Schlagworte: Wehrpflicht

Wehrpflicht, Losverfahren und Einstandsvertrag im Großherzogtum Baden, ein Beispiel von 1814

13. November 2025 | |

Der in die Debatte um einen neuen Wehrdienst gemachte Vorschlag, zur Auswahl von Wehrdienstleistenden ein Losverfahren einzuführen, greift ein Verfahren auf, dass bereits vor über 200 Jahren angewandt wurde. So auch im Großherzogtum Baden, wo ein Ausgeloster jedoch die Möglichkeit hatte, einen Einsteher zu benennen, der für ihn den Militärdienst übernahm. So geschehen im Falle des Michel Hermanns (1791-1859)[1] und seines Einstehers Sebastian Töchterle (1786-1860)[2] in Oberwolfach im badischen Schwarzwald.

Bei meiner Recherche zu dem aus Schwaz in Tirol stammenden, ab ca. 1773 in Oberwolfach im damaligen Fürstentum Fürstenberg tätigen Bergmann Anton Töchterle [3] bin ich im Generallandesarchiv Karlsruhe auf den Einstandsvertrags seines Sohnes Sebastian Töchterle von 1814 gestoßen.[4] Laut diesem Vertrag (Transkription weiter unten) verpflichtete sich Sebastian Töchterle, anstelle des Michel Hermanns den Militärdienst anzutreten, falls dieser dafür ausgelost wurde, was auch laut Nachtrag vom 25. Februar 1814 geschah.[5]

Bildquelle: Knötel, Richard: Uniformenkunde. Band 4. Rathenow 1893, Nr. 57 (Digitalisat von: http://regiment-index.de/2_6_0101-12_proindx.html#bad).

Nach Einführung der Wehrpflicht im Großherzogtum Baden war es für durch das Los ausgewählte Wehrpflichtige möglich, nicht selbst den Militärdienst zu leisten, sondern einen Einsteher hierfür zu benennen.[6] Die Gegenleistungen, welcher dieser erhielt, wurden in einem Einstandsvertrag genau festgelegt und waren im Falle des Einstandsvertrags zwischen Töchterle und Hermann doch beträchtlich. Aus welchen Gründen war Michel Hermann bereit, diese Gegenleistungen zu entrichten und was motivierte Töchterle dazu, diese Verpflichtung einzugehen? Beides bleibt unbekannt. Möglicherweise war Töchterle in schlechter finanzieller Lage, vielleicht wollte er auch seine Mutter in besserer Versorgung wissen, weshalb er diese Verpflichtung trotz der Risiken, die das Soldatendasein zur damaligen Zeit mit sich brachte, einging. Er erhielt 550 Gulden (fl) und weitere Gegenleistungen, während seiner Mutter auf Lebenszeit gestattet wurde, auf Hermanns Feldern Korn, Gerste und Kartoffeln anzubauen. Hinsichtlich Hermann, damals 22 Jahre alt, lassen die Zeitumstände ebenfalls einen Schluss zu. Das durch Napoleons Gnaden vergrößerte und zum Großherzogtum erhobene Baden musste als Gegenleistung dem französischen Kaiser Truppen für dessen Kriege, die tausende von Opfern forderten, zur Verfügung stellen. Badische Soldaten starben in Norddeutschland, Spanien, Österreich und Russland.[7] Der Wechsel des Großherzogtums auf die Seite der Gegner Napoleons 1813 beendete das Sterben nicht. Baden musste im Zuge der Befreiungskriege sogar mehr Truppen ausheben als zuvor.[8] Im Dezember 1813 wurde in Baden die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.[9] Am 12. Februar 1814 erfolgte zwecks Bildung der Landwehr ein Edikt zur allgemeinen Volksbewaffnung, aufgrund dem alle wehrfähigen Männer im Land erfasst werden sollten. Zwar waren zu dem Zeitpunkt bereits die meisten badischen Regimenter in Richtung Frankreich abmarschiert,[10] jedoch wollte Michel Hermann wohl sicher gehen, dass er nicht zu den nächsten Männern gehörte, die potenziell in den Tod geschickt wurden. Ob Töchterle noch ausmarschieren musste oder nur den Militärdienst im Land abzuleisten hatte, kann nicht gesagt werden. 1814 galt im Großherzogtum noch eine Dienstzeit von zwölf Jahren bei der Artillerie, acht Jahre bei Infanterie und Kavallerie.[11] Mit dem Beitritt zum Deutschen Bund 1815 orientierte sich das badische Militärwesen am preußischen. Die Dienstzeit wurde auf sechs Jahre bei der Infanterie und acht Jahre bei Kavallerie und Artillerie herabgesetzt.[12] Welcher Waffengattung Töchterle angehörte und wie lange er diente, ist nicht bekannt. Bei seiner Hochzeit 1822 ging er bereits wieder seiner erlernten Tätigkeit als Schuhmacher nach.[13]

 

Die Bestimmungen des Einstandsvertrags lauteten wie folgt:

„Einstandsvertrag zwischen Sebastian Töchterle und dem Milizpflichtigen Michel Hermann im Gelbach Stabs Oberwolfach.

1.) Macht Sebastian Töchterle sich verbündlich, für den zum Militärdienst durch das Loos getroffenen Michel Hermann einzustehen und die bestimmte Capitulationszeit [= Dienstzeit] getreulich auszuhalten; dargegen

2.) sichert Michel Hermann dem Einsteher Töchterle eine Kapitalsumme von fünfhundert Gulden zu, welche auf das ihm anfallende Hofguth versichert und jährlich zu 5 Proc[en]t verzünset werden sollen. Nebst diesem erhält Einsteher fünfzig Gulden baar zur Hand; über dieses

3.) verspricht Hermann den Einsteher in sein Haus aufzunehmen und in Kost und Kleidung, gesund oder krank ohnentgeldlich zu unterhalten;[14] auch

4.) berechtiget Hermann des Einstehers Mutter N. N. auf ihre Lebenszeit jährlich 6 Sester Korn, 3 Sester Gersten und 4 Sester Erdäpfel [= Kartoffeln] in das Gerüstefeld und 4 Sester Erdäpfel in das Brandfeld[15] pflanzen zu dörfen.

5.) Hat Einsteher jährlich ein Hemd und ein Paar weiße Hosen, gleich beim Einstand aber ein[e] blaue und ein[e] weiße Hose, ein Paar blaue und weiße Kamaschen, ein Paar Schuh und zwei Hemden zu erhöben. Wenn nun

6.) der Einsteher unter der Zeit mit Tod abgehen würde, ohne über das ihm versicherte Einstandskapital eine leztwillige Erklärung gemacht zu haben, so solle dieses seinen nächsten Verwandten zufallen.

Damit jedoch Michel Hermann an seinem Erbtheil nicht verkürzt und ihm dießhalb kein Hinternüß gemacht werden, so sichert ihm

7.) der Stiefvatter Joseph Summ von seinem eigenen disponiblen [= verfügbaren] Vermögen zweihundert Gulden und sein begütherter Schwager Niklaus Schmider einhundert Gulden als Geschenk zu, die er mit großem Dank anzunehmen erklärt.

Im Fall jedoch

8.) Michel Hermann das Loos zum Militärdienst nicht treffen würde, so solle Döchterle [!] deßen ohnverachtet 30 fl zu beziehen haben.

Zu Bekräftigung dieses Vertrags haben sich die Betheiligten eigenhändig unterschriben.

Wolfach den 14ten Hornung [= Februar] 1814.“[16]

 

Anmerkungen und Quellen

[1] Im Einstandsvertrag wird Michel Hermanns Stiefvater „Joseph Summ“ erwähnt. Am 26. November 1817 heiratete ein Michael Hermann, „künftiger Bauer im Gelbach“, dessen Stiefvater „Joseph Sum“ hieß. Die Braut hieß Anastasia Mayer. Am 12. Januar 1859 starb ein Michael Hermann, „Leibgedinger im Gelbach“, 67 Jahre, drei Monate und 16 Tage alt, er wurde also (rechnerisch) am 27. September 1791 geboren. Seine Ehefrau hieß Anastasia Mayer. Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK), Best. 61, Nr. 14823, No. 59, S. 3; Staatsarchiv Freiburg (StAF), L 10, Nr. 6172, E 1817, Bl. 21v (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-498906-241) und StAF, L 10, Nr. 6176, To 1859, S. 460 (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-498910-550). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich diese drei Dokumente auf dieselbe Person beziehen

[2] Kirchenbücher Oberwolfach, Mischbuch 1753-1809, Taufregister 1753-1809, ohne Seitenzählung (19.01.1786) und StaF, L 10, Nr. 6176, To 1860, S. 474 (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-498910-578).

[3] Heizmann, Uwe: Eine andere Sicht auf die Geschichte des Bergbaus: Die Biografie des aus Schwaz stammenden und in Einbach (Hausach) und Oberwolfach tätigen Bergmanns Anton Töchterle (1740-1812) als Beispiel sozialhistorischer Auswertungsmöglichkeiten. In: Der Erzgräber 39 (2024), H. 1, S. 55 – 60; Ders.: Die Biografie des aus Schwaz stammenden und in Einbach (Hausach) und Oberwolfach tätigen Bergmanns Anton Töchterle (1740-1812) und seine Familie (18./19. Jahrhundert). In: Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde 42 (2024), S. 193 – 212.

[4] Generallandesarchiv Karlsruhe, Bestand 61, Nr. 14823, No. 59.

[5] GLAK, Best. 61, Nr. 14823, No. 59, S. 1.

[6] Fiedler, Siegfried: Das Militärwesen Badens in der Zeit Napoleons. In: Württembergisches Landesmuseum (Hrsg.): Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons. Aufsatzband. Stuttgart 1987, S. 255 – 273, hier S. 262.

[7] Fiedler (wie Anm. 6), S. 259 – 267; Harder, Hans Joachim: Militärgeschichtliches Handbuch Baden-Württemberg. Stuttgart u.a. 1987, S. 84 – 91.

[8] Fiedler (wie Anm. 6), S. 268.

[9] Harder (wie in Anm. 7), S. 91.

[10] Fiedler (wie Anm. 6), S. 268 f.

[11] Fiedler (wie Anm. 6), S. 258.

[12] Harder (wie in Anm. 7), S. 94.

[13] StAF, L 10, Nr. 6173, E 1822, Bl. 22r (http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-498907-21).

[14] Die Dienstzeit umfasste zwar mehrere Jahre, jedoch waren auch großzügige Freistellungen und Urlaub vorgesehen, so dass Töchterle wahrscheinlich auch einige Zeit seiner Dienstzeit in Oberwolfach verbrachte. Vgl. Fiedler (wie Anm. 6), S. 258.

[15] Gerüstefeld und Brandfeld: vermutlich lokale Flurnamen. 1 Sester: altes Hohlmaß für Getreide und Flüssigkeiten, entspricht 15 Liter.

[16] GLAK, Best. 61, Nr. 14823, No. 59.