25. Mai 2022 | Anette Pelizaeus | Kunstgeschichte
Kirche St. Nikolaus, Aalen. Foto: Landeskirchliches Archiv Stuttgart
Die Himmelfahrt Christi bedeutet die im Beisein der Jünger erfolgte Aufnahme Christi in den Himmel am vierzigsten Tag nach Ostern und wird im Neuen Testament in Mk 16,19, in LK 24, 50-51 und in der Apg 1, 9 erzählt Die frühesten Darstellungen dieses Themas entstanden um 400 und schon von Anfang an existieren zwei Bildtypen, nämlich einerseits derjenige, in welchem Christus von Engeln in den Himmel getragen wird und andererseits derjenige, in welchem Christus in den Himmel schreitet und die ihm aus den himmlischen Wolken entgegengestreckte Hand Gottes ergreift. Während der erste Bildtypus eher in der byzantinischen Kunst seit 400 vorkommt, ist der zweite Bildtypus vornehmlich in der westeuropäischen Kunst zu finden und zeigt sich bereits auf einer um 400 in Rom oder Mailand entstandenen Elfenbeintafel, nämlich der sog. Reiderschen Tafel, welche im Nationalmuseum in München mit der Inventarnummer MA 157 aufbewahrt wird und von Martin Joseph von Reider aus Bamberg 1860 für das Museum erworben wurde. In der karolingischen Kunst ist dieser Typus nahezu Usus, doch zeigt sich um 1000 auch der Typus von Christus, der im Bild nicht mehr in ganzer Figur, sondern nur noch partiell erscheint, da er der irdischen Sphäre schon teilweise entfleucht ist. Dieser Typus ist in der Zeit der Gotik üblich, während im Zeitalter der Renaissance und insbesondere des Barock die Himmelfahrt Christi im Sinne des genannten zweiten Bildtypus glorifiziert wird. Als Beispiel dafür sei das einem Vierpass einbeschriebene 1766-1767 von Anton Wintergerst und Johann Michael Winneberger geschaffene Deckengemälde im Kirchenschiff der Stadtkirche St. Nikolaus in Aalen gezeigt. Hier schwebt Christus auf von Engeln getragenen Wolken und erhebt seine Rechte in Richtung eines dunklen Wolkensaumes mit Engelsköpfen und winkt Gottvater, der per se unsichtbar bleibt, in freudiger Erwartung zu. Demzufolge wendet er diesem auch seinen ganzen Körper und seine Blickrichtung zu, während die in der irdischen Sphäre gebliebenen Apostel, die dem Ereignis beiwohnen, ganz unterschiedlich reagieren und sich in verschiedenen Gebärden und Gesten zeigen. Sie sind ängstlich, erschrocken, überrascht oder neugierig, kauern sich, um möglichst nicht gesehen zu werden, mit verschlossenem Gesicht ein oder wenden sich andächtig oder anbetend Christus zu. Dabei zeigen manche auch auf ihn, wodurch die Bedeutung des Ereignisses noch umso stärker akzentuiert wird. Die der Figuren innewohnende Kreisbewegung impliziert die Verbindung zwischen irdischer und himmlischer Sphäre, zwischen Christus und den Menschen und ist nicht allein Charakteristikum der Künstler, sondern gleichsam auch der barocken Epoche, in welcher der himmlischen Sphäre eine besondere Rolle eingeräumt wird und an welcher der irdische Mensch als Teil des Universums auch teilhaben möchte.
