Schlagworte: Kirchenkampf

Pfarrer Theophil Brendle (1896-1987): Ein kleiner Name in der großen Geschichte

6. Oktober 2025 | |

„Am 21. März des Jahres 1896 wird dem Oberschullehrer Oskar Brendle und seiner Frau Karoline Brendle, geborene Lederer, die Freude des Elterndaseins zu teil, denn genau an diesem Datum ist es, dass ihr Sohn, welcher den Namen Theophil bekommen soll, in Heilbronn das Licht der Welt erblickt.“

So gedachte ich, den Anfang meines ersten Beitrags auf dieser Seite des evangelisch-kirchengeschichtlichen Blogs zu verfassen. In diesem Beitrag soll es um den Nachlass des oben genannten Herrn Theophil Brendle gehen, der auch Inhalt meiner ersten Bestandsaufnahme im Rahmen meines FSJs ist. Bevor dieser Beitrag jedoch Aufsatzlänge erreicht und Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gelangweilt weiter scrollen, weil Ihnen der Name unbekannt ist und die Einführung allein schon zu lang ist, möchte ich Ihnen hier schildern, warum auch der Nachlass eines kleinen Namens trotzdem nicht gänzlich uninteressant ist.

Unterschriftenliste der Gemeindeglieder in Hochdorf an der Enz. EABW, D 204, Nr. 5.

Anders als sein weitaus bekannter und zu Recht für die württembergische Kirchengeschichte bedeutender Namensvetter, der ehemalige Landesbischof Theophil Wurm, der zusammen mit dem protestantischen Landesbischof Bayerns, Hans Meiser, und vielen anderen bedeutenden Persönlichkeiten – darunter Dietrich Bonhoeffer, eine der wichtigsten Figuren der deutschen Geschichte – die unvorstellbare Zeit des Nationalsozialismus und des Kirchenkampfes auf Seiten der Bekennenden Kirche prägte, taucht unser Herr Brendle nur als ein sehr kleines, wenn auch nicht völlig uninteressantes Zahnrädchen in der geschichtlichen Bühnenmaschinerie auf.

Brendle, der seinem Dienstheft (ein Teil seines Nachlasses, der hier im Landeskirchlichen Archiv aufbewahrt wird) eine Porträtfotografie seines Landesbischofs Wurm beilegte, müssen die Vorgänge um dessen Absetzung im fortlaufenden Kirchenkampf äußerst bewegt haben. Wie tausend andere evangelische Gemeindemitglieder und Pfarrer entschloss er sich, Initiative zur Solidarität mit Wurm zu ergreifen und selbst seinen Part im Spiel der Geschichte zu übernehmen. Im Jahr des Ereignisses, 1934, war Brendle Pfarrer in der kleinen Gemeinde Hochdorf an der Enz nahe Vaihingen an der Enz. Auf seine Initiative hin wurden in der Gemeinde Unterschriften gesammelt, um zu protestieren.

Doch damit nicht genug: Dem Archiv liegt eine ganze Sammlung vor, in der wir von weiteren Taten Pfarrer Brendles im Zusammenhang mit dem Kirchenkampf und der Absetzung Wurms erfahren. Anlass der polizeilichen Ermittlungen war die Entdeckung der Kirchenflagge auf Halbmast, was das Misstrauen der NS-Polizei schürte. Auch Gemeindeblätter werden daraufhin beschlagnahmt. Grund: Ihr Inhalt sei zu politisch. Zudem geht das Gerücht um, der Gottesdienst stehe unter Beobachtung. Auf seine Nachfragen beim Württembergischen Innenministerium und beim Evangelischen Quellverlag erhielt Brendle allerdings nur spärliche Antworten.

Mappe Kirchenkampf. EABW, D 204, Nr. 26.

