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„Quellen aus dem Pfarrarchiv machen Geschichte lebendig.“ Eine Veranstaltung der Evangelischen Kirchengemeinde Amstetten und des Evangelischen Archivs Baden und Württemberg zum 750jährigen Jubiläum der Gemeinde Amstetten am 5. November 2025 in Amstetten-Dorf

20. November 2025 | | , ,

In diesem Jahr feiern viele bürgerliche Gemeinden ihre urkundliche Erstnennung vor 750 Jahren. Dieses Jubiläum verdanken sie ihren Pfarreien, die im Zehntbuch des damaligen Bistums Konstanz (Liber decimationis) namentlich aufgelistet und zur Abgabe eines Kreuzzugszehnten veranschlagt wurden. So auch die Gemeinde Amstetten auf der Ostalb am Rande des Alb-Donau-Kreises, in der die Reichsstadt Ulm im Jahr 1531 die Reformation einführte. Wie die pfarramtlichen Archivalien bezeugen, prägte die evangelische Kirche bis weit in das 20. Jahrhundert hinein das Gemeindeleben, die Identität und die Mentalität der Bürgerinnen und Bürger Amstettens wesentlich mit. Grund genug für die Kirchengemeinde, mit einem Beitrag die Bedeutung der Ortskirchengeschichte für die Geschichte der Gemeinde wieder ins allgemeine Bewusstsein zu rufen und sich mit einer eigenen Veranstaltung in die Jubiläumsfeierlichkeiten einzubringen.

Sophia Mellili bei ihrem Vortrag. Foto: EABW

Im Hinblick auf das Jubiläum hatte die Kirchengemeinde zunächst das Evangelische Archiv Baden und Württemberg mit der Archivierung ihres Archivs und der Erstellung eines Archivinventars beauftragt, denn das Pfarrarchiv ist das Gedächtnis einer Kirchengemeinde. Das von Sophia Melilli verfasste Findbuch wurde auf der Website des Landeskirchlichen Archivs veröffentlicht. Somit können sich Forschende vom heimischen PC aus einen Überblick über die pfarramtlichen Archivalien Amstettens verschaffen, die im Lesesaal des Evangelischen Archivs ausgewertet werden können oder sogar als Digitalisate im Internet verfügbar sind. Für die Jubiläumsveranstaltung sollten dann Quellen vorgestellt werden, die die Grundlage für die Rekonstruktion der Ortsgeschichte bilden und besondere Einblicke in das kirchliche und kommunale Leben Amstettens vermitteln. Unter dem Motto „Quellen aus dem Pfarrarchiv machen Geschichte lebendig” lud die Kirchengemeinde am 5. November 2025 zu einer Veranstaltung ein. Dieser Einladung folgten ca. 50 historisch interessierte Amstetterinnen und Amstetter ins Kulturhaus Amstetten-Dorf. Für die inhaltliche Ausgestaltung hatte die Kirchengemeinde das Evangelische Archiv Baden und Württemberg gebeten.

Birgitta Häberer bei ihrem Vortrag. Foto: EABW

Pfarrer Frederik Seeger eröffnete den Abend. Er hieß alle Gäste herzlich willkommen und bedankte sich für ihr Interesse an der Ortskirchengeschichte.
Im ersten Vortrag wurden wichtige Ereignisse und Strukturen der Amstettener Ortsgeschichte seit der Ersterwähnung vorgestellt. Ralf Oettle beschrieb den Ablauf der Reformation im Ulmer Land und in Amstetten. Er hob die besondere Bedeutung der Landwirtschaft für die Entstehung der dörflichen Gemeinschaft und die Gestaltung des kirchlichen Lebens hervor.
Wie allgemein bekannt, sind Kirchenbücher für die Genealogie und Familienforschung eine unersetzbare Quelle. Deshalb wurden die württembergischen und badischen Kirchenbücher digitalisiert und sind auf dem Kirchenbuchportal Archion verfügbar.. Demzufolge bildete die Gattungsgeschichte der Amstettener Kirchenregister von 1600 bis zu ihrer Formalisierung im 19. Jahrhundert einen Schwerpunkt im nächsten Vortrag von Birgitta Häberer. Dass Kirchenbücher darüber hinaus noch eine Vielzahl an anderen wertvollen Informationen für die Ortsgeschichte überliefern können, veranschaulichte ihr zweiter Schwerpunkt anhand ausgewählter Beispiele zu den Themenbereichen Krieg, Frieden, Seuchen/Krankheiten und Migration. So finden sich in den Amstettener Kirchenbüchern beispielsweise Einträge über die Bestattung ausländischer Soldaten und von Pfarrern verfasste Kurzbiografien von Dorfbewohnern.