Einen ganz anderen Typus wiederum zeigt die moderne Figur des auffahrenden Christus, die in den 1960er Jahren von der Bildhauerin Ruth Speidel für die Stuttgarter Christuskirche geschaffen wurde. Die über dem Altar schwebende, aus Zirbenholz geschnitzte Figur ist zwar mittels eines Stahlarms an der rückwärtigen Wand befestigt, doch ist dieser vom Gottesdienstraum aus nicht sichtbar. Die somit scheinbar schwebende Figur symbolisiert die Himmelfahrt Christi durch ihre Auffahrt in den Himmel, obwohl letzterer gar nicht wiedergegeben und somit nicht in realiter thematisiert ist. Allein die Gebärde und Gestik des Auffahrenden sind relevant. Sein Körper ist entspannt gestreckt, sein leichtes Hohlkreuz bewirkt, dass sein um ihn gelegter Mantel hinter seinem Rücken lose flattert. Er hat seine Arme in unterschiedlichen Winkeln über seinem Kopf erhoben und seine Beine mit leichtem Schritt und nach unten gestellten Füßen locker gestreckt und begibt sich in dieser losgelösten Haltung in eine für uns Menschen nicht erreichbare Sphäre. Durch die erhobenen Arme wird sein aufgerichteter Kopf nahezu umschlossen und dadurch die entrückte Sphäre noch umso deutlicher hervorgehoben. Die Figur ist nicht naturalistisch, sondern durch stilisierte Körperformen mit großem Kopf, großen Händen und überdimensionierten Beinen wiedergegeben, so dass es nicht auf die plastische Herausarbeitung von körperlichen Details ankommt, sondern eben auf die Betonung der Gebärde und Gestik, die eben gerade durch die langsam aufschwebende Bewegung evoziert sind.
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Christuskirche Stuttgart, Foto: Landeskirchliches Archiv Stuttgart
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Literatur:
Sachs, Hannelore/Badstübner, Ernst/Neumann, Helga: Christliche Ikonographie in Stichworten. Leipzig 31988, S. 177-178.
Speidel, Ruth: Ein Lebenswerk. Stuttgart 1991, S. 7-9.
https://de.wikipedia.org/wiki/Reidersche_Tafel
19. Mai 2022 | Andreas Butz | Veranstaltung
Am Nachmittag des 6. Mai fand in den Räumlichkeiten des Landeskirchlichen Archivs die Verabschiedung unseres langjährigen Archivleiters statt. Zahlreiche Gäste aus dem Oberkirchenrat, von anderen Archiven, aus dem beruflichen und persönlichen Umfeld von Norbert Haag waren gekommen. Wie es für eine kirchliche Einrichtung angemessen ist, wurde auch gesungen und es gab eine Andacht durch Oberkirchenrat Georg Eberhardt. Für eine stimmungsvolle musikalische Begleitung der Feier sorgte Kantor Leonhard Völlm. Grußworte sprachen der Direktor des Oberkirchenrats Stefan Werner, der Präsident des Baden-Württembergischen Landesarchivs Prof. Dr. Gerald Maier, die Leiterin des Landeskirchlichen Archivs Karlsruhe Mareike Ritter, die Leiterin des Diözesanarchivs Rottenburg-Stuttgart Frau Angela Erbacher, sowie Prof. Dr. Siegfried Hermle für den Verein der Württembergischen Kirchengeschichte.
Norbert Haag war 14 Jahre lang Leiter des Landeskirchlichen Archivs. Nach seinem Abitur studierte er Geschichte und evangelische Theologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Seine Promotion erlangte er daselbst für seine Dissertation über die lutherische Orthodoxie in Ulm von 1640-1740 (1989). Im Anschluss absolvierte er die Ausbildung des Landesarchivs zum Höheren Archivdienst an der Archivschule Marburg. Ein Jahr lang war er im Anschluss bei Generallandesarchiv Karlsruhe tätig. Schon 1991 kam er zum Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, dem er mehr als drei Jahrzehnte treu bleiben sollte. Als Prof. Dr. Hermann Ehmer im Jahr 2008 in den Ruhestand ging wurde er sein Nachfolger. Nebenberuflich schrieb er seine Habilitation über die geistlichen Fürstentümer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zwischen 1448 und 1648 (2013). Er wurde zum außerplanmäßigen Professor der Universität Tübingen ernannt. Seit 2013 war er Leiter des Referats Archiv/Bibliothek/Dokumenten- und Wissensmanagement im Oberkirchenrat Stuttgart. Außerdem war er viele Jahre Vorsitzender des Vereins für Württembergische Kirchengeschichte.
