27. September 2021 | Konstanze Grutschnig | Bibliothek
Am 13. und 14. September 2021 fand in der Augustinerkirche in Gotha die Tagung „Evangelische Kirchenbibliotheken. Desiderate und Perspektiven ihrer Erforschung“ statt. Die Veranstaltung wurde geleitet von Prof. Dr. Thomas Fuchs (Universitätsbibliothek Leipzig), Dr. Kathrin Paasch (Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt) und Prof. Dr. Christopher Spehr (Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena)Kooperation mit dem Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Eisenach und Magdeburg, sowie dem Freundeskreis der Forschungsbibliothek Gotha e.V.
„Es liegen viele Aufgaben vor uns – packen wir es an“ forderte Christopher Spehr (Universität Jena) auf der Tagung „Evangelische Kirchenbibliotheken. Desiderate und Perspektiven ihrer Erforschung“ in Gotha seine Zuhörer auf. Zuvor hatte er den Erschließungstand historischer Pfarrbibliotheken skizziert. Neben zwei Projekten in Mecklenburg-Vorpommern (2016-2017) und in Nordthüringen (seit 2017) sind bisher nur einzelne Kirchenbibliotheken in Verbundkatalogen katalogisiert und damit ihre Bestände für die Forschung benutzbar gemacht worden. Eine Mammutaufgabe wie Thomas Fuchs (Universitätsbibliothek Leipzig) erklärte, da die genaue Zahl der evangelischen Kirchenbibliotheken nicht bekannt ist, die Bestände für den Arbeitsalltag der Pfarrerschaft keine Rolle mehr spielen und sie deshalb wenig beachtet werden. Oft sind sie in einem schlechten Erhaltungszustand und stehen an zu feuchten oder zu warmen Orten in Kirchen, Pfarr- oder Gemeindehäusern. Dennoch ist es lohnend, sie zu erschließen, denn in den historischen Beständen lassen sich häufig unikale und für die besitzende Gemeinde bedeutende Bücher entdecken. Besonders spannend ist es, wenn die Vorbesitzer ihre Ansichten in den Büchern vermerkt haben. So zeigte Helmut Liersch (Goslar) anhand der Halberstädter Büchersammlung in Goslar, wie sich der Sinneswandel des „altgläubigen“ Notars Andreas Gronewalt zum Anhänger Luthers nachvollziehen lässt.
Am Beispiel der Kirchenbibliothek von St. Annen in Annaberg erläuterte Thomas Thibault Döring (Universitätsbibliothek Leipzig), wie Kirchenbibliotheken im Laufe der Geschichte ihre Funktionen änderten, zusätzlich zu Rats-, Schul- oder Stadtbibliothek wurden und von Pfarrern, Lehrern, Ratsherren und Bürgern der Stadt genutzt wurden. Untergebracht waren die Büchersammlungen häufig in der Kirche, oft wurden auch eigene Anbauten für sie errichtet wie in Goslar oder in Wittenberg. In weiteren Vorträgen wurde auf die kulturhistorische Bedeutung von Büchern und Bibliotheken eingegangen und so stellten Insa Christina Hennen (Stiftung Leucorea Wittenberg) und Daniel Bohnert (Universität Duisburg-Essen) die Bedeutung der Ordiniertenbücher für die lutherische Gedächtniskultur dar oder erläuterte Michael Ludscheidt (Bibliothek d. Evangelischen Ministeriums Erfurt) die Memorialfunktion bürgerlicher Buchgeschenke. Nicht immer waren die Anschaffungen theologisch motiviert wie Christoph Nonnast (Universität Jena) anhand der Buchkäufe in Nordthüringen belegt. Hier priesen Autoren und Verlage ihre Werke – oft noch vor der Drucklegung – beim Fürsten an, der dann deren Ankauf in den Kirchengemeinden befahl.
Der Schwerpunkt der Vorträge lag auf dem mitteldeutschen Raum, doch mit dem Beitrag über die Geschichte der Konsistorialbibliothek in Stuttgart stellte Carsten Kottmann (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart) auch ein Bespiel einer württembergischen Kirchenbibliothek vor. Welche Chancen die weitere Erfassung der Kirchenbibliotheken bieten, zeigten Christoph Nonnast, der die Ergebnisse des Erschließungsprojekts in Nordthüringen vorstellte, und Dietrich Hakelberg (Forschungsbibliothek Gotha), der die Möglichkeiten zur Visualisierung der Bestände mittels Geobrowser und Wortwolke präsentierte. Insgesamt war es eine gelungene und spannende Tagung, die gleichzeitig den Auftakt zum Projekt der EKM zur Erfassung historischer Kirchenbibliotheken ab 2022 bildet. Wer nun neugierig geworden ist, kann die Vorträge im nächsten Band des Leipziger Jahrbuch für Buchgeschichte nachlesen.
