5. November 2024 | Andreas Butz | Veranstaltung
Der Johannes-Brenz-Preis wird alle zwei Jahre vom Verein für württembergische Kirchengeschichte für herausragende Arbeiten zur Kirchengeschichte Württembergs verliehen. Der diesjährige Preisträger ist Dr. des. Jonathan Schilling für seine Dissertation über Ottilie Wildermuth (1817–1877) – eine der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen ihrer Zeit!
In seiner Studie widmet sich der jüngste Träger des Johannes-Brenz-Preises einer Bestsellerautorin des 19. Jahrhunderts und Persönlichkeit der südwestdeutschen Literaturgeschichte: Ottilie Wildermuth. Heute kaum noch bekannt, wurden die Texte der über viele Jahre in Tübingen wirkenden Schriftstellerin bis weit ins 20. Jahrhundert von Generationen von Leserinnen und Lesern, quer durch die Alters- und Gesellschaftsschichten, geschätzt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Wildermuths christlicher Glaube bildete die Grundlage ihres Schaffens als Autorin, das zahlreiche Erzählungen, darunter der Zyklus „Schwäbische Pfarrhäuser” (1851), aber auch Novellen, Gedichte oder Lebensbilder umfasst.
Bemerkenswert ist, dass Jonathan Schilling in seiner Dissertation nicht nur das literarische Werk, sondern auch die bislang wenig beachteten Tagebucheinträge und Briefe Wildermuths umfassend analysiert hat. Zusammen bieten diese Quellen wertvolle Einblicke in die Gedanken- und Lebenswelt einer gebildeten protestantischen Frau des 19. Jahrhunderts. Schilling zeigt dabei Zusammenhänge auf, die Wildermuths Leben und Schaffen erstmalig anhand ihres christlichen Glaubens, ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung, ihrer sozialen Kontakte, politischen Einstellungen oder ihres Geschlechts verständlich werden lassen.
Detailliert ordnet er Wildermuths Leben und Werk auch in übergeordnete Forschungskontexte ein, vor allem die Bürgertumsforschung. Schilling gelingt es dabei anschaulich, sowohl Grundprinzipien der Lebensweise in der damaligen Kleinstadt Tübingen als auch wesentliche Bedingungen einer Schriftstellerinnenexistenz im 19. Jahrhundert zu bestimmen. Am Beispiel Wildermuths überzeugend das Denken, Wahrnehmen und Handeln einer beruflich erfolgreichen, zugleich aber im Sozial- und Eheleben biedermeierlich braven Bildungsbürgerin ihrer Zeit dargelegt zu haben, ist daher die besondere Leistung von Jonathan Schillings Arbeit.
Der Verein für Württembergische Kirchengeschichte lädt ein zur Preisverleihung mit anschließendem Stehempfang am Donnerstag, 14. November 2024, um 17.00 Uhr im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, Balinger Straße 33/1, 70567 Stuttgart.
Die Laudatio hält Oberkirchenrätin Kathrin Nothacker. Das Programm finden Sie hier.
Erwartet werden informative Einblicken, romantische Kammermusik und spannende Exponaten aus Jonathan Schillings Privatsammlung: Handschriftliche Originalbriefe Wildermuths und seltene Erstausgaben ihrer Werke warten vor Ort darauf, von Ihnen entdeckt zu werden.
Die Anmeldung erfolgt bis zum 11. November 2024 über den Link https://forms.office.com/e/xFdZkCVvuw
Über Jonathan Schilling:
Der 1993 geborene Jonathan Schilling studierte in Tübingen und Marburg Geschichte und Musikwissenschaft und nahm anschließend in Münster bei Prof. Dr. Olaf Blaschke die Arbeit an seiner Dissertation auf, die er 2023 dort abschloss.
4. Mai 2023 | Andreas Butz | Veranstaltung
Verleihung des 14. Johannes-Brenz-Preises am 12. Mai 2023 im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart durch Herr Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel an Herrn Dr. Thomas Hilarius Meyer für seine Dissertation „Rute Gotes“ und „Beschiß“ des Teufels. Theologische Magie und Hexenlehre an der Universität Tübingen, Hamburg 2019.
In seiner Studie widmet sich der jüngste Träger des Johannes-Brenz-Preises einer uns fremd gewordenen Welt: Dem spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Glauben an Hexen und damit an das reale Wirken des Teufels in der Welt. Als Mächte des Bösen waren sie integraler Bestandteil eines theonomen Weltbildes, eines dämonologischen Diskurses. Wie differenziert und auf unterschiedliche Adressatenkreise, Gebildete und Ungebildete, Theologen und Laien, Prediger und Zuhörer, abgestimmt dieser Diskurs war, zeigt seine Untersuchung am Beispiel des Denkens der Professoren der theologischen Fakultät der Tübinger Universität im Zeitraum zwischen 1477 und 1700. Bemerkenswert, weil nicht unbedingt erwartbar, ist die Homogenität des in theologischen Kompendien dargebotenen Wissens über die Zeit. Sie erlaube es, so Meyer, geradezu von einer Magielehre der Tübinger Schule zu reden. Konsens bestand unter den Tübinger Gelehrten, die die zeitgenössische Hexenliteratur kaum rezipierten, in der Grenze, die dem Tun des Teufels in der Welt gesetzt sei: Er war in seinem Wirken daran gebunden, das Gott es zulasse, eine Prämisse, die den Teufel samt Magiern und Hexen zum Werkzeug Gottes machte. Dieser Aspekt war es, der in den Predigten dominierte: Aufgerufen wurde nicht zur Verfolgung der Hexen, sondern dazu, Buße für das eigene Fehlverhalten zu tun. Überzeugend dargelegt zu haben, wie sich die unterschiedlichen Akzentsetzungen des theologischen Diskurses in verschiedenen Quellengattungen zu einem stimmigen Ganzen fügt, ist die eigentliche Leistung der Arbeit, die erstmals in einem zeitlichen Längsschnitt die dämonologische Lehre einer theologischen Fakultät untersucht.
