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Christbaumständer mit Krippe und Spieluhr

29. November 2021 | |

Dieses weihnachtliche Objekt zeigt, dass es schon in früheren Zeiten Ideen gab, wie Praktisches mit Schönem verbunden werden kann. Ein Christbaumständer mit Weihnachtskrippe und Musikbox – ein 3 in 1-Set aus dem Jahr 1905. Praktisch im Aufbau und praktisch in der Aufbewahrung. Hatte man die eingebaute Spieluhr einmal aufgezogen, lief sie 15 Minuten lang mit den Liedern „Stille Nacht“, „O Tannenbaum“, „O du fröhliche“ und „Am Weihnachtsbaum, die Lichter brennen“. Dabei drehte sich die Krippenszene im Kreis. Eine Attraktion für die Familienweihnacht!

Hergestellt wurde das Wunderding in Württemberg. Die Firma Gruoner & Bullinger aus Winterbach erwarben dafür im Jahr 1905 das Kaiserliche Patent. Der „Erfindungsgegenstand“, so heißt es in der Patentschrift, „zeichnet sich dadurch aus, dass neben dem Spielwerk ein Glockenspiel angeordnet ist, das durch ein Zahnradsegment abwechslungsweise mit der Achse für den Christbaumständer angetrieben wird, während gleichzeitig durch ein unterbrochenes Getriebedurch die auch die Notenwalze während eines Teils der Bewegung des Glockenspiels stillsteht.“ Drei Querschnittszeichnungen in der Beilage veranschaulichen die komplexe Mechanik.

Im Lauf der Zeit sind Teile der Apparatur gebrochen und angerostet, so dass Spielwerk und Drehmechanismus heute leider nicht mehr funktionieren. In die Museale Sammlung kam das kuriose Objekt durch den Enkel von Franz Xaver Bullinger, der Techniker und Teilhaber der produzierenden Firma war.

„Religiöse Schwärmereien“ in Vöhringen

10. Juni 2020 | |

In einem Schreiben vom 17. November 1778 teilten die herzoglichen Regierungsräte im Namen des württembergischen Herzogs dem Oberamt Rosenfeld und dem Dekanat Balingen folgendes mit:

„Uns ist aus einem […] wegen eines zu Vöhringen befindlichen bürgerlichen Innwohners und Bauren nahmens Ludwig Gührings, welcher nicht nur vor seine Person in Glaubens-Sachen irrige und fanatische Principia hege, sondern auch solche mündlich und schrifftlich auszubreiten suche, erstatteten unterthänigsten Bericht des mehreren […] referirt worden. Wann wir nun hirauf gnädigst verordnet haben wollen, daß ihr der Specialis nebst dem Pfarrer zu Vöhringen ohne jemals zu ermüden alles nur immer mögliche überhaupt gewißenhafft anwenden sollet, um den Gühring mit der nöthigen Klugkeit, Sanftmuth und Gedult dereinstens wieder zu recht zu bringen, in solcher Absicht aber besonders ihr der Specialis ihn je und je vor euch zu bescheiden und ihn den Ungrund seiner Meynungen […] vermittelst außerlesener und deutlicher Stellen der heiligen Schrift […] mit Sanfftmuth und Gedult wie bißhero also auch noch fernerhin zu erkennen zu geben […], überdiß aber der Pfarrer zu Vöhringen diesen irrenden Mann wohl zu beobachten, ihne ins besondere in seinem Unterricht zu nehmen, nach seiner Faßlichkeit und Temperament sich sanfftmüthig und einfältig mit ihne zu besprechen und überhaupt niemahlen zu ermüden habe und verdrüßlich werden solle, einen solchen auf Abwege gerathenen Mann auf die richtige Bahn der heilsamen Wahrheit einzuleiten. Alß habt ihr übrigens denselben auf das ernstlichste zu verwarnen, sich ja wohl vorzusehen, daß er niemahlen jemanden einiges Aergenüß gebe, vornehmlich aber von nun an unterlaße, seine besondere Meynungen weitershin weder schrifftlich noch mündlich außzustreuen […]“

Was hatte Ludwig Gühring angestellt, dass er sich den Unmut des Herzogs auf sich zog? Näheres geht aus einem Protokoll des Pfarrers zu Vöhringen vom 25. Juli 1778 hervor:

„Ludwig Gühring, Bürger und Bauer von hier, aetat. [= seines Alters] 60 Jahr […], äußert seit einiger Zeit ins Publicum, in und außerhalb Orts, durch mundlichen Vortrag und Schriften, die er lesen und abschreiben läßt und die er zum Theil auch weiter gern abdrucken ließe, ähnliche Principia mit den Irrlehren der alten Noëtianer […] und mit den Photinus, Macedonius und Priscillianus […], hauptsächlich agnoscirt [= anerkennt] er nicht die Personalitaet des Vatter und des Heiligen Geistes und statuirt: 1) Nur der Sohn seye eigentlich eine einzige Person in der Gottheit, weil dieser gebohrn seye und in ihm die ganze Fülle der Gotthet leibhafftig wohne – Gott seye ja nur ein Geist und habe sich nie in persöhnlicher Gestalt geoffenbart […].“

Gühring war also jemand, der die bestehende Glaubenslehre in Frage stellte und seine eigene theologische Meinung nicht nur vertrat, sondern diese auch unters Volk bringen wollte. Seine Ansichten ähnelten – zumindest nach Ansicht des Vöhringer Pfarrer – denen von Noët von Smyrna (wirkte um 180), Photinus von Sirmium (+ 376), Macedonius von Konstantinopel (+ nach 360) und Priscillian (+ 385), deren Lehren alle der offiziellen kirchliche Lehre widersprachen. Der Pfarrer von Vöhringen hatte über Gühring in den Jahren 1778 bis 1780 eigens eine Akte mit dem bezeichnenden Titel „Die religiösen Schwärmereien Ludwig Gührings, Bauers, betreffend“ angelegt. Diese umfasst 52 Seiten und enthält neben Berichten des Pfarrers und des Specials auch verschiedene Schreiben Gührings, auch an den Herzog und nach dem 17. November 1778!

Im Protokoll des Vöhringer Pfarrers ist Gührings Alter mit 60 Jahren angegeben. Dadurch konnte sein Taufeintrag im Vöhringer Taufbuch am 16. März 1718 zugeordnet werden. Im Taufeintrag wurde nachträglich eingetragen, dass er am 18. November 1783 im Lazarett in Stuttgart verstorben war, was auch durch den entsprechenden Eintrag im Stuttgarter Totenregister bestätigt wird. Interessanterweise ist Gühring dort als „Feuersprizenmacher“ bezeichnet.

Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart sind unter den Signaturen A 25 Bü. 212 eine Akte mit dem Titel „Die von Ludwig Gihring in Vöhringen, Amt Rosenfeld, erfundene Wasserpumpmaschine“ aus dem Jahr 1770 und A 239 Bü. 15 eine mit dem Titel „Gesuch des Ludwig Gühring von Vöhringen, Rosenfelder Amts, zurzeit in Stuttgart, um eine Belohnung und ein Privileg für seine neu erfundene Feuerspritze“ aus den Jahren 1781-1783 archiviert. Die eben genannten Fakten und die Tatsache, dass es in Vöhringen im betroffenen Zeitraum laut Vöhringer Seelenregister 1768-1808 kein anderer in Frage kommender Ludwig Gühring gab, sprechen dafür, dass diese beiden Akten ebenfalls den hier behandelten Ludwig Gühring betreffen.

War Gühring also nicht nur ein „Andersdenkender“, sondern auch ein genialer Tüftler? Eine Forschung zu Ludwig Gühring, auch als ein Teil einer größer angelegten Untersuchung zu Dissidenten und/oder Tüftlern in der damaligen Zeit, könnte interessante Einblicke liefern.

Quellen
Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, G 563 (Evangelisches Pfarramt Vöhringen, unverzeichnet), Schatulle „Verschiedenes 2“, Mappe „Die religiösen Schwärmereien Ludwig Gührings, Bauers, betreffend“
KB Vöhringen, Mischbuch 1689-1786, Taufregister 1689-1765, ohne Seitenzählung (16.03.1718)
KB Stuttgart Stiftskirche, Totenregister 1767-1784, Bl. 247v (18.11.1783)
KB Vöhringen, Seelenregister 1768-1808, Doppelseite G-H
Wikipedia: Noet
Wikipedia: Photinus von Sirmium
Wikipedia: Macedonius I of Constantinople
Wikipedia: Priscillian