Foto: Sergej Tan, Forschungsbibliothek Gotha
21. September 2021 | Jakob Eisler | Bestand
Jakob Eisler bei der Einholung der letzten Papierakten des Difäm in Tübingen
In den Sommermonaten 2021 konnten die letzten Papierakten des Deutschen Instituts für ärztliche Mission (Difäm) aus den Jahren 1995 bis 2020 in Tübingen abgeholt werden, um diese zu bearbeiten und um das Papierarchiv vollständig in Stuttgart aufzubewahren. Somit wird sich das gesamte Difämarchiv für Benutzer in unserem Archiv befinden.
Das Landeskirchliche Archiv hatte schon im Jahre 2011 den Altbestand des Difäm übernommen und ließ es durch Dr. Jakob Eisler und Dr. Siglind Ehinger für die Jahre 1836 bis 1995 verzeichnen. Diese Akten beinhalteten auch die Altakten des medizinischen Missionsinstitutes Tübingen von 1841-1849, den Verein für Ärztliche Mission Stuttgart 1898-1972, und des Difäm bis 1995. Das Archiv ist erschlossen und das Inventar ist hier recherchierbar.
Im Jahr 1906 gründete der Unternehmer Paul Lechler das „Deutsche Institut für ärztliche Mission (DIFÄM) mit dem Ziel. Ausreisende Ärzte und Pflegekräfte sowie Theologen der verschiedenen Missionsgesellschaften in Deutschland auf ihren Auslandsaufenthalt vorzubereiten und in Tropenmedizin auszubilden bzw. ihnen medizinisches Basiswissen zu vermitteln. 1916 wurde in Tübingen die Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus errichtet.
Zum hundertjährigen Jubiläum der Tropenklinik erarbeitete das Landeskirchliche Archiv gemeinsam mit dem Difäm eine Ausstellung, die die bewegende Geschichte des Institutes und seiner Zweige darstellte.
In der aktuellen Corona-Pandemie setzt sich das Difäm für die gerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen ein und fordert, diese zu einem globalen zugänglichen Gut zu machen.
Maßstab und Motivation für das Engagement des Difäm ist bis heute die christliche Ethik mit ihrer Herausforderung, für die Benachteiligten da zu sein.
17. September 2021 | Jakob Eisler | Interkultur, Palästina, Veröffentlichung
Dr. Jakob Eisler, Mitarbeiter des Landeskirchlichen Archivs, und Ulrich Gräf, Kirchenoberbaudirektor der evangelischen Landeskirche in Württemberg i.R., arbeiten derzeit an einer aufwändigen Dokumentation der Friedhöfe mit ihren Grabsteinen in Haifa und Jerusalem, sowie der aufgelösten Friedhöfe in Bethlehem/Galiläa, Waldheim im Norden; Jaffa (Mount Hope), Sarona und Wilhelma im Süden.
Zum ersten Mal werden in einer großangelegten Dokumentation alle Grabsteine und, soweit erfassbar, auch alle beerdigten Personen der schwäbischen Templer in Israel vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen die Darstellung der Grabsteine und die Stellung und Bedeutung der beerdigten Personen in den Templergemeinden. In Kurzbiographien werden die familiären Hintergründe beschrieben und auch auf verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Personen, die auf den Friedhöfen beerdigt sind, verwiesen. Die Hinweise auf die wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten der Templer zeigen einmal mehr auf, welch große Bedeutung die Templer mit ihren Siedlungen auf die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung in Palästina und Israel im 19. und 20. Jahrhundert gehabt haben.
In Registern zu den Koordinaten der Grabsteine, einem Namens-Register aller beerdigten Personen können leicht die einzelnen fast 2.000 dokumentierten Personen gefunden werden. Durch eine Herkunftsliste können die Orte, aus denen die schwäbischen Templer in das damalige Palästina ausgewandert sind, nachvollzogen werden. Die Vielzahl der Orte vor allem aus dem damaligen Königreich Württemberg und darüber hinaus aus dem deutschen Kaiserreich, nicht zu vergessen aus den USA und Osteuropa, ist erstaunlich.
Einen weiteren Schwerpunkt der Dokumentation der Grabsteine bilden die vielen Inschriften, Bibelzitate, Trauersprüche und Gedichte, die ein Licht auf die Bibeltreue der Templer werfen und ihren festen Glauben bezeugen. Die Liste der Bibelstellen ist wie ein Gang durch das Alte und Neue Testament, die Vielzahl der Bibelstellen beweist die Bibelkenntnis der Templerfamilien.
80 Jahre Grabsteinkunst, von 1870 bis zum 2. Weltkrieg, belegen, dass die Templer die Entwicklungen in der Grabsteingestaltung im Deutschen Reich kannten und an ihre Verhältnisse und Materialmöglichkeiten im damaligen Palästina anpassten. Daraus ergibt sich ein interessanter Querschnitt der Grabsteinformen und dem Grabsteindekor vom Historismus bis in die 1930er Jahre.
Abgerundet wird die Dokumentation aller Grabsteine der schwäbischen Templer in Israel mit einem geschichtlichen Überblick der Friedhöfe und einem Einblick in die Begräbnis- und Trauerriten der Templer. Die verwendete Literatur und Quellen ergeben im Literaturverzeichnis eine nahezu komplette Übersicht über die Literatur und die Quellen zu den Templern. In zwei Bänden umfasst die Dokumentation der Friedhöfe rd. 700 Seiten und wird im Frühjahr 2022 im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart erscheinen.
Beitragsbild: Friedhof in Jerusalem
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Friedhof in Haifa
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Beispiel der Dokumentation
10. September 2021 | Anette Pelizaeus | Kirchen, Kunstgeschichte
„Sein und Schein“ – das Motto des diesjährigen Tages des offenen Denkmals“ trifft gerade für die Stadtkirche in Freudenstadt in vielerlei Hinsicht zu, und zwar nicht allein, weil sie mit einem schmuckvollen, im Dachstuhl aufgehängten Scheingewölbe und dem berühmten frühmittelalterlichen Lesepult ausgestattet ist, sondern auch deshalb, weil sie von Mai 2019 bis Juni 2021 im Innenraum aufwändig renoviert und am 13. Juni dieses Jahres feierlich wieder eingeweiht wurde. Nun erstrahlt die Kirche wieder in neuem Glanz!
Die Stadtkirche hat die für Württemberg einzigartige Gestalt einer Winkelhakenkirche. Sie wurde von Heinrich Schickhardt im Auftrag von Herzog Friedrich I. von Württemberg ab 1601 im Stil der Spätrenaissance erbaut. 1608 konnte bereits der erste Gottesdienst in der Kirche gefeiert werden und 1615 kam der gesamte Kirchenbau mit dem Ausbau der Türme zu seinem Abschluss. Der Grund für die winkelförmige und somit gänzlich ungewöhnliche Grundrissdisposition lag in der städtebaulichen Situation. Die Kirche nämlich sollte in das winkelförmig angeordnete Ensemble der Marktplatzbebauung mit Rathaus, Kaufhaus und Spital der 1599 eigens von Herzog Friedrich gegründeten Stadt einbezogen werden.
Der helle, ganz weiß gefasste Innenraum mit einer vierseitigen, jeweils an den Innen- und Abschlussseiten der beiden Kirchenschiffe entlanglaufenden Empore wird durch das Marienportal auf der Nordseite betreten. Im Winkel zwischen den beiden Kirchenschiffen befindet sich der Altarbereich, der bereits 2003 umgestaltet und leicht erhöht wurde. Dort befinden sich hintereinander angeordnet Altar und Kanzel und links neben dem Altar das frühmittelalterliche Lesepult mit Darstellung der vier Evangelisten am Schaft desselben, das insofern so eindrucksvoll ist, als sich im Pultkasten ein Loch vermutlich zum Einstellen eines Weihrauchfasses bei der Lesung der Heiligen Schrift befindet, welches bei der Verwendung im Mittelalter den Eindruck vermittelte, als ströme aus den Öffnungen der Evangelisten Rauch. Es schien also so, als ob die Evangelisten selbst das Wort Gottes verkündeten. In diesem Sinne stellt auch dieses besondere Ausstattungsstück ein außerordentliches Exempel für „Sein und Schein dar“! Rechts neben dem Altar an der Außenwand des nördlichen Kirchenschiffes befindet sich das spätgotische Kruzifix und links vor dem Altarbereich der frühmittelalterliche Taufstein, so dass die Prinzipalstücke und die liturgisch wichtigsten Elemente des Gottesdienstes im Zentrum des Kirchenraumes gelegen sind und von beiden Kirchenschiffen aus in gleicher Weise wahrgenommen werden können. Die Hauptorgel befindet sich auf der auf zwei Säulen ruhenden Westempore des nördlichen Kirchenschiffes und die kleine Schott-Orgel östlich des Altarbereiches. Beide Kirchenschiffe werden von einem nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellten Scheingewölbe mit skulpierten Schlusssteinen und dem Engelschor an den Gewölbeanfängern überspannt.
Wie aber muss man sich den ursprünglichen Innenraum der Freudenstädter Stadtkirche vorstellen? Im Innenraum der Anlage wurden schon ursprünglich Altar und Kanzel im Vierungsquadrat in der Südwestecke angeordnet, während sich der eigentliche, aber durch das Gestühl auf Altar und Kanzel ausgerichtete Kirchenraum im Nordflügel befand. Der Taufstein kam neben dem Altar auf der Grenze zum Ostflügel zu stehen, so dass auch dieser von allen Seiten gut in Augenschein genommen werden konnte. Die Orgel wurde aus akustischen Erwägungen im Chor aufgestellt, so dass auch sie gut sichtbar war. Seit dem 19. Jahrhundert – vorher existierte gar kein Gestühl in der Kirche – saßen die Frauen in vier Bankblöcken mit freiem Mittel- und Quergang, unter der Kanzel die Mädchen und Laienschüler, die Männer nach Berufsständen getrennt auf der Empore und die Jungen auf der kleinen Empore im Polygon des Ostflügels. Während also der Nordflügel mit Gestühl für die Frauen ausgestattet war, blieb der Ostflügel im Erdgeschoss nahezu leer. Hier saßen die Gläubigen auf der Empore, aber alle hatten, egal wo sie sich befanden, den klaren Achsenbezug auf Kanzel, Altar und Orgel.
Die Emporenbrüstungen waren mit Bildszenen des Alten und Neuen Testamentes aus bemaltem Stuck, gefertigt von Kalkschneider Gerhardt Schmidt, verziert. Der Zyklus begann mit der Schaffung von Himmel und Erde und allen Kreaturen, es folgte die Herstellung der Welt, die Erschaffung von Adam, die Sintflut, die Bootsfahrt Christi über das tobende Meer, die Beschneidung Jesu, die Taufe Jesu, Jesu Speise mit den Jüngern, das Abendmahl, Jakobs Kampf mit dem Engel, Christus am Ölberg, die eherne Schlange, die Kreuzigung, Jona und der Fisch, die Auferstehung, die Himmelfahrt des Propheten Elias, die Himmelfahrt Christi, das Pfingstwunder, der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, die Verfolgung der Christen, die Verfolgung der Kirche, König Salomo, das Jüngste Gericht und schließlich das himmlische Leben. Zwischen diesen Szenen befanden sich die Darstellungen von 16 Propheten.
Die weiß getünchten Wände kontrastierten mit den Laibungen und architektonischen Rahmenumfassungen der Fenster und Portale in den Farben Rotbraun, Blau, Weiß und Gold.
Der Innenraum wurde zusammen mit einem spätgotischen vierteiligen Chorstuhl von 1488 aus der Werkstatt des Ulmer Bildschnitzers Konrad Widmann, dem gotischen Steinaltar und der Kanzel mit Schalldeckel im Zweiten Weltkrieg vernichtet und bereits in den Jahren 1947-1950 wiederhergestellt. Weitere Renovierungen erfolgten 1981/1982 und 2003.
Die Winkelhakenkirche in Freudenstadt hatte zwar nicht die Nachfolge wie die Querkirche der Schlosskirche in Stuttgart, stellt aber gerade durch ihre besondere, der neuen lutherischen Lehre entsprechenden Raumkonfiguration im Rahmen einer städtebaulichen Gesamtkonzeption einen wesentlichen Erinnerungsort dar, in welchem „Sein und Schein“ sowohl in der Architektur als auch in der Ausstattung eine wichtige Rolle spielen.
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Frühmittelalterliches Lesepult mit der Darstellung der vier Evangelisten
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Empore
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Kleine Orgel
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Altar und Kanzel im Winkel der Kirche
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Große Orgel
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