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Tod auf der Fernstraße

9. November 2022 | | , ,

Nimmt man das Totenregister von Lienzingen (heute ein Teilort von Mühlacker) zur Hand, so bemerkt man relativ schnell, dass dort immer wieder Todesfälle von Personen aufgeführt werden, die nicht im Ort lebten, sondern auf der Durchreise verstarben. So verstarben alleine zwischen 1784 und 1797 dreizehn Personen unterwegs. Ortsfremde Personen werden in so gut wie allen Kirchenbüchern aufgeführt, manchmal mehr, manchmal weniger. Die relative Häufigkeit in Lienzingen ist aber wohl der Tatsache geschuldet, dass der Ort an einer Fernstraße lag. Die sogenannte Frankfurter Route war zeitweise die wichtigste Fernverkehrsstraße des Herzogtums Württemberg und führte von Ulm über Geislingen an der Steige, Esslingen, Cannstatt, Schwieberdingen, Vaihingen, Illingen, Lienzingen, Maulbronn, Knittlingen, Bretten, Bruchsal zur damaligen Handelsstadt Frankfurt. Sie war ab dem 16. Jahrhundert auch Teil des Niederländischen Postkurses, der ersten dauerhaft betriebenen Postreiterstrecke des Heiligen Römischen Reiches, die Italien, beziehungsweise Tirol, mit den spanischen Niederlanden (Belgien) verband.

Nicht selten handelte es sich bei den in den Sterbeeinträgen genannten auswärtigen Personen um Angehörige des Militärstandes, die beim Durchzug ihrer Einheit unterwegs verstarben. So zum Beispiel am 14.2.1790 Johann Eberhard Friedrich Schmid, Soldat unter dem Generalmajor von Hügelschen Regiment auf dem Asperg, verstorben 14.2., beerdigt 16.2., 31 ½ Jahre, Auszehrung oder am 11.6.1794 Jacob Goldner, Gemeiner unter dem kaiserlich königlichen Infanterie Regiment Preiss, verstorben 11.6. abends um 4 Uhr, begraben 12.6. abends 6 Uhr, ungefähr 23 Jahr, Steckfluß durch die große Hitze auf dem Marsch bewirkt.

Außerdem sind es auch Bettler, die mehr oder weniger zufällig während ihres Umherstreifens in Lienzingen oder nach einer Bettelfuhr (Orte entledigten sich damals oft der bei ihnen gelandeten Bettler und Bettlerinnen, indem man sie in einen Nachbarort überführte) verstarben. So etwa am 23.1.1791 ein fremdes unbekanntes Weib, ihren Angaben nach aus Mömpelgard, kam auf einer Bettelfuhr von Illingen halbtodt im Armenhaus an, verstorben den 22.1. abends nach 6 Uhr.

Auch wandernde Handwerker und Händler finden sich unter den im Totenregister aufgeführten, wie etwa am 5.3.1792 Johann Georg Wahler, Bürger, Gärtner und Samenhändler zu Vaihingen an der Enz, 5.3., nachts um 11 Uhr zwischen Maulbronn und Lienzingen auf der retour von Sulzfeld, 8.3. begraben, 44 Jahr, Erkältung.

Es finden sich auch Migranten unter den Verstorbenen. Der Eintrag vom 5.7.1784 nennt Anna Maria, Georg Grubers, eines catholischen Emigranten aus Ebersing in Lothringen, hier im Adler gestorbenes Kind, verstorben 5.7., beerdigt 6.7., 1 ½  Jahr, Blattern oder am 17.05.1785 Joseph, Johannes Büglers, eines catholischen Emigranten aus Hodweiler bei Bitsch in Lothringen Söhnlein, im Adler allhier verstorben 17.5., beerdigt 18.5., 6 Jahr, Ruhr. Vermutlich handelte es sich bei den durchreisenden Emigranten aus Lothringen um angeworbene Siedler für die neuen habsburgischen Gebiete im südöstlichen Donauraum (dritter Schwabenzug 1782-87), die auf dem Landweg nach Ulm unterwegs waren, um sich dort für die Fahrt donauabwärts einzuschiffen.

Es wurden über die Straße auch Kranke transportiert, wie sich dem Eintrag am 29.11.1796 die 25jährige Catharina Klotzin catholisch von Stetten bei Hechingen gewesene Köchin zu Bruchsal und Weingarten. Wollte sich von letzterem Ort krank nach Haus führen lassen, starb aber unterwegs, und ward todt in hiesigen Adler gebracht (siehe Beitragsbild) entnehmen lässt, wie etwa auch dem Eintrag am 19.5. desselben Jahres N.N. ein kaiserlicher Soldat, der in das Solitude-Lazarett geführt werden sollte, auf hiesigem Rathaus aber starb und allda todt zurückgelassen wurde, verstorben 19.5., begraben 20.5. .