Doch der Auflauf der landesweiten Proteste sollte nicht wirkungslos bleiben: Auch wenn die gleichgeschaltete NS-Presse über die durch die Absetzung Wurms ausgelösten Massenproteste schwieg, so erklangen die Rufe der Protestgemeinde doch so laut, dass Hitler mit seinem Vorhaben zurückrudern musste und Wurm weiter Landesbischof bleiben durfte.

Die evangelische Michaelskirche in Hochdorf an der Enz. Fotograf: Harke. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Mit seiner Unterschriftensammlung und der zusammengestellten Mappe mit Materialien zum Kirchenkampf hinterließ Brendle zwei wichtige Dokumente seiner Archivalien. Sie zeugen nicht nur von seiner Initiative und Solidarität mit Wurm, sondern sind auch für die Orts- und Kirchengeschichte Hochdorfs an der Enz von Bedeutung. Brendle wurde so zu einem kleinen, aber nicht unwichtigen Teil der großen Geschichte. Doch wie sehr der kleine Name eines Theophil Brendles im großen Einklang der Geschichte steht, davon kündigen auch andere Dokumente des von mir bearbeiteten Nachlasses: Brendles „Kriegschronik“ ist ein bleibendes, zeitgeschichtliches Zeugnis aus seiner Pfarrzeit in Heilbronn-Sontheim. Darin schildert er das Ende des Zweiten Weltkrieges aus ortgeschichtlicher Perspektive. Ebenso berührend sind die Dank- und Grußkarten, zum Beispiel jene der Familie Vollbrecht aus Gera-Zwötzen, die Teil der Korrespondenz der Familie Brendle in die DDR waren und bis Anfang der 80er Jahre andauerten. Dies ist nicht nur durch Dank- und Grußkarten, sondern auch durch Lieferscheine belegt.

Alles in allem mag der Name Theophil Brendle in den Augen der Geschichte nicht einmal eine Fußnote sein. Doch wenn man sich die Zeit nimmt, spricht sein Nachlass Bände über den Verlauf aus den Augen eines kleinen Ortspfarrers in Zeiten wie dem Kirchenkampf, der Naziherrschaft, dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der darauffolgenden deutschen Teilung. Während meiner gesamten Bearbeitungszeit konnte ich kein Bild von Pfarrer Brendle finden, sodass seine Person für mich immer ein körperloses Wesen blieb. Aber vielleicht passt dies auch zu Brendles Rolle im Gesamten: Es braucht kein Bild von ihm. Seine Figur, sein Wesen setzen sich aus dem Bestand seines Nachlasses zusammen und sein Wirken und Werk leben als Teil der württembergischen, wenn nicht deutschen Kirchengeschichte weiter.

Der Bestand, der Unterlagen von 1924 bis 1984 enthält,  wurde geordnet und verzeichnet. Das Archivinventar des Bestands Nachlass Theophil Brendle kann online hier eingesehen werden.

Wir begrüßen unseren neuen FSJler

24. September 2025 | | ,

Im September hat unser neuer FSJler seine Stelle angetreten. David Berthele ist über die Jugendbauhütte Baden-Württemberg auf uns als FSJ-Einsatzstelle aufmerksam geworden. Da er sich sehr für Geschichte interessiert und durch die Archivrecherchen seines Vaters bereits eine Vorstellung von den Aufgaben eines Archivs hat, fasste er den Entschluss, sich für das FSJ in unserem Archiv zu bewerben.

Zu seinen ersten Aufgaben gehört die Erschließung des Nachlasses von Pfarrer Theophil Brendle (1896-1987). Um die Akten beurteilen zu können, ist es unerlässlich, sich in das Thema „Kirchenkampf” einzulesen. Wie aus den Nachlassunterlagen bereits jetzt hervorgeht, hat Brendle sich aktiv für Landesbischof Wurm eingesetzt, als dieser von den Nationalsozialisten unter Hausarrest gestellt wurde. So ließ er die Fahne vor der Kirche in Hochdorf-Eberdingen auf Halbmast setzen. In der Gemeinde wurden Unterschriften für die Freilassung Wurms gesammelt.