Kirche von Amstetten. Foto: Evangelische Kirchengemeinde Amstetten

Wie ergiebig Pfarrberichte für die Rekonstruktion des Alltags und der Lebenswelt einer Kirchengemeinde im 19. und 20. Jahrhundert sein können, wurde in den letzten beiden Vorträgen aufgezeigt. Pfarrberichte sind von den Pfarrern zur Vorbereitung einer Visitation der Pfarrei durch den Dekan verfasst worden. Aus der Sicht des Geistlichen wurde das kommunale und kirchliche Leben seiner Gemeinde ausführlich beschrieben. Wegen ihres hohen Quellenwertes wurden die württembergischen Pfarrberichte digitalisiert und auf der Website des Evangelischen Archives Baden und Württemberg veröffentlicht. Die Amstettener Pfarrberichte sind mit großer Sorgfalt geschrieben worden:

Der Vortrag von Sophia Melilli befasste sich mit dem kirchlichen Leben an der Heimatfront während des Ersten Weltkriegs. So kam die Gemeinde beispielsweise vor der Abkommandierung der eingezogenen Soldaten zum Gottesdienst zusammen und es wurden regelmäßig Kriegsgebetstunden für die Kämpfenden an der Frontlinie gehalten. Pfarrer Hölzle pflegte den Schriftverkehr mit den Soldaten und betreute ihre Familien seelsorgerisch. Darüber hinaus organisierte er mit den Frauen in Amstetten Kleidersammlungen und Spendenaktionen und warb in patriotischer Gesinnung für die Beteiligung der Kirchengemeinde an den Kriegsanleihen. Ihm fiel auch die Aufgabe zu, den Hinterbliebenen von Gefallenen die königlichen bzw. kaiserlichen Gedenkblätter zu überbringen.

Vortrag von Dr. Bertram Fink. Foto: EABW

Hauptgegenstand des Vortrags von Bertram Fink war die unterschiedliche Entwicklung der Amstettener Ortsteile Amstetten-Dorf und Amstetten-Bahnhof bis zum Bau der Friedenskirche in Amstetten-Bahnhof im Jahr 1966.
Während Amstetten-Dorf bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts an den kirchlichen Traditionen einer bäuerlichen Gemeinde festhielt, setzte in Amstetten-Bahnhof seit dem Ende des 19. Jahrhunderts – begünstigt durch die verkehrsgünstige Lage – die Industrialisierung ein. Es entstand eine Arbeiterwohngemeinde mit einer säkularen Freizeitkultur. Trotz aller offensichtlichen Gegensätze beider Ortsteile wurde die Gesamtgemeinde durch die evangelische Kirche zusammengehalten. Diese Struktur verlieh der Kirchengemeinde Amstetten ihre individuelle Prägung in der Geschichte.

Nach den Vorträgen blieb noch etwas Zeit für Fragen an die Referentinnen und Referenten. Dabei zeigte sich, dass die Besucherinnen und Besucher den Beiträgen mit großem Interesse gefolgt waren. Daher darf zu Recht angenommen werden, dass die Bedeutung der evangelischen Kirche als Mitgestalterin der Ortsgeschichte beim Publikum angekommen ist.