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Erster Schritt zur Entstehung der deutschen Tierschutzbewegung: 200 Jahre „Bitte der armen Tiere“ von Christian Adam Dann

4. August 2022 | |

1822 veröffentlichte der Stuttgarter Pfarrer Christian Adam Dann eine „Schutz- und Bittschrift für die Thiere“, die nicht nur das bürgerliche Lesepublikum, sondern auch viele Bauern- und Handwerkerfamilien erreichte. Sie wurde zur meistgelesenen deutschen Tierschutzschrift im 19. Jahrhundert und erlebte drei Auflagen. Ihre große Wirkung verdankte die 44-seitige Broschüre wohl kaum den darin enthaltenen, erstaunlich weit gehenden tierrechtlichen Ansätzen. Entscheidend für ihren Erfolg waren die Kraft der Sprache, die lebendige Bildhaftigkeit und die Dramatik der Darstellung, die gleichzeitig spürbar werden ließen, dass hier einer neuen Sache das Wort geredet wurde: Jeder Leser, jede Leserin sollte dazu beitragen, das Elend der Tiere zu mindern und ihr Recht auf ein Minimum an Lebensgenuss zu respektieren. Anders als frühere Äußerungen von Theologen und Philosophen wollte die Schrift nicht hauptsächlich das Verhältnis zu den Tieren theoretisch reflektieren, sondern zu Verhaltensänderungen ihnen gegenüber treiben. Die „Bitte“ markiert den historischen Übergang von der Reflexion zur Aktion, zum praktischen Schutz der Tiere. Das war etwas vollkommen Neues. Wie sich zeigen sollte, war sie der erste Schritt hin zur Entstehung der deutschen Tierschutzbewegung 15 Jahre später, kurz nach Danns Tod 1837.

1822 arbeitete Pfarrer Dann in Mössingen auf der Alb. Dorthin war er 1812 aus Stuttgart strafversetzt worden, weil er das feudale Lotterleben am königlichen Hof öffentlich kritisiert hatte. Strenge moralische Maßstäbe wendeten nicht nur Pietisten wie Dann gegen das Ancien Régime, sondern das Bürgertum überhaupt. Individualismus, Gefühlskult und Empfindsamkeit, die gerade in Württemberg mit der Romantik verbunden waren, wurden gegen den Spätabsolutismus in Stellung gebracht. In dieser geistigen Atmosphäre begann man auch Tiere als Mitgeschöpfe wahrzunehmen und ihr Leid in die eigene Gefühlswelt einzubeziehen – ein wichtiger Antrieb für Pfarrer Dann und die spätere Tierschutzbewegung, aktiv zu werden. Der Beginn der „Bitte“ lässt das gut erkennen:

Dann schildert gefühlvoll, wie er und seine Gemeinde beim Ostergottesdienst im Freien vom emsigen Hin- und Herfliegen eines Storchenpaars über ihren Köpfen berührt werden, das auf dem Kirchturm sein Nest repariert – es hat „etwas für unser Herz Ansprechendes und Wohltuendes“ und war „lieblich anzusehen“. Wochen später, als die Jungen schon ausgeflogen sind, wird eins der Elterntiere auf einer Wiese Mössingens niedergeschossen. Wie Dann nun den vereinsamten Partner tagelang fast unbeweglich auf dem Nest stehen sieht, beschreibt er, wie er dessen Trauer teilt und ihm „Thränen … in die Augen“ treten. Es gelingt ihm, seine Leser/innen an dem Schmerz des großen Vogels teilhaben und ihn als Individuum, als Person wahrnehmen zu lassen. Darüber nachsinnend sieht er sie vor sich, „die auf tausendfache Art … mißbrauchte, geplagte, geängstigte, mißhandelte, zerstümmelte und zerstörte Creatur“.

Das Elend der Tiere stellt Dann anschließend mit unzähligen schauerlichen Beispielen vor Augen, indem er einen mitnimmt auf Spaziergänge durch Dörfer und Städte. Schließlich lässt er die Tiere selbst sprechen, mit der äußerst bescheidenen Bitte: „Macht uns unser meist kurzes, mühevolles Leben erträglich und unsern Tod so kurz und so leicht wie möglich.“ Dass in 200 Jahren bis heute nicht einmal das erreicht wurde, zeigt jeder Blick auf das Leben der Tiere in unserer heutigen Gesellschaft.

Eine ausführliche Darstellung und Analyse der „Bitte“ und eines weiteren Tierschutzappells von Dann auch in Bezug auf seine tierrechtliche Position liefert das neue Buch „Tierschutz und Tierrechte im Königreich Württemberg. Die erste deutsche Tierschutz- und Tierrechtsbewegung 1837, die drei württembergischen Tierschutzvereine ab 1862 und ihre Tiere “ von Wolfram Schlenker. Es beschreibt auch die Bedeutung des hiesigen, ländlich verwurzelten Pietismus überhaupt für die Entstehung der ersten deutschen Tierschutzbewegung in Württemberg und seine spürbare Nachwirkung in den Biografien späterer Tierschützer im 19. Jahrhundert bis hin zum Luftschiffer Ferdinand Graf Zeppelin. Nähere Angaben zum Buch finden sich hier.

Link zu Blogbeitrag: Welt-Tierschutztag am 4. Oktober / 4. Oktober 2020 | Andrea Kittel