David Berthele stellt fest, dass die Arbeit im Archiv Freude macht und es viel Neues zu lernen gibt.

Besuch einer Schülergruppe im Evangelischen Archiv Baden und Württemberg

11. Juni 2025 | |

Historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zählt heute zu den wichtigen Aufgaben eines Archivs. So bietet auch das Evangelische Archiv Baden und Württemberg oftmals zusammen mit seinem Partner, dem Verein für Württembergische Kirchengeschichte, verschiedene Angebote auf diesem weitgefächerten Terrain an: Vorträge und Ausstellungen, Publikationen auf „Württembergische Kirchengeschichte online“, quellenkundliche Seminare, die Teilnahme am „Tag der Archive“ sowie Archivführungen, um nur die wichtigsten aufzuzählen. Sie alle dienen den Zielen, die Inhalte archivischer Bestände für die Auswertung bekannt zu machen und/oder in die Nutzung von Archiv und Archivgut auf analogem und digitalem Weg einzuführen. Zwar wenden sich unsere Veranstaltungen immer an ein breites Publikum, jedoch haben die einzelnen Veranstaltungen meistens auch einen bestimmte Adressatenkreis im Blickfeld: Studentinnen und Studenten, Kirchenhistorikerinnen und –historiker, Familienforscherinnen und -forscher, Heimatforscherinnen und -forscher, kirchliche und historische Vereine und natürlich auch unsere Kirchengemeinden.

Sieht man einmal von den Themenvorschlägen des Landeskirchlichen Archivs für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ab, so traten bisher Schülerinnen und Schüler als eigene Zielgruppe historischer Bildungsarbeit nicht in Erscheinung. Folglich betrat das Landeskirchliche Archiv auch ein Stück Neuland, als am 8. Mai 2025 dreizehn Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse des Werner-Heisenberg-Gymnasiums Göppingen zusammen mit ihrem Lehrer und ihrer Lehrerin das Landeskirchliche Archiv besuchten. Die Schulklasse hatte sich zuvor im Religionsunterricht mit dem Kirchenkampf der württembergischen Landeskirche beschäftigt. Dabei ist der Wunsch entstanden, ein Archiv und seine Aufgaben kennenzulernen, in dem auch die historischen Unterlagen zum Kirchenkampf aufbewahrt werden. Ihr Religionslehrer, Herr Michael Hermann, hatte dann die Verbindung zum Evangelischen Archiv Baden und Württemberg hergestellt und seine Schülerinnen und Schüler inhaltlich auf den bevorstehenden Besuch gut vorbereitet. Sie sollten die Kernaufgaben eines Archivs kennenlernen und erste Erfahrungen im Umgang mit historischen Originalquellen sammeln. Dementsprechend ist auch ein traditioneller analoger Einstieg im Lesesaal im Unterschied zum digitalen Einstieg auf der Website des Landeskirchlichen Archivs gewählt worden.

Am Beginn des Besuchs stand ein einleitender Vortrag über die deutsche Archivlandschaft, den Zuständigkeitsbereich des Landeskirchlichen Archivs und seiner Bestände auf dem Programm. Der weitere Verlauf war vorgegeben durch den Prozess der Archivierung von der Sicherung des Schriftgutes bis zu seiner Bereitstellung für die Benützung im Lesesaal: Unsere Restauratorin, Frau Anna Eifler, erklärte am anschaulichen Beispiel eines beschädigten Kirchenbuches die Notwendigkeit zur Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen. Ob bei einer Abgabe an das Archiv das gesamte Schriftgut übernommen werden sollte oder aber eine Auswahl nach bestimmten Kriterien zu treffen sei, die Frage also nach der Archivwürdigkeit von Schriftgut, wurde als nächstes mit den Schülerinnen und Schülern besprochen. Dem schloss sich die Erstellung von Findmitteln als der Kernaufgabe von Archiven an. Den pfarramtlichen Archivinventaren konnten die Schülerinnen und Schüler entnehmen, welche Daten bei der Erschließung der Archivalien erfasst werden müssen, damit die Quellen bei einer Recherche auch gefunden werden können. Zur Veranschaulichung und Einsichtnahme lagen Amtsbücher, Akten und Rechnungsunterlagen aus den Pfarrarchiven bereit, die zugleich auch die archivalischen Hauptgattungen darstellten.