Der Johannes-Brenz-Preis, der alle zwei Jahre für herausragende Arbeiten zur württembergischen Kirchengeschichte verliehen wird, ist vom Verein für württembergische Kirchengeschichte gestiftet und mit 3.000 Euro dotiert.
Die Preisverleihung wird Herr Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel vornehmen. Der Preisträger wird über sein Thema einen Vortrag halten, und zwar
am Freitag, 12. Mai 2023 um 16.00 Uhr
im Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart-Möhringen, Balinger Str. 33/1
Um Anmeldung wird gebeten per Email (margarete.gruenwald@elk-wue.de) oder unter
Tel. 0711-2149 212 bis 5. Mai 2023.
Passend zum Thema der prämierten Arbeit können an diesem Tag historische Zauberzettel und weitere abergläubische bzw. volksmagische Exponate aus der Musealen Sammlung des Landeskirchlichen Archivs besichtigt werden.
2. Februar 2022 | Andrea Kittel | Veröffentlichung
Dr. Götz Homoki mit seiner Dissertation
Eingefahrene, überkommene Vorstellungen von Studierenden existieren schon seit vielen Jahrhunderten: Da gibt es angeblich den braven Streber, der sich nur um sein Fortkommen an der Universität bemüht, den trinkfesten Partygänger und notorischen Ruhestörer, selbstbewusste Frauenhelden oder technikbegeisterte Nerds, die ständig vor dem Computer sitzen. Im Laufe der Zeit bewegten sich diese Studentenklischees stets zwischen fleißig und angepasst, also normkonform, auf der einen Seite und draufgängerisch und ungehorsam auf der anderen Seite. Freilich lag es dabei stets im Auge der Betrachtenden, ob das damit verbundene Verhalten getadelt oder gelobt, skandalisiert oder idealisiert wurde.
Aber wie haben sich in diesem Zusammenhang eigentlich die Stipendiaten des Stifts in Tübingen, die „Stiftler“, selbst gesehen und wie wurden sie von anderen gesehen? Wie haben einzelne junge „Stiftler“ im 17. und 18. Jahrhundert ihre Umwelt wahrgenommen und in ihr gehandelt? Diese und weitere Fragen hat unser Mitarbeiter Dr. Götz Homoki in seiner Doktorarbeit untersucht, die jetzt bei der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen ist. Das 457 Seiten starke Werk trägt den Titel „Identität – Habitus – Konformität. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung zu württembergischen Herzoglichen Stipendiaten in der Frühen Neuzeit“.
Das Herzogliche Stipendium oder Stift in Tübingen war für Jahrhunderte eine über die Grenzen Württembergs hinaus bekannte und bedeutsame Ausbildungsstätte für protestantische Kirchenmänner. Die Einrichtung wurde 1536 von Herzog Ulrich gegründet, um nach der Reformation die Qualifizierung bekenntnistreuer Pfarrer sicherzustellen. Begabte männliche Landeskinder erhielten in der Folge freie Unterkunft und Verpflegung im ehemaligen Tübinger Augustinereremitenkloster. Die Lebensumstände der Stipendiaten, die an der Universität zunächst Philosophie und dann Theologie studierten, waren zugleich über Jahre hinweg von strengen Vorschriften geprägt. So wurde von den Stipendiaten unter anderem gefordert, sich im Stift alltäglich ausschließlich auf Latein zu unterhalten oder ständig bodenlange schwarze „Kutten“ zu tragen.
Götz Homoki untersucht in seiner Studie erstmals die ebenso weitreichenden wie langfristigen Auswirkungen der landesherrlichen Studienförderung auf das Selbstverständnis und die Verhaltensweisen Herzoglicher Stipendiaten in der Frühen Neuzeit. Anhand von Selbstzeugnissen, darunter auf Latein verfasste Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, zeigt er, dass das Denken, Wahrnehmen und Handeln einzelner Stipendiaten ganz im Zeichen einer christlich-humanistischen Gelehrsamkeit stand. Es unterschied sich damit deutlich von den ausschweifenden Gewohnheiten zechender, spielender, tanzender oder raufender Studenten: „Für die von mir untersuchten Stipendiaten war die Nichtüberschreitung der Norm die Normalität”, so Homoki zusammenfassend über seine facettenreiche Studie zum frühneuzeitlichen Studentenleben abseits des Verbotenen und Devianten.
Dr. Götz Homoki studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Latein in Tübingen und wurde an der Universität Stuttgart promoviert. Für seine Untersuchung zur Geschichte des Tübinger Stifts erhielt er ein dreijähriges Forschungsstipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst. Bereits 2019 wurde ihm für die vorliegende Arbeit der Johannes-Brenz-Preis für herausragende Arbeiten zur württembergischen Kirchengeschichte verliehen, den der Verein für württembergische Kirchengeschichte alle zwei Jahre auslobt. Im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart ist er aktuell mit der Erschließung zentraler Aktenbestände der württembergischen Kirchenleitung beschäftigt, außerdem ist er der verantwortliche Redakteur der „Blätter für württembergische Kirchengeschichte“ und betreut das Rezensionswesen der wissenschaftlichen Zeitschrift.
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„Das königliche Seminarium“ in Tübingen, Aquarell von L. Gottschick, 1808, (LKAS Museale Sammlung, 96.052)