Eine bemerkenswerte Darstellung der Heiligen Drei Könige in der Creglinger Herrgottskirche

23. Februar 2022 | | ,

Die Creglinger Herrgottskirche beherbergt nicht nur den berühmten Marien-Altar von Tilman Riemenschneider im Kirchenschiff, sondern auch zwei Seitenaltäre, die auf der Nord- und Südseite desselben situiert sind. Der Seitenaltar der Nordseite ist ein Flügelaltar, welcher Johannes dem Täufer und dem Hl. Leonhard geweiht ist. Kunsthistorische Forschungen haben ergeben, dass der Altar vmtl. 1496 aus bereits vorhandenen Teilen eines älteren, 1460 entstandenen Altares und einer neu angefertigten Predella sowie eines neuen Gesprenges zusammengesetzt wurde. Die Signatur des Künstlers „Jacob // müllholszer // 1496 …“ ist also wohl nicht auf eine gesamte Neuschaffung des Altares in diesem Jahr zu beziehen, obschon offenbleiben muss, welchen Anteil Müllholzer am Altarretabel überhaupt hatte.

Die Darstellung der Anbetungsszene befindet sich auf der rechten Seite des Schreins, der zudem links die Hochzeit von Josef und Maria und in der Mitte die Geburt Jesu zeigt. Möglicherweise sind diese Figuren der flämischen Kunst um 1460 zuzuschreiben, während die Tafelmalereien der Flügel wohl um 1500 entstanden sein dürften. Bemerkenswert ist die Darstellung der Anbetung der Heiligen Drei Könige vor allem deshalb, weil die Anbetungsszene nicht wie normalerweise üblich drei, sondern hier nur zwei Könige zeigt. Ein König steht hinter Maria und ist frontal dargestellt. Der bartlose Jüngling ist aufgrund seiner dunklen Hautfarbe dem afrikanischen Kulturkreis zuzuordnen und hält ein Gefäß in Gestalt eines Salbgefäßes mit Myrrhe in seinen Händen, welches er gerade öffnet, um den herrlichen Duft entweichen zu lassen. In der christlichen Ikonographie handelt es sich hierbei um Caspar.  Maria sitzt seitlich vor ihm, erscheint aber im Profil. Auf ihrem Schoß sitzt das Jesuskind, das sie in ihren beiden Armen hält. Das Kind streckt seine Arme nach einer mit Gold gefüllten Kiste aus, die ihm ein vor Maria und Jesus knieender König entgegenstreckt. Durch seine helle Erscheinung und seinen Brokatmantel, den er trägt, wirkt er europäisch. Bei dieser Figur handelt sich also um König Melchior. Sein langer Schopf und sein langer Bart zeigen an, dass er schon betagt ist, aber dennoch muskulös, wie anhand seines bloßen rechten gewinkelten Beines zu erkennen ist. Trotz seiner kräftigen Statur wirkt er durch seine knieende und somit unterwürfige Gebärde klein, zumal sein Kopf über dem des Jesuskindes, aber dennoch auf dessen Augenhöhe dargestellt ist. Die beiden Figuren sind durch ihren jeweils konzentrierten, aufeinander ausgerichteten Blick einander zugewandt und zudem beugen sich beide vor, um sich etwas näherkommen zu können. Die Zuwendung, ja innige Zuneigung zwischen den beiden Figuren wird zudem dadurch hervorgehoben, dass Maria lediglich ihren Kopf zur Seite des Königs neigt, weder aber ihn noch das Jesuskind anblickt. Durch ihre seitliche Kopfwendung rückt auch das Salbgefäß mit Myrrhe von Caspar über dem Kopf des Jesuskindes als Symbol für das Menschsein und das Martyrium Jesu Christi.in das Zentrum des Geschehens. Das Jesuskind ist also auf dreierlei Weise herausgehoben, nämlich erstens durch die Geste und Gebärde von König Melchior, zweitens die innige Verbindung zwischen dem Schenkenden und dem Beschenkten und drittens schließlich durch das Salbgefäß mit Myrrhe über seinem Kopf.

Weshalb nun aber König Balthasar nicht in die Darstellung einbezogen zu sein scheint, gibt Rätsel auf, obschon auch nicht vergessen werden darf, dass nicht zwingend immer drei Könige dargestellt werden mussten oder müssen.

Dokumente zu Johann Georg Rapp (1757-1847) und den Separatisten in Iptingen

16. Februar 2022 | | ,

Während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich in der württembergischen Lan­deskirche zwei wesentliche Entwicklungen er­kennen. Obwohl der Pietismus in Württemberg noch am Ende des 17. Jahrhunderts Eingang gefunden hatte, entstanden in vielen Dörfern erst um 1750 die Privatversammlungen, welche bis heute als ty­pisch für den württembergischen Pietismus gelten. Gegen das Jahr­hundertende kam dann eine starke separatistische Richtung auf, mit der sich Staat und Kirche konfrontiert sahen. Viele Menschen wand­ten sich dieser Richtung zu, um ihren Glauben außerhalb der Kirche zu leben.