Solche Register bieten durchaus Chancen für historische Untersuchungen. Eine Erhebung solcher Daten aus den Totenregistern von Orten an einer Fernstraße ermöglicht einen Einblick in die Zusammensetzung des Personenkreises, der sich auf solchen Routen bewegte.

 

Quelle:

Sterberegister von Lienzingen (1694-1836) auf Archion

Verlauf der Frankfurter Route (orange) durch Württemberg und weiter bis nach Bruchsal, Lienzingen rot umkringelt. Grundlage: Karte des Koenigreichs Württemberg. Gezeichnet von G.F. Haug 1813.

Vortrag: Historische Quellen zur Pietà aus der Liebfrauenkirche in Lienzingen

13. Mai 2022 | | ,

Derzeit findet ein Projekt verschiedener Partner statt, um die Lienzinger Pietà wissenschaftlich aufzuarbeiten, konservatorisch zu sichern und sie in Form einer Replik wieder an ihrem originalen Platz in der Liebfrauenkirche in Mühlacker-Lienzingen aufzustellen. Die nahezu lebensgroße Lindenholzskulptur rückt dadurch nach langem Dornröschenschlaf in das öffentliche Interesse. Es liegen inzwischen Anfragen vor, sie auch in Ausstellungen in Karlsruhe und Paris zu zeigen. Seit April läuft zu dem Thema eine Vortragsreihe, die von der Volkshochschule Mühlacker veranstaltet wird. Die Vorträge finden in der historischen alten Kelter in Mühlacker statt, wo die Pietà auch ausgestellt wird. Direkt neben der Originalskulptur entsteht derzeit eine Kopie, die durch einen Bildhauer hergestellt wird. Die durch Bilderstürmerei der Reformationszeit stark beschädigte Skulptur (beide Köpfe fehlen) wird in der Kopie ergänzt.

Dr. des. Andreas Butz vom Landeskirchlichen Archiv wird im Rahmen der Vortragsreihe am 19. Mai die historischen Quellen zur Pietà, zur mittelalterlichen Kapelle und zur Wallfahrt und Marienverehrung vorstellen.

Das Programm der Vortragsreihe und Informationen zur Anmeldung erhalten Sie hier.

 

 

Beitragsbild: Ansicht von Lienzingen von Andreas Kieser, 1684. Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Bestellsignatur H 107/16 Bd 5 Bl. 9, Permalink http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-513372

Demografische Entwicklung eines Ortes im 17. Jahrhundert anhand der Synodusprotokolle

15. Juli 2020 | | ,

Lienzingen ist ein württembergischer Ort im Enzkreis und ist heute ein Teilort von Mühlacker. Eine gewisse überregionale Bekanntheit hat die dortige Liebfrauenkirche, eine spätmittelalterliche Friedhofskapelle. Das Dorf gehörte früher verwaltungstechnisch zum Klosteramt Maulbronn. Die nachfolgend genannten demografischen Zahlen ergeben ein Bild, das auch typisch für die anderen Orte dieses ehemaligen Bezirks sind, was den Dreißigjährigen Krieg betrifft, zu einem gewissen Grad sogar für sehr viele Dörfer des damaligen Herzogtums Württemberg.

Im Landeskirchlichen Archiv bilden die Synodusprotokolle den Bestand A 1, der aus 161 dickleibigen, schweren, in geprägtes Leder gebundenen Folianten besteht. Die Laufzeit dieser Bände beginnt 1581. Es gibt einige Lücken, aber im Wesentlichen wurden diese Bände jährlich angelegt, so dass es sich um eine sogenannte serielle Quelle handelt, der also nicht nur punktuell Informationen entnommen werden können, sondern anhand derer auch Entwicklungen abgelesen werden können. Diese Protokollbände enthalten Auszüge aus den Kirchenvisitationsberichten. Alljährlich wurden alle Pfarrorte Württembergs von sogenannten Generalsuperintendenten besucht, die nach einem gleichförmigen Schema kürzere Berichte verfassten und auch die Anzahl der Gemeindeglieder festhielten. Das heißt, dass mittels dieser Daten die Bevölkerungszahlen jedes württembergischen Dorfes ab 1581 ablesbar sind.

Die Zahlen für Lienzingen im Band von 1621 nennen 490 Kommunikanten und 340 Katecheten. Insgesamt handelt es sich um 830 Personen. Kommunikanten sind Abendmahlsteilnehmer, also Personen, die konfirmiert sind, grob gesagt die Erwachsenen. Katecheten sind Kinder, die bereits den Katechismus lernen, also die Schulkinder. Das heißt, dass die Kleinkinder bei diesen Zahlen fehlen. Man müsste sie soweit möglich schätzen und zu der Zahl hinzufügen. Es versteht sich, dass der Ort inklusive kleineren Kindern über 900 Einwohner hatte. Das Zahlenverhältnis zwischen Schulkindern und Erwachsenen zeigt auch, dass das Dorf damals am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges eine stark positive Bevölkerungsentwicklung hatte, also dass die einzelnen Familien normalerweise viele Kinder hatten.

