Schlagworte: Judentum

Erschließung des Nachlasses Rudolf Pfisterer (1914-2005)

28. Februar 2024 | | ,

Eine der Veröffentlichungen von Rudolf Pfisterer

Dr. Friedrich Löblein

Der handschriftliche Nachlass und die Materialsammlung von Rudolf Pfisterer wurden bereits 2013- 2016 von Pfarrer Dr. theol. Friedrich Löblein gesichtet, erfasst, geordnet und archiviert. Um den Zugang zum Bestand zu erleichtern, wird er derzeit von Dr. Löblein in unsere archivische Verzeichnungssoftware ActaPro überführt. Außerdem ist inzwischen eine Nachlieferung zum Nachlass eingetroffen, die im Anschluss erstmals verzeichnet wird.
Herr Dr. Löblein hat sich dankenswerterweise ehrenamtlich bereit erklärt, den Nachlass zu erschließen. Er stammt aus dem bayerischen Franken und war dort zuletzt als Dekan in Aschaffenburg tätig. Eine leitende Tätigkeit im Diakonischen Werk der EKD, das früher seinen Sitz in Stuttgart hatte, führte ihn dann nach Württemberg. Für uns war er kein Unbekannter, da er im Ruhestand über ein kirchengeschichtliches Thema der Reformationszeit in Südwestdeutschland promovierte und aus diesem Grund unser Archiv und die Evangelische Zentralbibliothek besuchte. In Erlangen hatte er bereits Archivbestände diakonischer Einrichtungen erschlossen, so dass er bei der Verzeichnung der Bestände bereits auf Erfahrungen zurückgreifen konnte. Durch seine berufliche Tätigkeit in Stuttgart hatte Dr. Löblein Kontakt zur Familie Pfisterer und kannte Rudolf Pfisterer persönlich.
Rudolf Pfisterer war zunächst Gemeindepfarrer und später in der Gefängnisseelsorge tätig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam er in Kontakt mit französischen und jüdischen Professoren. Er engagierte sich für die deutsch-französische Freundschaft und noch mehr für den christlich-jüdischen Dialog. Pfisterer übersetzte das achtbändige Werk von Léon Poliakov zur Geschichte des Antisemitismus ins Deutsche. Er hat zahlreiche Vorträge zum christlich-jüdischen Dialog gehalten, viele Texte für Zeitschriften verfasst und mehrere Bücher veröffentlicht. Dafür erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Otto-Hirsch-Medaille, die Ehrendoktorwürde und den Professorentitel. Dieses bemerkenswerte Engagement spiegelt sich in seinem Nachlass wider. Er hat auch eine Bibliothek zu diesem Thema aufgebaut, die seine Nachkommen der EHZ-Bibliothek übergeben haben.

Begegnung im Archiv. Wer sind unsere Nutzerinnen und Nutzer. Teil 9

14. Juni 2023 | | , , ,

Wir treffen Helmut Walser Smith. Er ist Professor für Geschichtswissenschaft an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Derzeit macht er Recherchen für sein nächstes Buch, welches die Aufarbeitung der Erinnerung an die bundesrepublikanischen jüdischen Gemeinden in der Zeit nach dem Holocaust zum Thema hat. Der Schwerpunkt liegt hier auf württembergischen Kleinstädten mit ehemals jüdischen Minderheiten, im Sinne einer Mikrogeschichte. Er arbeitet im Landeskirchlichen Archiv hauptsächlich mit dem Bestand K 13 Hilfsstelle für Rasseverfolgte bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart. Diese Hilfsstelle wurde im Jahr 1945 von der evangelischen Landeskirche eingerichtet und wurde von Fritz Majer-Leonhard geleitet.

“In den 50er Jahren fehlten weitgehend genauere Kenntnisse, was mit den jüdischen Gemeinden geschehen war, wer ermordet worden war, wer den Holocaust überlebte, beziehungsweise wo die Gemeindeglieder nun lebten. Fritz Majer-Leonhard war einer der ersten, die frühe Statistiken über die Gemeinden erstellte. Auf eine Initiative von ihm ging es auch zurück, dass Anfang der 1960er Jahre vom Land Baden-Württemberg beschlossen wurde, eine Dokumentationsstelle einzurichten, so dass zum ersten Mal in Deutschland von offizieller Seite Daten aus den einzelnen Gemeinden erhoben wurden.”

Der Historiker nutzt seinen Forschungsaufenthalt auch zu Recherchen in anderen Archiven. Zum Beispiel im Stadtarchiv Stuttgart, wo etwa die Unterlagen der Israelitischen Religionsgemeinschaft verwahrt werden. Im Stadtarchiv Ulm sieht er die Quellen ein, die mit der großangelegten Dokumentation im Zusammenhang stehen, welche die Stadt Ulm bereits Anfang der 60er Jahre in Auftrag gegeben hat. Außerdem nutzt er den Bestand der Dokumentationsstelle zur Erforschung der Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit, die das Hauptstaatsarchiv Stuttgart bereits digital zur Verfügung stellt.

Im November wird er noch einmal anreisen, um im Rahmen des vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg veranstalteten Stuttgarter Symposiums den Vortrag “Die Jews from Württemberg melden sich zurück: 1945 – 1988″ zu halten. Aus der Perspektive der New Yorker Organisation “The Jews from Württemberg” zeichnet er in dieser Veranstaltung die Erfahrungen und Begegnungen von Juden nach, die nach dem Holocaust die Orte ihrer ehemaligen Gemeinden besuchten.