten aus dem Maul thun, so solle von ihnen wär zu klagen habe privatim zum Pfarrer kommen, widrigen Falß würden sie ihrer bishero heimlich geführten Klagen ohngeachtet die 2 alte Hebammen behalten und so man die dritte schon sezte, würde ihr keine Besoldung könne geschöpft werden.“

Daraufhin sagten vier Frauen aus: „Die beyde Hebammen wißten gar nichts, die Weiber seyen einmahl übel versehen. Sie hätten ihren besten Trost zu Hanß Martin Schlenckers Weib.“ 32 andere Frau bestätigten die Missstände und die Unwissenheit der Hebammen, so dass der Kirchenkonvent am nächsten Tag Schlenckers Ehefrau befragte, ob sie das Amt der Hebamme übernehmen wolle. Dem Protokoll ist weiter zu entnehmen:

„Nach langem und beweglichen Zuspruch hatt Anna, Hanß Martin Schlenckers Weib, sich in Gottes Nahmen entschloßen, dieses schwere und wichtige Amt anzunehmen und nach ihrem Verstand und Wißen unter Gottes Beystand handlen, was sie Gott ermahnen und sie vor Gott, ihren Nebenmenschen und ihrem Gewißen verantwortten könne, worauf sie ins Gelübd genommen und ihro sämtliche von allen Gottes Seegen und Beystand angewünschet worden.“ [7]

Aus den Kirchenkonventsprotokollen erfährt man aber auch einiges über die Ausbildung und Wissensvermittlung in der Hebammenkunde.

Beispielsweise wurde am 11. Mai 1732 in Kemnat „der alten Hebamme befohlen, bey allen Gebährenden die junge Hebamme mitzonehmen und derselbigen alles ordentlich zoweisen und zwar so, daß sie nichts anrühren solle außer die Gebährenden schicke auch nach der jungen Hebamme.“ [8]

Abb. 4: Titelblatt von Völters “Neueröffnete Hebammen-Schul”, Ausgabe 1722

Im Eintrag vom 18. Oktober 1711 in Schwenningen ist zu entnehmen, dass „denen Barbieren und Hebammen, nach deßhalben […] ergangenen oberamtlichen Befehls angedütten [wurde], sich daß Völters Hebammenschul anzuschaffen“. Damit ist das Buch „Neueröffnete Hebammen-Schul“ von Christoph Völter (1617-1682), dem „Begründer des Hebammenunterrichts in Württemberg“, [9] gemeint. Abbildung 4 zeigt das Titelblatt der Ausgabe von 1722. [10] Ein Barbier hatte das Buch bereits, der andere versprach, sich das Buch zu besorgen. „Der einen Hebamme aber, nemdlich die Catharina Hallerin, die leßen kann, das von Ihro Dignität Herrn Specialis zu Tuttlingen ex pio corpore angeschaffte Exemplar übergeben und behändiget worden.“ [11]

 

[4] LKAS, G 758, Nr. 3, Actum 29.06.1805 , Bild 36-44.

[5] Albrecht, Georg: Familienverzeichnis von Alpirsbach IV, S. 208 – 211, S. 208/209 = http://www.archion.de/p/60944b6e85/

[6] LKAS, G 758, Nr. 1, Bl. 27v , Bild 30

[7] LKAS, G 598, Nr. 2, S. 156 – 162 , Bild 80 – 83

[8] LKAS, G 73, Nr. 14-1, Bl. 132v  Bild 135

[9] https://swb.bsz-bw.de/DB=2.104/PPNSET?PPN=076870103&INDEXSET=21

[10] Völter, Christoph: Neueröffnete Hebammen-Schul, Oder Nutzliche Unterweisung Christlicher Hebammen und Wehmüttern, wie solche sich vor, in und nach der Geburt, bey Schwangern und Gebährenden, auch sonst gebrechlichen Frauen zu verhalten haben: Nebst einem ausführlichem Bericht, Wie todte Kinder, so in Mutterleib abgestanden, ohne Gefahr auszuzeihen. Mit vielen dienlichen Observationibus, aus gewisser eigenthumlicher praxi und Erfahrung erläutert […]. Stuttgart 1722

[11] LKAS, G 598, Nr. 2, S. 21 , Bild 12

 

Dokumente in Dekanats- und Pfarrarchiven

In den verschiedenen Dekanats- und Pfarrarchiven sind in unterschiedlichem Umfang weitere Unterlagen zu Hebammen überliefert. Folgende Beispiele veranschaulichen die Mannigfaltigkeit der Themen.