Einer der bedeutendsten Separatistenführer war der Leinenweber Jo­hann Georg Rapp aus Ip­tingen. Er entwickelte eine so starke Anziehungskraft, dass die Zahl seiner Anhänger im Her­zogtum Württemberg selbst von Außenstehenden auf 10.000 bis 12.000 Personen geschätzt wurde. Seit etwa 1785 bildete sich eine zunehmend größere Separatistengruppe um den Lei­nenweber, der dann 1803 nach den Vereinigten Staaten auswanderte, um dort seine religiösen Vorstel­lungen zu verwirklichen. Seine drei Siedlungen Harmony in Pennsylvania, New Harmony in Indiana und Economy, wiederum im Staat Pennsylvania, entwickelten sich zu vielbesuchten Musterwirtschaften.

Mit diesen Sätzen wird ein Beitrag von Dr. Eberhard Fritz eingeleitet, den Sie auf Württembergische Kirchengeschichte Online lesen können. Die Quellen zu der außergewöhnlichen Geschichte dieser religiösen Sonderbewegung finden sich in verschiedenen Archiven, unter anderem aber auch im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart. Eine kleine Auswahl wollen wirr hier vorstellen. Den Taufeintrag des Separatistenanführers Johann Georg Rapp findet man im zweiten Band der Kirchenbücher von Iptingen unter dem Datum 1. November 1757 (auf dem Kirchenbuchportal Archion hier). Naturgemäß hatte die Kirchenleitung ein großes Interesse an Informationen über die separatistischen Bewegungen, die die Amtskirche in Frage stellten, und ließ Berichte, Befragungen und Protokolle anfertigen. Bereits 1787 wurde der damals 29-jährige Johann Georg Rapp nach seinen Ansichten, religiösen Ideen und Verhältnissen befragt, was in einem umfangreichen, 62-seitigen Protokoll festgehalten wurde. Ebenfalls wurden über Jahre hinweg in allen relevanten Ortschaften Listen mit den Namen und Informationen zu Einwohnern gesammelt, die der separatistschen Bewegung angehörten. Letztendlich wurde in diversen Listen nach 1803 festgehalten, welche Separatisten nach Amerika ausgewandert waren und welche noch in der Heimat verblieben waren. Die Beschäftigung mit solchen Bewegungen durch staatliche und kirchliche Behörden bietet heutigen Historikern und Historikerinnen eine gute Quellengrundlage für Forschungen.

Begegnung im Archiv. Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer. Teil 5

9. Februar 2022 | |

Wir treffen im Lesesaal Dunja Kielmann. Sie arbeitet beim Landesamt für Denkmalpflege im Fachbereich Restaurierung in Esslingen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Denkmalpflege ziehen immer wieder Akten unserer Bestände heran, um Erkenntnisse über kirchliche Bauwerke zu gewinnen, beziehungsweise Rückschlüsse auf bestimmte Restaurierungsarbeiten ziehen zu können. Solche Archivrecherchen sind für die Mitarbeiter aufschlussreich, da daraus ersehen werden kann, was genau gemacht wurde, wer involviert war, was genau es kostete, welche Materialien eingesetzt wurden. Frau Kielmann recherchiert gerade zu den Nachkriegsverglasungen im Ulmer Münster.

“Es geht um die Fensterverglasungen der Nachkriegszeit, wie umgegangen wurde mit den Kriegsschäden. Also es ist sehr interessant. Zur Zeit arbeiten wir an einem Artikel in unserem Nachrichtenblatt, das vierteljährlich erscheint. Da geht es vor allem um die Nachkriegsverglasung von Yelin. Es ist sehr interessant, die Archivmaterialien dazu zu sichten, wie damals damit umgegangen wurde mit diesen Nachkriegsschäden und wie es zu dieser Neuverglasung kam. Zum Teil handelte es sich bei der Verglasung des Ulmer Münsters um mittelalterliche Verglasungen, die Chorverglasung, einige Portalfenster. Die wurden ausgebaut während des Krieges und haben den Krieg überstanden. Das neunzehnte Jahrhundert wurde leider nicht ausgebaut und ist verloren, beziehungsweise nur noch in Resten vorhanden und deshalb hat man sich entschlossen, die Nachkriegsverglasung einzusetzen und genau darum geht es bei jetzt im Speziellen.”