Beim anschließenden Empfang hatten alle Anwesenden die Gelegenheit sich auszutauschen und Herrn Haag für die neue Lebensphase alles Gute zu wünschen.
13. Mai 2022 | Andreas Butz | Reformation, Veranstaltung
Derzeit findet ein Projekt verschiedener Partner statt, um die Lienzinger Pietà wissenschaftlich aufzuarbeiten, konservatorisch zu sichern und sie in Form einer Replik wieder an ihrem originalen Platz in der Liebfrauenkirche in Mühlacker-Lienzingen aufzustellen. Die nahezu lebensgroße Lindenholzskulptur rückt dadurch nach langem Dornröschenschlaf in das öffentliche Interesse. Es liegen inzwischen Anfragen vor, sie auch in Ausstellungen in Karlsruhe und Paris zu zeigen. Seit April läuft zu dem Thema eine Vortragsreihe, die von der Volkshochschule Mühlacker veranstaltet wird. Die Vorträge finden in der historischen alten Kelter in Mühlacker statt, wo die Pietà auch ausgestellt wird. Direkt neben der Originalskulptur entsteht derzeit eine Kopie, die durch einen Bildhauer hergestellt wird. Die durch Bilderstürmerei der Reformationszeit stark beschädigte Skulptur (beide Köpfe fehlen) wird in der Kopie ergänzt.
Dr. des. Andreas Butz vom Landeskirchlichen Archiv wird im Rahmen der Vortragsreihe am 19. Mai die historischen Quellen zur Pietà, zur mittelalterlichen Kapelle und zur Wallfahrt und Marienverehrung vorstellen.
Das Programm der Vortragsreihe und Informationen zur Anmeldung erhalten Sie hier.
Beitragsbild: Ansicht von Lienzingen von Andreas Kieser, 1684. Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Bestellsignatur H 107/16 Bd 5 Bl. 9, Permalink http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-513372
11. Mai 2022 | Michael Bing | Aktenfund
Der Krieg in der Ukraine gefährdet auch die Bestände der kulturellen Einrichtungen wie Archive, Bibliothek oder Museen. Historiker befürchten die Zerstörung von Archiven als Gedächtnisort des kulturellen Erbes der Ukraine.
Zur Unterstützung der Ukrainischen Einrichtungen bei der Erhaltung und Bergung von Kulturgütern wurde auf Bundesgebiet Ende März das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine gegründet.
Auf Initiative der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (BKM) und dem Auswärtigen Amt sollte kurzfristig eine deutschlandweite Spenden- und Sammelaktion für Material zum Schutz der Kulturgüter in der Ukraine organisiert werden. Beteiligt sind daran neben dem Deutschen Archäologischen Institut und der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk mit dem Projekt KulturGutRetter u.a.Blue Shield Deutschland e.V., die Deutsche Gesellschaft für Kulturgutschutz e.V. (DGKS) und SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut (im Rahmen seiner Funktion als Koordinator der Notfallverbünde).
Die Notfallverbünde in Deutschland http://notfallverbund.de haben zu diesem Zweck Sammelstellen eingerichtet, an denen Sachspenden abgegeben werden können. Von dort aus wird der Weitertransport an die zentrale Sammelstelle des THW und weiter in die Ukraine organisiert.
Auch in Stuttgart musste ein Sammellager eingerichtet werden. Auf Anfrage des Sprechers des Stuttgarter Notfallverbundes (http://notfallverbund.de/verbuende/listenansicht/notfallverbund-stuttgart) Christian Müller, Mitarbeiter des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg hat sich daher das Landeskirchliche Archiv Stuttgart bereit erklärt, die Materialsammlung und den Weitertransport zu koordinieren.
Die 15 im Stuttgarter Notfallverbund zusammengeschlossenen Archive, Bibliotheken und Museen waren dazu aufgerufen, Verpackungsmaterialien wie säurefreie Archivierungsboxen, Plakatrollen, Luftpolsterfolien, Seidenpapier oder Holzkisten für den Transport von Bildern für die Ukrainischen Kultureinrichtungen zu spenden.