Abb. 5: Bericht über die Hebamme, 06.05.1793 Blaufelden

Aus Blaufelden ist ein Bericht über die namentlich nicht genannte Hebamme vom 6. Mai 1793 überliefert (Abbildung 5). Dieser lautet:

„Durch Gegenwärtiges wird allterunterthanigste Bericht erstattet, daß die Pfarr Plafelden [!] mit einer ordentlichen Hebamme versehen, welche von ihrer Mutter, so 32 Jahr lang Hebamme in in [!] der Plafelder Pfarr gewesen, diejenige Wißßenschaft so zu einer Hebamme erfordert wird, erlernet hat; nach Absterben derselbigen ist sie von Herrn Doctor Assum zu Crailsheim im Beyseyn einer allhiesigen Gerichtsmanns namens Mezger im Jahr im 1773 examinirt worden, eine solches beyliegende Quittung ausweiset […]. Sie ist nach der Examine von dem Herrn Docto Aßßum in Pflicht genommen und so alsdann von den weltlichen und geistlichen Amt und von sämtlicher Plafelder Pfarrgemeinde als Hebamme erkannt und angenommen wurden. Während dieser 20 Jahr hat sie inn- und außerhalb der Pfarr 715 Kinder empfangen; sie hat vor gegenwärtig ein Alter von 51 Jahren zu viel geleget [?], besizt noch Kräffte genug, ihr Amt zu versehen, und da jedermann in der Pfarr Plafelden mit derselbigen zufrieden ist, so wird deswegen keine andere Hebamme nothwendig seyn. […].“ [12]

Abb. 6a: Prüfungsbericht des Oberamts-Arzt btr. der Hebammen in Effringen, 28.02.1827 Nagold, S. 1

Aus Effringen ist ein Prüfungsbericht des Nagolder Oberamts-Arzt D. Silber vom 28. Februar 1827 überliefert (Abbildung 6). Dieser lautet:

„Nachdem mir gestern von den zu Hebammen-Stellen vorgeschlagenen Weiber von Effringen 4 zugekommen sind (die Schmid, welche ohnehin altershalber nicht hätte berücksichtiget werden, ist ausgeblieben), so habe ich bai der Prüfung derselben gefunden, daß zwar keines der 4 Weiber eine vorzügliche Brauchbarkeit zu der Stelle einer Hebamme verspricht, jedoch folgende 2 angenommen werden können:

Anna Maria Dengler und

Christina Bihler,

von den beiden andern ohnediß wenig dazu geeignet behauptet die Klais keine Lust zu der Hebammen-Stelle zu haben, und die Proß könnte wegen vorgerükter Schwangerschaft die zum Unterricht erforderliche Gänge nicht hierher machen.

Abb. 6b: Prüfungsbericht des Oberamts-Arzt btr. der Hebammen in Effringen, 28.02.1827 Nagold, S. 2

[zweite Seite:] Indem ich nun wohllöblichem Kirchen-Convente die definitine Wahl überlaße, bemerke ich, daß ich am 12. März den Unterricht anzufangen gedenke, an welchem Tage vormittags 9 Uhr die gewählten Weiber sich bei mir einfinden mögen.“ [13]

 

 

Aus Pfäffingen sind das Zeugnis der Tübinger Hebammenschule über die Teilnahme an einem Kurs im Schröpfen („Schröpfzeugniß“) für die Hebamme Anna Maria Göhring vom 20. Januar 1846 (Abbildung 7) und das Prüfungszeugnis der königlichen Hebammenschule Stuttgart für die angehende Hebamme Dorothea Arnold vom 26. Dezember 1849 überliefert (Abbildung 8). [14]

Abb. 7: “Schröpfzeugniß” für die Hebamme Anna Maria Göhring von Pfäffingen, 20.01.1846 Tübingen

In mehreren Pfarrarchiven sind aus dem 19. Jahrhundert Hebammen-Tagebücher überliefert, so z. B. das Tagebuch der Hebamme Catharina Spoehrer in Amlishagen von 1821 (Abbildung 9) oder das der Hebamme Rentschler in Dennjächt (Pfarrei Unterreichenbach) von 1845-1865 (Abbildung 10). [15]

 

Vom Pfarramt Trochtelfingen ist eine Akte mit der Laufzeit 1691-1863 und einem Umfang von 1,5 cm überliefert, die u.a. folgende Themen enthält:

