7. Dezember 2021 | Michael Bing | Lesesaal
Wir treffen Alexander Staib im Lesesaal.
Staib hat an der Universität Stuttgart Geschichte, Politik und Wirtschaftswissenschaften auf Gymnasiallehramt studiert. Für seine Doktorarbeit in der Landesgeschichte bei Prof. Dr. Sabine Holtz forscht er zur oratorischen Performanz protestantischer Prediger im Herzogtum Württemberg 1650 bis 1750, also dem Zeitraum nach dem 30jährigen Krieg bis hin zur Neuordnung der Klosterschulen, des Stifts und auch der Universität Tübingen.
Sein Forschungsvorhaben beleuchtet Alexander Staib wie folgt. „Bei der oratorischen Performanz dreht es sich um den rednerischen Auftritt des Pfarrers oder des Predigers, wenn man das etwas allgemeiner fassen will, weil ja auch Dekane und Vikare gepredigt haben. Die Klosterschüler mussten in ihrer Ausbildung lernen öffentlich zu sprechen; sie absolvierten so etwas wie Predigtsimulationen, z.B. durch Vorbeten vor gemeinsamen Speisen oder einen Vorlesedienst. All das bereitete die künftigen Pfarrer des Landes auf ihre Predigttätigkeit vor. Die Fragen, die ich mir bei den Recherchen stelle, sind Folgende: Wie wurden sie darauf vorbereitet? Was für Normen wurden an die Pfarrer angelegt? Wie sollten sie also sprechen? Laut, klar, verständlich, deutlich – wie war es dann tatsächlich im Amt? Gab es dort irgendwelche Vorfälle, dass ein Pfarrer gerügt wurde, dass er undeutlich sprach, dass er zu schnell sprach, dass er einen seltsamen Dialekt hatte, wie z.B. Prediger aus Mömpelgard, die eben einen französischen Dialekt hatten und Weiteres.
Antworten auf diese Fragestellungen bieten vor allem die Visitationsberichte/-protokolle im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und eben im Landeskirchlichen Archiv (Bestand A 1). Jährlich wurden die Pfarrer auf ihrem Pfarrgang visitiert. Dabei wurde nicht nur die Lebensführung des Pfarrers beurteilt, sondern auch die Häufigkeit und Verständlichkeit seiner Predigt. Es finden sich dort Hinweise darauf, dass der Pfarrer beispielsweise undeutlich oder zu schnell gepredigt oder sich mangelhaft auf die Predigt vorbereitet hat, zu viele Fremdwörter in seiner Predigt verwendet hat und dergleichen.
Als weitere Quellengattung bieten sich die Protokollbände des Konsistoriums im Bestand A 3 an. Die Pfarrer wurden gelegentlich vor das Konsistorium geladen, um eine Probepredigt zu halten.
Die Konsistorialprotokolle eignen sich dahingehend hervorragend, da sie einen sehr langen Zeitraum sehr detailliert abdecken. Ebenfalls von Relevanz sind für mich die Spezialsynodalrezesse, etwa im Bestand der Allgemeinen Kirchenakten A 26. Der Synodus tagte in der Regel im Herbst und fasste auf Grund der Berichte über die Visitation seine Beschlüsse, etwa, dass ein Pfarrer zur Probepredigt in das Konsistorium nach Stuttgart einzuberufen sei.
Als weitere aufschlussreiche Quelle sind die die Testimonien- oder Zeugnisbücher (Bestand A 13) zu nennen.“
Alexander Staib musste sich für seine Arbeit paläographische Kenntnisse aneignen, um die Archivalien des 17. und 18. Jahrhunderts lesen zu können. Das Landeskirchliche Archiv unterstützte ihn dabei durch das Bereitstellen von Hilfsmitteln in Form von Schrifttafeln. Ebenfalls sehr hilfreich sind laut Alexander Staib die Digitalisate der Protokolle, die ihm durch das Archiv zur Verfügung gestellt worden sind.
Für sein weiteres Vorhaben wird Staib auch das Archiv des Evangelischen Stifts in Tübingen besuchen, wenn seine Recherchen im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart abgeschlossen sind.
25. November 2021 | Andrea Kittel | Lesesaal
Wir treffen Dr. Erich Viehöfer. Der Historiker ist Spezialist für Kriminalfälle. 35 Jahre lang leitete er das Strafvollzugsmuseum in Ludwigsburg. Für Ausstellungen und Vorträge erforschte er die Biografien und Lebensumstände inkriminierter Personen, befasste sich mit Betrug, Diebstahl, Mord und Prostitution vergangener Jahrhunderte. Auch Gerichtsurteile und ihre Vollstreckung sind sein Thema. Sein momentanes Interesse gilt u. a. den Scharfrichtern, ihren Techniken und Gerätschaften, aber auch ihren Familien. Heute im Ruhestand, ist er als Vortragsredner weiterhin gefragt und so setzt er seine einschlägigen Recherchen fort.
„Ins Landeskirchliche Archiv führte mich neben den Scharfrichtern auch der Fall eines Amokläufers, der 1913 in Degerloch seine Familie erschlug und anschließend in Mühlhausen an der Enz neun weitere Personen erschoss. Die Kirchenbücher konnten hier Hinweise zum familiären Umfeld – Herkunft, Paten, Wegbegleitern geben.
Aktuell beschäftigt mich der Fall der Witwe des ersten Ludwigsburger Totengräbers, die 1740 im dortigen Zucht- und Arbeitshaus wegen Kuppelei angeklagt worden war und nur knapp der Todesstrafe entging. Nachdem in der sehr umfangreichen Akte des Malefitzgerichtes weder ihr Mädchenname noch ihr Herkunftsort genannt war, fand ich in den Kirchenbüchern im Landeskirchlichen Archiv bei den Angaben zu ihrer Heirat die wesentlichen Bausteine, um weiter recherchieren zu können. Aus den Kirchenkonventsprotokollen ihres nunmehr gefundenen Herkunftsortes Dürrenzimmern erschloss sich die Vorgeschichte dieser Frau.
Die digitale Verfügbarkeit vieler Quellen, z.B. bei Archion, hat meine Arbeit enorm erleichtert. Die persönliche Recherche im Landeskirchlichen Archiv bleibt aber für mich unentbehrlich.”
10. November 2021 | Andrea Kittel | Lesesaal
Wir treffen Gudrun Silberzahn-Jandt. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin aus Esslingen ist neben einer Referentinnentätigkeit mit Studien forschend tätig. Sie kennt das Landeskirchliche Archiv schon aus früheren Arbeiten – etwa zum Alltag im Nationalsozialismus auf den Fildern, zum heutigen Hospiz in Esslingen oder zum Alltag in der ehemals „Anstalt Stetten“ genannten Einrichtung der Diakonie im Remstal.
„Gerade zur Alltagsgeschichte findet sich in manchen Aktenbeständen erstaunlich viel. Pfarrvisitationsberichte beispielsweise fragten zwar bestimmte Themen ab, die Antworten aber sind nicht standardisiert, und so erfährt man, dass der Pfarrer sich ärgerte, wenn Jugendliche statt in den Gottesdienst zu gehen, schon früh poussieren, oder dass das Pfarrhaus ‚allen Winden und Feuchtigkeiten ausgesetzt ist, sich aber nicht viel machen lasse‘ und daher manche Pfarrer sich eher ungern nach Oberesslingen versetzen ließen.
Aktuell recherchiere ich nach Aktenbeständen, die über die Praxis der Kinderverschickungen in den Nachkriegsjahrzehnten Auskunft geben können. Dabei bin ich schon fündig geworden. Ich konnte etwas über die Kurheime erfahren – wie diese sich in Prospekten nach außen darstellen, aber auch darüber, was intern in Arbeitsberichten oder von Eltern und Kindern oder Praktikantinnen und Praktikanten geäußert wurde. Auch finden sich Essenspläne und Beschreibungen des Tagesablaufes in einzelnen Heimen mit den für die meisten Kinder viel zu langen Ruhezeiten am Nachmittag. Immer wiederkehrendes Thema ist das Heimweh, das diese Kinder durchmachten. Veränderungen werden deutlich, wenn ab Ende der 1970er Jahre statt Kuren für Kinder hauptsächlich Mutter-Kind-Kuren angeboten wurden. Die Recherchen sind noch nicht abgeschlossen. Ich werde auf jeden Fall demnächst wieder nach Möhringen kommen.”