Innerhalb einer Woche kamen so insgesamt 17 Paletten an Hilfsgütern zusammen, gespendet etwa vom SWR, dem Staatsarchiv Ludwigsburg, dem Stadtarchiv Stuttgart, dem Landesmuseum oder dem Wirtschaftsarchiv. Im Landeskirchlichen Archiv wurde das Material vorsortiert, transportfähig auf Paletten gepackt und für den Weitertransport in die Ukraine in deutsch-englisch-sprachigen Materiallisten aufgeführt. Am 3. Mai wurden die umfangreichen Stuttgarter Materialspenden dann im Landeskirchlichen Archiv vom Stuttgarter und Göppinger Ortsverband des THW abgeholt und zunächst an das THW-Zentrallager in Hilden bei Düsseldorf verbracht. Von dort wird der Transport in die Ukraine organisiert.
Für die Mitarbeitenden des Landeskirchlichen Archivs und der Landeskirchlichen Zentralbibliothek war mit der Hilfsaktion letztlich mehr Arbeit verbunden als zunächst gedacht. Aber wir hoffen, dass die Materialien gut in der Ukraine ankommen und dort einen Beitrag zum Schutz und zur Rettung der gefährdeten Kulturgüter leisten.
Die Stuttgarter Nachrichten haben in einem Artikel über die Aktion berichtet.
4. Mai 2022 | Andrea Kittel | Museale Sammlung
LKAS, Museale Sammlung, Inv. Nr. 00.088
Viele kennen noch dieses bekannte Volkslied, das recht fröhlich beginnt und schon in der zweiten Zeile für irritierenden Ernst sorgt, indem es Krieg thematisiert. Dass das Kinderlied lange Zeit arglos geträllert wurde, zeigt dieses wohl aus den 1950er Jahren stammende Kindertaschentuch, das mit einem Nachlass in unsere Museale Sammlung kam: Zwei lachende, singende Kinder und vier dicke Maikäfer.
Maikäfer sind heutzutage nicht mehr oft zu sehen, dafür sind Kriege und ihre Folgen täglich präsent.
Was hat es mit diesem Volkslied auf sich? Von welchem Krieg ist die Rede? In welchen Kriegsgebieten sind die Eltern dieser Kinder verschwunden? Pommerland? Pommern?
Zahlreiche historische sowie kultur- und literaturwissenschaftliche Deutungen gibt es zur Herkunft dieses Liedtextes. Zunächst ging man davon aus, dass es im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) entstand. Doch das im Text entworfene Bild des ausziehenden Vaters als Soldaten und der zurückbleibenden Familie hat zu dieser Zeit wohl so nicht stattgefunden. Laut dem Historiker Hans Medick seien in Dreißigjährigen Krieg vielmehr ganze Hausstände in Trossen hinter den Armeen hergezogen und hätten vagabundierende Lebensgemeinschaften gebildet. Einen möglichen historischen Bezug sieht Medick eher im Siebenjährigen Krieg (1756–1763), der auch in der Region Pommern drastische Spuren hinterließ.
Die heute bekannte Textversion des Liedes lässt sich seit etwa 1800 in gedruckter Form nachweisen. Die Melodie, die auch für das Wiegenlied „Schlaf, Kindlein, schlaf“ verwendet wird, komponierte Johann Friedrich Reichardt 1781 nach einer Volksweise.
Die anhaltende Beliebtheit des Liedes erklärt sich möglicherweise aus der Faszination seiner Widersprüchlichkeit. Zur lieblichen Wiegenlied-Melodie werden nüchtern die Schrecken benannt: Die Eltern sind verschollen, ob sie zurückkehren, ist ungewiss. Das Spiel der Kinder, Maikäfer einzufangen und wieder fliegen zu lassen, spiegelt Trost und Verzweiflung gleichermaßen.
Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maik%C3%A4fer_flieg
Ein Maikäfer beim Abflug auf einer Apfelblüte. Foto: Jazzclub, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons