29. Juli 2020 | Sabine Tomas | Aktenfund, Kunstgeschichte
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Bauarbeiter hören? Möglicherweise denken Sie an die berühmte Fotographie „Mittagspause auf einem Wolkenkratzer“ aus dem Jahr 1932, die elf Männer zeigt, die auf einem Stahlträger sitzend, ihre Mittagspause abhalten, unter ihnen die Straßen von New York. Vielleicht kommen Ihnen aber auch Bilder von einerseits muskulösen, oberkörperfreien jungen Männern in den Kopf, die in der Sonne ihre Muskeln spielen lassen – oder im Gegenteil beleibte ältere Herren, die nichts anderes tun, als Kaffeepause zu machen, Frauen hinterher zu pfeifen und hin und wieder ihr „Bauarbeiter-Dekolleté“ sehen zu lassen. Dies alles sind Bilder, die uns unsere kulturelle Erziehung mitgegeben hat – und die nichts weiter sind als bloße Klischees unserer Gesellschaft. Wer beispielsweise als SteinmetzIn an der Restaurierung und Erhaltung eines Bauwerks wie des Ulmer Münsters beteiligt ist, braucht viel mehr als bloße Muskelkraft – er/sie braucht Fingerspitzengefühl, ein gutes Auge für Details und künstlerische Begabung. Dass nicht nur der/die BaumeisterIn, sondern auch sein/e/ihr/e WerkmeisterIn, sein/e/ihr/e VorarbeiterInnen und PolierInnen und damit alle Mitglieder einer Bauhütte, die durch diese Berufsgruppen repräsentiert werden, diese Eigenschaften besitzen, zeigen die vielen überlieferten Bautagebücher, Notizhefte und Skizzenbücher aus dem 19. und 20. Jahrhundert des Archivbestands der Ulmer Münsterbauhütte. Detaillierte Skizzen und Zeichnungen von Fialen, Spitzbögen und anderer architektonischer Objekte zeugen von Werktreue, Leidenschaft und hohem künstlerischen Anspruch. Diese Bücher vermitteln uns einen Eindruck von den Menschen, die ihr berufliches Leben der Erhaltung des Ulmer Münsters gewidmet haben und vermitteln ein ganz anderes Bild, als es die gängigen Klischees über im Bauwesen beschäftigte Arbeitnehmer heute tun.
27. Juli 2020 | Uwe Heizmann | Genealogie, Kurioses
In einem Totenregister von Willmandingen (Sonnenbühl, Lkr. Reutlingen) ist unter dem 10. Dezember 1670 der Begräbniseintrag des Schulmeisters Hans Meckh (Meekh, Möck, Mäck) zu finden. Neben den üblichen Angaben sind außerdem biografische Informationen vermerkt. Aus diesem geht hervor, dass der Schulmeister wegen Krieg und Hunger seinen Heimatort verlassen und sich über zehn Jahre an anderen Orten verdingen musste:
„Den 10. 10bris ist ehrlich mit dem Gesang der Schuler zur Erden bestattet worden unser alter Schulmeister Hans Meekh, welcher 75 Jahr alt worden, vor der Nördlinger Schlacht 14 Jahr Schulmeister gewesen der Krieg und Hunger hat ihn auch hinweg gebracht, da er sich dann zu Lindau am Bodensee als ein Quardirknecht 5 Jahr brauchen laßen, und umb Memingen in der Statt und in Dörfern bey 5 Jahr gewesen. Nach dem Friedenschluß anno 1648 ist er wider gekommen und abermal 18 Jahr Schulmeister mit Lob gewesen, 5 Jahr lang wegen Alters den Dienst nit versehen können, vom Heiligen [= Kirchenvermögen] hat man ihme von den letsten Wochen im Monat Octobri 1669 an, wochentlich 6 Kreuzer auf Vogt und Specials Bewilligung durch mich, Ambtmann und Gericht gemacht und geraicht worden.“
Die Nördlinger Schlacht war eine entscheidende Schlacht während des Dreißigjährigen Krieges am 5. und 6. September 1634 bei Nördlingen im heutigen Bayern, die von protestantischer Seite, Schweden und Verbündete, verloren wurde und die weitreichende Folgen hatte. Der württembergische Herzog Eberhard III. floh nach Straßburg. Große Teile des Herzogtums wurden von katholisch-kaiserlichen Truppen besetzt, ganze Landstriche geplündert und verwüstet. Kaiser Ferdinand II. verschenkte große Gebiete Württembergs an Verwandte und Verbündete. Erst durch den Westfälischen Frieden 1648 erhielt der Herzog das Herzogtum zurück.
