Weihnachtsgeschenke 1938

23. November 2022 | |

Kurz nach den Sommerferien, fängt es jedes Jahr wieder an zu „weihnachten“. Lange vor dem ersten Advent glitzern überall schon Sterne und Christbaumkugeln, in den Geschäften und Onlineportalen werden weihnachtliche Produkte und Geschenkideen angepriesen. Das war im vorigen Jahrhundert nicht anders. Im Pfarrarchiv Unterreichenbach fand sich ein Prospekt der „Vereinigten Verkaufsstellen der Anstalt Bethel in Bielefeld“ aus dem Jahr 1938, der bereits im September an Kirchengemeinden und kirchliche Kreise versandt wurde. Die 24-seitige Broschüre zeigt eine weit gefächerte Produktpalette: Engelsfiguren, Kerzenleuchter, Adventskranzständer, Porzellanteller mit Weihnachtsmotiven, Kaffeegeschirr mit Abzeichen evangelischer Vereine sowie weitere Geschenkideen, wie etwa Henkelkörbe und Spardosen. Auf Seit 9 wird ganz selbstverständlich und nebenbei ein Objekt angeboten, das uns heute stutzen lässt: “Hitlers Landhaus ‘Wachenfeld’ als Spardose” in zwei Größen und mit Hakenkreuzflagge.

Im Jahr 1938 war das wohl nichts Außergewöhnliches. Mit dem historischen Wissen von heute mag man dem Zynismus, der in diesem Angebot liegt, nicht recht glauben.

Die Heil- und Pflegeanstalt Bethel bei Bielefeld wurde 1867 von Friedrich von Bodelschwingh für geistig- und körperlich behinderte Menschen gegründet. Ab 1974 wurden verschiedene Werkstätten als Beschäftigungsmöglichkeiten für die Behinderten angegliedert. Die „Vereinigten Verkaufsstellen“ dienten mit dem Vertrieb von Produkten für Kirchen und Kirchengemeinen zur Aufstockung der Finanzen der Anstalt. Auf der Vorderseite des Prospektes ist zu lesen: „Der Reinerlös auch aus dem Weihnachtsversand“, kommt „den Kranken unserer Anstalt zugute,“ und so unterstützt „ein jeder der bei uns bestellt das Liebeswerk an den Kranken und Elenden“.

Angesichts der von den Nationalsozialisten durchgeführten Zwangssterilisationen an Behinderten und der ab 1940 durchgeführten systematischen Krankenmorde ist es äußerst irritierend, dass eine Behinderteneinrichtung wie Bethel in ihrer Produktverkaufsstelle 1938 arglos die Spardose “Hitlers Landhaus” vertrieben hat – ein Objekt, das mit der Ideologie verbunden war, die Behinderte Menschen als „lebensunwert“ betrachtete.

Die Anstalt Bethel stellt sich heute der Verantwortung, indem sie Erinnerungsarbeit und historische Forschung zu ihrer eigenen Geschichte im Nationalsozialismus betreibt. „Geschichte fundiert aufzuarbeiten und daraus Lehren für die aktuelle und künftige Arbeit zu ziehen, ist eine Verpflichtung gegenüber allen, die in Betheler Einrichtungen Leid erfahren haben.“

Bethel im Nationalsozialismus – Bethel

 

Hier der ganze Prospekt:

Weihnachtswaren-Angebot für Kirchengemeinden, Vereinigte Verkaufsstellen der Anstalt Bethel, Bielefeld 1938 (Museale Sammlung, Inv. Nr. 22.106)

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