– Befragungen der Hebammen zum Tod von Kindern

– Alkoholsucht einer Hebamme

– Zeugnisse für Chirurg und Hebammen

– Dienstanweisung für die Hebammen des Königreichs Württemberg [16]

 

 

 

 

 

 

[12] LKAS, F 10, Nr. 117, Bericht 06.05.1793

[13] LKAS, G 181, Nr. 141, Prüfungsbericht Oberamts-Arzt 28.02.1827

[14] LKAS, G 581, Nr. 145, Schröpfzeugnis 20.01.1846 bzw. Prüfungszeugnis 26.12.1849

[15] LKAS, G 121, Nr. 296, Tagebuch Catharina Spoehrer 1821 und LKAS, G 789, Nr. 49

[16] LKAS, G 9, Nr. 109

 

 

Visitationsakten (Pfarrberichte)

In den Pfarrberichten vor ca. 1800 sind auch mehr oder weniger umfangreiche Informationen zu den Hebammen zu finden. Diese Informationen wurden bei den Auszügen aus den Pfarrberichten von den damaligen Schreibern jedoch nicht berücksichtigt, so dass sie nicht in den online zugänglichen Visitationsberichten im Bestand A 1 zu finden sind. In den Dekanats- und auch in manchen Pfarrarchiven sind teilweise in überschaubarem Umfang Visitationsakten von vor 1800 vorhandenen, entweder als Zweitschriften oder Unterlagen, die nicht an den Special (Dekan) geschickt bzw. an den Generalsuperintendenten weitergeleitet wurden.

Abb. 11: Auschnitt aus dem Visitationsbericht Alpirsbach 1745 betreffs der Hebammen

In den Unterlagen des Dekanatamts Sulz am Neckar ist beispielsweise ein Bericht über die Visitation in Alpirsbach 1745 überliefert, der den folgenden aufschlussreichen Eintrag zu den Hebammen enthält (Abbildung 11):

„Hebammen von

Alpirspach, M[aria] Margretha Ketterin,

Rötenbach, Catharina Renckin

Reuthin, Eva Masserin, W[itwe]

Unterehlenbogen, A[nna] Maria Heintzelmännin, W[itwe]

Seynd examinirt und beaydigt, guten Leumunds, genießen der Personal-Freyheit mit denen Männern, empfangen ihr Wart-Geld von denen Communen richtig; auch wann sie Bettelarmen dienen, etliche wenige Kreutzer von dem Pio Corpore; ist keine, als die Alpirspacher, mit einem Buch versehen. Thun ihre Anzeigen zum Pfarr-Ammt richtig. Kein Fehler bey Geburthen, Gäh-Tauffen, Begräbnußen ist von ihr geschehen. Nichts Aberglaubisches, nichts Verdächtiges vorgeloffen.

Geschworene allhir hatt auch ein gut Lob.

Die Hebamme Maaserin von Reuthin klagt, man setze sie hindan bey reichen Weibern und hohle deß dasigen Vogts Weib, die schon einmahl Hebamme gewesen, aber darvon gebetten, bey denen Armen aber seye sie gut genug.“

Obiger Text wurde vom Pfarrer für die Visitation verfasst. Am Tag derselben wurden dann einzelne vom oder zusammen mit dem Special (Dekan) getroffenen Beschlüsse („Recess“) auf der linken Seite nachgetragen. Diese lauten:

Erster Beschluss: „Recess: Es ist der Bedacht zu nemmen, daß denen übrigen Hebammen in denen Filialien das sonst eingeführt Hebammenbuch auch angeschafft werden möge.“

Zweiter Beschluss: „Recess: Dafern die examinierte und beeydigte Hebamme zu Reuthin fürter von den Gebährenden praeferirt werden sollte; Solle derselben das sonst gewöhnliche Maeotrum [?] gleichwohlen nach andere Ort Gewohnheit bezahlet werden.“ [17]

 

Die vollständigen, mal mehr, mal weniger umfangreichen Visitationsberichte aus dem ungefähren Zeitraum von 1601 bis 1810 sind hauptsächlich im Bestand A 281 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu finden.

[17] LKAS, F 45, Nr. 20a, Alpirsbach 1745, S. 16

 

Weitere Quellen

Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart sind im Bestand A 213 weitere Unterlagen zu Hebammen zu finden.

Auch können in verschiedenen Kreis-, Stadt- und Gemeindearchiven und möglicherweise in weiteren Archiven Unterlagen zu Hebammen zu finden sein. Hierzu bietet sich eine Recherche über das Archivportal-D  an.