Der Präsentation der Archivalien folgte die Führung durch ein Magazin, in dem auch die Pfarr- und Dekanatsarchive und der Nachlass des Landesbischofs Theophil Wurm, der für die Erforschung des Kirchenkampfes in Württemberg von zentraler Bedeutung ist, aufbewahrt werden. Hier konnte den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt werden, welche Anforderungen an die Verpackung der Archivalien, an Raumklima, -beschaffenheit und -ausstattung eines Magazins gestellt werden, damit die Überlieferung für die Nachwelt erhalten bleibt. Besonders beeindruckt waren die Schüler im Magazin von unseren Fahrregalanlagen.

Zurück im Lesesaal lagen nun aus dem Bestand D1 Theophil Wurm maschinenschriftliche Archivalien zum Kirchenkampf mit folgenden Themenkreisen bereit: Evangelische Bekenntnisgemeinschaft, Deutsche Christen, Eingliederung der evangelischen Jugendarbeit in Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel.  Michael Hermann erläuterte seiner Klasse nun die anstehende Aufgabe: in Zweier- oder Dreiergruppen sollten die Schülerinnen und Schüler die Dokumente lesen und sich für eines davon entscheiden, dessen Inhalt sie besonders anspricht. Nach einer dreißigminütigen Arbeitszeit stellten dann die Kleingruppen ihren Mitschülerinnen und -schülern ihre Auswahl vor und beantworteten Rückfragen.

Danach war dringend eine Pause angesagt. Die Schülerinnen und Schüler hatten schließlich bis dahin eine Menge an Informationen über das Archivwesen erhalten, aufmerksam und interessiert zugehört, Fragen gestellt und ihr erstes Quellenstudium in einem Archiv absolviert.

Am Ende blieb noch ein wenig Zeit, um auf die Website des Landeskirchlichen Archivs, die Online-Findbücher und unsere digitalisierten Quellen im Internet hinzuweisen, dabei besonders auf den Nachlass Theophil Wurm und auf die Kriegschroniken des Zweiten Weltkrieges, denn schließlich fand ja der Archivbesuch an einem 8. Mai statt. So konnten die Schülerinnen und Schüler bei weiterem Interesse von ihrem heimischen PC aus den Archivbesuch fortsetzen und abschließen.

Der Besuch der Schülergruppe war ein erster Schritt des Landeskirchlichen Archivs auf dem Weg zu einem archivpädagogischen Konzept für Schülerinnen und Schüler.  Er verdeutlichte, welche Aspekte ein Archiv als außerschulischer Lernort bei seiner Konzeptualisierung einbeziehen muss: Archiverfahrungen, paläografische Kenntnisse, und die Jahrgangsstufe der Schülerinnen und Schüler; die Abstimmung von Lehrplan und Quellenstudium. Gerade in Anbetracht einer analogen und/oder digitalen Einstiegsmöglichkeit in die Archivnutzung ist über eine Aufgabenteilung zwischen Schule und Archiv im Vorfeld eines Archivbesuchs weiter nachzudenken, denn eine Archivpädagogik kann nur gemeinsam von Schule und Archiv entwickelt werden. Deshalb am Ende nochmals herzlichen Dank an Herrn Hermann und seine Klasse vom Werner-Heisenberg-Gymnasium für die gute Kooperation.

Beitragsbild: EABW