Der Band von 1653 nennt 108 Erwachsene, 63 Schulkinder und 38 kleinere Kinder (Infantes), die inzwischen auch ausgewiesen werden, alles in allem 209 Personen. Wie man unschwer erkennen kann, hat der Ort während des Dreißigjährigen Krieges mehr als drei Viertel seiner Einwohnerzahl eingebüßt. Dabei war der Krieg 1653 sogar schon seit fünf Jahren vorüber. Erschreckenderweise ist das keine lokale Besonderheit, sondern entspricht in ungefähr dem demografischen Einbruch Württembergs insgesamt. Verantwortlich dafür waren nur zum kleineren Teil die direkten Kriegsfolgen. Die Schwächung der Bevölkerung durch Mangelernährung, das Herumstreifen von Soldaten und Flüchtenden boten ideale Ausbreitungsvoraussetzung für die Pest, die um 1635 viele Menschen hinwegraffte.  Innerhalb weniger Monate verloren die Dörfer einen Großteil ihrer Bewohner. In den Sterberegistern der einzelnen Orte kann dies abgelesen werden.

Der Protokollband von 1680 nennt 219 Erwachsene, 80 Schulkinder, 113 kleinere Kinder für Lienzingen, insgesamt 412 Personen (die im Protokoll genannten Daten des Filialorts Schmie muss man bei der Gesamtzahl herausrechnen). Innerhalb von nur drei Jahrzehnten hat sich die Einwohnerzahl wieder verdoppelt, was ein erstaunlicher Befund ist. Die genannten Kinderzahlen geben den Hinweis, wie dies möglich war.

Der letzte Scan zeigt die Zahlen von 1695. Damals wohnten im Ort 131 Erwachsene, 56 Schulkinder und 20 kleinere Kinder, insgesamt 207 Personen. Wir sehen, dass die Bevölkerungszahl des Ortes wieder auf den niedrigen Stand von 1653 herabgesunken war, sich also innerhalb weniger Jahre halbiert hat. Die Erklärung liegt im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697). Das Klosteramt Maulbronn war Durchzugsgebiet französischer Armeen und musste außerdem die dort zum Schutz abgeordneten Reichstruppen ernähren. Diese Abgaben und erheblichen Erschwernisse bei der Feldbestellung führte wieder zu Nahrungsmittelengpässen und überdurchschnittlichen Sterberaten. Ein Teil der Einwohner der Dörfer flüchtete sich in diesen Jahren auch in sicherere Gegenden. Das 18. Jahrhundert war weniger von Kriegen gekennzeichnet und führte dementsprechend wieder zu einem Bevölkerungsanstieg.

Wie man sieht, lassen sich die Folgen von historischen Ereignissen anhand von seriellen Quellen auf lokaler Ebene konkret ablesen. Wir planen, den Bestand A1, wie ähnliche andere Bestände in Zukunft digital zu präsentieren.

Neu in der Museumslandschaft Württembergs: Das Christbaumständermuseum in Lienzingen

10. Dezember 2019 | |

In Lienzingen ist in den letzten Monaten das wohl erste und einzige Museum für Christbaumständer weltweit entstanden. Ab Samstag, 23. November ist das kleine aber feine Museum jeden Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Führungen gibt es jeweils sonntags um 15 Uhr.

Zur Eröffnung am 22. November hat die Sammlerin Heidi Schwarz ihre Sammlung noch einmal symbolisch an Mühlackers Oberbürgermeister Frank Schneider übergeben.

Zunächst werden in der Dauerausstellung im Fachwerkgebäude des ehemaligen Rathauses in der Friedenstraße rund 350 Christbaumständer zu sehen sein. Ab dem nächsten Jahr sollen Sonderausstellungen folgen, denn nicht für alle bestaunenswerten Objekte ist von Anfang an Platz. „Um so schöner ist es“, freut sich die zuständige Amtsleiterin Johanna Bächle, „dass wir die Besucher über Jahre mit immer wieder neuen Objekten werden überraschen können.“ Zum historischen Hintergrund können die Besucher des Museums auf Tablets an den Wänden nähere Informationen selbst aufrufen.

Nähere Informationen findet man auch auf Günter Bächles Weblog. Den Museumsflyer finden Sie hier.

Lienzingen ist ein Teilort von Mühlacker. Am kommenden Wochenende (Sa, 14.12.2019, 15:00 – 22:30 Uhr, So, 15.12.2019, 11:00  – 20:00 Uhr) finden dort wie jedes Jahr die sogenannten Weihnachts-Gaden statt, ein Weihnachtsmarkt in der historischen Kulisse der Lienzinger Kirchenburg.