Als Schulmeister wurde Meckh bei den alljährigen Visitationen neben dem Pfarrer ebenfalls geprüft, so dass weitere Informationen zu ihm in den für das 17. Jahrhundert nur lückenhaft überlieferten Visitationsprotokollen zu finden sind. Im Protokoll für den 9. Mai 1654 wird über ihn und seinen Schuldienst berichtet:
„Vor dißem [Schuldienst] diese Schul versehen 14 Jahr lang, und an jetzt nachdem Willmandingen wider auß oesterreichischer Hand liberirt worden in die 7 Jahr. Ist bey fürstlicher Cantzley examinirt und confirmirt worden. Vergangenen Winter Schul gehalten, Knaben gehabt 21, Mägdtlin 6. Versihet neben der Schul auch die Mesnerey.
Testimonium Ludimoderatoris: Hat ein gut Lob seines Verhaltens halber. Sey vleissig mit den Schulkinder, lehr sie wol, wie er dan Kinder solle haben, die in die 20 und 30 Psalmen außwendig sollen können her sagen. So warte er auch vleissig der Mesnerey ab, also das niemandt uberal an ihme habe etwas zu klagen.“
Die Visitationsprotokolle für 1656 und 1658 bis 1661 äußern sich ähnlich positiv. Auch seine kriegsbedingte Abwesenheit wird mehrfach erwähnt. Aus den Protokollen geht außerdem hervor, dass er keine eigenen Kinder hatte. Das Protokoll für 1667 ist das letzte, in dem Meckh erwähnt wird. Dort heißt es:
„Hatt seinen Officio nach Vermögen abgestattet, ist hierüber erkranckhet, und würdt wegen hohen Alters die Schul nicht mehr versehen kenden.“
Hans Meckh war also von 1620 bis 1634 und von 1648 bis 1667 Schulmeister in Willmandingen. In den 14 Jahre dazwischen war er kriegsbedingt nicht in Willmandingen. In seinem Begräbniseintrag findet man Informationen darüber, wo er sich ca. zehn Jahre aufhielt, für die restliche Zeit liegen keine Informationen vor. Er wird vermutlich, wie andere durch den Krieg Vertriebene, auf der Suche nach Arbeit, Nahrung und Obdach durchs Land gezogen sein, immer auf der Hut vor marodierenden Söldner.
Aufgrund der Altersangaben in seinem Begräbniseintrag und in den Visitationsprotokollen kann seine Geburt auf das Jahr 1595 eingegrenzt werden. Da die Kirchenbücher von Willmandingen jedoch erst ab 1641 überliefert sind, kann sein genaues Geburts- oder zumindest das Taufdatum leider nicht festgestellt werden.
Quellen
KB Willmandingen, Mischbuch 1641-1807, Totenregister 1647-1728, ohne Seitenzählung
Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 281, Bü. 1026, II, Bl. 13v (Visitationsprotokoll 1654)
Landeskirchliches Archiv Stuttgart (LKAS), A 1, Nr. 20, Bl. 284r (VP 1656)
LKAS, A 1, Nr. 22, Bl. 339v (VP 1658)
LKAS, A 1, Nr. 23, Bl. 349v (VP 1659)
LKAS, A 1, Nr. 24, Bl. 349v (VP 1660)
LKAS, A 1, Nr. 25, Bl. 363v (VP 1661)
LKAS, A 1, Nr. 27, Bl. 367r (VP 1667)
23. Juli 2020 | Andreas Butz | Kunstgeschichte, Veröffentlichung
Der kleine überarbeitete Kirchenführer durch die Stadtkirche St. Georg zu Weikersheim liefert neue Erkenntnisse sowohl zu ihrer Vorgängerkirche und Baugeschichte als auch ihren Ausstattungsstücken. Im ersten Teil werden die Quellen, die für die Entscheidungen über einen Neubau relevant sind, ausgewertet und in die heutige Sprache umgesetzt. Im zweiten Teil wird die vielschichtige Entwicklung von der einst einfachen romanischen Kirche bis zur heutigen Stadtkirche mit ihrem wohl gelungenen Stilpluralismus dargestellt und kann lebendig nachvollzogen werden. Innenraum und Außenbau des Kirchengebäudes erschließen sich durch präzise Beschreibungen und anhand ausgewählter Betrachtungen, die alle historisch, kunsthistorisch oder kulturhistorisch interessierten Besucherinnen und Besucher in die jeweilige Stilepoche der jeweiligen Kunstobjekte eintauchen lassen. Zahlreiches Anschauungsmaterial dient als lebendige Begleitung des Fließtextes, der nicht zuletzt von der geistlichen Botschaft des Sakralgebäudes im christlichen Abendland zeugt.
