Württembergische kirchliche Quellen für fürstenbergische Montangeschichte
Die Montangeschichte untersucht zum einen die Geschichte des Bergbaus einer bestimmten Region an sich, zum anderen, neben anderen Dingen, auch seine Auswirkungen auf die sozialen Verhältnisse im jeweiligen Bergrevier. Hierfür kommen verschiedene Quellen in Frage, u.a. auch solche, an die vielleicht zuerst nicht oder gar nicht gedacht wird.
Ein solcher Fall liegt bezüglich der Montangeschichte des fürstenbergischen Bergreviers in Wittichen (heute Teil von Schenkenzell) im Schwarzwald, wo Kobalt und Silber abgebaut wurden, für das 18. Jahrhundert vor. Als primäre Quellen sind hier Akten aus dem Fürstlich Fürstenbergischen Archiv Donaueschingen zu nennen. Daneben könnten, da das Fürstentum Fürstenberg katholisch war, weitere Dokumente in den Überlieferungen des ehemaligen Bistums Konstanz oder in den Kirchenbüchern der örtlichen katholischen Pfarreien Wittichen/Kaltbrunn oder Schenkenzell denkbar sein.
Das Witticher Revier weist jedoch eine Besonderheit auf. Bei der Wiederaufnahme des Bergbaus in der gesamten fürstenbergischen Herrschaft Kinzigtal zu Beginn des 18. Jahrhunderts setze man, da vor Ort das bergmännische Fachwissen verloren gegangen war, verstärkt auf „ausländische“ Fachkräfte. Ein großer Teil von diesen kam aus Sachsen, das lutherisch war, weshalb im eigentlich streng katholischen Fürstenberg protestantischen Bergleuten die freie Religionsausübung gestattet wurde, unter der Bedingung, dass dies ohne großes Aufsehen und ohne Missionierungsversuche von statten ging.
Auch in Wittichen arbeiteten evangelische Bergleute in den dortigen Gruben und als Fachkräfte in der Farbmühle (Blaufarbenwerk). Sie durften dort ihre Konfession nicht offen ausleben. Jedoch waren die benachbarten württembergisch-lutherischen Orte Alpirsbach, Reinerzau und Schiltach nicht weit entfernt, wo sie am kirchlichen Leben offen teilnehmen konnten.
In der Visitationsakte von 1741 für Reinerzau heißt es dazu:
„Unten in dem Thal unter dem Witticher Nonnen Closter in dem fürstenberg-stühlingischen Territorio ligt die berühmte Farbmühle und Grube, St. Josephs Zech und Gütte Gottes genannt, von wannen [!] die Officianten und Laboranten evangelischer Religion den Gottesdienst in der Kirche zu Rienertzau besuchen, und daselbsten die Sacramenten empfangen, auch bey ereignenden Kranckheiten und Unglücksfällen sich dieses Pfarers bedienen; wiewohl sie alß wirckliche Filialisten der Kirche zu Rienertzau nicht eingepfaret sind, wie dann auch eine Anzahl von ihnen zu Alpirspach und etliche wenige zu Schiltach communiciren und ihre Sacra verrichten“.[1]
Aufgrund dieser Verhältnisse sind Einträge zu diesen Bergleuten deshalb auch in den Kirchenbüchern dieser Orte, v.a. von Alpirsbach und Reinerzau, und nicht in denen von Wittichen zu finden.[2]
Die genannten Orte befinden sich in der abgebildeten Karte im rechten Bereich.[3]
Aus den Kirchenbüchern können aber nicht nur die Lebensdaten der Bergleute und ihrer Angehörigen entnommen werden. Anhand der Paten kann über das Verhältnis zwischen den Bergleuten einerseits und der restlichen Bevölkerung andererseits oder über das Ansehen der jeweiligen Familien Rückschlüsse gezogen werden.
Diese Kirchenbücher sind jedoch nicht die einzigen „orts-, herrschafts- und konfessionsfremden“ Quellen für die Montangeschichte im fürstenbergisch-katholischen Wittichen. Die bereits erwähnten Visitationsakten für die Pfarrei Reinerzau, die teils im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart (im Bestand A 1), teils im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Bestand A 281) überliefert sind, sind hierfür weitere „württembergisch-evangelische Quellen“, da bei der Visitation auch auf die Situation der zwar offiziell nicht eingepfarrten, aber dennoch der Pfarrei zugewandten Protestanten in Wittichen geachtet wurde. Daneben finden sich auch in einem Sitzungsprotokoll des Konsistoriums (im Bestand A 3) weitere Informationen.
Für die Jahre zwischen 1738 und 1742 ist in den eben genannten Quellen ein Konflikt um die Schulbildung für die Kinder der evangelischen Bergleute in Wittichen dokumentiert.
Für diese Kinder war für eine gewissen Zeit auf der Farbmühle bei Wittichen ein eigener Schulmeister angestellt und hauptsächlich durch Freikuxe der fürstenbergischen Bergwerke „St. Joseph“ und „Güte Gottes“ finanziert worden. – Ein Kux ist ein Anteil an einem Bergwerk. Ein Kuxbesitzer musste bei Bedarf Zubuße bezahlen, also sich finanziell an den Kosten eines Bergwerks beteiligen. Der Inhaber bzw. Nutznießer eines Freikuxes war davon befreit, erhielt aber, wenn das Bergwerk Ausbeute machte, einen Anteil vom Gewinn. – Der Visitationsakte von 1738 ist jedoch zu entnehmen, dass es „seit etlichen Jahren“ keinen Schulmeister mehr gab, da die Freikuxe durch ein oberbergamtliches Dekret auf die nahegelegene Kaltbrunner Schule übertragen worden war. Deshalb mussten die evangelischen Bergleute, „die doch selber kaum über das abc hinauß“ waren, ihre Kinder selbst unterrichten oder sie in die katholischen Schulen in Kaltbrunn oder Schenkenzell schicken, wo diese „allerhand elende und der evangelischen Religion praejudicirliche [= schädliche] Principia einsaug[t]en“.[4] Eine offizielle evangelische Schule war auf fürstenbergischem Territorium nicht erwünscht. Der Visitationsakte von 1740 ist aber zu entnehmen, dass der evangelische Hüttenschreiber der Farbmühle die Situation dadurch verbesserte, dass er die fünf evangelischen Kinder durch den Hauslehrer, den er auf eigene Kosten für seine eigenen Kinder angestellt hatte, unterrichten ließ.[5] Die Angelegenheit wurde sogar auf höchster Ebene diskutiert. Das Konsistorium in Stuttgart sprach sich jedoch dafür aus, sich nicht für eine offizielle Schule für die evangelischen Kinder einzusetzen, sondern die Lösung des Hüttenschreibers beizubehalten, damit „man mit den Pontificiis unverworren bleibe“.[6] Die Anstellung des Hauslehrers scheint jedoch nur kurzfristig gewesen zu sein. Die Visitationsakten von 1741/42 berichten, dass ein Versuch, mithilfe der evangelischen Kaufleute in Calw, die sich am Bergbau in Wittichen beteiligten, eine evangelische Schule zumindest innerhalb von Privaträumen einzurichten, scheiterte. Die evangelischen Kinder wurden wieder durch ihre Eltern sowie den Pfarrer von Reinerzau im Rahmen der Kinderlehre sowie der Sonn- und Feiertagsschulen unterrichtet und „bezeug[t]en eine besondere Begierde nach der evangelischen Lehre“.[7]
Dieses Beispiel zeigt, dass im Landekirchlichen Archiv Stuttgart Quellen liegen bzw. es aus dem evangelischen Württemberg Quellen gibt, die auch für Forschungen jenseits der Konfessions- und Landesgrenze interessant sein können.
Ein Aufsatz über den fürstenbergischen und württembergischen Bergbau im oberen Kinzigtal, der die obige Thematik beinhaltet und in dem ferner darstellt ist, welche über die Lebensdaten hinausgehenden Informationen zu einem Bergmann aus den Kirchenbüchern entnommen werden können, wurde Ende 2023 in der montanhistorischen Zeitschrift „Der Anschnitt“ veröffentlicht.[8]
Quellen
[1] Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS), A 281, Bü. 1256, Bl. 34r.
[2] Z. B. Kirchenbücher (KB) Alpirsbach, Taufregister (Ta) 1732-1804, S. 10, 17, 63, 106 u. 119; ebd., Mischbuch (M) 1663-1808, Eheregister (E) 1663-1808, S. 95, 101 u. 132; ebd., Totenregister (To) 1732-1808, S. 3, 6 u. 46; KB Reinerzau, Ta 1558-1815, S. 155 u. 157; ebd., M 1651-1812, E 1651-1812, S. 42-44, 55 u. 57; ebd., To 1747-1812, S. 1-3 u. 10.
[3] Vorlage: Markl, Gregor: Bergbau und Mineralienhandel im fürstenbergischen Kinzigtal. Wirtschafts- und Sammlungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeit zwischen 1700 und 1858 (Schriftenreihe des Mineralienmuseums Oberwolfach, 2). Filderstadt 2005, S. 14.
[4] Landeskirchlichen Archiv Stuttgart (LKAS), A 1, Nr. 70, S. 106 f., Zitate S. 107.
[5] LKAS, A 1, Nr. 72, Bl. 56r; HStAS, A 281, Bü. 1255, Bl. 32r.
[6] LKAS, A 3, Nr. 30, S. 663.
[7] Vgl. HStAS, A 281, Bü. 1255, Bl. 32v; ebd. Bü. 1256, Bl. 37r; LKAS, A 1, Nr. 73, Bl. 51r; ebd. Nr. 74, Bl. 44r, hieraus das Zitat.
[8] Heizmann, Uwe: Fürstenbergischer und württembergischer Bergbau im oberen Kinzigtal im 18. Jahrhundert. Eine vergleichende Übersicht. Mit Biografien des aus Sachsen stammenden Steigers Augustin Schlegel und dreier seiner ebenfalls im Bergbau tätigen Söhne als Beispiele sozialhistorischer Auswertungsmöglichkeiten. In: Der Anschnitt 75, 2023, Heft 5, S. 190-206.
Für die freundliche Genehmigung zur Verwendung der Fotos bedanken wir uns bei Stefan Kunner, Geotouren Schwarzwald.