Für Recherchen der Landesdenkmalbehörde kommen prinzipiell viele Bestände im Landeskirchlichen Archiv in Frage. In diesem besonderen Fall ist der Bestand der Ulmer Münsterbauhütte von Interesse. Dieser Bestand befindet sich seit 2016 im Landeskirchlichen Archiv und wurde 2021 fertig erschlossen.

Münsterbauhütte Ulm – Bestandsfindbuch

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Neues Buch zur Geschichte des Tübinger Stifts erschienen

2. Februar 2022 | |

Dr. Götz Homoki mit seiner Dissertation

Eingefahrene, überkommene Vorstellungen von Studierenden existieren schon seit vielen Jahrhunderten: Da gibt es angeblich den braven Streber, der sich nur um sein Fortkommen an der Universität bemüht, den trinkfesten Partygänger und notorischen Ruhestörer, selbstbewusste Frauenhelden oder technikbegeisterte Nerds, die ständig vor dem Computer sitzen. Im Laufe der Zeit bewegten sich diese Studentenklischees stets zwischen fleißig und angepasst, also normkonform, auf der einen Seite und draufgängerisch und ungehorsam auf der anderen Seite. Freilich lag es dabei stets im Auge der Betrachtenden, ob das damit verbundene Verhalten getadelt oder gelobt, skandalisiert oder idealisiert wurde.

Aber wie haben sich in diesem Zusammenhang eigentlich die Stipendiaten des Stifts in Tübingen, die „Stiftler“, selbst gesehen und wie wurden sie von anderen gesehen? Wie haben einzelne junge „Stiftler“ im 17. und 18. Jahrhundert ihre Umwelt wahrgenommen und in ihr gehandelt? Diese und weitere Fragen hat unser Mitarbeiter Dr. Götz Homoki in seiner Doktorarbeit untersucht, die jetzt bei der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen ist. Das 457 Seiten starke Werk trägt den Titel „Identität – Habitus – Konformität. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung zu württembergischen Herzoglichen Stipendiaten in der Frühen Neuzeit“.

Das Herzogliche Stipendium oder Stift in Tübingen war für Jahrhunderte eine über die Grenzen Württembergs hinaus bekannte und bedeutsame Ausbildungsstätte für protestantische Kirchenmänner. Die Einrichtung wurde 1536 von Herzog Ulrich gegründet, um nach der Reformation die Qualifizierung bekenntnistreuer Pfarrer sicherzustellen. Begabte männliche Landeskinder erhielten in der Folge freie Unterkunft und Verpflegung im ehemaligen Tübinger Augustinereremitenkloster. Die Lebensumstände der Stipendiaten, die an der Universität zunächst Philosophie und dann Theologie studierten, waren zugleich über Jahre hinweg von strengen Vorschriften geprägt. So wurde von den Stipendiaten unter anderem gefordert, sich im Stift alltäglich ausschließlich auf Latein zu unterhalten oder ständig bodenlange schwarze „Kutten“ zu tragen.

Götz Homoki untersucht in seiner Studie erstmals die ebenso weitreichenden wie langfristigen Auswirkungen der landesherrlichen Studienförderung auf das Selbstverständnis und die Verhaltensweisen Herzoglicher Stipendiaten in der Frühen Neuzeit. Anhand von Selbstzeugnissen, darunter auf Latein verfasste Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, zeigt er, dass das Denken, Wahrnehmen und Handeln einzelner Stipendiaten ganz im Zeichen einer christlich-humanistischen Gelehrsamkeit stand. Es unterschied sich damit deutlich von den ausschweifenden Gewohnheiten zechender, spielender, tanzender oder raufender Studenten: „Für die von mir untersuchten Stipendiaten war die Nichtüberschreitung der Norm die Normalität”, so Homoki zusammenfassend über seine facettenreiche Studie zum frühneuzeitlichen Studentenleben abseits des Verbotenen und Devianten.

Dr. Götz Homoki studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Latein in Tübingen und wurde an der Universität Stuttgart promoviert. Für seine Untersuchung zur Geschichte des Tübinger Stifts erhielt er ein dreijähriges Forschungsstipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst. Bereits 2019 wurde ihm für die vorliegende Arbeit der Johannes-Brenz-Preis für herausragende Arbeiten zur württembergischen Kirchengeschichte verliehen, den der Verein für württembergische Kirchengeschichte alle zwei Jahre auslobt. Im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart ist er aktuell mit der Erschließung zentraler Aktenbestände der württembergischen Kirchenleitung beschäftigt, außerdem ist er der verantwortliche Redakteur der „Blätter für württembergische Kirchengeschichte“ und betreut das Rezensionswesen der wissenschaftlichen Zeitschrift.