Die Autoren sind Dr. Anette Pelizaeus M.A., Kunsthistorikerin und Inventarisatorin im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart und Günter Breitenbacher, Studiendirektor A.D. am Gymnasium Weikersheim.
Der Band kann zu einem Preis von 4,00 Euro über unser Sekretariat (Margarete.Gruenwald@elk-wue.de) oder über das Dekanat Weikersheim bezogen werden.
-
-
Kirchenführer Weikersheim
-
-
Dr. Anette Pelizaeus
-
-
Günter Breitenbacher
20. Juli 2020 | Uwe Heizmann | Aktenfund, Kurioses
Die Einträge ungewöhnlicher Todesfälle in Totenregistern zeichnen sich meist durch umfangreicheren Text aus. In einem Totenregistern von Neuenstadt am Kocher sticht einer dieser Einträge aber in erster Linie durch die gut gezeichnete Illustration am Rand des Eintrages hervor, die das für den Tod ursächliche Unglück unmissverständlich darstellt, ohne dass der Betrachter noch den Text lesen muss. Dieser lautet wie folgt:
- Oktober 1605: „Peter Pfläderer, der alt, über die 70 Jahr, ist draußen auff der Fuhrstrasse, als er mit Saltzscheiben widerumb heimgefahren, über den Wagengaul abgefallen, das vorder Radt ist ihme über ein Fuß, das hinder über den Leib gangen, das er in 2 Stunden hernachen, zu Stopffloch, einem bapistischen Flecken, dem Khummeter von Ellingen zugehörig, ein halb Meil wegs von Weißenburg am Sandt, gestorben, undt folgends daselbst begraben. Ist allhier seiner Meldung gethan worden, den 8. Tag Novembris, am gmeinen Gebettstag.“
Das Fuhrwerk des Peter Pfläderer hatte, wie auch in der Illustration dargestellt, keinen Kutschbock. Die dargestellte Kutsche wurde von drei hintereinander angespannten Pferden gezogen (Pfläderers Kutsche hatte vermutlich sechs paarweise hintereinander angespannten Pferde, die aber auf der Zeichnung nicht dargestellt werden konnten). Es saß deshalb wahrscheinlich selbst auf einem der Pferde, von dem er heruntergefallen und unter die Räder geraten war. Aus dem Todeseintrag geht nicht hervor, ob ihn jemand gefunden und nach Stopffloch, dem wohl nächstgelegenen Ort, gebracht hatte oder ob er selbst noch dorthin gefahren war.
Einen Ort „Stopffloch“ gibt es nicht. Im bayerischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen gibt es jedoch den Ort Stopfenheim, heute Ortsteil von Ellingen in Mittelfranken. Dieser kleine katholische Ort gehörte einst zur Landkommende Ellingen des Deutschen Ordens, unterstand also dem dortigen Komtur. Es ist anzunehmen, dass dieser Ort gemeint ist, auch wenn die Entfernungsangabe von einer halben Meile (1 Meile = ca. 7,5 km) bis Weißenburg in Bayern nicht passt, da die tatsächliche Wegstrecke ca. 10 km beträgt. Klarheit könnte hier das entsprechende Totenregister von Stopfenheim bringen, jedoch sind die dortigen Kirchenbücher erst ab 1635 überliefert.
Peter Pfläderer hatte, wie im Kirchenbucheintrag beschrieben, und auf der Darstellung auch gut erkennbar, sogenannte Salzscheiben geladen, von denen jede anderthalb Zentner gewogen haben dürfte. Ein Loch in den Scheiben ermöglichte, diese beim lokalen Salzhändler aufzuhängen und wohl auch, sie für den Transport aneinanderzuzurren. Das Wasser der Solequellen wurde damals in riesigen Pfannen gesotten. Daraus erklärt sich die für heutiges Verständnis seltsame Form der Salzportionen. Woher das hier dargestellte Salz stammte, wird nicht klar. Aber der Fuhrmann befand sich auf dem Heimweg, so dass Schwäbisch Hall wohl nicht in Frage kommt. Zeitgenössische Abbildungen von solchen Salzfuhrwerken dürften jedenfalls sehr selten sein.
Der Zeichner der Illustration war wahrscheinlich der registerführende Pfarrer Christoph Kautz (1561-1607).
Quellen
KB Neuenstadt am Kocher, Mischbuch 1555-1636, Totenregister 1558-1636, Bl. 168r
wikipedia, Meile
wikipedia, Stopfenheim
wikipedia, Liste der Kommenden des Deutschen Ordens
Diözesanarchiv Eichstätt, Kirchenbücher
Biografische Informationen zu Christoph Kautz
15. Juli 2020 | Andreas Butz | Bestand, Digitalisierung
Lienzingen ist ein württembergischer Ort im Enzkreis und ist heute ein Teilort von Mühlacker. Eine gewisse überregionale Bekanntheit hat die dortige Liebfrauenkirche, eine spätmittelalterliche Friedhofskapelle. Das Dorf gehörte früher verwaltungstechnisch zum Klosteramt Maulbronn. Die nachfolgend genannten demografischen Zahlen ergeben ein Bild, das auch typisch für die anderen Orte dieses ehemaligen Bezirks sind, was den Dreißigjährigen Krieg betrifft, zu einem gewissen Grad sogar für sehr viele Dörfer des damaligen Herzogtums Württemberg.
Im Landeskirchlichen Archiv bilden die Synodusprotokolle den Bestand A 1, der aus 161 dickleibigen, schweren, in geprägtes Leder gebundenen Folianten besteht. Die Laufzeit dieser Bände beginnt 1581. Es gibt einige Lücken, aber im Wesentlichen wurden diese Bände jährlich angelegt, so dass es sich um eine sogenannte serielle Quelle handelt, der also nicht nur punktuell Informationen entnommen werden können, sondern anhand derer auch Entwicklungen abgelesen werden können. Diese Protokollbände enthalten Auszüge aus den Kirchenvisitationsberichten. Alljährlich wurden alle Pfarrorte Württembergs von sogenannten Generalsuperintendenten besucht, die nach einem gleichförmigen Schema kürzere Berichte verfassten und auch die Anzahl der Gemeindeglieder festhielten. Das heißt, dass mittels dieser Daten die Bevölkerungszahlen jedes württembergischen Dorfes ab 1581 ablesbar sind.
Die Zahlen für Lienzingen im Band von 1621 nennen 490 Kommunikanten und 340 Katecheten. Insgesamt handelt es sich um 830 Personen. Kommunikanten sind Abendmahlsteilnehmer, also Personen, die konfirmiert sind, grob gesagt die Erwachsenen. Katecheten sind Kinder, die bereits den Katechismus lernen, also die Schulkinder. Das heißt, dass die Kleinkinder bei diesen Zahlen fehlen. Man müsste sie soweit möglich schätzen und zu der Zahl hinzufügen. Es versteht sich, dass der Ort inklusive kleineren Kindern über 900 Einwohner hatte. Das Zahlenverhältnis zwischen Schulkindern und Erwachsenen zeigt auch, dass das Dorf damals am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges eine stark positive Bevölkerungsentwicklung hatte, also dass die einzelnen Familien normalerweise viele Kinder hatten.
Der Band von 1653 nennt 108 Erwachsene, 63 Schulkinder und 38 kleinere Kinder (Infantes), die inzwischen auch ausgewiesen werden, alles in allem 209 Personen. Wie man unschwer erkennen kann, hat der Ort während des Dreißigjährigen Krieges mehr als drei Viertel seiner Einwohnerzahl eingebüßt. Dabei war der Krieg 1653 sogar schon seit fünf Jahren vorüber. Erschreckenderweise ist das keine lokale Besonderheit, sondern entspricht in ungefähr dem demografischen Einbruch Württembergs insgesamt. Verantwortlich dafür waren nur zum kleineren Teil die direkten Kriegsfolgen. Die Schwächung der Bevölkerung durch Mangelernährung, das Herumstreifen von Soldaten und Flüchtenden boten ideale Ausbreitungsvoraussetzung für die Pest, die um 1635 viele Menschen hinwegraffte. Innerhalb weniger Monate verloren die Dörfer einen Großteil ihrer Bewohner. In den Sterberegistern der einzelnen Orte kann dies abgelesen werden.
Der Protokollband von 1680 nennt 219 Erwachsene, 80 Schulkinder, 113 kleinere Kinder für Lienzingen, insgesamt 412 Personen (die im Protokoll genannten Daten des Filialorts Schmie muss man bei der Gesamtzahl herausrechnen). Innerhalb von nur drei Jahrzehnten hat sich die Einwohnerzahl wieder verdoppelt, was ein erstaunlicher Befund ist. Die genannten Kinderzahlen geben den Hinweis, wie dies möglich war.
Der letzte Scan zeigt die Zahlen von 1695. Damals wohnten im Ort 131 Erwachsene, 56 Schulkinder und 20 kleinere Kinder, insgesamt 207 Personen. Wir sehen, dass die Bevölkerungszahl des Ortes wieder auf den niedrigen Stand von 1653 herabgesunken war, sich also innerhalb weniger Jahre halbiert hat. Die Erklärung liegt im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697). Das Klosteramt Maulbronn war Durchzugsgebiet französischer Armeen und musste außerdem die dort zum Schutz abgeordneten Reichstruppen ernähren. Diese Abgaben und erheblichen Erschwernisse bei der Feldbestellung führte wieder zu Nahrungsmittelengpässen und überdurchschnittlichen Sterberaten. Ein Teil der Einwohner der Dörfer flüchtete sich in diesen Jahren auch in sicherere Gegenden. Das 18. Jahrhundert war weniger von Kriegen gekennzeichnet und führte dementsprechend wieder zu einem Bevölkerungsanstieg.
Wie man sieht, lassen sich die Folgen von historischen Ereignissen anhand von seriellen Quellen auf lokaler Ebene konkret ablesen. Wir planen, den Bestand A1, wie ähnliche andere Bestände in Zukunft digital zu präsentieren.
-
-
Synodusprotokoll, Lienzingen, 1621
-
-
Synodusprotokoll, Lienzingen, 1653
-
-
Synodusprotokoll, Lienzingen, 1680
-
-
Synodusprotokoll, Lienzingen, 1695
13. Juli 2020 | Uwe Heizmann | Genealogie, Kurioses
In Neuenstadt am Kocher findet man in zwei Totenregistern mehrere Einträge, die durch Skizzen von Schwert und Rad, eines Schwerts oder eines Scheiterhaufens markiert sind. Diese Einträge sind solche von hingerichteten Personen. Zwar kann angenommen werden, dass es auch in Totenregistern anderer Pfarreien entsprechend markierte Einträge gibt, jedoch ist eine solche Häufigkeit eher selten. Ob in Neuenstadt mehr Hinrichtungen stattfanden, als in anderen Gerichtsorten, wird eher nicht angenommen.
In den Todeseinträgen sind die Verurteilten, ihre Vergehen und die Hinrichtungsart sowie teils ihr Alter genannt. Auf den ein oder anderen Leser mögen diese Einträge verstörend wirken, speziell auch dass die Todesstrafe auch bei Jugendlichen angewandt wurde. Es muss jedoch bedacht werden, dass im 17. Jahrhundert völlig andere Moralvorstellungen herrschten, als heute. Daraus resultierten auch die harten Strafen für (vermeintliche) Straftaten.
22.10.1602: „Ist Bartlin Wirth von Steinkirch[en] auß der Grafschafft Hohenloch von wegen nachfolgenden bösen Stückhen, als das er ein Ursach war das sein aigen Kind in der […] ertrunckhen, die weil er seinem Eheweib offtermals nach dem Leben gestelt, dißgleichen auch mit Diebstall und Ehebruch sich vergriffen, nach ergangenem Urteil mit dem Schwert vom Leben zum Todt gericht, hernach auf das Rad gelegt, christlich und mit vorhergangener hertzlicher Bekantnus und Reu über seine Sünd verschieden, war ein junger Mann auf etlich und 20 Jar alt, welches […] hatte auch in seiner Gefänckhnus communiciert.“
Das ein bereits Hingerichteter durch auf das Rad legen noch weiter bestraft wird, erscheint aus heutiger Sicht unnütz. Zur damaligen war man aber der Ansicht, dass die jeweilige Person auch über den Tod hinaus bestraft werden konnte. Außerdem diente der Leichnam als Abschreckung für andere.
07.12.1603: „Stoffel Götz von Ruocksen [= Ruchsen] (Mentzischen Gebietts in die Cent Meeckmüll [= Möckmühl] gehörig) ein Wildtprettschütz, ist wegen seines meinaidt[igem] Uhngehorsams und muttwillens, weil ehr zum vierten Mahl wid[er] kommen, mit dem Schwerdt alhir gerichtet worden.“
Dieser Eintrag ist schwer zu lesen, weshalb auch nicht richtig klar wird, welches schwere Vergehen Stoffel Götz verbrochen hatte.
22.07.1639: „Georgius Jomann, ein verruffer Landtdieb, Burger zuo Eberstall, Krautheimer Ampts, sonsten von Biringen gebürtig, Religionis pontificiae, darauff er auch gestorben, wesswegen ihm man das Schwerth laßen gedeyen, durch Fürbitt der Cappuciner bey H[errn] Graven von Trautmansdorff Oberamptmann, da er sonsten mit dem Strang hatt sollen gerichtet werden, hatt solches Urtheil außgestanden den 22. Julii“.
Georgius Jomann hatte das „Glück“, mit dem Schwert geköpft und nicht am Strang erhängt zu werden, da letzteres unter Umständen einen langsamen und qualvollen Tod bedeutet hätte. Außerdem wurde das Erhängen – diese Unterscheidung ist aus heutiger Sicht unverständlich – von der damaligen Gesellschaft als eine unehrenhafte Strafe, das Enthaupten mit dem Schwert als ehrenvolle Bestrafung angesehen. Die psychische Belastung dürfte jedoch dieselbe gewesen sein.
27.11.1656: „Den 27. Novembr[is] ist Barbara, Jerg Mörten s[elig] Wittib, welche wegen lang verübter Hexerei zue Cl[ever]sultzbach, in Gleichem Anna, Balthas Laysen Wittib von Michelbach, und Anna, Hanß Nollen Wittib, von Bretach, alß auch uberzeügte Hexen alhir decolliert [= enthauptet], nachgehendts zue Aschen verbrannt worden.“
Dem hier genannten „Verbrechen“ fielen im 16. bis 18. Jahrhundert leider sehr viele und definitiv unschuldige Menschen – zumindest was den Vorwurf der Hexerei betrifft – zum Opfer. Auffällig in diesem Eintrag ist, dass alle drei Frauen Witwen und somit ohne Schutz oder Unterstützung durch den Ehemann waren. Auch hier wurde eine Bestrafung nach dem Tod angewandt. Die Leichen der enthaupteten wurden verbrannt, so dass die Leichname nicht beerdigt werden konnten und die Seelen keine Ruhe fanden.
11.09.1666: „Den 11. 7bris ist Fridrich Kugler, 15. Annorum [= Lebensjahr], Andreas Kuglers geweßener Sattelknecht Sohn, welcher sodomiticam abominationem cum vitulo tertia vice agirt [= welcher die Sodomie mit einem Kalb zum dritten Mal begangen hatte], decollirt, und zur Aschen verbrannt worden.“
Dass ausdrücklich erwähnt wird, dass Fridrich Kugler die Tat zum dritten Mal begangen hatte, könnte ein Hinweis darauf sein, dass man bei diesem Jugendlichen die Strafe nicht gleich beim ersten Mal anwenden wollte. „Doppelstrafe“ wie beim vorherigen Eintrag.
30.10.1666: „Den 30. 8bris ist Stoffel Hilckers, Endris Hilckers Bueb von Lampoltzhausen decollirt und p[er]plex[us] [= verworrener] Sodomiam verbrannt worden.“
Ob es sich in diesem Fall um einen ähnlichen wie den vorhergehenden gehandelt hat, bleibt offen. Unter Sodomie verstand man damals, vor allem aus kirchlicher Sicht, jedes Sexualverhalten, das nicht der Fortpflanzung dient, also etwa der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern oder auch nur Masturbation. Das Alter des Stoffel Hilckers ist nicht angegeben, jedoch deutet die Bezeichnung „Bueb“ darauf hin, dass er noch ein Jugendlicher war.
15.07.1673: „Den 15. Julii ist Maria, Veit Webers sel[ig] Wittib mit ihrer Tochter Anna Maria Hambergerin wegen begangenem Kindsmords tecollirt und auff dem eüßern Kürchhof begraben worden.“
Welches Motiv die beiden Frauen für ihre Tag hatten, wird in dem Todeseintrag nicht erwähnt. Eine Recherche in der im Hauptstaatarchiv Stuttgart überlieferten Akte könnte diese Frage beantworten.
Quellen
KB Neuenstadt am Kocher, Mischbuch 1555-1636, Totenregister 1558-1636, Bl. 166r (22.10.1602)
KB Neuenstadt am Kocher, MB 1555-1636, To 1558-1636, Bl. 166v (07.12.1603)
KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 141r (22.07.1639)
KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 170r (27.11.1656)
KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 178v (11.09.1666, 30.10.1666)
KB Neuenstadt am Kocher, MB 1637-1679, To 1637-1679, Bl. 185v (15.07.1673)
Allgemeiner Literaturhinweis: Unsere Arbeitshilfe zur Forschung mit den württembergischen Kirchenbüchern kann zum Preis von 5,00 Euro bestellt werden.
6. Juli 2020 | Andreas Butz | Aktenfund, Genealogie, Kurioses
Bei den militärischen Aktionen der Reichstruppen auf dem Balkan, die sich nach der misslungenen osmanischen Belagerung Wiens (1683) entfalteten, wurden auch Menschen verschleppt, die zumindest teilweise nach Württemberg gelangten, vor allem nach der Eroberung von Belgrad im Jahr 1688. Unser Blogbeitrag vom 28. Mai 2020 macht auf einen solchen Fall aufmerksam. Der Blog von Leo-BW hat kurz nach dieser Veröffentlichung diese Verschleppungen in den historischen Kontext eingeordnet. Wir kennen aus unseren Kirchenbüchern, die vermutlich noch viele solche Taufen enthalten auch einen anderen, aber anders gelagerten Fall. Es gab offenbar auch vereinzelt Türken, die sich im Verlauf dieser militärischen Ereignisse von den Reichstruppen anwerben ließen. Hier haben wir den Fall eines türkischen Dragoners, seiner ebenfalls türkischen Frau, und seines neu geborenen Sohnes. Während die muslimische Religionszugehörigkeit des Reiters offenbar kein Hinderungsgrund für die Anwerbung war, verfuhr man bezüglich seines Kindes auf eine drastische Weise.
Dem Eintrag von Pfarrer Johann Reichard Lang im Taufregister ist zu entnehmen, dass er am 31. Oktober 1689 in der Albanikirche in Mühlhausen an der Enz Zwillinge taufte. Ihm wurde durch Offiziere des kurbayerischen Dragoner-Regiments, das damals für einige Tage in dem damals reichsritterschaftlichen Dorf Mühlhausen im Quartier lag, überraschend noch ein weiteres Kind gebracht, das er taufen sollte. Die Eltern dieses Kindes waren Türken. Der Vater diente im kurbayerischen (Arcos`schen) Dragonerregiment, das im Jahr davor gegen die osmanischen Truppen gekämpft hatte und bei der erfolgreichen Einnahme Belgrads beteiligt gewesen war. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation stand damals in einer Art Zweifrontenkrieg gegen Frankreich im Westen und das Osmanische Reich im Südosten, so dass Truppen teilweise zwischen diesen Kriegsschauplätzen hin- und herwechselten. Das kurbayerische Regiment befand sich vom 29. Oktober bis 2. November in Mühlhausen an der Enz, wo auch der genannte türkische Dragoner und seine ebenfalls türkische Frau, und das gemeinsame Kind untergebracht waren. Die Gelegenheit, dass er an diesem Tag mit einem Trupp in Nachbardörfern, beziehungsweise in der Umgebung unterwegs war, um zu Fouragieren, also um Lebensmittel oder Pferdefutter zu besorgen, nutzten seine Vorgesetzten jedoch dazu, seinen Sohn zum Christen zu machen. Die anwesende Mutter wehrte sich „heftig“ gegen dieses Ansinnen. Mit Hilfe einer anderen Soldatenfrau konnte das Kind „mit Gewalt“ aus dem Quartier des türkischen Ehepaars geholt und in die Kirche vor den Taufstein gebracht werden, wo der Pfarrer angewiesen wurde, es auf den Namen Hans Adam Mühlhäuser zu taufen. Der Name der Eltern blieb dem Pfarrer unbekannt. Der Nachname wurde nach dem hiesigen Ort gewählt, die Vornamen offenbar nach dem erst einige Wochen zuvor verstorbenen Ortsherren Hans Adam von Hohenfeld (1652-1689). Die Paten waren die kurbayerischen Offiziere Hauptmann de Mardin, Hauptmann Heim, Hauptmann Baron Rohrbach, Hauptmann Trollinger, Hauptmann Leva, Leutnant Hopffner, Fähnrich (“Fendtrich”) Harm. Das weitere Schicksal des zwangsgetauften Knaben ist unbekannt.
Text des Eintrags:
“Es hat sich aber zugetragen, d[aß] zwar mir Pfarrern vor dem Taufstein unbewußt war ein türkisches Kind, solle mit obgesetzten zweyen Zwillingen mitgetauft und zu einem Christen gemacht werden, dessen Eltern, Vater und Mutter, geborene Türken waren, die türkische Mutter sich aber deswegen heftig gewägert (gewehrt) und sich durchaus dazu nicht verstehen wollen, daß ihr Kind sollte getauft werden. Bis die Herren Officiere in Abwesenheit ihres Manns, der ohne des Fourage geritten, solches durch eine Soldatenfrau mit Gewalt aus ihrem Quartier nehmen lassen, die es dann in die Kirche vor den Taufstein gebracht und mit obermeldten Zwillingen getauft und den christlichen Namen aus Befehl der Herren Officierers Hans Adam Mühlhausser gegeben worden. Eltern: Waren geborene türkische Eltern, deren Namen mir unbekannt. Waren unter dem Churbayerischen Arzischen Regiment Dragonersleuth.”
Link zur Originalquelle auf Archion:
Taufeintrag im Mischbuch von Mühlhausen an der Enz vom 31.10.1689
2. Juli 2020 | Sabine Tomas | Kurioses
Politik geht vom Volk aus und sein Instrument sind Wahlen. Gerade heute wird dieses Instrument immer wichtiger, wer nicht wählen geht, wählt populistisch. Auch damals war man sich der Bedeutung und der Macht der Wahlen bewusst. Mit Kreuzen und Strichen versehene Stimmzettel der Gemeinderatswahlen in der Stadt Ulm am 11. Mai 1919 aus dem Archiv der Ulmer Münsterbauhütte lassen erahnen, dass Politik im Alltag der Bürger eine Rolle spielte und angekommen war. Ob die Notizen vom Münsterbaumeister oder einer seiner Mitarbeiter stammen, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Fest steht aber, das man sich Gedanken gemacht hat und offensichtlich ein breites politisches Spektrum als wählbar ansah. Den erhaltenen Notizen zufolge lag die Deutsche Demokratische Partei Ulms bei den Mitarbeitern der Münsterbauhütte hoch im Kurs, gleich 19 Kandidaten sollten drei bis sechs Stimmen bekommen, gefolgt von der Sozialdemokratischen Partei mit zehn Kandidaten und der Zentrumspartei mit neun Kandidaten. Schlusslicht bildeten hier die Württembergische Bürgerpartei mit vier Kandidaten und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Ulm-Söflingen mit nur einem Kandidaten, der drei Stimmen erhalten sollte. Ob tatsächlich so aus der Münsterbauhütte heraus gewählt wurde, bleibt Spekulation.
Quelle: Ulm, Münsterbauhütte, 538